Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.Die Lilie. Soll ich allein denn übrig bleiben? Will deine Feder nichts von meiner Zierde schreiben? Soll ich, so viel an dir, auf Erden Umsonst gewesen seyn? Soll meine schöne Bluhme, Zu dein- und meines Schöpfers Ruhme, Nicht angesehn und nicht besungen werden? Soll ich, da du so Ros- als Nelken Zum Werkzeug' angewandt, des Schöpfers Wunder-Macht Zu sehn und zu erhöhn, hindangesetzt, veracht't, Und sonder Nutz, verwelken? So deucht mich, daß das schöne Heer Der holden Liljen zu mir sag'te, Und sich nicht ohne Recht beklag'te, Als ich sie jüngst von ungefehr Jm Garten Wunder-würdig glänzen Und herrlich blühen sah. Die Farbe, die Figur, Das Laub, der hohe Stiel, den sie so schön bekränzen, Der köstliche Geruch, sind alle der Natur Vollkomm'ne Meisterstück. Jch setzte mich bey ihnen, Durch diesen Vorwurs halb beschäm't, im Grünen Vor einer nahen Laube nieder, Und sang, nachdem ich, wie so schön Sie in der Fern so wol als in der Nähe stehn, Mit frohen Blicken angesehn; Von ihnen diese Lieder: Jhr Liljen, die ihr gleichsam hier An einem grünen Himmel, schier Wie Sternen erster Grösse stralet; Wie herrlich hat euch die Natur Fast mehr versilbert, als gemalet! Die
Die Lilie. Soll ich allein denn uͤbrig bleiben? Will deine Feder nichts von meiner Zierde ſchreiben? Soll ich, ſo viel an dir, auf Erden Umſonſt geweſen ſeyn? Soll meine ſchoͤne Bluhme, Zu dein- und meines Schoͤpfers Ruhme, Nicht angeſehn und nicht beſungen werden? Soll ich, da du ſo Roſ- als Nelken Zum Werkzeug’ angewandt, des Schoͤpfers Wunder-Macht Zu ſehn und zu erhoͤhn, hindangeſetzt, veracht’t, Und ſonder Nutz, verwelken? So deucht mich, daß das ſchoͤne Heer Der holden Liljen zu mir ſag’te, Und ſich nicht ohne Recht beklag’te, Als ich ſie juͤngſt von ungefehr Jm Garten Wunder-wuͤrdig glaͤnzen Und herrlich bluͤhen ſah. Die Farbe, die Figur, Das Laub, der hohe Stiel, den ſie ſo ſchoͤn bekraͤnzen, Der koͤſtliche Geruch, ſind alle der Natur Vollkomm’ne Meiſterſtuͤck. Jch ſetzte mich bey ihnen, Durch dieſen Vorwurſ halb beſchaͤm’t, im Gruͤnen Vor einer nahen Laube nieder, Und ſang, nachdem ich, wie ſo ſchoͤn Sie in der Fern ſo wol als in der Naͤhe ſtehn, Mit frohen Blicken angeſehn; Von ihnen dieſe Lieder: Jhr Liljen, die ihr gleichſam hier An einem gruͤnen Himmel, ſchier Wie Sternen erſter Groͤſſe ſtralet; Wie herrlich hat euch die Natur Faſt mehr verſilbert, als gemalet! Die
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Die Lilie.
Soll ich allein denn uͤbrig bleiben?
Will deine Feder nichts von meiner Zierde ſchreiben?
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Zu dein- und meines Schoͤpfers Ruhme,
Nicht angeſehn und nicht beſungen werden?
Soll ich, da du ſo Roſ- als Nelken
Zum Werkzeug’ angewandt, des Schoͤpfers Wunder-Macht
Zu ſehn und zu erhoͤhn, hindangeſetzt, veracht’t,
Und ſonder Nutz, verwelken?
So deucht mich, daß das ſchoͤne Heer
Der holden Liljen zu mir ſag’te,
Und ſich nicht ohne Recht beklag’te,
Als ich ſie juͤngſt von ungefehr
Jm Garten Wunder-wuͤrdig glaͤnzen
Und herrlich bluͤhen ſah. Die Farbe, die Figur,
Das Laub, der hohe Stiel, den ſie ſo ſchoͤn bekraͤnzen,
Der koͤſtliche Geruch, ſind alle der Natur
Vollkomm’ne Meiſterſtuͤck. Jch ſetzte mich bey ihnen,
Durch dieſen Vorwurſ halb beſchaͤm’t, im Gruͤnen
Vor einer nahen Laube nieder,
Und ſang, nachdem ich, wie ſo ſchoͤn
Sie in der Fern ſo wol als in der Naͤhe ſtehn,
Mit frohen Blicken angeſehn;
Von ihnen dieſe Lieder:
Jhr Liljen, die ihr gleichſam hier
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