Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

ten Zeichen gar nichts geben, das seyen nur Schlingen
des Satans, die man verachten müsse; und dann schenkte
er mir noch eine schöne Bibel für das Annerl, die sie
noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermeister,
am andern Morgen, noch an drei Meilen weit nach
Haus fahren. Ach Du mein Gott, und Alles ist doch
eingetroffen! sagte die Alte und schwieg.

Eine schauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzäh¬
lung der Alten hatte mich ganz zermalmt. Um Gottes
willen, Mutter, rief ich aus, was ist es mit der armen
Annerl geworden, ist denn gar nicht zu helfen?

Es hat sie mit den Zähnen dazu gerissen, sagte die
Alte, heut wird sie gerichtet; aber sie hat es in der Ver¬
zweiflung gethan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn;
sie war zu Schanden gekommen aus Ehrsucht, sie wurde
verführt von einem Vornehmen, er hat sie sitzen lassen,
sie hat ihr Kind erstickt in derselben Schürze, die ich
damals über den Kopf des Jägers Jürge warf, und die
sie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat sie mit Zäh¬
nen dazu gerissen, sie hat es in der Verwirrung gethan.
Der Verführer hatte ihr die Ehe versprochen, und gesagt:
der Kasper sey in Frankreich geblieben; dann ist sie ver¬
zweifelt und hat das Böse gethan, und hat sich selbst

ten Zeichen gar nichts geben, das ſeyen nur Schlingen
des Satans, die man verachten müſſe; und dann ſchenkte
er mir noch eine ſchöne Bibel für das Annerl, die ſie
noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermeiſter,
am andern Morgen, noch an drei Meilen weit nach
Haus fahren. Ach Du mein Gott, und Alles iſt doch
eingetroffen! ſagte die Alte und ſchwieg.

Eine ſchauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzäh¬
lung der Alten hatte mich ganz zermalmt. Um Gottes
willen, Mutter, rief ich aus, was iſt es mit der armen
Annerl geworden, iſt denn gar nicht zu helfen?

Es hat ſie mit den Zähnen dazu geriſſen, ſagte die
Alte, heut wird ſie gerichtet; aber ſie hat es in der Ver¬
zweiflung gethan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn;
ſie war zu Schanden gekommen aus Ehrſucht, ſie wurde
verführt von einem Vornehmen, er hat ſie ſitzen laſſen,
ſie hat ihr Kind erſtickt in derſelben Schürze, die ich
damals über den Kopf des Jägers Jürge warf, und die
ſie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat ſie mit Zäh¬
nen dazu geriſſen, ſie hat es in der Verwirrung gethan.
Der Verführer hatte ihr die Ehe verſprochen, und geſagt:
der Kasper ſey in Frankreich geblieben; dann iſt ſie ver¬
zweifelt und hat das Böſe gethan, und hat ſich ſelbſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="50"/>
ten Zeichen gar nichts geben, das &#x017F;eyen nur Schlingen<lb/>
des Satans, die man verachten mü&#x017F;&#x017F;e; und dann &#x017F;chenkte<lb/>
er mir noch eine &#x017F;chöne Bibel für das Annerl, die &#x017F;ie<lb/>
noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermei&#x017F;ter,<lb/>
am andern Morgen, noch an drei Meilen weit nach<lb/>
Haus fahren. Ach Du mein Gott, und Alles i&#x017F;t doch<lb/>
eingetroffen! &#x017F;agte die Alte und &#x017F;chwieg.</p><lb/>
        <p>Eine &#x017F;chauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzäh¬<lb/>
lung der Alten hatte mich ganz zermalmt. Um Gottes<lb/>
willen, Mutter, rief ich aus, was i&#x017F;t es mit der armen<lb/>
Annerl geworden, i&#x017F;t denn gar nicht zu helfen?</p><lb/>
        <p>Es hat &#x017F;ie mit den Zähnen dazu geri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;agte die<lb/>
Alte, heut wird &#x017F;ie gerichtet; aber &#x017F;ie hat es in der Ver¬<lb/>
zweiflung gethan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn;<lb/>
&#x017F;ie war zu Schanden gekommen aus Ehr&#x017F;ucht, &#x017F;ie wurde<lb/>
verführt von einem Vornehmen, er hat &#x017F;ie &#x017F;itzen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ie hat ihr Kind er&#x017F;tickt in der&#x017F;elben Schürze, die ich<lb/>
damals über den Kopf des Jägers <choice><sic>Jügre</sic><corr>Jürge</corr></choice> warf, und die<lb/>
&#x017F;ie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat &#x017F;ie mit Zäh¬<lb/>
nen dazu geri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie hat es in der Verwirrung gethan.<lb/>
Der Verführer hatte ihr die Ehe ver&#x017F;prochen, und ge&#x017F;agt:<lb/>
der Kasper &#x017F;ey in Frankreich geblieben; dann i&#x017F;t &#x017F;ie ver¬<lb/>
zweifelt und hat das Bö&#x017F;e gethan, und hat &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0060] ten Zeichen gar nichts geben, das ſeyen nur Schlingen des Satans, die man verachten müſſe; und dann ſchenkte er mir noch eine ſchöne Bibel für das Annerl, die ſie noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermeiſter, am andern Morgen, noch an drei Meilen weit nach Haus fahren. Ach Du mein Gott, und Alles iſt doch eingetroffen! ſagte die Alte und ſchwieg. Eine ſchauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzäh¬ lung der Alten hatte mich ganz zermalmt. Um Gottes willen, Mutter, rief ich aus, was iſt es mit der armen Annerl geworden, iſt denn gar nicht zu helfen? Es hat ſie mit den Zähnen dazu geriſſen, ſagte die Alte, heut wird ſie gerichtet; aber ſie hat es in der Ver¬ zweiflung gethan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn; ſie war zu Schanden gekommen aus Ehrſucht, ſie wurde verführt von einem Vornehmen, er hat ſie ſitzen laſſen, ſie hat ihr Kind erſtickt in derſelben Schürze, die ich damals über den Kopf des Jägers Jürge warf, und die ſie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat ſie mit Zäh¬ nen dazu geriſſen, ſie hat es in der Verwirrung gethan. Der Verführer hatte ihr die Ehe verſprochen, und geſagt: der Kasper ſey in Frankreich geblieben; dann iſt ſie ver¬ zweifelt und hat das Böſe gethan, und hat ſich ſelbſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/60
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/60>, abgerufen am 07.05.2024.