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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

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gehrte er, man solle den Herrn Pfarrer doch noch ein¬
mal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das ver¬
sprach ihm der Bürgermeister, und lobte ihn wegen sei¬
ner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor sei¬
nem Tode noch einen Wunsch hätte, den er ihm erfüllen
könne. Da sagte der Jäger Jürge: ach, bittet hier die
gute alte Mutter, daß sie doch morgen mit dem Töch¬
terlein ihrer seligen Base bei meinem Rechte zugegen seyn
mögen, das wird mir das Herz stärken in meiner letzten
Stunde. Da bat mich der Bürgermeister, und so grau¬
lich es mir war, so konnte ich es dem armen elenden
Menschen nicht abschlagen. Ich mußte ihm die Hand
geben und es ihm feierlich versprechen und er sank wei¬
nend auf das Stroh. Der Bürgermeister ging dann
mit mir zu seinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich noch¬
mals Alles erzählen wußte, ehe er sich in's Gefängniß
begab.

Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bür¬
germeisters Haus schlafen, und am andern Morgen ging
ich den schweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers
Jürge. Ich stand neben dem Bürgermeister im Kreis,
und sah wie er das Stäblein brach; da hielt der Jäger
Jürge noch eine schöne Rede und alle Leute weinten, und er

gehrte er, man ſolle den Herrn Pfarrer doch noch ein¬
mal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das ver¬
ſprach ihm der Bürgermeiſter, und lobte ihn wegen ſei¬
ner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor ſei¬
nem Tode noch einen Wunſch hätte, den er ihm erfüllen
könne. Da ſagte der Jäger Jürge: ach, bittet hier die
gute alte Mutter, daß ſie doch morgen mit dem Töch¬
terlein ihrer ſeligen Baſe bei meinem Rechte zugegen ſeyn
mögen, das wird mir das Herz ſtärken in meiner letzten
Stunde. Da bat mich der Bürgermeiſter, und ſo grau¬
lich es mir war, ſo konnte ich es dem armen elenden
Menſchen nicht abſchlagen. Ich mußte ihm die Hand
geben und es ihm feierlich verſprechen und er ſank wei¬
nend auf das Stroh. Der Bürgermeiſter ging dann
mit mir zu ſeinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich noch¬
mals Alles erzählen wußte, ehe er ſich in's Gefängniß
begab.

Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bür¬
germeiſters Haus ſchlafen, und am andern Morgen ging
ich den ſchweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers
Jürge. Ich ſtand neben dem Bürgermeiſter im Kreis,
und ſah wie er das Stäblein brach; da hielt der Jäger
Jürge noch eine ſchöne Rede und alle Leute weinten, und er

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[48/0058] gehrte er, man ſolle den Herrn Pfarrer doch noch ein¬ mal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das ver¬ ſprach ihm der Bürgermeiſter, und lobte ihn wegen ſei¬ ner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor ſei¬ nem Tode noch einen Wunſch hätte, den er ihm erfüllen könne. Da ſagte der Jäger Jürge: ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß ſie doch morgen mit dem Töch¬ terlein ihrer ſeligen Baſe bei meinem Rechte zugegen ſeyn mögen, das wird mir das Herz ſtärken in meiner letzten Stunde. Da bat mich der Bürgermeiſter, und ſo grau¬ lich es mir war, ſo konnte ich es dem armen elenden Menſchen nicht abſchlagen. Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich verſprechen und er ſank wei¬ nend auf das Stroh. Der Bürgermeiſter ging dann mit mir zu ſeinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich noch¬ mals Alles erzählen wußte, ehe er ſich in's Gefängniß begab. Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bür¬ germeiſters Haus ſchlafen, und am andern Morgen ging ich den ſchweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers Jürge. Ich ſtand neben dem Bürgermeiſter im Kreis, und ſah wie er das Stäblein brach; da hielt der Jäger Jürge noch eine ſchöne Rede und alle Leute weinten, und er

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/58>, abgerufen am 07.05.2024.