Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

den Alektryo als den Mörder der kleinen Hühner und der
Gallina überbringen," und so eilten sie nun beide den Go¬
ckel einzuholen, der im Walde herumstrich, einiges Wild zu
erlegen, das er bei dem Krämer gegen Hirse vertauschen
wollte.

Bald sahen sie ihn auch in einem Busche zwei Schne¬
pfen, die sich in einem Sprenkel gefangen hatten, in seinen
Ranzen stecken; da fiengen sie laut an zu weinen. Gockel
schrie ihnen entgegen: "Gott sey Dank, ihr weinet gewiß vor
Freude, Gallina hat gewiß dreißig schöne junge Hühnchen aus¬
gebrütet."-- "Ach," schrie Frau Hinkel, "ach ja, aber!" --
"Aber, was aber?" sagte Gockel, "was aber weint ihr, dreißig
Hühner, und immer so fort, entsetzlich viele Hühner!" --
Da rief Hinkel: "O Unglück über Unglück, Alektryo, dein
sauberer Haushahn hat Gallina und alle die gegenwärtigen
und künftigen Hühner gefressen! Da hab ich ihn in den
Sack gesteckt, da hast du ihn, strafe ihn, ich will ihn nie
wieder sehen." Mit diesen Worten warf sie dem vor Schreck
versteinerten Gockel den Sack mit dem Hahn vor die Füße.

Gockel war über die schreckliche Nachricht, die alle seine
Hoffnungen zerstörte, ganz wie von Sinnen; "ach," rief er
aus, "nun habe ich Alles verloren, das Glück weicht von
meinem Stammhaus, alle meine Voreltern und Nachkom¬
men sind betrogen durch den unseligen Alektryo, den wir
über Menschen und Vieh hoch geachtet haben. O! hätte ich
ihn doch den drei morgenländischen Petschierstechern für den
Geisbock und die Ziege verkauft, da hätten wir doch etwas
gehabt." Als Frau Hinkel hörte, daß er den Alektryo so gut
hätte verkaufen können, machte sie dem Gockel bittere Vor¬
würfe, der immer trauriger ward, und endlich seinen alten
pergamentenen Adelsbrief aus dem Busen zog und zu seiner
Frau sagte: "Hinkel, sieh, was meinen Stamm immer be¬
wogen hat, den Alektryo zu ehren; da unten auf der gol¬
denen Büchse, in welcher der treulose Alektryo als mein Fa¬

den Alektryo als den Moͤrder der kleinen Huͤhner und der
Gallina uͤberbringen,“ und ſo eilten ſie nun beide den Go¬
ckel einzuholen, der im Walde herumſtrich, einiges Wild zu
erlegen, das er bei dem Kraͤmer gegen Hirſe vertauſchen
wollte.

Bald ſahen ſie ihn auch in einem Buſche zwei Schne¬
pfen, die ſich in einem Sprenkel gefangen hatten, in ſeinen
Ranzen ſtecken; da fiengen ſie laut an zu weinen. Gockel
ſchrie ihnen entgegen: „Gott ſey Dank, ihr weinet gewiß vor
Freude, Gallina hat gewiß dreißig ſchoͤne junge Huͤhnchen aus¬
gebruͤtet.“— „Ach,“ ſchrie Frau Hinkel, „ach ja, aber!“ —
„Aber, was aber?“ ſagte Gockel, „was aber weint ihr, dreißig
Huͤhner, und immer ſo fort, entſetzlich viele Huͤhner!“ —
Da rief Hinkel: „O Ungluͤck uͤber Ungluͤck, Alektryo, dein
ſauberer Haushahn hat Gallina und alle die gegenwaͤrtigen
und kuͤnftigen Huͤhner gefreſſen! Da hab ich ihn in den
Sack geſteckt, da haſt du ihn, ſtrafe ihn, ich will ihn nie
wieder ſehen.“ Mit dieſen Worten warf ſie dem vor Schreck
verſteinerten Gockel den Sack mit dem Hahn vor die Fuͤße.

Gockel war uͤber die ſchreckliche Nachricht, die alle ſeine
Hoffnungen zerſtoͤrte, ganz wie von Sinnen; „ach,“ rief er
aus, „nun habe ich Alles verloren, das Gluͤck weicht von
meinem Stammhaus, alle meine Voreltern und Nachkom¬
men ſind betrogen durch den unſeligen Alektryo, den wir
uͤber Menſchen und Vieh hoch geachtet haben. O! haͤtte ich
ihn doch den drei morgenlaͤndiſchen Petſchierſtechern fuͤr den
Geisbock und die Ziege verkauft, da haͤtten wir doch etwas
gehabt.“ Als Frau Hinkel hoͤrte, daß er den Alektryo ſo gut
haͤtte verkaufen koͤnnen, machte ſie dem Gockel bittere Vor¬
wuͤrfe, der immer trauriger ward, und endlich ſeinen alten
pergamentenen Adelsbrief aus dem Buſen zog und zu ſeiner
Frau ſagte: „Hinkel, ſieh, was meinen Stamm immer be¬
wogen hat, den Alektryo zu ehren; da unten auf der gol¬
denen Buͤchſe, in welcher der treuloſe Alektryo als mein Fa¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="37"/>
den Alektryo als den Mo&#x0364;rder der kleinen Hu&#x0364;hner und der<lb/>
Gallina u&#x0364;berbringen,&#x201C; und &#x017F;o eilten &#x017F;ie nun beide den Go¬<lb/>
ckel einzuholen, der im Walde herum&#x017F;trich, einiges Wild zu<lb/>
erlegen, das er bei dem Kra&#x0364;mer gegen Hir&#x017F;e vertau&#x017F;chen<lb/>
wollte.</p><lb/>
        <p>Bald &#x017F;ahen &#x017F;ie ihn auch in einem Bu&#x017F;che zwei Schne¬<lb/>
pfen, die &#x017F;ich in einem Sprenkel gefangen hatten, in &#x017F;einen<lb/>
Ranzen &#x017F;tecken; da fiengen &#x017F;ie laut an zu weinen. Gockel<lb/>
&#x017F;chrie ihnen entgegen: &#x201E;Gott &#x017F;ey Dank, ihr weinet gewiß vor<lb/>
Freude, Gallina hat gewiß dreißig &#x017F;cho&#x0364;ne junge Hu&#x0364;hnchen aus¬<lb/>
gebru&#x0364;tet.&#x201C;&#x2014; &#x201E;Ach,&#x201C; &#x017F;chrie Frau Hinkel, &#x201E;ach ja, aber!&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Aber, was aber?&#x201C; &#x017F;agte Gockel, &#x201E;was aber weint ihr, dreißig<lb/>
Hu&#x0364;hner, und immer &#x017F;o fort, ent&#x017F;etzlich viele Hu&#x0364;hner!&#x201C; &#x2014;<lb/>
Da rief Hinkel: &#x201E;O Unglu&#x0364;ck u&#x0364;ber Unglu&#x0364;ck, Alektryo, dein<lb/>
&#x017F;auberer Haushahn hat Gallina und alle die gegenwa&#x0364;rtigen<lb/>
und ku&#x0364;nftigen Hu&#x0364;hner gefre&#x017F;&#x017F;en! Da hab ich ihn in den<lb/>
Sack ge&#x017F;teckt, da ha&#x017F;t du ihn, &#x017F;trafe ihn, ich will ihn nie<lb/>
wieder &#x017F;ehen.&#x201C; Mit die&#x017F;en Worten warf &#x017F;ie dem vor Schreck<lb/>
ver&#x017F;teinerten Gockel den Sack mit dem Hahn vor die Fu&#x0364;ße.</p><lb/>
        <p>Gockel war u&#x0364;ber die &#x017F;chreckliche Nachricht, die alle &#x017F;eine<lb/>
Hoffnungen zer&#x017F;to&#x0364;rte, ganz wie von Sinnen; &#x201E;ach,&#x201C; rief er<lb/>
aus, &#x201E;nun habe ich Alles verloren, das Glu&#x0364;ck weicht von<lb/>
meinem Stammhaus, alle meine Voreltern und Nachkom¬<lb/>
men &#x017F;ind betrogen durch den un&#x017F;eligen Alektryo, den wir<lb/>
u&#x0364;ber Men&#x017F;chen und Vieh hoch geachtet haben. O! ha&#x0364;tte ich<lb/>
ihn doch den drei morgenla&#x0364;ndi&#x017F;chen Pet&#x017F;chier&#x017F;techern fu&#x0364;r den<lb/>
Geisbock und die Ziege verkauft, da ha&#x0364;tten wir doch etwas<lb/>
gehabt.&#x201C; Als Frau Hinkel ho&#x0364;rte, daß er den Alektryo &#x017F;o gut<lb/>
ha&#x0364;tte verkaufen ko&#x0364;nnen, machte &#x017F;ie dem Gockel bittere Vor¬<lb/>
wu&#x0364;rfe, der immer trauriger ward, und endlich &#x017F;einen alten<lb/>
pergamentenen Adelsbrief aus dem Bu&#x017F;en zog und zu &#x017F;einer<lb/>
Frau &#x017F;agte: &#x201E;Hinkel, &#x017F;ieh, was meinen Stamm immer be¬<lb/>
wogen hat, den Alektryo zu ehren; da unten auf der gol¬<lb/>
denen Bu&#x0364;ch&#x017F;e, in welcher der treulo&#x017F;e Alektryo als mein Fa¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0063] den Alektryo als den Moͤrder der kleinen Huͤhner und der Gallina uͤberbringen,“ und ſo eilten ſie nun beide den Go¬ ckel einzuholen, der im Walde herumſtrich, einiges Wild zu erlegen, das er bei dem Kraͤmer gegen Hirſe vertauſchen wollte. Bald ſahen ſie ihn auch in einem Buſche zwei Schne¬ pfen, die ſich in einem Sprenkel gefangen hatten, in ſeinen Ranzen ſtecken; da fiengen ſie laut an zu weinen. Gockel ſchrie ihnen entgegen: „Gott ſey Dank, ihr weinet gewiß vor Freude, Gallina hat gewiß dreißig ſchoͤne junge Huͤhnchen aus¬ gebruͤtet.“— „Ach,“ ſchrie Frau Hinkel, „ach ja, aber!“ — „Aber, was aber?“ ſagte Gockel, „was aber weint ihr, dreißig Huͤhner, und immer ſo fort, entſetzlich viele Huͤhner!“ — Da rief Hinkel: „O Ungluͤck uͤber Ungluͤck, Alektryo, dein ſauberer Haushahn hat Gallina und alle die gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen Huͤhner gefreſſen! Da hab ich ihn in den Sack geſteckt, da haſt du ihn, ſtrafe ihn, ich will ihn nie wieder ſehen.“ Mit dieſen Worten warf ſie dem vor Schreck verſteinerten Gockel den Sack mit dem Hahn vor die Fuͤße. Gockel war uͤber die ſchreckliche Nachricht, die alle ſeine Hoffnungen zerſtoͤrte, ganz wie von Sinnen; „ach,“ rief er aus, „nun habe ich Alles verloren, das Gluͤck weicht von meinem Stammhaus, alle meine Voreltern und Nachkom¬ men ſind betrogen durch den unſeligen Alektryo, den wir uͤber Menſchen und Vieh hoch geachtet haben. O! haͤtte ich ihn doch den drei morgenlaͤndiſchen Petſchierſtechern fuͤr den Geisbock und die Ziege verkauft, da haͤtten wir doch etwas gehabt.“ Als Frau Hinkel hoͤrte, daß er den Alektryo ſo gut haͤtte verkaufen koͤnnen, machte ſie dem Gockel bittere Vor¬ wuͤrfe, der immer trauriger ward, und endlich ſeinen alten pergamentenen Adelsbrief aus dem Buſen zog und zu ſeiner Frau ſagte: „Hinkel, ſieh, was meinen Stamm immer be¬ wogen hat, den Alektryo zu ehren; da unten auf der gol¬ denen Buͤchſe, in welcher der treuloſe Alektryo als mein Fa¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/63
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/63>, abgerufen am 26.04.2024.