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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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ren, auch kein Kahn und keine Brücke weit und breit zu se¬
hen war; sie pfifferten ihm daher allerlei Fragen entgegen,
aber er verstand kein Wort, ließ sich auch weiter auf nichts
ein, sondern wickelte sie, nebst einer Erdscholle, in das Nest,
holte weit aus und warf sie glücklich hinüber in das hohe
Gras. Da sich von dem Falle das Nest drüben öffnete,
schrieen die kleinen Thierchen noch immer sehr erstaunt, wie
er sie nur hinüber bringen wolle, als sie zu ihrer größten
Verwunderung sahen, daß sie bereits drüben waren und fröh¬
lich nach Hause liefen, ihre Abentheuer zu erzählen.

Auf dem Heimwege begegnete Gockel drei alten Morgen¬
ländern mit langen Bärten, welche große Naturphilosophen,
Kabbalisten und Petschierstecher waren; sie führten einen al¬
ten Bock und eine alte magere Ziege an Stricken zur Frank¬
furter Messe. Sie redeten Gockel an: "seid ihr der Besitzer
des alten Schloßes hier im Walde?" Gockel antwortete:
"ja, ich bin der alte Raugraf, Gockel von Hanau." Da
fragten ihn die Männer, ob er ihnen nicht den alten Haus¬
hahn verkaufen wollte, sie wollten ihm den Bock dafür ge¬
ben. Gockel antwortete: "was soll ich mit dem Bock, ihn
etwa zum Gärtner machen, kann der Bock etwa krähen?
Mein Hahn ist kein Alletagshahn, er ist ein Wappenhahn,
ein Stammhahn; sein Vater hat auf meines Vaters Grab
gekräht, und er soll auf meinem Grabe krähen, lebt wohl."
Da boten ihm die Männer die Ziege, und als er abermals
nicht wollte, boten sie ihm den Bock und die Ziege; Gockel
aber lachte sie aus und gieng seiner Wege. "Nun," riefen sie
ihm nach, "in vier Wochen gehen wir wieder vorbei, da wol¬
len wir wieder nachfragen, vielleicht haben dann der Herr
Raugraf mehr Lust, den Hahn zu verkaufen."

Gockel kam gegen Abend nach Haus, und nachdem er
von seiner Reise ausgeschlafen hatte, sah er sich am andern
Morgen mit Frau Hinkel und dem Töchterchen Gackeleia in
dem wüsten Schloße seiner Vorältern um und begann sich so

ren, auch kein Kahn und keine Bruͤcke weit und breit zu ſe¬
hen war; ſie pfifferten ihm daher allerlei Fragen entgegen,
aber er verſtand kein Wort, ließ ſich auch weiter auf nichts
ein, ſondern wickelte ſie, nebſt einer Erdſcholle, in das Neſt,
holte weit aus und warf ſie gluͤcklich hinuͤber in das hohe
Gras. Da ſich von dem Falle das Neſt druͤben oͤffnete,
ſchrieen die kleinen Thierchen noch immer ſehr erſtaunt, wie
er ſie nur hinuͤber bringen wolle, als ſie zu ihrer groͤßten
Verwunderung ſahen, daß ſie bereits druͤben waren und froͤh¬
lich nach Hauſe liefen, ihre Abentheuer zu erzaͤhlen.

Auf dem Heimwege begegnete Gockel drei alten Morgen¬
laͤndern mit langen Baͤrten, welche große Naturphiloſophen,
Kabbaliſten und Petſchierſtecher waren; ſie fuͤhrten einen al¬
ten Bock und eine alte magere Ziege an Stricken zur Frank¬
furter Meſſe. Sie redeten Gockel an: „ſeid ihr der Beſitzer
des alten Schloßes hier im Walde?“ Gockel antwortete:
„ja, ich bin der alte Raugraf, Gockel von Hanau.“ Da
fragten ihn die Maͤnner, ob er ihnen nicht den alten Haus¬
hahn verkaufen wollte, ſie wollten ihm den Bock dafuͤr ge¬
ben. Gockel antwortete: „was ſoll ich mit dem Bock, ihn
etwa zum Gaͤrtner machen, kann der Bock etwa kraͤhen?
Mein Hahn iſt kein Alletagshahn, er iſt ein Wappenhahn,
ein Stammhahn; ſein Vater hat auf meines Vaters Grab
gekraͤht, und er ſoll auf meinem Grabe kraͤhen, lebt wohl.“
Da boten ihm die Maͤnner die Ziege, und als er abermals
nicht wollte, boten ſie ihm den Bock und die Ziege; Gockel
aber lachte ſie aus und gieng ſeiner Wege. „Nun,“ riefen ſie
ihm nach, „in vier Wochen gehen wir wieder vorbei, da wol¬
len wir wieder nachfragen, vielleicht haben dann der Herr
Raugraf mehr Luſt, den Hahn zu verkaufen.“

Gockel kam gegen Abend nach Haus, und nachdem er
von ſeiner Reiſe ausgeſchlafen hatte, ſah er ſich am andern
Morgen mit Frau Hinkel und dem Toͤchterchen Gackeleia in
dem wuͤſten Schloße ſeiner Voraͤltern um und begann ſich ſo

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[28/0054] ren, auch kein Kahn und keine Bruͤcke weit und breit zu ſe¬ hen war; ſie pfifferten ihm daher allerlei Fragen entgegen, aber er verſtand kein Wort, ließ ſich auch weiter auf nichts ein, ſondern wickelte ſie, nebſt einer Erdſcholle, in das Neſt, holte weit aus und warf ſie gluͤcklich hinuͤber in das hohe Gras. Da ſich von dem Falle das Neſt druͤben oͤffnete, ſchrieen die kleinen Thierchen noch immer ſehr erſtaunt, wie er ſie nur hinuͤber bringen wolle, als ſie zu ihrer groͤßten Verwunderung ſahen, daß ſie bereits druͤben waren und froͤh¬ lich nach Hauſe liefen, ihre Abentheuer zu erzaͤhlen. Auf dem Heimwege begegnete Gockel drei alten Morgen¬ laͤndern mit langen Baͤrten, welche große Naturphiloſophen, Kabbaliſten und Petſchierſtecher waren; ſie fuͤhrten einen al¬ ten Bock und eine alte magere Ziege an Stricken zur Frank¬ furter Meſſe. Sie redeten Gockel an: „ſeid ihr der Beſitzer des alten Schloßes hier im Walde?“ Gockel antwortete: „ja, ich bin der alte Raugraf, Gockel von Hanau.“ Da fragten ihn die Maͤnner, ob er ihnen nicht den alten Haus¬ hahn verkaufen wollte, ſie wollten ihm den Bock dafuͤr ge¬ ben. Gockel antwortete: „was ſoll ich mit dem Bock, ihn etwa zum Gaͤrtner machen, kann der Bock etwa kraͤhen? Mein Hahn iſt kein Alletagshahn, er iſt ein Wappenhahn, ein Stammhahn; ſein Vater hat auf meines Vaters Grab gekraͤht, und er ſoll auf meinem Grabe kraͤhen, lebt wohl.“ Da boten ihm die Maͤnner die Ziege, und als er abermals nicht wollte, boten ſie ihm den Bock und die Ziege; Gockel aber lachte ſie aus und gieng ſeiner Wege. „Nun,“ riefen ſie ihm nach, „in vier Wochen gehen wir wieder vorbei, da wol¬ len wir wieder nachfragen, vielleicht haben dann der Herr Raugraf mehr Luſt, den Hahn zu verkaufen.“ Gockel kam gegen Abend nach Haus, und nachdem er von ſeiner Reiſe ausgeſchlafen hatte, ſah er ſich am andern Morgen mit Frau Hinkel und dem Toͤchterchen Gackeleia in dem wuͤſten Schloße ſeiner Voraͤltern um und begann ſich ſo

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/54>, abgerufen am 20.04.2024.