Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.cher geflügelter Jüngling schwebte durch die säuselnden Bäu¬ Was reif in diesen Zeilen steht, Was lächelnd winkt und sinnend fleht, Das soll kein Kind betrüben, Die Einfalt hat es ausgesäet, Die Schwermuth hat hindurch geweht, Die Sehnsucht hats getrieben; Und ist das Feld einst abgemäht, Die Armuth durch die Stoppeln geht, Sucht Aehren, die geblieben, Sucht Lieb, die für sie untergeht, cher gefluͤgelter Juͤngling ſchwebte durch die ſaͤuſelnden Baͤu¬ Was reif in dieſen Zeilen ſteht, Was laͤchelnd winkt und ſinnend fleht, Das ſoll kein Kind betruͤben, Die Einfalt hat es ausgeſaͤet, Die Schwermuth hat hindurch geweht, Die Sehnſucht hats getrieben; Und iſt das Feld einſt abgemaͤht, Die Armuth durch die Stoppeln geht, Sucht Aehren, die geblieben, Sucht Lieb, die fuͤr ſie untergeht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0401" n="345"/> cher gefluͤgelter Juͤngling ſchwebte durch die ſaͤuſelnden Baͤu¬<lb/> me und uͤber die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er<lb/> trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete<lb/> um ihn, es ſpielte ein Buch des feinſten Seidenpapiers in<lb/> ſeiner Hand, vom Hauche ſeines Mundes und dem Schlage<lb/> ſeiner Fluͤgel durchfaͤchelt. Er uͤberreichte es mir, ſpielte in<lb/> meinen Locken und entſchwebte mit einem Seufzer, ohne die<lb/> Locken meiner Brautjungfern zu beruͤhren, die mit Hyacin¬<lb/> then bekraͤnzt, ihm wehmuͤthige Gedanken erregten. — Ich<lb/> zaͤhlte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es<lb/> waren richtig fuͤnf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor<lb/> der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne,<lb/> um das Papierzeichen kennen zu lernen und ſah das Him¬<lb/> melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Kuͤchlein<lb/> darauf abgebildet und die Worte umher „Vivat die goldene<lb/> Amey“, eine Aufmerkſamkeit Salomons, welche mir ſehr<lb/> ſchmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der<lb/> Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den<lb/> Letzten, der ohnedieß etwas ſchadhaft war, dem Buͤblein,<lb/> ſeine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verſchwand,<lb/> das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Fuͤßen. Das<lb/> Buͤblein war fort, es war, als habe es ſein eignes Daſeyn<lb/> aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das<lb/> Buch, als ein Andenken an das arme Buͤblein und las die<lb/> letzten Worte, die es in das Tagebuch geſchrieben:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Was reif in dieſen Zeilen ſteht,</l><lb/> <l>Was laͤchelnd winkt und ſinnend fleht,</l><lb/> <l>Das ſoll kein Kind betruͤben,</l><lb/> <l>Die Einfalt hat es ausgeſaͤet,</l><lb/> <l>Die Schwermuth hat hindurch geweht,</l><lb/> <l>Die Sehnſucht hats getrieben;</l><lb/> <l>Und iſt das Feld einſt abgemaͤht,</l><lb/> <l>Die Armuth durch die Stoppeln geht,</l><lb/> <l>Sucht Aehren, die geblieben,</l><lb/> <l>Sucht Lieb, die fuͤr ſie untergeht,</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0401]
cher gefluͤgelter Juͤngling ſchwebte durch die ſaͤuſelnden Baͤu¬
me und uͤber die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er
trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete
um ihn, es ſpielte ein Buch des feinſten Seidenpapiers in
ſeiner Hand, vom Hauche ſeines Mundes und dem Schlage
ſeiner Fluͤgel durchfaͤchelt. Er uͤberreichte es mir, ſpielte in
meinen Locken und entſchwebte mit einem Seufzer, ohne die
Locken meiner Brautjungfern zu beruͤhren, die mit Hyacin¬
then bekraͤnzt, ihm wehmuͤthige Gedanken erregten. — Ich
zaͤhlte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es
waren richtig fuͤnf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor
der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne,
um das Papierzeichen kennen zu lernen und ſah das Him¬
melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Kuͤchlein
darauf abgebildet und die Worte umher „Vivat die goldene
Amey“, eine Aufmerkſamkeit Salomons, welche mir ſehr
ſchmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der
Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den
Letzten, der ohnedieß etwas ſchadhaft war, dem Buͤblein,
ſeine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verſchwand,
das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Fuͤßen. Das
Buͤblein war fort, es war, als habe es ſein eignes Daſeyn
aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das
Buch, als ein Andenken an das arme Buͤblein und las die
letzten Worte, die es in das Tagebuch geſchrieben:
Was reif in dieſen Zeilen ſteht,
Was laͤchelnd winkt und ſinnend fleht,
Das ſoll kein Kind betruͤben,
Die Einfalt hat es ausgeſaͤet,
Die Schwermuth hat hindurch geweht,
Die Sehnſucht hats getrieben;
Und iſt das Feld einſt abgemaͤht,
Die Armuth durch die Stoppeln geht,
Sucht Aehren, die geblieben,
Sucht Lieb, die fuͤr ſie untergeht,
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