gen: "feuerrothe Röselein," -- ich fühlte mich so ermüdet, ich war seit mehreren Tagen von so vielen Eindrücken hef¬ tig bewegt, ich hatte alle diese Nächte schier gar nicht ge¬ schlafen, vom frühsten Morgen war ich ganz ohne Ruhe ge¬ wesen. Ich konnte der Müdigkeit nicht wiederstehen; ich lag mehr auf der Decke, als ich saß; der letzte Sonnenstrahl streifte über das Grüne der Wiese, über die rothe Decke durch die schimmernden Blümchen des Paradiesgärtchens zwischen meine zuckenden Augenlieder, und sie schloßen sich hinter dem Lichtstrahl, wie die Thüre deiner Zelle hinter dir, wenn du schlafen gehst. -- Leider entschlief ich plötzlich den Kopf nach der linken Seite senkend! -- O Klareta! -- wie geschah mir! -- ich werde dich bald sehen, da sollst du Alles hören. Hier nur Alles in kurzen Zügen. Der Traum ist erfüllt, die Löwen waren drei Ritter aus dem Thurgau, sie hatten die Decke von der Bleiche entwendet, um mich durch sie wie einen Vogel mit rothen Beeren zu fangen; ich gieng in ihre Netze. Kaum war ich tief entschlafen, als sie die Decke wie einen Sack über mir zusammenzogen, mir den Mund zuhielten, mich auf ein Roß zwischen sich banden und mit gewaltsamer Eile immer nur des Nachts von Wald zu Wald reitend, fern von Hennegau entführten. Mein Hülfs¬ geschrei verhinderten sie durch die Drohung des Todes. Schon weit entfernt von meinem Vaterlande fragte ich sie: "wohin führt ihr mich?" da erwiederten sie spottend, wie wir ge¬ träumt: "auf die Heide, aufs Moos, da sollst du uns die Kibitze hüten." -- Ich ergab mich in mein Schicksal, ich vertraute dem guten Ausgang des Traumes, und betete für diese Elenden, daß Gott sich ihrer erbarmen möge, wenn der Hahn über sie komme; und dieser blieb nicht aus. -- Ich erkannte alle Gegenden auf der Reise wieder, die ich im Traum gesehen. Endlich nahten wir im Walde einer Linde, ich kannte sie wohl -- da sprachen sie zu mir: "ent¬ weder mußt du schwören einen von uns dreien zum Gemahl
gen: „feuerrothe Roͤſelein,“ — ich fuͤhlte mich ſo ermuͤdet, ich war ſeit mehreren Tagen von ſo vielen Eindruͤcken hef¬ tig bewegt, ich hatte alle dieſe Naͤchte ſchier gar nicht ge¬ ſchlafen, vom fruͤhſten Morgen war ich ganz ohne Ruhe ge¬ weſen. Ich konnte der Muͤdigkeit nicht wiederſtehen; ich lag mehr auf der Decke, als ich ſaß; der letzte Sonnenſtrahl ſtreifte uͤber das Gruͤne der Wieſe, uͤber die rothe Decke durch die ſchimmernden Bluͤmchen des Paradiesgaͤrtchens zwiſchen meine zuckenden Augenlieder, und ſie ſchloßen ſich hinter dem Lichtſtrahl, wie die Thuͤre deiner Zelle hinter dir, wenn du ſchlafen gehſt. — Leider entſchlief ich ploͤtzlich den Kopf nach der linken Seite ſenkend! — O Klareta! — wie geſchah mir! — ich werde dich bald ſehen, da ſollſt du Alles hoͤren. Hier nur Alles in kurzen Zuͤgen. Der Traum iſt erfuͤllt, die Loͤwen waren drei Ritter aus dem Thurgau, ſie hatten die Decke von der Bleiche entwendet, um mich durch ſie wie einen Vogel mit rothen Beeren zu fangen; ich gieng in ihre Netze. Kaum war ich tief entſchlafen, als ſie die Decke wie einen Sack uͤber mir zuſammenzogen, mir den Mund zuhielten, mich auf ein Roß zwiſchen ſich banden und mit gewaltſamer Eile immer nur des Nachts von Wald zu Wald reitend, fern von Hennegau entfuͤhrten. Mein Huͤlfs¬ geſchrei verhinderten ſie durch die Drohung des Todes. Schon weit entfernt von meinem Vaterlande fragte ich ſie: „wohin fuͤhrt ihr mich?“ da erwiederten ſie ſpottend, wie wir ge¬ traͤumt: „auf die Heide, aufs Moos, da ſollſt du uns die Kibitze huͤten.“ — Ich ergab mich in mein Schickſal, ich vertraute dem guten Ausgang des Traumes, und betete fuͤr dieſe Elenden, daß Gott ſich ihrer erbarmen moͤge, wenn der Hahn uͤber ſie komme; und dieſer blieb nicht aus. — Ich erkannte alle Gegenden auf der Reiſe wieder, die ich im Traum geſehen. Endlich nahten wir im Walde einer Linde, ich kannte ſie wohl — da ſprachen ſie zu mir: „ent¬ weder mußt du ſchwoͤren einen von uns dreien zum Gemahl
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gen: „feuerrothe Roͤſelein,“ — ich fuͤhlte mich ſo ermuͤdet,
ich war ſeit mehreren Tagen von ſo vielen Eindruͤcken hef¬
tig bewegt, ich hatte alle dieſe Naͤchte ſchier gar nicht ge¬
ſchlafen, vom fruͤhſten Morgen war ich ganz ohne Ruhe ge¬
weſen. Ich konnte der Muͤdigkeit nicht wiederſtehen; ich lag
mehr auf der Decke, als ich ſaß; der letzte Sonnenſtrahl
ſtreifte uͤber das Gruͤne der Wieſe, uͤber die rothe Decke
durch die ſchimmernden Bluͤmchen des Paradiesgaͤrtchens
zwiſchen meine zuckenden Augenlieder, und ſie ſchloßen ſich
hinter dem Lichtſtrahl, wie die Thuͤre deiner Zelle hinter
dir, wenn du ſchlafen gehſt. — Leider entſchlief ich ploͤtzlich
den Kopf nach der linken Seite ſenkend! — O Klareta! —
wie geſchah mir! — ich werde dich bald ſehen, da ſollſt du
Alles hoͤren. Hier nur Alles in kurzen Zuͤgen. Der Traum
iſt erfuͤllt, die Loͤwen waren drei Ritter aus dem Thurgau,
ſie hatten die Decke von der Bleiche entwendet, um mich
durch ſie wie einen Vogel mit rothen Beeren zu fangen; ich
gieng in ihre Netze. Kaum war ich tief entſchlafen, als ſie
die Decke wie einen Sack uͤber mir zuſammenzogen, mir den
Mund zuhielten, mich auf ein Roß zwiſchen ſich banden und
mit gewaltſamer Eile immer nur des Nachts von Wald zu
Wald reitend, fern von Hennegau entfuͤhrten. Mein Huͤlfs¬
geſchrei verhinderten ſie durch die Drohung des Todes. Schon
weit entfernt von meinem Vaterlande fragte ich ſie: „wohin
fuͤhrt ihr mich?“ da erwiederten ſie ſpottend, wie wir ge¬
traͤumt: „auf die Heide, aufs Moos, da ſollſt du uns die
Kibitze huͤten.“ — Ich ergab mich in mein Schickſal, ich
vertraute dem guten Ausgang des Traumes, und betete fuͤr
dieſe Elenden, daß Gott ſich ihrer erbarmen moͤge, wenn
der Hahn uͤber ſie komme; und dieſer blieb nicht aus. —
Ich erkannte alle Gegenden auf der Reiſe wieder, die ich
im Traum geſehen. Endlich nahten wir im Walde einer
Linde, ich kannte ſie wohl — da ſprachen ſie zu mir: „ent¬
weder mußt du ſchwoͤren einen von uns dreien zum Gemahl
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/379>, abgerufen am 22.11.2024.
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