und indem ich immer hinaus nach dem rothen Fleck sah, wurde mein Herz gar tief bewegt, und ich gedachte des Abends auf der Bleiche mit Klareta und sang unter Thränen:
"O Stunde, da der Schiffende bang lauert Und sich zur Heimath sehnet an dem Tage, Da er von süßen Freunden ist geschieden, Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert Auf erster Fahrt, wenn ferner Glocken Klage Den Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!"
Ich war aber nun wegen der Decke beruhigt, ich schob es noch ein Weilchen auf, die Decke auf der Wiese zu hoh¬ len, ich wußte ja, daß sie da lag, und so setzte ich mich, um meine Tagsordnung nicht zu verletzen, wie immer nach dem Abendgeläute an mein Tagebuch, um bis hieher zu schreiben; die Nächte auf der Bleiche hatten mich ohnedies schon gezwungen, Manches nach zu holen. -- Jetzt aber blicke ich wieder hinaus nach der Decke, sie schimmert noch roth im letzten Strahl der Sonne, jetzt will ich hineilen allein durch den Garten und will auf der Decke der Mutter geden¬ ken, ihr Brautkrönchen habe ich auf dem Haupt, das Pa¬ radiesgärtchen vor der Brust, die heiligen Kleinode von Va¬ dutz auf den Schultern, o wie will ich so gerüstet, allein, allein, allein auf der Decke, auf welcher ich selbst sterben werde, den Tag beweinen, der da stirbt in Frieden! ich hülle mich in meinen Schleier und gehe. --
Sechs Wochen später. -- Gott sey Lob und Dank! alle seine Führungen seyen gesegnet. Ich war sechs Monate von diesen Blättern getrennt, ich habe sie unter mancherlei harten Prüfungen und bittern Leiden niedergeschrieben, sonst wären sie klarer und kindlicher und Alles, was das Herz des armen Kindes von Hennegau darin bewegte, würde dann auch die Herzen aller andren Kinder bewegen, welche sie in Zukunft lesen mögen -- aller andern Kinder, sage ich und verstehe darunter meine Kinder, so Gott mir deren bescheeren
21 *
und indem ich immer hinaus nach dem rothen Fleck ſah, wurde mein Herz gar tief bewegt, und ich gedachte des Abends auf der Bleiche mit Klareta und ſang unter Thraͤnen:
„O Stunde, da der Schiffende bang lauert Und ſich zur Heimath ſehnet an dem Tage, Da er von ſuͤßen Freunden iſt geſchieden, Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert Auf erſter Fahrt, wenn ferner Glocken Klage Den Tag beweinet, der da ſtirbt in Frieden!“
Ich war aber nun wegen der Decke beruhigt, ich ſchob es noch ein Weilchen auf, die Decke auf der Wieſe zu hoh¬ len, ich wußte ja, daß ſie da lag, und ſo ſetzte ich mich, um meine Tagsordnung nicht zu verletzen, wie immer nach dem Abendgelaͤute an mein Tagebuch, um bis hieher zu ſchreiben; die Naͤchte auf der Bleiche hatten mich ohnedies ſchon gezwungen, Manches nach zu holen. — Jetzt aber blicke ich wieder hinaus nach der Decke, ſie ſchimmert noch roth im letzten Strahl der Sonne, jetzt will ich hineilen allein durch den Garten und will auf der Decke der Mutter geden¬ ken, ihr Brautkroͤnchen habe ich auf dem Haupt, das Pa¬ radiesgaͤrtchen vor der Bruſt, die heiligen Kleinode von Va¬ dutz auf den Schultern, o wie will ich ſo geruͤſtet, allein, allein, allein auf der Decke, auf welcher ich ſelbſt ſterben werde, den Tag beweinen, der da ſtirbt in Frieden! ich huͤlle mich in meinen Schleier und gehe. —
Sechs Wochen ſpaͤter. — Gott ſey Lob und Dank! alle ſeine Fuͤhrungen ſeyen geſegnet. Ich war ſechs Monate von dieſen Blaͤttern getrennt, ich habe ſie unter mancherlei harten Pruͤfungen und bittern Leiden niedergeſchrieben, ſonſt waͤren ſie klarer und kindlicher und Alles, was das Herz des armen Kindes von Hennegau darin bewegte, wuͤrde dann auch die Herzen aller andren Kinder bewegen, welche ſie in Zukunft leſen moͤgen — aller andern Kinder, ſage ich und verſtehe darunter meine Kinder, ſo Gott mir deren beſcheeren
21 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0377"n="323"/>
und indem ich immer hinaus nach dem rothen Fleck ſah,<lb/>
wurde mein Herz gar tief bewegt, und ich gedachte des Abends<lb/>
auf der Bleiche mit Klareta und ſang unter Thraͤnen:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„O Stunde, da der Schiffende bang lauert</l><lb/><l>Und ſich zur Heimath ſehnet an dem Tage,</l><lb/><l>Da er von ſuͤßen Freunden iſt geſchieden,</l><lb/><l>Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert</l><lb/><l>Auf erſter Fahrt, wenn ferner Glocken Klage</l><lb/><l>Den Tag beweinet, der da ſtirbt in Frieden!“</l><lb/></lg><p>Ich war aber nun wegen der Decke beruhigt, ich ſchob<lb/>
es noch ein Weilchen auf, die Decke auf der Wieſe zu hoh¬<lb/>
len, ich wußte ja, daß ſie da lag, und ſo ſetzte ich mich,<lb/>
um meine Tagsordnung nicht zu verletzen, wie immer nach<lb/>
dem Abendgelaͤute an mein Tagebuch, um bis hieher zu<lb/>ſchreiben; die Naͤchte auf der Bleiche hatten mich ohnedies<lb/>ſchon gezwungen, Manches nach zu holen. — Jetzt aber blicke<lb/>
ich wieder hinaus nach der Decke, ſie ſchimmert noch roth<lb/>
im letzten Strahl der Sonne, jetzt will ich hineilen allein<lb/>
durch den Garten und will auf der Decke der Mutter geden¬<lb/>
ken, ihr Brautkroͤnchen habe ich auf dem Haupt, das Pa¬<lb/>
radiesgaͤrtchen vor der Bruſt, die heiligen Kleinode von Va¬<lb/>
dutz auf den Schultern, o wie will ich ſo geruͤſtet, allein,<lb/>
allein, allein auf der Decke, auf welcher ich ſelbſt ſterben<lb/>
werde, den Tag beweinen, der da ſtirbt in Frieden! ich huͤlle<lb/>
mich in meinen Schleier und gehe. —</p><lb/><p><hirendition="#g">Sechs Wochen ſpaͤter</hi>. — Gott ſey Lob und Dank!<lb/>
alle ſeine Fuͤhrungen ſeyen geſegnet. Ich war ſechs Monate<lb/>
von dieſen Blaͤttern getrennt, ich habe ſie unter mancherlei<lb/>
harten Pruͤfungen und bittern Leiden niedergeſchrieben, ſonſt<lb/>
waͤren ſie klarer und kindlicher und Alles, was das Herz<lb/>
des armen Kindes von Hennegau darin bewegte, wuͤrde dann<lb/>
auch die Herzen aller andren Kinder bewegen, welche ſie in<lb/>
Zukunft leſen moͤgen — aller andern Kinder, ſage ich und<lb/>
verſtehe darunter meine Kinder, ſo Gott mir deren beſcheeren<lb/><fwplace="bottom"type="sig">21 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[323/0377]
und indem ich immer hinaus nach dem rothen Fleck ſah,
wurde mein Herz gar tief bewegt, und ich gedachte des Abends
auf der Bleiche mit Klareta und ſang unter Thraͤnen:
„O Stunde, da der Schiffende bang lauert
Und ſich zur Heimath ſehnet an dem Tage,
Da er von ſuͤßen Freunden iſt geſchieden,
Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert
Auf erſter Fahrt, wenn ferner Glocken Klage
Den Tag beweinet, der da ſtirbt in Frieden!“
Ich war aber nun wegen der Decke beruhigt, ich ſchob
es noch ein Weilchen auf, die Decke auf der Wieſe zu hoh¬
len, ich wußte ja, daß ſie da lag, und ſo ſetzte ich mich,
um meine Tagsordnung nicht zu verletzen, wie immer nach
dem Abendgelaͤute an mein Tagebuch, um bis hieher zu
ſchreiben; die Naͤchte auf der Bleiche hatten mich ohnedies
ſchon gezwungen, Manches nach zu holen. — Jetzt aber blicke
ich wieder hinaus nach der Decke, ſie ſchimmert noch roth
im letzten Strahl der Sonne, jetzt will ich hineilen allein
durch den Garten und will auf der Decke der Mutter geden¬
ken, ihr Brautkroͤnchen habe ich auf dem Haupt, das Pa¬
radiesgaͤrtchen vor der Bruſt, die heiligen Kleinode von Va¬
dutz auf den Schultern, o wie will ich ſo geruͤſtet, allein,
allein, allein auf der Decke, auf welcher ich ſelbſt ſterben
werde, den Tag beweinen, der da ſtirbt in Frieden! ich huͤlle
mich in meinen Schleier und gehe. —
Sechs Wochen ſpaͤter. — Gott ſey Lob und Dank!
alle ſeine Fuͤhrungen ſeyen geſegnet. Ich war ſechs Monate
von dieſen Blaͤttern getrennt, ich habe ſie unter mancherlei
harten Pruͤfungen und bittern Leiden niedergeſchrieben, ſonſt
waͤren ſie klarer und kindlicher und Alles, was das Herz
des armen Kindes von Hennegau darin bewegte, wuͤrde dann
auch die Herzen aller andren Kinder bewegen, welche ſie in
Zukunft leſen moͤgen — aller andern Kinder, ſage ich und
verſtehe darunter meine Kinder, ſo Gott mir deren beſcheeren
21 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/377>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.