eine Kerze, zündete sie an der Lampe an und überreichte sie der Mutter des Johannisengels; diese gab sie dem Kna¬ ben hin und führte ihn zu den Reisern, die er mit der Fa¬ ckel entzündete. Hoch auf prasselte die Gluth, wir ringten und reihten umher und sangen:
"Feuerrothe Röselein, Aus der Erde springt der Wein, Aus dem Blute dringt der Schein, Roth schwing ich mein Fähnelein!"
O! die schimmernden fröhlichen Kinder und Jungfrauen in ihrem Schmuck und der Blumenkranz über ihnen von der Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! -- Die rosigte Mutter mußte den Johannisengel fest auf den Arm nehmen, er zappelte mit Händen und Füßen und wollte mit aller Ge¬ walt durch das Feuer springen. Wer kann sagen, wie hin¬ reißend ihr blühendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬ kopf Immels im Lichte des Feuers glühte, es war als ringe eine Rose mit einem Schmetterling, der sie fortreißen will in die Gluth. -- Da eilte sie fort mit ihm zu dem zweiten Feuer, daß er es entzünde, dann zum dritten und bis zum neunten, wo schon sein Wägelein harrte, in dem man ihn müde und entschlummernd in die Stadt zurückführte. -- Wie aber erging es mir? -- Von allen vier Winden her lockten die Schallmeien der Hirten und der Gesang: "Feuerrothe Röse¬ lein," wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, überall war ich hingerissen; es war, als sey ich ein ausgerüstetes Schiff mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernsten Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein schwerer Ballast in mir, und wie kräftige Anker waren sie ausgewor¬ fen nach allen Seiten, -- aber die Taue waren zu schwach oder zu kurz, sie reichten nicht zum festen Ankergrund; die Töne und Chöre hoben und wiegten mich mit stets höher schwellenden Wogen, die rings um bis zum fernsten Hinter¬ grund sich mehrenden Feuer, von hüpfenden Schatten um¬
eine Kerze, zuͤndete ſie an der Lampe an und uͤberreichte ſie der Mutter des Johannisengels; dieſe gab ſie dem Kna¬ ben hin und fuͤhrte ihn zu den Reiſern, die er mit der Fa¬ ckel entzuͤndete. Hoch auf praſſelte die Gluth, wir ringten und reihten umher und ſangen:
„Feuerrothe Roͤſelein, Aus der Erde ſpringt der Wein, Aus dem Blute dringt der Schein, Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein!“
O! die ſchimmernden froͤhlichen Kinder und Jungfrauen in ihrem Schmuck und der Blumenkranz uͤber ihnen von der Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! — Die roſigte Mutter mußte den Johannisengel feſt auf den Arm nehmen, er zappelte mit Haͤnden und Fuͤßen und wollte mit aller Ge¬ walt durch das Feuer ſpringen. Wer kann ſagen, wie hin¬ reißend ihr bluͤhendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬ kopf Immels im Lichte des Feuers gluͤhte, es war als ringe eine Roſe mit einem Schmetterling, der ſie fortreißen will in die Gluth. — Da eilte ſie fort mit ihm zu dem zweiten Feuer, daß er es entzuͤnde, dann zum dritten und bis zum neunten, wo ſchon ſein Waͤgelein harrte, in dem man ihn muͤde und entſchlummernd in die Stadt zuruͤckfuͤhrte. — Wie aber erging es mir? — Von allen vier Winden her lockten die Schallmeien der Hirten und der Geſang: „Feuerrothe Roͤſe¬ lein,“ wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, uͤberall war ich hingeriſſen; es war, als ſey ich ein ausgeruͤſtetes Schiff mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernſten Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein ſchwerer Ballaſt in mir, und wie kraͤftige Anker waren ſie ausgewor¬ fen nach allen Seiten, — aber die Taue waren zu ſchwach oder zu kurz, ſie reichten nicht zum feſten Ankergrund; die Toͤne und Choͤre hoben und wiegten mich mit ſtets hoͤher ſchwellenden Wogen, die rings um bis zum fernſten Hinter¬ grund ſich mehrenden Feuer, von huͤpfenden Schatten um¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0364"n="310"/>
eine Kerze, zuͤndete ſie an der Lampe an und uͤberreichte<lb/>ſie der Mutter des Johannisengels; dieſe gab ſie dem Kna¬<lb/>
ben hin und fuͤhrte ihn zu den Reiſern, die er mit der Fa¬<lb/>
ckel entzuͤndete. Hoch auf praſſelte die Gluth, wir ringten<lb/>
und reihten umher und ſangen:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Feuerrothe Roͤſelein,</l><lb/><l>Aus der Erde ſpringt der Wein,</l><lb/><l>Aus dem Blute dringt der Schein,</l><lb/><l>Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein!“</l><lb/></lg><p>O! die ſchimmernden froͤhlichen Kinder und Jungfrauen in<lb/>
ihrem Schmuck und der Blumenkranz uͤber ihnen von der<lb/>
Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! — Die roſigte<lb/>
Mutter mußte den Johannisengel feſt auf den Arm nehmen,<lb/>
er zappelte mit Haͤnden und Fuͤßen und wollte mit aller Ge¬<lb/>
walt durch das Feuer ſpringen. Wer kann ſagen, wie hin¬<lb/>
reißend ihr bluͤhendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬<lb/>
kopf Immels im Lichte des Feuers gluͤhte, es war als ringe<lb/>
eine Roſe mit einem Schmetterling, der ſie fortreißen will<lb/>
in die Gluth. — Da eilte ſie fort mit ihm zu dem zweiten<lb/>
Feuer, daß er es entzuͤnde, dann zum dritten und bis zum<lb/>
neunten, wo ſchon ſein Waͤgelein harrte, in dem man ihn muͤde<lb/>
und entſchlummernd in die Stadt zuruͤckfuͤhrte. — Wie aber<lb/>
erging es mir? — Von allen vier Winden her lockten die<lb/>
Schallmeien der Hirten und der Geſang: „Feuerrothe Roͤſe¬<lb/>
lein,“ wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, uͤberall war<lb/>
ich hingeriſſen; es war, als ſey ich ein ausgeruͤſtetes Schiff<lb/>
mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernſten<lb/>
Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein ſchwerer<lb/>
Ballaſt in mir, und wie kraͤftige Anker waren ſie ausgewor¬<lb/>
fen nach allen Seiten, — aber die Taue waren zu ſchwach<lb/>
oder zu kurz, ſie reichten nicht zum feſten Ankergrund; die<lb/>
Toͤne und Choͤre hoben und wiegten mich mit ſtets hoͤher<lb/>ſchwellenden Wogen, die rings um bis zum fernſten Hinter¬<lb/>
grund ſich mehrenden Feuer, von huͤpfenden Schatten um¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[310/0364]
eine Kerze, zuͤndete ſie an der Lampe an und uͤberreichte
ſie der Mutter des Johannisengels; dieſe gab ſie dem Kna¬
ben hin und fuͤhrte ihn zu den Reiſern, die er mit der Fa¬
ckel entzuͤndete. Hoch auf praſſelte die Gluth, wir ringten
und reihten umher und ſangen:
„Feuerrothe Roͤſelein,
Aus der Erde ſpringt der Wein,
Aus dem Blute dringt der Schein,
Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein!“
O! die ſchimmernden froͤhlichen Kinder und Jungfrauen in
ihrem Schmuck und der Blumenkranz uͤber ihnen von der
Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! — Die roſigte
Mutter mußte den Johannisengel feſt auf den Arm nehmen,
er zappelte mit Haͤnden und Fuͤßen und wollte mit aller Ge¬
walt durch das Feuer ſpringen. Wer kann ſagen, wie hin¬
reißend ihr bluͤhendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬
kopf Immels im Lichte des Feuers gluͤhte, es war als ringe
eine Roſe mit einem Schmetterling, der ſie fortreißen will
in die Gluth. — Da eilte ſie fort mit ihm zu dem zweiten
Feuer, daß er es entzuͤnde, dann zum dritten und bis zum
neunten, wo ſchon ſein Waͤgelein harrte, in dem man ihn muͤde
und entſchlummernd in die Stadt zuruͤckfuͤhrte. — Wie aber
erging es mir? — Von allen vier Winden her lockten die
Schallmeien der Hirten und der Geſang: „Feuerrothe Roͤſe¬
lein,“ wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, uͤberall war
ich hingeriſſen; es war, als ſey ich ein ausgeruͤſtetes Schiff
mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernſten
Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein ſchwerer
Ballaſt in mir, und wie kraͤftige Anker waren ſie ausgewor¬
fen nach allen Seiten, — aber die Taue waren zu ſchwach
oder zu kurz, ſie reichten nicht zum feſten Ankergrund; die
Toͤne und Choͤre hoben und wiegten mich mit ſtets hoͤher
ſchwellenden Wogen, die rings um bis zum fernſten Hinter¬
grund ſich mehrenden Feuer, von huͤpfenden Schatten um¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/364>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.