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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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ich reisen und lernen!" sagte ich, "jetzt muß ich immer das
Hühnlein füttern; da erwiederte die Muhme: "ich weiß wohl
ein Hühnlein, wenn du das füttertest, da wäre dir geholfen,"
und sie zeigte mir ein Huhn in ihrer Höhle und sagte:
"wenn du ihm täglich ein Körnlein vom Futter des Hühnleins
Gallina bringst, bis es fett wird, so wird es ein goldenes
Ei legen, wenn wir das verkaufen, kannst du weit reisen
und Alles lernen." Ich ließ mich verführen. Ich stahl
täglich dem frommen Hühnchen ein Körnlein. Es reichte nicht
hin. Ich lernte zwei, dann drei und zuletzt gar das ganze
Futter stehlen. -- "Noch einmal," sagte die böse Muhme,
"mein Huhn sitzt schon zu Neste, noch einmal bringe das Fut¬
ter, und das goldene Ei ist da, und du reisest weit und ler¬
nest Vieles." Nochmals schlich ich Nachts in großer Angst
zu dem Futterkasten des Hühnleins, das immer gar weh¬
müthig gackernd mich gewarnt hatte, dießmal hörte ich seine
Stimme nicht, ich öffnete den Kasten, der furchtbare Hund
Salmos, der Saufänger sprang mir daraus entgegen und
erwürgte mich. -- Das Hühnlein Gallina war verhungert und
Salmo hatte den Hund in den Kasten gesperrt, um den
Dieb zu fangen. -- Ach da machte ich die große Reise in
die andere Welt, und lernte Vieles, nehmlich: "du sollst
nicht stehlen, und Alles bis auf den letzten Heller muß er¬
setzet werden!" -- mir aber ist das Urtheil gesprochen worden,
daß ich bei Kindern und Kindes Kindern des Hühnleins so
lange das Futter bewachen und jedes zerstreute Körnlein auf¬
lesen und anwenden muß, bis so viel Weizenkörner zur Ehre
Gottes und zum Trost der Armen durch meine Bemühung
gewonnen sind, als aus dem von mir gestohlenen Weizen,
wenn er gesäet worden wäre, hiezu hätten verwendet werden
können. Seit diesem Urtheil hüte und sorge ich schon viele,
viele Jahre bei dem Futter im Gallinarium und hab schon
ziemlich viel ersetzt, aber du kannst mir Hilfe leisten. Ve¬
rena, du weißt, daß das Almosen tausendfältig ersetzt wird,

ich reiſen und lernen!“ ſagte ich, „jetzt muß ich immer das
Huͤhnlein fuͤttern; da erwiederte die Muhme: „ich weiß wohl
ein Huͤhnlein, wenn du das fuͤtterteſt, da waͤre dir geholfen,“
und ſie zeigte mir ein Huhn in ihrer Hoͤhle und ſagte:
„wenn du ihm taͤglich ein Koͤrnlein vom Futter des Huͤhnleins
Gallina bringſt, bis es fett wird, ſo wird es ein goldenes
Ei legen, wenn wir das verkaufen, kannſt du weit reiſen
und Alles lernen.“ Ich ließ mich verfuͤhren. Ich ſtahl
taͤglich dem frommen Huͤhnchen ein Koͤrnlein. Es reichte nicht
hin. Ich lernte zwei, dann drei und zuletzt gar das ganze
Futter ſtehlen. — „Noch einmal,“ ſagte die boͤſe Muhme,
„mein Huhn ſitzt ſchon zu Neſte, noch einmal bringe das Fut¬
ter, und das goldene Ei iſt da, und du reiſeſt weit und ler¬
neſt Vieles.“ Nochmals ſchlich ich Nachts in großer Angſt
zu dem Futterkaſten des Huͤhnleins, das immer gar weh¬
muͤthig gackernd mich gewarnt hatte, dießmal hoͤrte ich ſeine
Stimme nicht, ich oͤffnete den Kaſten, der furchtbare Hund
Salmos, der Saufaͤnger ſprang mir daraus entgegen und
erwuͤrgte mich. — Das Huͤhnlein Gallina war verhungert und
Salmo hatte den Hund in den Kaſten geſperrt, um den
Dieb zu fangen. — Ach da machte ich die große Reiſe in
die andere Welt, und lernte Vieles, nehmlich: „du ſollſt
nicht ſtehlen, und Alles bis auf den letzten Heller muß er¬
ſetzet werden!“ — mir aber iſt das Urtheil geſprochen worden,
daß ich bei Kindern und Kindes Kindern des Huͤhnleins ſo
lange das Futter bewachen und jedes zerſtreute Koͤrnlein auf¬
leſen und anwenden muß, bis ſo viel Weizenkoͤrner zur Ehre
Gottes und zum Troſt der Armen durch meine Bemuͤhung
gewonnen ſind, als aus dem von mir geſtohlenen Weizen,
wenn er geſaͤet worden waͤre, hiezu haͤtten verwendet werden
koͤnnen. Seit dieſem Urtheil huͤte und ſorge ich ſchon viele,
viele Jahre bei dem Futter im Gallinarium und hab ſchon
ziemlich viel erſetzt, aber du kannſt mir Hilfe leiſten. Ve¬
rena, du weißt, daß das Almoſen tauſendfaͤltig erſetzt wird,

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[265/0319] ich reiſen und lernen!“ ſagte ich, „jetzt muß ich immer das Huͤhnlein fuͤttern; da erwiederte die Muhme: „ich weiß wohl ein Huͤhnlein, wenn du das fuͤtterteſt, da waͤre dir geholfen,“ und ſie zeigte mir ein Huhn in ihrer Hoͤhle und ſagte: „wenn du ihm taͤglich ein Koͤrnlein vom Futter des Huͤhnleins Gallina bringſt, bis es fett wird, ſo wird es ein goldenes Ei legen, wenn wir das verkaufen, kannſt du weit reiſen und Alles lernen.“ Ich ließ mich verfuͤhren. Ich ſtahl taͤglich dem frommen Huͤhnchen ein Koͤrnlein. Es reichte nicht hin. Ich lernte zwei, dann drei und zuletzt gar das ganze Futter ſtehlen. — „Noch einmal,“ ſagte die boͤſe Muhme, „mein Huhn ſitzt ſchon zu Neſte, noch einmal bringe das Fut¬ ter, und das goldene Ei iſt da, und du reiſeſt weit und ler¬ neſt Vieles.“ Nochmals ſchlich ich Nachts in großer Angſt zu dem Futterkaſten des Huͤhnleins, das immer gar weh¬ muͤthig gackernd mich gewarnt hatte, dießmal hoͤrte ich ſeine Stimme nicht, ich oͤffnete den Kaſten, der furchtbare Hund Salmos, der Saufaͤnger ſprang mir daraus entgegen und erwuͤrgte mich. — Das Huͤhnlein Gallina war verhungert und Salmo hatte den Hund in den Kaſten geſperrt, um den Dieb zu fangen. — Ach da machte ich die große Reiſe in die andere Welt, und lernte Vieles, nehmlich: „du ſollſt nicht ſtehlen, und Alles bis auf den letzten Heller muß er¬ ſetzet werden!“ — mir aber iſt das Urtheil geſprochen worden, daß ich bei Kindern und Kindes Kindern des Huͤhnleins ſo lange das Futter bewachen und jedes zerſtreute Koͤrnlein auf¬ leſen und anwenden muß, bis ſo viel Weizenkoͤrner zur Ehre Gottes und zum Troſt der Armen durch meine Bemuͤhung gewonnen ſind, als aus dem von mir geſtohlenen Weizen, wenn er geſaͤet worden waͤre, hiezu haͤtten verwendet werden koͤnnen. Seit dieſem Urtheil huͤte und ſorge ich ſchon viele, viele Jahre bei dem Futter im Gallinarium und hab ſchon ziemlich viel erſetzt, aber du kannſt mir Hilfe leiſten. Ve¬ rena, du weißt, daß das Almoſen tauſendfaͤltig erſetzt wird,

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/319>, abgerufen am 25.11.2024.