erbaut, worin Verena wohnet, und heißt diese Wohnung das Gallinarium. Es ist auch ein alt Herkommen, daß das fromme Hühnlein nicht mit erkauftem, sondern nur mit er¬ betteltem Weizen zur Ehre Gottes ernährt werden darf, und so wandelt Jungfer Verena mit ihrem langen Korbe am Arm von Haus zu Haus und bittet um Nahrung für das fromme Hühnlein. Es ist dieß aber eine mühselige Arbeit, denn sie nimmt nirgend mehr, als drei und dreißig Weizenkörner zu Ehren der Lebensjahre des wahren Weizen¬ körnleins. Alle diese Körnlein zählet sie nach unter Gebet, und da es für die Nahrung des Hühnleins und seiner vielen Nachkommen, denn es sind sehr viele in dem Gallinarium, doch immer zu vieler Weizen ist, so theilet sie die Körnlein in drei gleiche Theile; den geringsten zum Futter, den bessern, um ein Feld für die Armen damit zu besäen, die allerreinsten Körnlein aber läßt sie mahlen und siebt das Mehl selber, und backt selbsten die reinsten, weißesten Hostien daraus für die Pfarrkirche. Gott segnet ihr Thun, und so bringt ihr Feld immer gar reichlich, und hat sie viel Arme ersättiget in Hungerjahren. Es ist ein Glaube in Hennegau, wer ein Hühnlein von dieser Zucht, ja nur ein Federlein davon in seinem Stall habe, dem gedeihen die Hühner über die Maßen. -- Heute gieng ich aber zu Verena, weil sie Ostereier bunt färbte, um ihr zu helfen. Sie wußte sie gar schön mit Blumen, Kreuzlein, Gotteslämmlein u. dgl. zu verzieren und hatte deren eine große Menge zu bereiten für die be¬ sonderen Wohlthäter des frommen Hühnleins. Jenes Osterei, das sie mir besonders bereitete, werde ich erst morgen zu sehen bekommen. Alle meine Gespielen waren gestern und heute schon bei ihr zur Hülfe gewesen und zwar nacheinander, denn ihr Stübchen neben der kleinen Küche ist gar enge und nichts darin, als links von der Thüre ein Kasten mit Schieb¬ laden, ein Stuhl und das Bett, rechts ein Tisch, ein Stuhl und ein Spinnrad und bei dem Bette noch eine Truhe und
erbaut, worin Verena wohnet, und heißt dieſe Wohnung das Gallinarium. Es iſt auch ein alt Herkommen, daß das fromme Huͤhnlein nicht mit erkauftem, ſondern nur mit er¬ betteltem Weizen zur Ehre Gottes ernaͤhrt werden darf, und ſo wandelt Jungfer Verena mit ihrem langen Korbe am Arm von Haus zu Haus und bittet um Nahrung fuͤr das fromme Huͤhnlein. Es iſt dieß aber eine muͤhſelige Arbeit, denn ſie nimmt nirgend mehr, als drei und dreißig Weizenkoͤrner zu Ehren der Lebensjahre des wahren Weizen¬ koͤrnleins. Alle dieſe Koͤrnlein zaͤhlet ſie nach unter Gebet, und da es fuͤr die Nahrung des Huͤhnleins und ſeiner vielen Nachkommen, denn es ſind ſehr viele in dem Gallinarium, doch immer zu vieler Weizen iſt, ſo theilet ſie die Koͤrnlein in drei gleiche Theile; den geringſten zum Futter, den beſſern, um ein Feld fuͤr die Armen damit zu beſaͤen, die allerreinſten Koͤrnlein aber laͤßt ſie mahlen und ſiebt das Mehl ſelber, und backt ſelbſten die reinſten, weißeſten Hoſtien daraus fuͤr die Pfarrkirche. Gott ſegnet ihr Thun, und ſo bringt ihr Feld immer gar reichlich, und hat ſie viel Arme erſaͤttiget in Hungerjahren. Es iſt ein Glaube in Hennegau, wer ein Huͤhnlein von dieſer Zucht, ja nur ein Federlein davon in ſeinem Stall habe, dem gedeihen die Huͤhner uͤber die Maßen. — Heute gieng ich aber zu Verena, weil ſie Oſtereier bunt faͤrbte, um ihr zu helfen. Sie wußte ſie gar ſchoͤn mit Blumen, Kreuzlein, Gotteslaͤmmlein u. dgl. zu verzieren und hatte deren eine große Menge zu bereiten fuͤr die be¬ ſonderen Wohlthaͤter des frommen Huͤhnleins. Jenes Oſterei, das ſie mir beſonders bereitete, werde ich erſt morgen zu ſehen bekommen. Alle meine Geſpielen waren geſtern und heute ſchon bei ihr zur Huͤlfe geweſen und zwar nacheinander, denn ihr Stuͤbchen neben der kleinen Kuͤche iſt gar enge und nichts darin, als links von der Thuͤre ein Kaſten mit Schieb¬ laden, ein Stuhl und das Bett, rechts ein Tiſch, ein Stuhl und ein Spinnrad und bei dem Bette noch eine Truhe und
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erbaut, worin Verena wohnet, und heißt dieſe Wohnung
das Gallinarium. Es iſt auch ein alt Herkommen, daß das
fromme Huͤhnlein nicht mit erkauftem, ſondern nur mit er¬
betteltem Weizen zur Ehre Gottes ernaͤhrt werden darf,
und ſo wandelt Jungfer Verena mit ihrem langen Korbe
am Arm von Haus zu Haus und bittet um Nahrung fuͤr
das fromme Huͤhnlein. Es iſt dieß aber eine muͤhſelige
Arbeit, denn ſie nimmt nirgend mehr, als drei und dreißig
Weizenkoͤrner zu Ehren der Lebensjahre des wahren Weizen¬
koͤrnleins. Alle dieſe Koͤrnlein zaͤhlet ſie nach unter Gebet,
und da es fuͤr die Nahrung des Huͤhnleins und ſeiner vielen
Nachkommen, denn es ſind ſehr viele in dem Gallinarium,
doch immer zu vieler Weizen iſt, ſo theilet ſie die Koͤrnlein
in drei gleiche Theile; den geringſten zum Futter, den beſſern,
um ein Feld fuͤr die Armen damit zu beſaͤen, die allerreinſten
Koͤrnlein aber laͤßt ſie mahlen und ſiebt das Mehl ſelber,
und backt ſelbſten die reinſten, weißeſten Hoſtien daraus fuͤr
die Pfarrkirche. Gott ſegnet ihr Thun, und ſo bringt ihr Feld
immer gar reichlich, und hat ſie viel Arme erſaͤttiget in
Hungerjahren. Es iſt ein Glaube in Hennegau, wer ein
Huͤhnlein von dieſer Zucht, ja nur ein Federlein davon in
ſeinem Stall habe, dem gedeihen die Huͤhner uͤber die Maßen.
— Heute gieng ich aber zu Verena, weil ſie Oſtereier bunt
faͤrbte, um ihr zu helfen. Sie wußte ſie gar ſchoͤn mit
Blumen, Kreuzlein, Gotteslaͤmmlein u. dgl. zu verzieren
und hatte deren eine große Menge zu bereiten fuͤr die be¬
ſonderen Wohlthaͤter des frommen Huͤhnleins. Jenes Oſterei,
das ſie mir beſonders bereitete, werde ich erſt morgen zu
ſehen bekommen. Alle meine Geſpielen waren geſtern und
heute ſchon bei ihr zur Huͤlfe geweſen und zwar nacheinander,
denn ihr Stuͤbchen neben der kleinen Kuͤche iſt gar enge und
nichts darin, als links von der Thuͤre ein Kaſten mit Schieb¬
laden, ein Stuhl und das Bett, rechts ein Tiſch, ein Stuhl
und ein Spinnrad und bei dem Bette noch eine Truhe und
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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