Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.Keiner hat mich angelacht. In der Lilien Wunderlicht Sitz ich gleichsam vor Gericht, Und das liebe Kinderstühlchen Ward mein Armesünderstühlchen; In die Nacht hab ich gedichtet, Was gen Morgen wird gelichtet, Und gesichtet und gerichtet; Vor mir ruht das große Buch, Und ich harre auf den Spruch. Horch, wie ernst die Aehren wogen, Horch, der Schnitter kömmt gezogen! Träume thauen von dem Mohn Und vom Schlafe übermannt Sinkt das müde Haupt mir schon Auf des Thronstuhls harten Rand, Und mir träumt, wie zwei Jungfrauen Aus der frühen alten Welt Durch das reiche Aehrenfeld Mild zu mir herüberschauen; Und die Junge fragt die Alte: "Vreneli, was macht das Büblein?" "Amey," sprach die, "dicht am Grüblein Schläft es, o daß Gott sein walte! Seine Sache hats vollbracht, Und daß, wenn der Tag erwacht, In der Erndte es nicht darbe, Leg ihm milde in den Arm Eine kleine feine Garbe, Hart liegt's jetzt, daß Gott erbarm!" Und so that die liebe, gute, Daß mein Haupt nun friedlich ruhte, Flocht dann bei der Sterne Glanz Aemsig an dem Erndtekranz, Neben ihr die andere kniete, Betend: "Büblein ruh in Friede!" Aber ach! es wehrt nicht lange, Horch! es rührt sich auf der Stange Keiner hat mich angelacht. In der Lilien Wunderlicht Sitz ich gleichſam vor Gericht, Und das liebe Kinderſtuͤhlchen Ward mein Armeſuͤnderſtuͤhlchen; In die Nacht hab ich gedichtet, Was gen Morgen wird gelichtet, Und geſichtet und gerichtet; Vor mir ruht das große Buch, Und ich harre auf den Spruch. Horch, wie ernſt die Aehren wogen, Horch, der Schnitter koͤmmt gezogen! Traͤume thauen von dem Mohn Und vom Schlafe uͤbermannt Sinkt das muͤde Haupt mir ſchon Auf des Thronſtuhls harten Rand, Und mir traͤumt, wie zwei Jungfrauen Aus der fruͤhen alten Welt Durch das reiche Aehrenfeld Mild zu mir heruͤberſchauen; Und die Junge fragt die Alte: „Vreneli, was macht das Buͤblein?“ „Amey,“ ſprach die, „dicht am Gruͤblein Schlaͤft es, o daß Gott ſein walte! Seine Sache hats vollbracht, Und daß, wenn der Tag erwacht, In der Erndte es nicht darbe, Leg ihm milde in den Arm Eine kleine feine Garbe, Hart liegt's jetzt, daß Gott erbarm!“ Und ſo that die liebe, gute, Daß mein Haupt nun friedlich ruhte, Flocht dann bei der Sterne Glanz Aemſig an dem Erndtekranz, Neben ihr die andere kniete, Betend: „Buͤblein ruh in Friede!“ Aber ach! es wehrt nicht lange, Horch! es ruͤhrt ſich auf der Stange <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0285" n="231"/> <l>Keiner hat mich angelacht.</l><lb/> <l>In der Lilien Wunderlicht</l><lb/> <l>Sitz ich gleichſam vor Gericht,</l><lb/> <l>Und das liebe Kinderſtuͤhlchen</l><lb/> <l>Ward mein Armeſuͤnderſtuͤhlchen;</l><lb/> <l>In die Nacht hab ich gedichtet,</l><lb/> <l>Was gen Morgen wird gelichtet,</l><lb/> <l>Und geſichtet und gerichtet;</l><lb/> <l>Vor mir ruht das große Buch,</l><lb/> <l>Und ich harre auf den Spruch.</l><lb/> <l>Horch, wie ernſt die Aehren wogen,</l><lb/> <l>Horch, der Schnitter koͤmmt gezogen!</l><lb/> <l>Traͤume thauen von dem Mohn</l><lb/> <l>Und vom Schlafe uͤbermannt</l><lb/> <l>Sinkt das muͤde Haupt mir ſchon</l><lb/> <l>Auf des Thronſtuhls harten Rand,</l><lb/> <l>Und mir traͤumt, wie zwei Jungfrauen</l><lb/> <l>Aus der fruͤhen alten Welt</l><lb/> <l>Durch das reiche Aehrenfeld</l><lb/> <l>Mild zu mir heruͤberſchauen;</l><lb/> <l>Und die Junge fragt die Alte:</l><lb/> <l>„Vreneli, was macht das Buͤblein?“</l><lb/> <l>„Amey,“ ſprach die, „dicht am Gruͤblein</l><lb/> <l>Schlaͤft es, o daß Gott ſein walte!</l><lb/> <l>Seine Sache hats vollbracht,</l><lb/> <l>Und daß, wenn der Tag erwacht,</l><lb/> <l>In der Erndte es nicht darbe,</l><lb/> <l>Leg ihm milde in den Arm</l><lb/> <l>Eine kleine feine Garbe,</l><lb/> <l>Hart liegt's jetzt, daß Gott erbarm!“</l><lb/> <l>Und ſo that die liebe, gute,</l><lb/> <l>Daß mein Haupt nun friedlich ruhte,</l><lb/> <l>Flocht dann bei der Sterne Glanz</l><lb/> <l>Aemſig an dem Erndtekranz,</l><lb/> <l>Neben ihr die andere kniete,</l><lb/> <l>Betend: „Buͤblein ruh in Friede!“</l><lb/> <l>Aber ach! es wehrt nicht lange,</l><lb/> <l>Horch! es ruͤhrt ſich auf der Stange</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [231/0285]
Keiner hat mich angelacht.
In der Lilien Wunderlicht
Sitz ich gleichſam vor Gericht,
Und das liebe Kinderſtuͤhlchen
Ward mein Armeſuͤnderſtuͤhlchen;
In die Nacht hab ich gedichtet,
Was gen Morgen wird gelichtet,
Und geſichtet und gerichtet;
Vor mir ruht das große Buch,
Und ich harre auf den Spruch.
Horch, wie ernſt die Aehren wogen,
Horch, der Schnitter koͤmmt gezogen!
Traͤume thauen von dem Mohn
Und vom Schlafe uͤbermannt
Sinkt das muͤde Haupt mir ſchon
Auf des Thronſtuhls harten Rand,
Und mir traͤumt, wie zwei Jungfrauen
Aus der fruͤhen alten Welt
Durch das reiche Aehrenfeld
Mild zu mir heruͤberſchauen;
Und die Junge fragt die Alte:
„Vreneli, was macht das Buͤblein?“
„Amey,“ ſprach die, „dicht am Gruͤblein
Schlaͤft es, o daß Gott ſein walte!
Seine Sache hats vollbracht,
Und daß, wenn der Tag erwacht,
In der Erndte es nicht darbe,
Leg ihm milde in den Arm
Eine kleine feine Garbe,
Hart liegt's jetzt, daß Gott erbarm!“
Und ſo that die liebe, gute,
Daß mein Haupt nun friedlich ruhte,
Flocht dann bei der Sterne Glanz
Aemſig an dem Erndtekranz,
Neben ihr die andere kniete,
Betend: „Buͤblein ruh in Friede!“
Aber ach! es wehrt nicht lange,
Horch! es ruͤhrt ſich auf der Stange
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |