Tagebuch der Ahnfrau unter den Arm zu klemmen und ihr Kinderstühlchen zu erwischen, denn sonst hätte sie mit den andern Kindern auf der Erde sitzen müßen. -- Mehr als drei dutzend Personen waren gerade noch übrig, und diese waren auch richtig in eben so viele gesunde vergnügte Kinder ver¬ wandelt, die auf einem schönen, blumigen Grasplätzchen am Rande eines Kornfeldes um den Hahn Alektryo herum¬ saßen, der ihnen die Geschichte erzählte. die ein altes Mähr¬ chen war, welches er in seiner Kindheit von einem italieni¬ schen Schockolademacher gehört, und um das sie ihn schon lange gequält hatten. Als er nun eben fertig war, kam das Beste zuletzt, nicht die Puppe, sondern nur die allerschönste Kunstfigur war in eine wohl aprobirte Gouvernante verwan¬ delt und trippelte mit einem Präsentirteller, worauf ein gro¬ ßer, schon getheilter Kuchen lag, mitten unter die Kinder und ließ sich auf ein Knie nieder und setzte den Kuchen auf den Rasen zwischen die Kinder. Da war der Jubel allgemein, die Kinder drängten sich um sie, umarmten sie, schmeichelten ihr, setzten ihr Kränze auf, machten Musik, schrien Vivat, und jedes that nach seiner Art, gesellt oder einsam; es waren auch Kinder da, die schliefen, die gähnten, die auf¬ wachten, die sich neckten, versteckten, liebkosten, Kränzchen aufsetzten. -- Sie hatten ihre Lämmchen, Hündchen, Vögel¬ chen u. s. w. bei sich. -- Unter allen diesen lustigen Kindern saß Eines ein wenig abgesondert, etwas ernsthafter auf einem Kinderstühlchen, es hatte ein großes Buch unter dem Arm, ein Schmetterling lebte und starb ihm auf dem Händchen. Es schien ein Bißchen tiefsinnig, wie träumend, als sey es ein¬ mal eine sehr große breite Figur gewesen und könnte sich noch nicht in Alles recht finden. Ein Knabe auf dem Stecken¬ pferd wollte es vorwärts reißen, wodurch es sich noch mehr zu¬ sammennahm. Es sah auf den Kuchen hin, auf welchem seine Vorältern, als Hollundermännchen um eine Puppe herumpur¬ zelten. -- Es lächelte kaum, denn es hörte in der Ferne die
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Tagebuch der Ahnfrau unter den Arm zu klemmen und ihr Kinderſtuͤhlchen zu erwiſchen, denn ſonſt haͤtte ſie mit den andern Kindern auf der Erde ſitzen muͤßen. — Mehr als drei dutzend Perſonen waren gerade noch uͤbrig, und dieſe waren auch richtig in eben ſo viele geſunde vergnuͤgte Kinder ver¬ wandelt, die auf einem ſchoͤnen, blumigen Grasplaͤtzchen am Rande eines Kornfeldes um den Hahn Alektryo herum¬ ſaßen, der ihnen die Geſchichte erzaͤhlte. die ein altes Maͤhr¬ chen war, welches er in ſeiner Kindheit von einem italieni¬ ſchen Schockolademacher gehoͤrt, und um das ſie ihn ſchon lange gequaͤlt hatten. Als er nun eben fertig war, kam das Beſte zuletzt, nicht die Puppe, ſondern nur die allerſchoͤnſte Kunſtfigur war in eine wohl aprobirte Gouvernante verwan¬ delt und trippelte mit einem Praͤſentirteller, worauf ein gro¬ ßer, ſchon getheilter Kuchen lag, mitten unter die Kinder und ließ ſich auf ein Knie nieder und ſetzte den Kuchen auf den Raſen zwiſchen die Kinder. Da war der Jubel allgemein, die Kinder draͤngten ſich um ſie, umarmten ſie, ſchmeichelten ihr, ſetzten ihr Kraͤnze auf, machten Muſik, ſchrien Vivat, und jedes that nach ſeiner Art, geſellt oder einſam; es waren auch Kinder da, die ſchliefen, die gaͤhnten, die auf¬ wachten, die ſich neckten, verſteckten, liebkoſten, Kraͤnzchen aufſetzten. — Sie hatten ihre Laͤmmchen, Huͤndchen, Voͤgel¬ chen u. ſ. w. bei ſich. — Unter allen dieſen luſtigen Kindern ſaß Eines ein wenig abgeſondert, etwas ernſthafter auf einem Kinderſtuͤhlchen, es hatte ein großes Buch unter dem Arm, ein Schmetterling lebte und ſtarb ihm auf dem Haͤndchen. Es ſchien ein Bißchen tiefſinnig, wie traͤumend, als ſey es ein¬ mal eine ſehr große breite Figur geweſen und koͤnnte ſich noch nicht in Alles recht finden. Ein Knabe auf dem Stecken¬ pferd wollte es vorwaͤrts reißen, wodurch es ſich noch mehr zu¬ ſammennahm. Es ſah auf den Kuchen hin, auf welchem ſeine Voraͤltern, als Hollundermaͤnnchen um eine Puppe herumpur¬ zelten. — Es laͤchelte kaum, denn es hoͤrte in der Ferne die
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Tagebuch der Ahnfrau unter den Arm zu klemmen und ihr
Kinderſtuͤhlchen zu erwiſchen, denn ſonſt haͤtte ſie mit den
andern Kindern auf der Erde ſitzen muͤßen. — Mehr als drei
dutzend Perſonen waren gerade noch uͤbrig, und dieſe waren
auch richtig in eben ſo viele geſunde vergnuͤgte Kinder ver¬
wandelt, die auf einem ſchoͤnen, blumigen Grasplaͤtzchen
am Rande eines Kornfeldes um den Hahn Alektryo herum¬
ſaßen, der ihnen die Geſchichte erzaͤhlte. die ein altes Maͤhr¬
chen war, welches er in ſeiner Kindheit von einem italieni¬
ſchen Schockolademacher gehoͤrt, und um das ſie ihn ſchon
lange gequaͤlt hatten. Als er nun eben fertig war, kam das
Beſte zuletzt, nicht die Puppe, ſondern nur die allerſchoͤnſte
Kunſtfigur war in eine wohl aprobirte Gouvernante verwan¬
delt und trippelte mit einem Praͤſentirteller, worauf ein gro¬
ßer, ſchon getheilter Kuchen lag, mitten unter die Kinder und
ließ ſich auf ein Knie nieder und ſetzte den Kuchen auf den
Raſen zwiſchen die Kinder. Da war der Jubel allgemein,
die Kinder draͤngten ſich um ſie, umarmten ſie, ſchmeichelten
ihr, ſetzten ihr Kraͤnze auf, machten Muſik, ſchrien Vivat,
und jedes that nach ſeiner Art, geſellt oder einſam; es
waren auch Kinder da, die ſchliefen, die gaͤhnten, die auf¬
wachten, die ſich neckten, verſteckten, liebkoſten, Kraͤnzchen
aufſetzten. — Sie hatten ihre Laͤmmchen, Huͤndchen, Voͤgel¬
chen u. ſ. w. bei ſich. — Unter allen dieſen luſtigen Kindern
ſaß Eines ein wenig abgeſondert, etwas ernſthafter auf einem
Kinderſtuͤhlchen, es hatte ein großes Buch unter dem Arm, ein
Schmetterling lebte und ſtarb ihm auf dem Haͤndchen. Es
ſchien ein Bißchen tiefſinnig, wie traͤumend, als ſey es ein¬
mal eine ſehr große breite Figur geweſen und koͤnnte ſich noch
nicht in Alles recht finden. Ein Knabe auf dem Stecken¬
pferd wollte es vorwaͤrts reißen, wodurch es ſich noch mehr zu¬
ſammennahm. Es ſah auf den Kuchen hin, auf welchem ſeine
Voraͤltern, als Hollundermaͤnnchen um eine Puppe herumpur¬
zelten. — Es laͤchelte kaum, denn es hoͤrte in der Ferne die
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/279>, abgerufen am 25.11.2024.
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