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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Grad hier im Sarge ihre Brust bedeckt. Es ist derselbe Or¬
den, den Mutter Hinkel und auch du jetzt trägst.

Es war in den Tagen der guten Ahnfrau im Lande Hen¬
negau unter dem weiblichen Geschlecht eine traurige tiefsin¬
nige Andachtsweise eingerissen; das Ei wollte klüger seyn,
als das Huhn, und die Hühner sprachen erstaunlich viel über
ungelegte Eier. Es war wie eine Krankheit unter den Mägd¬
lein des Landes geworden, aller weiblichen Handarbeit und
Pflege und ebenso aller Freude und Heiterkeit zu entsagen und
sich allein einem tiefsinnigen Hinbrüten zu ergeben, wodurch
manche auf sehr verkehrte Dinge kamen. -- Da nun im
Jahre 1310 Porette, eine Jungfrau aus Hennegau, welche
die Gräfin Amey kannte, durch diese Lebensweise auf so unsin¬
nige Meinungen und Lehren kam, daß sie in Paris zum
Feuertode verurtheilt ward, nahm Gräfin Amey sich dieses
so zu Herzen, daß sie sich entschloß, dieser Verkehrtheit durch
ihr Beispiel entgegen zu arbeiten. Sie errichtete deswegen
für Jungfrauen den Orden der freudigen frommen Kinder,
in welchem, sie alle ihre Freundinnen verbindlich machte, mit
Arbeit und Pflege für die Armen, kindliche Freude und An¬
dacht zu vereinigen. Alles Gute und Heilige hatte einen
Altar in ihrem Herzen, alles Kindliche und Heitere aber auch
eine gastfreie Herberge darin; und so kam die liebe Amey
in ein recht liebes, natürliches Wesen. Sie ward der Trost
der Armen und die Freude der Kinder, sie selbst nannte sich
als Großmeisterinn des Ordens das arme Kind von Henne¬
gau. Da begann eine gute Zeit für die Kinder in Henne¬
gau, welche durch die übertriebene Selbstbeschauung ihrer
Mütter und älteren Schwestern ganz unbeobachtet, verwil¬
dert, schmutzig, zerrissen und zerlumpt geworden waren. Die
liebe Amey errichtete große Ordensfeste und jede ihrer Or¬
densgespielinnen mußte eine Heerde Kinder sauber und rein¬
lich gekleidet auf die Wiese bringen, wo getanzt und gespielt,
gegessen und getrunken und auch Gott gedankt wurde. Alle

Grad hier im Sarge ihre Bruſt bedeckt. Es iſt derſelbe Or¬
den, den Mutter Hinkel und auch du jetzt traͤgſt.

Es war in den Tagen der guten Ahnfrau im Lande Hen¬
negau unter dem weiblichen Geſchlecht eine traurige tiefſin¬
nige Andachtsweiſe eingeriſſen; das Ei wollte kluͤger ſeyn,
als das Huhn, und die Huͤhner ſprachen erſtaunlich viel uͤber
ungelegte Eier. Es war wie eine Krankheit unter den Maͤgd¬
lein des Landes geworden, aller weiblichen Handarbeit und
Pflege und ebenſo aller Freude und Heiterkeit zu entſagen und
ſich allein einem tiefſinnigen Hinbruͤten zu ergeben, wodurch
manche auf ſehr verkehrte Dinge kamen. — Da nun im
Jahre 1310 Porette, eine Jungfrau aus Hennegau, welche
die Graͤfin Amey kannte, durch dieſe Lebensweiſe auf ſo unſin¬
nige Meinungen und Lehren kam, daß ſie in Paris zum
Feuertode verurtheilt ward, nahm Graͤfin Amey ſich dieſes
ſo zu Herzen, daß ſie ſich entſchloß, dieſer Verkehrtheit durch
ihr Beiſpiel entgegen zu arbeiten. Sie errichtete deswegen
fuͤr Jungfrauen den Orden der freudigen frommen Kinder,
in welchem, ſie alle ihre Freundinnen verbindlich machte, mit
Arbeit und Pflege fuͤr die Armen, kindliche Freude und An¬
dacht zu vereinigen. Alles Gute und Heilige hatte einen
Altar in ihrem Herzen, alles Kindliche und Heitere aber auch
eine gaſtfreie Herberge darin; und ſo kam die liebe Amey
in ein recht liebes, natuͤrliches Weſen. Sie ward der Troſt
der Armen und die Freude der Kinder, ſie ſelbſt nannte ſich
als Großmeiſterinn des Ordens das arme Kind von Henne¬
gau. Da begann eine gute Zeit fuͤr die Kinder in Henne¬
gau, welche durch die uͤbertriebene Selbſtbeſchauung ihrer
Muͤtter und aͤlteren Schweſtern ganz unbeobachtet, verwil¬
dert, ſchmutzig, zerriſſen und zerlumpt geworden waren. Die
liebe Amey errichtete große Ordensfeſte und jede ihrer Or¬
densgeſpielinnen mußte eine Heerde Kinder ſauber und rein¬
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[199/0251] Grad hier im Sarge ihre Bruſt bedeckt. Es iſt derſelbe Or¬ den, den Mutter Hinkel und auch du jetzt traͤgſt. Es war in den Tagen der guten Ahnfrau im Lande Hen¬ negau unter dem weiblichen Geſchlecht eine traurige tiefſin¬ nige Andachtsweiſe eingeriſſen; das Ei wollte kluͤger ſeyn, als das Huhn, und die Huͤhner ſprachen erſtaunlich viel uͤber ungelegte Eier. Es war wie eine Krankheit unter den Maͤgd¬ lein des Landes geworden, aller weiblichen Handarbeit und Pflege und ebenſo aller Freude und Heiterkeit zu entſagen und ſich allein einem tiefſinnigen Hinbruͤten zu ergeben, wodurch manche auf ſehr verkehrte Dinge kamen. — Da nun im Jahre 1310 Porette, eine Jungfrau aus Hennegau, welche die Graͤfin Amey kannte, durch dieſe Lebensweiſe auf ſo unſin¬ nige Meinungen und Lehren kam, daß ſie in Paris zum Feuertode verurtheilt ward, nahm Graͤfin Amey ſich dieſes ſo zu Herzen, daß ſie ſich entſchloß, dieſer Verkehrtheit durch ihr Beiſpiel entgegen zu arbeiten. Sie errichtete deswegen fuͤr Jungfrauen den Orden der freudigen frommen Kinder, in welchem, ſie alle ihre Freundinnen verbindlich machte, mit Arbeit und Pflege fuͤr die Armen, kindliche Freude und An¬ dacht zu vereinigen. Alles Gute und Heilige hatte einen Altar in ihrem Herzen, alles Kindliche und Heitere aber auch eine gaſtfreie Herberge darin; und ſo kam die liebe Amey in ein recht liebes, natuͤrliches Weſen. Sie ward der Troſt der Armen und die Freude der Kinder, ſie ſelbſt nannte ſich als Großmeiſterinn des Ordens das arme Kind von Henne¬ gau. Da begann eine gute Zeit fuͤr die Kinder in Henne¬ gau, welche durch die uͤbertriebene Selbſtbeſchauung ihrer Muͤtter und aͤlteren Schweſtern ganz unbeobachtet, verwil¬ dert, ſchmutzig, zerriſſen und zerlumpt geworden waren. Die liebe Amey errichtete große Ordensfeſte und jede ihrer Or¬ densgeſpielinnen mußte eine Heerde Kinder ſauber und rein¬ lich gekleidet auf die Wieſe bringen, wo getanzt und geſpielt, gegeſſen und getrunken und auch Gott gedankt wurde. Alle

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/251>, abgerufen am 27.04.2024.