Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

wiederte Frau Hinkel: "ja, und er ist noch viel schöner als
ich wußte, denn die Engel waren die Armen, die sie in den
Himmel durch ihre Liebe geleitet und der Himmelsgarten
war der Garten ihres liebvoll barmherzigen Wirkens und
alle die Blumen und Kräuter waren ihre Liebeswerke. Sie
hat mit der Gnade Gottes ihren Garten selbst gebaut!" --
Da sprach Gockel: "Hier kann man wohl sagen, unsere Werke
folgen uns, und wie man von Kummer und Bösem sagt,
das ist ein Nagel in meinen Sarg, kann man wohl von al¬
len Werken der Liebe sagen, sie sind Blumen auf meinem
Grab, o wer sollte sich nicht einen solchen Garten zu bauen
wünschen!" -- "Ach," sprach Kronovus, "du mußt helfen
Gackeleia, wir wollen fleißig im Garten arbeiten." Gacke¬
leia hatte Thränen in den Augen und nickte still.

So standen sie und sahen den Leib der Ahnfrau an, der
ernst und ehrwürdig und doch so lieblich mit seinem Braut¬
kleid in dem Blumenbettchen ruhte. Keine Spur von Ver¬
wesung entstellte die rührende Gestalt. Sie war ganz die¬
selbe, wie man sie in dem Grafensaal in Gockelsruh als
Braut gemalt sah, nur noch weiser, noch reiner. Das edle,
kluge Haupt trug die Grafenkrone über einen Kranz von
Amaranthen, der die reichen mit Perlen durchflochtenen Lo¬
cken umfieng und ruhte mit geschloßnen Augen, wie das
Antlitz eines schlummernden Heldenkindes, auf einem runden
goldnen, mit Rubinen verzierten Polster, das sie gleich einem
Heiligen Schein umleuchtete; die eine Wange jedoch lehnte
etwas zur Seite geneigt an einem Kissen von der feinsten
schneeweißen Leinwand. -- "Kennst du das kleine Kissen?"
fragte Frau Hinkel die Gackeleia und diese antwortete: "o ge¬
wiß, davon hast du mir ja auch erzählt, wie von dem Blu¬
menensarg; die Gräfin Amey von Hennegau spann so fein, so fein,
webte so fein, so fein, und trocknete mit ihrem Linnen die
Thränen der Armen; weil aber noch so fein gesponnen, end¬
lich doch kömmt an die Sonnen, so haben ihr die Armen die¬

wiederte Frau Hinkel: „ja, und er iſt noch viel ſchoͤner als
ich wußte, denn die Engel waren die Armen, die ſie in den
Himmel durch ihre Liebe geleitet und der Himmelsgarten
war der Garten ihres liebvoll barmherzigen Wirkens und
alle die Blumen und Kraͤuter waren ihre Liebeswerke. Sie
hat mit der Gnade Gottes ihren Garten ſelbſt gebaut!“ —
Da ſprach Gockel: „Hier kann man wohl ſagen, unſere Werke
folgen uns, und wie man von Kummer und Boͤſem ſagt,
das iſt ein Nagel in meinen Sarg, kann man wohl von al¬
len Werken der Liebe ſagen, ſie ſind Blumen auf meinem
Grab, o wer ſollte ſich nicht einen ſolchen Garten zu bauen
wuͤnſchen!“ — „Ach,“ ſprach Kronovus, „du mußt helfen
Gackeleia, wir wollen fleißig im Garten arbeiten.“ Gacke¬
leia hatte Thraͤnen in den Augen und nickte ſtill.

So ſtanden ſie und ſahen den Leib der Ahnfrau an, der
ernſt und ehrwuͤrdig und doch ſo lieblich mit ſeinem Braut¬
kleid in dem Blumenbettchen ruhte. Keine Spur von Ver¬
weſung entſtellte die ruͤhrende Geſtalt. Sie war ganz die¬
ſelbe, wie man ſie in dem Grafenſaal in Gockelsruh als
Braut gemalt ſah, nur noch weiſer, noch reiner. Das edle,
kluge Haupt trug die Grafenkrone uͤber einen Kranz von
Amaranthen, der die reichen mit Perlen durchflochtenen Lo¬
cken umfieng und ruhte mit geſchloßnen Augen, wie das
Antlitz eines ſchlummernden Heldenkindes, auf einem runden
goldnen, mit Rubinen verzierten Polſter, das ſie gleich einem
Heiligen Schein umleuchtete; die eine Wange jedoch lehnte
etwas zur Seite geneigt an einem Kiſſen von der feinſten
ſchneeweißen Leinwand. — „Kennſt du das kleine Kiſſen?“
fragte Frau Hinkel die Gackeleia und dieſe antwortete: „o ge¬
wiß, davon haſt du mir ja auch erzaͤhlt, wie von dem Blu¬
menenſarg; die Graͤfin Amey von Hennegau ſpann ſo fein, ſo fein,
webte ſo fein, ſo fein, und trocknete mit ihrem Linnen die
Thraͤnen der Armen; weil aber noch ſo fein geſponnen, end¬
lich doch koͤmmt an die Sonnen, ſo haben ihr die Armen die¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="197"/>
wiederte Frau Hinkel: &#x201E;ja, und er i&#x017F;t noch viel &#x017F;cho&#x0364;ner als<lb/>
ich wußte, denn die Engel waren die Armen, die &#x017F;ie in den<lb/>
Himmel durch ihre Liebe geleitet und der Himmelsgarten<lb/>
war der Garten ihres liebvoll barmherzigen Wirkens und<lb/>
alle die Blumen und Kra&#x0364;uter waren ihre Liebeswerke. Sie<lb/>
hat mit der Gnade Gottes ihren Garten &#x017F;elb&#x017F;t gebaut!&#x201C; &#x2014;<lb/>
Da &#x017F;prach Gockel: &#x201E;Hier kann man wohl &#x017F;agen, un&#x017F;ere Werke<lb/>
folgen uns, und wie man von Kummer und Bo&#x0364;&#x017F;em &#x017F;agt,<lb/>
das i&#x017F;t ein Nagel in meinen Sarg, kann man wohl von al¬<lb/>
len Werken der Liebe &#x017F;agen, &#x017F;ie &#x017F;ind Blumen auf meinem<lb/>
Grab, o wer &#x017F;ollte &#x017F;ich nicht einen &#x017F;olchen Garten zu bauen<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ach,&#x201C; &#x017F;prach Kronovus, &#x201E;du mußt helfen<lb/>
Gackeleia, wir wollen fleißig im Garten arbeiten.&#x201C; Gacke¬<lb/>
leia hatte Thra&#x0364;nen in den Augen und nickte &#x017F;till.</p><lb/>
        <p>So &#x017F;tanden &#x017F;ie und &#x017F;ahen den Leib der Ahnfrau an, der<lb/>
ern&#x017F;t und ehrwu&#x0364;rdig und doch &#x017F;o lieblich mit &#x017F;einem Braut¬<lb/>
kleid in dem Blumenbettchen ruhte. Keine Spur von Ver¬<lb/>
we&#x017F;ung ent&#x017F;tellte die ru&#x0364;hrende Ge&#x017F;talt. Sie war ganz die¬<lb/>
&#x017F;elbe, wie man &#x017F;ie in dem Grafen&#x017F;aal in Gockelsruh als<lb/>
Braut gemalt &#x017F;ah, nur noch wei&#x017F;er, noch reiner. Das edle,<lb/>
kluge Haupt trug die Grafenkrone u&#x0364;ber einen Kranz von<lb/>
Amaranthen, der die reichen mit Perlen durchflochtenen Lo¬<lb/>
cken umfieng und ruhte mit ge&#x017F;chloßnen Augen, wie das<lb/>
Antlitz eines &#x017F;chlummernden Heldenkindes, auf einem runden<lb/>
goldnen, mit Rubinen verzierten Pol&#x017F;ter, das &#x017F;ie gleich einem<lb/>
Heiligen Schein umleuchtete; die eine Wange jedoch lehnte<lb/>
etwas zur Seite geneigt an einem Ki&#x017F;&#x017F;en von der fein&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;chneeweißen Leinwand. &#x2014; &#x201E;Kenn&#x017F;t du das kleine Ki&#x017F;&#x017F;en?&#x201C;<lb/>
fragte Frau Hinkel die Gackeleia und die&#x017F;e antwortete: &#x201E;o ge¬<lb/>
wiß, davon ha&#x017F;t du mir ja auch erza&#x0364;hlt, wie von dem Blu¬<lb/>
menen&#x017F;arg; die Gra&#x0364;fin Amey von Hennegau &#x017F;pann &#x017F;o fein, &#x017F;o fein,<lb/>
webte &#x017F;o fein, &#x017F;o fein, und trocknete mit ihrem Linnen die<lb/>
Thra&#x0364;nen der Armen; weil aber noch &#x017F;o fein ge&#x017F;ponnen, end¬<lb/>
lich doch ko&#x0364;mmt an die Sonnen, &#x017F;o haben ihr die Armen die¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0249] wiederte Frau Hinkel: „ja, und er iſt noch viel ſchoͤner als ich wußte, denn die Engel waren die Armen, die ſie in den Himmel durch ihre Liebe geleitet und der Himmelsgarten war der Garten ihres liebvoll barmherzigen Wirkens und alle die Blumen und Kraͤuter waren ihre Liebeswerke. Sie hat mit der Gnade Gottes ihren Garten ſelbſt gebaut!“ — Da ſprach Gockel: „Hier kann man wohl ſagen, unſere Werke folgen uns, und wie man von Kummer und Boͤſem ſagt, das iſt ein Nagel in meinen Sarg, kann man wohl von al¬ len Werken der Liebe ſagen, ſie ſind Blumen auf meinem Grab, o wer ſollte ſich nicht einen ſolchen Garten zu bauen wuͤnſchen!“ — „Ach,“ ſprach Kronovus, „du mußt helfen Gackeleia, wir wollen fleißig im Garten arbeiten.“ Gacke¬ leia hatte Thraͤnen in den Augen und nickte ſtill. So ſtanden ſie und ſahen den Leib der Ahnfrau an, der ernſt und ehrwuͤrdig und doch ſo lieblich mit ſeinem Braut¬ kleid in dem Blumenbettchen ruhte. Keine Spur von Ver¬ weſung entſtellte die ruͤhrende Geſtalt. Sie war ganz die¬ ſelbe, wie man ſie in dem Grafenſaal in Gockelsruh als Braut gemalt ſah, nur noch weiſer, noch reiner. Das edle, kluge Haupt trug die Grafenkrone uͤber einen Kranz von Amaranthen, der die reichen mit Perlen durchflochtenen Lo¬ cken umfieng und ruhte mit geſchloßnen Augen, wie das Antlitz eines ſchlummernden Heldenkindes, auf einem runden goldnen, mit Rubinen verzierten Polſter, das ſie gleich einem Heiligen Schein umleuchtete; die eine Wange jedoch lehnte etwas zur Seite geneigt an einem Kiſſen von der feinſten ſchneeweißen Leinwand. — „Kennſt du das kleine Kiſſen?“ fragte Frau Hinkel die Gackeleia und dieſe antwortete: „o ge¬ wiß, davon haſt du mir ja auch erzaͤhlt, wie von dem Blu¬ menenſarg; die Graͤfin Amey von Hennegau ſpann ſo fein, ſo fein, webte ſo fein, ſo fein, und trocknete mit ihrem Linnen die Thraͤnen der Armen; weil aber noch ſo fein geſponnen, end¬ lich doch koͤmmt an die Sonnen, ſo haben ihr die Armen die¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/249
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/249>, abgerufen am 19.04.2024.