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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Salomonis Siegelring,
Jenes liebe Wunderding,
Keine Puppe, sondern nur
Eine schöne Kunstfigur!"

Nach diesen Worten zog Urgockel seine Hand wieder zu¬
rück und war ein unbeweglicher Grabstein wie zu vor. Der
Organist aber sang eine schöne kunstfigurirte Arie, wozu Men¬
schen und Federvieh einstimmten und die Glocken läuteten --
denn sieh, ein merkwürdiges Ereigniß hatte den Bund be¬
kräftiget, die beiden Stücke der Bretzel und des Bubenschen¬
kels waren fest und wieder Eins geworden, als seyen sie nie
getrennt gewesen. -- Gackeleia aber drehte den Ring mit
dem Wunsche das Wappen möge nach dem Willen Urgockels
fertig seyn und sogleich stand es auf einer schönen Fahne neben
der Orgel.

Schon wollte man sich ordnen mit der vorgetragenen
Fahne in den Speisesaal zu ziehen, als Gackeleia an den
goldnen Hahn, die goldne Henne, das Geschenk von Salomo
und der Königin von Saba gedachte, das sonst bei jeder
Hochzeit in Gockelsruh im Brautzug getragen worden. Schnell
drehte sie den Ring und wünschte, dieses Kleinod möge sich
im Schatze der Kapelle befinden und in ihrem Zuge getragen
werden. -- Da trat ein Jüngling und eine Jungfrau, beide
in morgenländischer Tracht, herrlich geschmückt in die Ka¬
pelle vor eine eiserne Thüre in der Wand, die mit Rasseln
aufsprang. Da sah man die beiden Brautgeschenke schim¬
mernd stehen. Sie nahmen sie heraus und präsentirten sie
dem Brautpaare, welche sie auf den Altare stellten und mit
großer Freude anschauten. -- Indem nun Alektryo von der
Kanzel das Bild der brütenden Gallina in der goldnen Henne
erkannte, schlug er mit den Flügeln und krähte gar wehmü¬
thig. Gackeleia verstand seine Sehnsucht und drehte den Ring,
auch die gute Gallina möge wieder im Kreise ihrer Lieben
verweilen. Da hob sich ein Wölkchen auf dem Grabstein,

Salomonis Siegelring,
Jenes liebe Wunderding,
Keine Puppe, ſondern nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur!“

Nach dieſen Worten zog Urgockel ſeine Hand wieder zu¬
ruͤck und war ein unbeweglicher Grabſtein wie zu vor. Der
Organiſt aber ſang eine ſchoͤne kunſtfigurirte Arie, wozu Men¬
ſchen und Federvieh einſtimmten und die Glocken laͤuteten —
denn ſieh, ein merkwuͤrdiges Ereigniß hatte den Bund be¬
kraͤftiget, die beiden Stuͤcke der Bretzel und des Bubenſchen¬
kels waren feſt und wieder Eins geworden, als ſeyen ſie nie
getrennt geweſen. — Gackeleia aber drehte den Ring mit
dem Wunſche das Wappen moͤge nach dem Willen Urgockels
fertig ſeyn und ſogleich ſtand es auf einer ſchoͤnen Fahne neben
der Orgel.

Schon wollte man ſich ordnen mit der vorgetragenen
Fahne in den Speiſeſaal zu ziehen, als Gackeleia an den
goldnen Hahn, die goldne Henne, das Geſchenk von Salomo
und der Koͤnigin von Saba gedachte, das ſonſt bei jeder
Hochzeit in Gockelsruh im Brautzug getragen worden. Schnell
drehte ſie den Ring und wuͤnſchte, dieſes Kleinod moͤge ſich
im Schatze der Kapelle befinden und in ihrem Zuge getragen
werden. — Da trat ein Juͤngling und eine Jungfrau, beide
in morgenlaͤndiſcher Tracht, herrlich geſchmuͤckt in die Ka¬
pelle vor eine eiſerne Thuͤre in der Wand, die mit Raſſeln
aufſprang. Da ſah man die beiden Brautgeſchenke ſchim¬
mernd ſtehen. Sie nahmen ſie heraus und praͤſentirten ſie
dem Brautpaare, welche ſie auf den Altare ſtellten und mit
großer Freude anſchauten. — Indem nun Alektryo von der
Kanzel das Bild der bruͤtenden Gallina in der goldnen Henne
erkannte, ſchlug er mit den Fluͤgeln und kraͤhte gar wehmuͤ¬
thig. Gackeleia verſtand ſeine Sehnſucht und drehte den Ring,
auch die gute Gallina moͤge wieder im Kreiſe ihrer Lieben
verweilen. Da hob ſich ein Woͤlkchen auf dem Grabſtein,

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[188/0240] Salomonis Siegelring, Jenes liebe Wunderding, Keine Puppe, ſondern nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur!“ Nach dieſen Worten zog Urgockel ſeine Hand wieder zu¬ ruͤck und war ein unbeweglicher Grabſtein wie zu vor. Der Organiſt aber ſang eine ſchoͤne kunſtfigurirte Arie, wozu Men¬ ſchen und Federvieh einſtimmten und die Glocken laͤuteten — denn ſieh, ein merkwuͤrdiges Ereigniß hatte den Bund be¬ kraͤftiget, die beiden Stuͤcke der Bretzel und des Bubenſchen¬ kels waren feſt und wieder Eins geworden, als ſeyen ſie nie getrennt geweſen. — Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunſche das Wappen moͤge nach dem Willen Urgockels fertig ſeyn und ſogleich ſtand es auf einer ſchoͤnen Fahne neben der Orgel. Schon wollte man ſich ordnen mit der vorgetragenen Fahne in den Speiſeſaal zu ziehen, als Gackeleia an den goldnen Hahn, die goldne Henne, das Geſchenk von Salomo und der Koͤnigin von Saba gedachte, das ſonſt bei jeder Hochzeit in Gockelsruh im Brautzug getragen worden. Schnell drehte ſie den Ring und wuͤnſchte, dieſes Kleinod moͤge ſich im Schatze der Kapelle befinden und in ihrem Zuge getragen werden. — Da trat ein Juͤngling und eine Jungfrau, beide in morgenlaͤndiſcher Tracht, herrlich geſchmuͤckt in die Ka¬ pelle vor eine eiſerne Thuͤre in der Wand, die mit Raſſeln aufſprang. Da ſah man die beiden Brautgeſchenke ſchim¬ mernd ſtehen. Sie nahmen ſie heraus und praͤſentirten ſie dem Brautpaare, welche ſie auf den Altare ſtellten und mit großer Freude anſchauten. — Indem nun Alektryo von der Kanzel das Bild der bruͤtenden Gallina in der goldnen Henne erkannte, ſchlug er mit den Fluͤgeln und kraͤhte gar wehmuͤ¬ thig. Gackeleia verſtand ſeine Sehnſucht und drehte den Ring, auch die gute Gallina moͤge wieder im Kreiſe ihrer Lieben verweilen. Da hob ſich ein Woͤlkchen auf dem Grabſtein,

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/240>, abgerufen am 26.04.2024.