Natur besiegt und lebte in einsamer Betrachtung als philo¬ sophischer Wohlthäter und Mäusefreund unter ihnen von dem schönen Herzen der geistvollen Prinzessin Sissi geschützt.
Ich aß nun im Zwielicht (denn der Mond war unter¬ gegangen und es dämmerte im Osten) ohne große Wahl, was mir unter die Finger kam, lustig hinein, Alles, Alles schmeckte köstlich -- o da kam erst das Beste! -- ach es ra¬ schelte etwas neben mir und es rollte etwas in mein Schürz¬ chen, ich fühlte, es war ein Ei, ich hielt es neugierig dem ersten Strahle des Tages entgegen -- es war schwarz mit einem schönen Vergißmeinnicht bemahlt, ringsum standen die Worte: "Vivat Gackeleia," ich schüttelte es, ach es ras¬ selte Geld darin; wie ein Blitzstrahl durchfuhr es meine Seele: es ist das Ei meines lieben Kronovus, das er für mich alle Wochen mit seinem Taschengeld hinten an den En¬ tenpfuhl verstecken wollte! meine Freude war unaussprechlich -- aber wer ist der wohlthätige Sterbliche, der mir diese höchste Freude gemacht? dachte ich und sprang auf und rief aus: "o mein heimlicher Wohlthäter entziehe dich meinem Danke nicht!" aber ich hörte es fern weg eilen, und ein wundersüßer Moschusgeruch drang mir entgegen. Da wurde es mir klar, und ich rief ihm nach: "du bist es edler Piloris, fernher pilgernden Menschenwohlbezwecker im schwarzen Frack und weißen Unterkleidern, der Wohlgeruch deiner schönen Hand¬ lungen verräth dich!"
"Ja, liebe Eltern," unterbrach sich hier Gackeleia, "ich hatte mich nicht geirrt, diese edle Moschusratte Piloris war es gewesen. Sissi, der ich von dem Ei des Kronovus er¬ zählte, hatte ihm schon in der Kirche zugeflüstert, welche große Freude es ihr machen würde, wenn sie meine Wohl¬ thaten gegen sie mit diesem Eie belohnen könnte. Piloris, so hohes Interesse er auch an der Rede des edlen Musku¬ lus hatte, verließ sogleich den Dom und eilte, ohne sich um¬ zusehen, nach der Eierburg an den Entenpfuhl und brachte
Natur beſiegt und lebte in einſamer Betrachtung als philo¬ ſophiſcher Wohlthaͤter und Maͤuſefreund unter ihnen von dem ſchoͤnen Herzen der geiſtvollen Prinzeſſin Siſſi geſchuͤtzt.
Ich aß nun im Zwielicht (denn der Mond war unter¬ gegangen und es daͤmmerte im Oſten) ohne große Wahl, was mir unter die Finger kam, luſtig hinein, Alles, Alles ſchmeckte koͤſtlich — o da kam erſt das Beſte! — ach es ra¬ ſchelte etwas neben mir und es rollte etwas in mein Schuͤrz¬ chen, ich fuͤhlte, es war ein Ei, ich hielt es neugierig dem erſten Strahle des Tages entgegen — es war ſchwarz mit einem ſchoͤnen Vergißmeinnicht bemahlt, ringsum ſtanden die Worte: „Vivat Gackeleia,“ ich ſchuͤttelte es, ach es raſ¬ ſelte Geld darin; wie ein Blitzſtrahl durchfuhr es meine Seele: es iſt das Ei meines lieben Kronovus, das er fuͤr mich alle Wochen mit ſeinem Taſchengeld hinten an den En¬ tenpfuhl verſtecken wollte! meine Freude war unausſprechlich — aber wer iſt der wohlthaͤtige Sterbliche, der mir dieſe hoͤchſte Freude gemacht? dachte ich und ſprang auf und rief aus: „o mein heimlicher Wohlthaͤter entziehe dich meinem Danke nicht!“ aber ich hoͤrte es fern weg eilen, und ein wunderſuͤßer Moſchusgeruch drang mir entgegen. Da wurde es mir klar, und ich rief ihm nach: „du biſt es edler Piloris, fernher pilgernden Menſchenwohlbezwecker im ſchwarzen Frack und weißen Unterkleidern, der Wohlgeruch deiner ſchoͤnen Hand¬ lungen verraͤth dich!“
„Ja, liebe Eltern,“ unterbrach ſich hier Gackeleia, „ich hatte mich nicht geirrt, dieſe edle Moſchusratte Piloris war es geweſen. Siſſi, der ich von dem Ei des Kronovus er¬ zaͤhlte, hatte ihm ſchon in der Kirche zugefluͤſtert, welche große Freude es ihr machen wuͤrde, wenn ſie meine Wohl¬ thaten gegen ſie mit dieſem Eie belohnen koͤnnte. Piloris, ſo hohes Intereſſe er auch an der Rede des edlen Musku¬ lus hatte, verließ ſogleich den Dom und eilte, ohne ſich um¬ zuſehen, nach der Eierburg an den Entenpfuhl und brachte
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Natur beſiegt und lebte in einſamer Betrachtung als philo¬
ſophiſcher Wohlthaͤter und Maͤuſefreund unter ihnen von dem
ſchoͤnen Herzen der geiſtvollen Prinzeſſin Siſſi geſchuͤtzt.
Ich aß nun im Zwielicht (denn der Mond war unter¬
gegangen und es daͤmmerte im Oſten) ohne große Wahl,
was mir unter die Finger kam, luſtig hinein, Alles, Alles
ſchmeckte koͤſtlich — o da kam erſt das Beſte! — ach es ra¬
ſchelte etwas neben mir und es rollte etwas in mein Schuͤrz¬
chen, ich fuͤhlte, es war ein Ei, ich hielt es neugierig dem
erſten Strahle des Tages entgegen — es war ſchwarz mit
einem ſchoͤnen Vergißmeinnicht bemahlt, ringsum ſtanden die
Worte: „Vivat Gackeleia,“ ich ſchuͤttelte es, ach es raſ¬
ſelte Geld darin; wie ein Blitzſtrahl durchfuhr es meine
Seele: es iſt das Ei meines lieben Kronovus, das er fuͤr
mich alle Wochen mit ſeinem Taſchengeld hinten an den En¬
tenpfuhl verſtecken wollte! meine Freude war unausſprechlich —
aber wer iſt der wohlthaͤtige Sterbliche, der mir dieſe hoͤchſte
Freude gemacht? dachte ich und ſprang auf und rief aus:
„o mein heimlicher Wohlthaͤter entziehe dich meinem Danke
nicht!“ aber ich hoͤrte es fern weg eilen, und ein wunderſuͤßer
Moſchusgeruch drang mir entgegen. Da wurde es mir klar,
und ich rief ihm nach: „du biſt es edler Piloris, fernher
pilgernden Menſchenwohlbezwecker im ſchwarzen Frack und
weißen Unterkleidern, der Wohlgeruch deiner ſchoͤnen Hand¬
lungen verraͤth dich!“
„Ja, liebe Eltern,“ unterbrach ſich hier Gackeleia, „ich
hatte mich nicht geirrt, dieſe edle Moſchusratte Piloris war
es geweſen. Siſſi, der ich von dem Ei des Kronovus er¬
zaͤhlte, hatte ihm ſchon in der Kirche zugefluͤſtert, welche
große Freude es ihr machen wuͤrde, wenn ſie meine Wohl¬
thaten gegen ſie mit dieſem Eie belohnen koͤnnte. Piloris,
ſo hohes Intereſſe er auch an der Rede des edlen Musku¬
lus hatte, verließ ſogleich den Dom und eilte, ohne ſich um¬
zuſehen, nach der Eierburg an den Entenpfuhl und brachte
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/217>, abgerufen am 22.11.2024.
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