Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838."Erzähle Gackeleia", sagte die Mutter, "wo hast du eine "An mein Gärtchen kam heut Morgen Ein alt Männchen ganz voll Sorgen, Ließ vor mir im Tanz sich drehn Ach! ein Püppchen, wunderschön." "Da haben wir es", rief Gockel und riß ein starkes "Keine Puppe, es ist nur Eine schöne Kunstfigur, Eine kleine Gärtnerin, Lehrerin und Tänzerin, Wirthin, Hirtin und so weiter, Jede hat besondre Kleider." "Abscheulich, abscheulich!" sagte Gockel, aber Gackeleia "Allerliebst, kaum auszusprechen,
Mir wollt' schier das Herz zerbrechen Nach dem schönen Wunderding; Als es an zu laufen fieng, Als die Räder in ihm knarrten, Wollt' es zu mir in den Garten, Lief am Gitter hin und her, Als ob es lebendig wär'. Und ich glaubt' des Alten Schwur, Daß es eine Kunstfigur, Daß es keine Puppe sey, Dacht' nichts Arges mir dabei." „Erzaͤhle Gackeleia“, ſagte die Mutter, „wo haſt du eine „An mein Gaͤrtchen kam heut Morgen Ein alt Maͤnnchen ganz voll Sorgen, Ließ vor mir im Tanz ſich drehn Ach! ein Puͤppchen, wunderſchoͤn.“ „Da haben wir es“, rief Gockel und riß ein ſtarkes „Keine Puppe, es iſt nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur, Eine kleine Gaͤrtnerin, Lehrerin und Taͤnzerin, Wirthin, Hirtin und ſo weiter, Jede hat beſondre Kleider.“ „Abſcheulich, abſcheulich!“ ſagte Gockel, aber Gackeleia „Allerliebſt, kaum auszuſprechen,
Mir wollt' ſchier das Herz zerbrechen Nach dem ſchoͤnen Wunderding; Als es an zu laufen fieng, Als die Raͤder in ihm knarrten, Wollt' es zu mir in den Garten, Lief am Gitter hin und her, Als ob es lebendig waͤr'. Und ich glaubt' des Alten Schwur, Daß es eine Kunſtfigur, Daß es keine Puppe ſey, Dacht' nichts Arges mir dabei.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="130"/> „Erzaͤhle Gackeleia“, ſagte die Mutter, „wo haſt du eine<lb/> Puppe herbekommen?“ Da war Gackeleia in großer Angſt,<lb/> denn der Vater riß waͤhrend der Erzaͤhlung an einer Birke,<lb/> die bei dem Felſen ſtand, dann und wann ein Zweiglein ab,<lb/> und es ſah ſo ziemlich aus, als wenn er, wo nicht einen<lb/> Beſen, doch wenigſtens eine Ruthe binden wolle; aber was<lb/> half Alles, das Kind mußte ſprechen und ſprach:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„An mein Gaͤrtchen kam heut Morgen</l><lb/> <l>Ein alt Maͤnnchen ganz voll Sorgen,</l><lb/> <l>Ließ vor mir im Tanz ſich drehn</l><lb/> <l>Ach! ein Puͤppchen, wunderſchoͤn.“</l><lb/> </lg> <p>„Da haben wir es“, rief Gockel und riß ein ſtarkes<lb/> Birkenreis ab, „da haben wir die ſaubere Beſcheerung, eine<lb/> Puppe, o es iſt himmelſchreiend!“ Gackeleia aber ſagte ge¬<lb/> ſchwind :</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Keine Puppe, es iſt nur</l><lb/> <l>Eine ſchoͤne Kunſtfigur,</l><lb/> <l>Eine kleine Gaͤrtnerin,</l><lb/> <l>Lehrerin und Taͤnzerin,</l><lb/> <l>Wirthin, Hirtin und ſo weiter,</l><lb/> <l>Jede hat beſondre Kleider.“</l><lb/> </lg> <p>„Abſcheulich, abſcheulich!“ ſagte Gockel, aber Gackeleia<lb/> fuhr fort:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Allerliebſt, kaum auszuſprechen,</l><lb/> <l>Mir wollt' ſchier das Herz zerbrechen</l><lb/> <l>Nach dem ſchoͤnen Wunderding;</l><lb/> <l>Als es an zu laufen fieng,</l><lb/> <l>Als die Raͤder in ihm knarrten,</l><lb/> <l>Wollt' es zu mir in den Garten,</l><lb/> <l>Lief am Gitter hin und her,</l><lb/> <l>Als ob es lebendig waͤr'.</l><lb/> <l>Und ich glaubt' des Alten Schwur,</l><lb/> <l>Daß es eine Kunſtfigur,</l><lb/> <l>Daß es keine Puppe ſey,</l><lb/> <l>Dacht' nichts Arges mir dabei.“</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [130/0172]
„Erzaͤhle Gackeleia“, ſagte die Mutter, „wo haſt du eine
Puppe herbekommen?“ Da war Gackeleia in großer Angſt,
denn der Vater riß waͤhrend der Erzaͤhlung an einer Birke,
die bei dem Felſen ſtand, dann und wann ein Zweiglein ab,
und es ſah ſo ziemlich aus, als wenn er, wo nicht einen
Beſen, doch wenigſtens eine Ruthe binden wolle; aber was
half Alles, das Kind mußte ſprechen und ſprach:
„An mein Gaͤrtchen kam heut Morgen
Ein alt Maͤnnchen ganz voll Sorgen,
Ließ vor mir im Tanz ſich drehn
Ach! ein Puͤppchen, wunderſchoͤn.“
„Da haben wir es“, rief Gockel und riß ein ſtarkes
Birkenreis ab, „da haben wir die ſaubere Beſcheerung, eine
Puppe, o es iſt himmelſchreiend!“ Gackeleia aber ſagte ge¬
ſchwind :
„Keine Puppe, es iſt nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur,
Eine kleine Gaͤrtnerin,
Lehrerin und Taͤnzerin,
Wirthin, Hirtin und ſo weiter,
Jede hat beſondre Kleider.“
„Abſcheulich, abſcheulich!“ ſagte Gockel, aber Gackeleia
fuhr fort:
„Allerliebſt, kaum auszuſprechen,
Mir wollt' ſchier das Herz zerbrechen
Nach dem ſchoͤnen Wunderding;
Als es an zu laufen fieng,
Als die Raͤder in ihm knarrten,
Wollt' es zu mir in den Garten,
Lief am Gitter hin und her,
Als ob es lebendig waͤr'.
Und ich glaubt' des Alten Schwur,
Daß es eine Kunſtfigur,
Daß es keine Puppe ſey,
Dacht' nichts Arges mir dabei.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |