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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Kaschettinchen? Allerleja?
Und das Kind spricht: "Eja! Eja!
Gukuk! gukuk -- nit da, nit da!"
Läßt sie fressen aus der Hand."

Gackeleia:

"O wie artig, wie scharmant!
Aber ich ruf', um zu necken,
Girri, girri beim Verstecken."

Nun drehte der wunderliche Alte seinen Schellenschirm
wieder klingend im Kreis und machte ihn dann plötzlich vor
den Augen Gackeleia's zu, der das Herz flog vor Begierde
nach der Puppe und all den schönen Kleinigkeiten. -- "Ach die
Puppe, die Puppe, ach die schönen Kleider", sagte sie einmal
über das andremal, "ach dürfte ich sie nur ein bischen haben,
nur ein klein bischen! bitte, bitte, bitte!"

"Halten Sie ein Comteßchen," sagte der Alte: "halten
Sie ein, es wird mir so rührend, mein Herz läuft mir aus;
ich kann das Lamentiren nicht hören von einem so artigen
Frauenzimmerchen; wollen Sie mir eine kleine Freundschaft
erweisen, nur ein bischen, ein bischen, so sollen sie die Puppe
und die schönen Kleidchen haben für immer, für immer!
bitte, bitte, bitte!"

"Die Puppe haben?" sagte Gackeleia mit großem
Schmerz und rang die Händchen, "ach edler Mann! Ga¬
ckeleia darf keine Puppe haben, nie, nie! Gackeleia hat
Schurrimurri zu Gallina geführt, Gallina ward erwürgt,
und Gackeleia ward verurtheilt: nie, nie eine Puppe haben
zu dürfen -- ach und ich hätte diese so gern! ach nur ein
bischen, ein bischen, bitte, bitte!"

Während Gackeleia so wehklagte, machte der Alte sei¬
nen Schirm bald halb auf, bald wieder zu, so daß alle die
schönen Kleidchen immer vor den Augen des Kindes herum¬
flatterten, und sagte dann: "ein grausames Urtheil, ein har¬
tes Wort, da müßte sich ein Stein erbarmen, wider die

Kaſchettinchen? Allerleja?
Und das Kind ſpricht: „Eja! Eja!
Gukuk! gukuk — nit da, nit da!“
Laͤßt ſie freſſen aus der Hand.“

Gackeleia:

„O wie artig, wie ſcharmant!
Aber ich ruf', um zu necken,
Girri, girri beim Verſtecken.“

Nun drehte der wunderliche Alte ſeinen Schellenſchirm
wieder klingend im Kreis und machte ihn dann ploͤtzlich vor
den Augen Gackeleia's zu, der das Herz flog vor Begierde
nach der Puppe und all den ſchoͤnen Kleinigkeiten. — „Ach die
Puppe, die Puppe, ach die ſchoͤnen Kleider“, ſagte ſie einmal
uͤber das andremal, „ach duͤrfte ich ſie nur ein bischen haben,
nur ein klein bischen! bitte, bitte, bitte!“

„Halten Sie ein Comteßchen,“ ſagte der Alte: „halten
Sie ein, es wird mir ſo ruͤhrend, mein Herz laͤuft mir aus;
ich kann das Lamentiren nicht hoͤren von einem ſo artigen
Frauenzimmerchen; wollen Sie mir eine kleine Freundſchaft
erweiſen, nur ein bischen, ein bischen, ſo ſollen ſie die Puppe
und die ſchoͤnen Kleidchen haben fuͤr immer, fuͤr immer!
bitte, bitte, bitte!“

„Die Puppe haben?“ ſagte Gackeleia mit großem
Schmerz und rang die Haͤndchen, „ach edler Mann! Ga¬
ckeleia darf keine Puppe haben, nie, nie! Gackeleia hat
Schurrimurri zu Gallina gefuͤhrt, Gallina ward erwuͤrgt,
und Gackeleia ward verurtheilt: nie, nie eine Puppe haben
zu duͤrfen — ach und ich haͤtte dieſe ſo gern! ach nur ein
bischen, ein bischen, bitte, bitte!“

Waͤhrend Gackeleia ſo wehklagte, machte der Alte ſei¬
nen Schirm bald halb auf, bald wieder zu, ſo daß alle die
ſchoͤnen Kleidchen immer vor den Augen des Kindes herum¬
flatterten, und ſagte dann: „ein grauſames Urtheil, ein har¬
tes Wort, da muͤßte ſich ein Stein erbarmen, wider die

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[107/0145] Kaſchettinchen? Allerleja? Und das Kind ſpricht: „Eja! Eja! Gukuk! gukuk — nit da, nit da!“ Laͤßt ſie freſſen aus der Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie ſcharmant! Aber ich ruf', um zu necken, Girri, girri beim Verſtecken.“ Nun drehte der wunderliche Alte ſeinen Schellenſchirm wieder klingend im Kreis und machte ihn dann ploͤtzlich vor den Augen Gackeleia's zu, der das Herz flog vor Begierde nach der Puppe und all den ſchoͤnen Kleinigkeiten. — „Ach die Puppe, die Puppe, ach die ſchoͤnen Kleider“, ſagte ſie einmal uͤber das andremal, „ach duͤrfte ich ſie nur ein bischen haben, nur ein klein bischen! bitte, bitte, bitte!“ „Halten Sie ein Comteßchen,“ ſagte der Alte: „halten Sie ein, es wird mir ſo ruͤhrend, mein Herz laͤuft mir aus; ich kann das Lamentiren nicht hoͤren von einem ſo artigen Frauenzimmerchen; wollen Sie mir eine kleine Freundſchaft erweiſen, nur ein bischen, ein bischen, ſo ſollen ſie die Puppe und die ſchoͤnen Kleidchen haben fuͤr immer, fuͤr immer! bitte, bitte, bitte!“ „Die Puppe haben?“ ſagte Gackeleia mit großem Schmerz und rang die Haͤndchen, „ach edler Mann! Ga¬ ckeleia darf keine Puppe haben, nie, nie! Gackeleia hat Schurrimurri zu Gallina gefuͤhrt, Gallina ward erwuͤrgt, und Gackeleia ward verurtheilt: nie, nie eine Puppe haben zu duͤrfen — ach und ich haͤtte dieſe ſo gern! ach nur ein bischen, ein bischen, bitte, bitte!“ Waͤhrend Gackeleia ſo wehklagte, machte der Alte ſei¬ nen Schirm bald halb auf, bald wieder zu, ſo daß alle die ſchoͤnen Kleidchen immer vor den Augen des Kindes herum¬ flatterten, und ſagte dann: „ein grauſames Urtheil, ein har¬ tes Wort, da muͤßte ſich ein Stein erbarmen, wider die

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/145>, abgerufen am 26.04.2024.