Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Herzliche Zueignung.
Schelle klingelnd, die Thore des verlornen Paradiesgärtchens er¬
öffnet, daß wir unschuldige Früchte vom Baume des Lebens pflück¬
ten. Nicht aus mir, sondern nur aus Achtung vor den ehrwürdigen
Leuten, die aus ihren Ursachen die Welt verkehrt nennen, habe ich den
Nürnberger Bilderbogen von der verkehrten Welt genauer studirt,
und, um eine höchst wichtige Lücke in ihm zu ergänzen, das feierliche
Amt eines Enkels übernommen, der seiner Großmutter ein Mähr¬
chen beschert. -- Vor Allem aber zürne mir nicht, wenn du das
Meiste in diesem Mährchen als das Deine wieder erkennest; ach Gro߬
mütterchen! wo sollte ich dann alle die artigen Verkleidungen und
sieben Sächelchen, die ganze Garderobe der Puppe -- nein der nur
allerschönsten Kunstfigur her haben, als aus dem reizenden Glas¬
schränkchen in deiner Stube, in dem alle die Alter- und Neuer¬
thümer der Orden des Ostereis, der Tändelei, der Kinderei und der
freudigen frommen Kinder aus Gelnhausen, Gockelsruh und Henne¬
gau und die heiligen Reichskleinodien des Ländchens Vadutz, wenn ich
mich nicht irre, aufbewahrt sind? -- woher sollte ich alle die kuriosen
Kräuter und Blumen, alle die Hahnen- und Hünerpflanzen und das
ganze Marienklostergärtchen denn haben, als aus deinen botanischen
Vorrathskammern und Trockenanstalten zur Bekränzung des mensch
lichen Lebens? -- ja du Kränzewinderin, Kronenbinderin, Sträußerkräus¬
lerin, aus deinen vielen getrockneten Blumensammlungen habe ich
gestohlen, und von dir habe ich gelernt, mit jener Anhänglichkeit, die
aus dem Herzen des Lebensbaumes quillt, diese Blumen dir zur Er¬
heiterung um ein Mährchen herum zu befestigen, wie du sie deinen
Freunden mit jenem Gummi, das aus der Rinde der arabischen
Acacia vera quillt, um artige Bilder und Reime in schöner Anord¬
nung auf Papier zu heften pflegst. Aus deiner großen Gallerie aus¬
geschnittener Bildchen habe ich den größten Theil der artigen Figür¬
chen, welche ich hier, gleich dir, in scherz und ernsthafter Combina¬
tion zu einem Bilderbuche zusammengeklebt habe, und zwar von dir
für dich. Ach! wenn ich so recht in der Arbeit war, sah ich oft nach
der Gegend von Gockelsruh hin und dachte, dort herum sitzt jetzt
vielleicht auch schon das Großmütterchen und klebt mir und den an¬
dern Kindern mit großer Geduld ein Bilderbuch zur Beschauung zu¬
sammen. -- Wenn du alles das Deine nicht gleich wieder erkennst,
so mußt du bedenken, daß große Leute nicht mit den Fingern auf
die kleinen Großmütter deuten dürfen, und daß ich erst am Schluße

Herzliche Zueignung.
Schelle klingelnd, die Thore des verlornen Paradiesgaͤrtchens er¬
oͤffnet, daß wir unſchuldige Fruͤchte vom Baume des Lebens pfluͤck¬
ten. Nicht aus mir, ſondern nur aus Achtung vor den ehrwuͤrdigen
Leuten, die aus ihren Urſachen die Welt verkehrt nennen, habe ich den
Nuͤrnberger Bilderbogen von der verkehrten Welt genauer ſtudirt,
und, um eine hoͤchſt wichtige Luͤcke in ihm zu ergaͤnzen, das feierliche
Amt eines Enkels uͤbernommen, der ſeiner Großmutter ein Maͤhr¬
chen beſchert. — Vor Allem aber zuͤrne mir nicht, wenn du das
Meiſte in dieſem Maͤhrchen als das Deine wieder erkenneſt; ach Gro߬
muͤtterchen! wo ſollte ich dann alle die artigen Verkleidungen und
ſieben Saͤchelchen, die ganze Garderobe der Puppe — nein der nur
allerſchoͤnſten Kunſtfigur her haben, als aus dem reizenden Glas¬
ſchraͤnkchen in deiner Stube, in dem alle die Alter- und Neuer¬
thuͤmer der Orden des Oſtereis, der Taͤndelei, der Kinderei und der
freudigen frommen Kinder aus Gelnhauſen, Gockelsruh und Henne¬
gau und die heiligen Reichskleinodien des Laͤndchens Vadutz, wenn ich
mich nicht irre, aufbewahrt ſind? — woher ſollte ich alle die kurioſen
Kraͤuter und Blumen, alle die Hahnen- und Huͤnerpflanzen und das
ganze Marienkloſtergaͤrtchen denn haben, als aus deinen botaniſchen
Vorrathskammern und Trockenanſtalten zur Bekraͤnzung des menſch
lichen Lebens? — ja du Kraͤnzewinderin, Kronenbinderin, Straͤußerkraͤus¬
lerin, aus deinen vielen getrockneten Blumenſammlungen habe ich
geſtohlen, und von dir habe ich gelernt, mit jener Anhaͤnglichkeit, die
aus dem Herzen des Lebensbaumes quillt, dieſe Blumen dir zur Er¬
heiterung um ein Maͤhrchen herum zu befeſtigen, wie du ſie deinen
Freunden mit jenem Gummi, das aus der Rinde der arabiſchen
Acacia vera quillt, um artige Bilder und Reime in ſchoͤner Anord¬
nung auf Papier zu heften pflegſt. Aus deiner großen Gallerie aus¬
geſchnittener Bildchen habe ich den groͤßten Theil der artigen Figuͤr¬
chen, welche ich hier, gleich dir, in ſcherz und ernſthafter Combina¬
tion zu einem Bilderbuche zuſammengeklebt habe, und zwar von dir
fuͤr dich. Ach! wenn ich ſo recht in der Arbeit war, ſah ich oft nach
der Gegend von Gockelsruh hin und dachte, dort herum ſitzt jetzt
vielleicht auch ſchon das Großmuͤtterchen und klebt mir und den an¬
dern Kindern mit großer Geduld ein Bilderbuch zur Beſchauung zu¬
ſammen. — Wenn du alles das Deine nicht gleich wieder erkennſt,
ſo mußt du bedenken, daß große Leute nicht mit den Fingern auf
die kleinen Großmuͤtter deuten duͤrfen, und daß ich erſt am Schluße

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="IV"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Herzliche Zueignung.</hi><lb/></fw> Schelle klingelnd, die Thore des verlornen Paradiesga&#x0364;rtchens er¬<lb/>
o&#x0364;ffnet, daß wir un&#x017F;chuldige Fru&#x0364;chte vom Baume des Lebens pflu&#x0364;ck¬<lb/>
ten. Nicht aus mir, &#x017F;ondern nur aus Achtung vor den ehrwu&#x0364;rdigen<lb/>
Leuten, die aus ihren Ur&#x017F;achen die Welt verkehrt nennen, habe ich den<lb/>
Nu&#x0364;rnberger Bilderbogen von der verkehrten Welt genauer &#x017F;tudirt,<lb/>
und, um eine ho&#x0364;ch&#x017F;t wichtige Lu&#x0364;cke in ihm zu erga&#x0364;nzen, das feierliche<lb/>
Amt eines Enkels u&#x0364;bernommen, der &#x017F;einer Großmutter ein Ma&#x0364;hr¬<lb/>
chen be&#x017F;chert. &#x2014; Vor Allem aber zu&#x0364;rne mir nicht, wenn du das<lb/>
Mei&#x017F;te in die&#x017F;em Ma&#x0364;hrchen als das Deine wieder erkenne&#x017F;t; ach Gro߬<lb/>
mu&#x0364;tterchen! wo &#x017F;ollte ich dann alle die artigen Verkleidungen und<lb/>
&#x017F;ieben Sa&#x0364;chelchen, die ganze Garderobe der Puppe &#x2014; nein der nur<lb/>
aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Kun&#x017F;tfigur her haben, als aus dem reizenden Glas¬<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkchen in deiner Stube, in dem alle die Alter- und Neuer¬<lb/>
thu&#x0364;mer der Orden des O&#x017F;tereis, der Ta&#x0364;ndelei, der Kinderei und der<lb/>
freudigen frommen Kinder aus Gelnhau&#x017F;en, Gockelsruh und Henne¬<lb/>
gau und die heiligen Reichskleinodien des La&#x0364;ndchens Vadutz, wenn ich<lb/>
mich nicht irre, aufbewahrt &#x017F;ind? &#x2014; woher &#x017F;ollte ich alle die kurio&#x017F;en<lb/>
Kra&#x0364;uter und Blumen, alle die Hahnen- und Hu&#x0364;nerpflanzen und das<lb/>
ganze Marienklo&#x017F;terga&#x0364;rtchen denn haben, als aus deinen botani&#x017F;chen<lb/>
Vorrathskammern und Trockenan&#x017F;talten zur Bekra&#x0364;nzung des men&#x017F;ch<lb/>
lichen Lebens? &#x2014; ja du Kra&#x0364;nzewinderin, Kronenbinderin, Stra&#x0364;ußerkra&#x0364;us¬<lb/>
lerin, aus deinen vielen getrockneten Blumen&#x017F;ammlungen habe ich<lb/>
ge&#x017F;tohlen, und von dir habe ich gelernt, mit jener Anha&#x0364;nglichkeit, die<lb/>
aus dem Herzen des Lebensbaumes quillt, die&#x017F;e Blumen dir zur Er¬<lb/>
heiterung um ein Ma&#x0364;hrchen herum zu befe&#x017F;tigen, wie du &#x017F;ie deinen<lb/>
Freunden mit jenem Gummi, das aus der Rinde der arabi&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#aq">Acacia vera</hi> quillt, um artige Bilder und Reime in &#x017F;cho&#x0364;ner Anord¬<lb/>
nung auf Papier zu heften pfleg&#x017F;t. Aus deiner großen Gallerie aus¬<lb/>
ge&#x017F;chnittener Bildchen habe ich den gro&#x0364;ßten Theil der artigen Figu&#x0364;<lb/>
chen, welche ich hier, gleich dir, in &#x017F;cherz und ern&#x017F;thafter Combina¬<lb/>
tion zu einem Bilderbuche zu&#x017F;ammengeklebt habe, und zwar von dir<lb/>
fu&#x0364;r dich. Ach! wenn ich &#x017F;o recht in der Arbeit war, &#x017F;ah ich oft nach<lb/>
der Gegend von Gockelsruh hin und dachte, dort herum &#x017F;itzt jetzt<lb/>
vielleicht auch &#x017F;chon das Großmu&#x0364;tterchen und klebt mir und den an¬<lb/>
dern Kindern mit großer Geduld ein Bilderbuch zur Be&#x017F;chauung zu¬<lb/>
&#x017F;ammen. &#x2014; Wenn du alles das Deine nicht gleich wieder erkenn&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o mußt du bedenken, daß große Leute nicht mit den Fingern auf<lb/>
die kleinen Großmu&#x0364;tter deuten du&#x0364;rfen, und daß ich er&#x017F;t am Schluße<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[IV/0012] Herzliche Zueignung. Schelle klingelnd, die Thore des verlornen Paradiesgaͤrtchens er¬ oͤffnet, daß wir unſchuldige Fruͤchte vom Baume des Lebens pfluͤck¬ ten. Nicht aus mir, ſondern nur aus Achtung vor den ehrwuͤrdigen Leuten, die aus ihren Urſachen die Welt verkehrt nennen, habe ich den Nuͤrnberger Bilderbogen von der verkehrten Welt genauer ſtudirt, und, um eine hoͤchſt wichtige Luͤcke in ihm zu ergaͤnzen, das feierliche Amt eines Enkels uͤbernommen, der ſeiner Großmutter ein Maͤhr¬ chen beſchert. — Vor Allem aber zuͤrne mir nicht, wenn du das Meiſte in dieſem Maͤhrchen als das Deine wieder erkenneſt; ach Gro߬ muͤtterchen! wo ſollte ich dann alle die artigen Verkleidungen und ſieben Saͤchelchen, die ganze Garderobe der Puppe — nein der nur allerſchoͤnſten Kunſtfigur her haben, als aus dem reizenden Glas¬ ſchraͤnkchen in deiner Stube, in dem alle die Alter- und Neuer¬ thuͤmer der Orden des Oſtereis, der Taͤndelei, der Kinderei und der freudigen frommen Kinder aus Gelnhauſen, Gockelsruh und Henne¬ gau und die heiligen Reichskleinodien des Laͤndchens Vadutz, wenn ich mich nicht irre, aufbewahrt ſind? — woher ſollte ich alle die kurioſen Kraͤuter und Blumen, alle die Hahnen- und Huͤnerpflanzen und das ganze Marienkloſtergaͤrtchen denn haben, als aus deinen botaniſchen Vorrathskammern und Trockenanſtalten zur Bekraͤnzung des menſch lichen Lebens? — ja du Kraͤnzewinderin, Kronenbinderin, Straͤußerkraͤus¬ lerin, aus deinen vielen getrockneten Blumenſammlungen habe ich geſtohlen, und von dir habe ich gelernt, mit jener Anhaͤnglichkeit, die aus dem Herzen des Lebensbaumes quillt, dieſe Blumen dir zur Er¬ heiterung um ein Maͤhrchen herum zu befeſtigen, wie du ſie deinen Freunden mit jenem Gummi, das aus der Rinde der arabiſchen Acacia vera quillt, um artige Bilder und Reime in ſchoͤner Anord¬ nung auf Papier zu heften pflegſt. Aus deiner großen Gallerie aus¬ geſchnittener Bildchen habe ich den groͤßten Theil der artigen Figuͤr¬ chen, welche ich hier, gleich dir, in ſcherz und ernſthafter Combina¬ tion zu einem Bilderbuche zuſammengeklebt habe, und zwar von dir fuͤr dich. Ach! wenn ich ſo recht in der Arbeit war, ſah ich oft nach der Gegend von Gockelsruh hin und dachte, dort herum ſitzt jetzt vielleicht auch ſchon das Großmuͤtterchen und klebt mir und den an¬ dern Kindern mit großer Geduld ein Bilderbuch zur Beſchauung zu¬ ſammen. — Wenn du alles das Deine nicht gleich wieder erkennſt, ſo mußt du bedenken, daß große Leute nicht mit den Fingern auf die kleinen Großmuͤtter deuten duͤrfen, und daß ich erſt am Schluße

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/12
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/12>, abgerufen am 03.12.2024.