Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der mit dem Schleier noch an der Erde lag, nahm den Schleier herunter, bedeckte Annerl damit und sprach: Dieser unglückliche Schleier, der ihr so gern Gnade gebracht hätte, soll ihr die Ehre wieder geben. Sie ist ehrlich und begnadigt gestorben, der Schleier soll mit ihr begraben werden. Den Degen gab er dem Offizier der Wache mit den Worten: Sie werden heute noch meine Befehle wegen der Bestattung des Uhlanen und dieses armen Mädchens bei der Parade empfangen. Nun las er auch die letzten Worte Kasper's laut mit vieler Rührung. Die alte Großmutter umarmte mit Freudenthränen seine Füße, als wäre sie das glücklichste Weib. Er sagte zu ihr: Gebe Sie sich zufrieden, Sie soll eine Pension haben bis an Ihr seliges Ende, ich will Ihrem Enkel und der Annerl einen Denkstein setzen lassen. Nun befahl er dem Prediger, mit der Alten und einem Sarge, in welchen die Gerichtete gelegt wurde, nach seiner Wohnung zu fahren und sie dann nach ihrer Heimath zu bringen und das Begräbniß zu besorgen. Da während dem seine Adjutanten mit Pferden gekommen waren, sagte er noch zu mir: Geben Sie meinen Adjutanten Ihren Namen an, ich werde Sie rufen lassen. Sie haben einen schönen menschlichen Eifer gezeigt. -- Der Adjutant schrieb meinen Namen in seine Schreibtafel und machte mir ein verbindliches Compliment. Dann sprengte der Herzog, von den Segenswünschen der Menge begleitet, in die Stadt. Die Leiche der mit dem Schleier noch an der Erde lag, nahm den Schleier herunter, bedeckte Annerl damit und sprach: Dieser unglückliche Schleier, der ihr so gern Gnade gebracht hätte, soll ihr die Ehre wieder geben. Sie ist ehrlich und begnadigt gestorben, der Schleier soll mit ihr begraben werden. Den Degen gab er dem Offizier der Wache mit den Worten: Sie werden heute noch meine Befehle wegen der Bestattung des Uhlanen und dieses armen Mädchens bei der Parade empfangen. Nun las er auch die letzten Worte Kasper's laut mit vieler Rührung. Die alte Großmutter umarmte mit Freudenthränen seine Füße, als wäre sie das glücklichste Weib. Er sagte zu ihr: Gebe Sie sich zufrieden, Sie soll eine Pension haben bis an Ihr seliges Ende, ich will Ihrem Enkel und der Annerl einen Denkstein setzen lassen. Nun befahl er dem Prediger, mit der Alten und einem Sarge, in welchen die Gerichtete gelegt wurde, nach seiner Wohnung zu fahren und sie dann nach ihrer Heimath zu bringen und das Begräbniß zu besorgen. Da während dem seine Adjutanten mit Pferden gekommen waren, sagte er noch zu mir: Geben Sie meinen Adjutanten Ihren Namen an, ich werde Sie rufen lassen. Sie haben einen schönen menschlichen Eifer gezeigt. — Der Adjutant schrieb meinen Namen in seine Schreibtafel und machte mir ein verbindliches Compliment. Dann sprengte der Herzog, von den Segenswünschen der Menge begleitet, in die Stadt. Die Leiche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0057"/> der mit dem Schleier noch an der Erde lag, nahm den Schleier herunter, bedeckte Annerl damit und sprach: Dieser unglückliche Schleier, der ihr so gern Gnade gebracht hätte, soll ihr die Ehre wieder geben. Sie ist ehrlich und begnadigt gestorben, der Schleier soll mit ihr begraben werden.</p><lb/> <p>Den Degen gab er dem Offizier der Wache mit den Worten: Sie werden heute noch meine Befehle wegen der Bestattung des Uhlanen und dieses armen Mädchens bei der Parade empfangen.</p><lb/> <p>Nun las er auch die letzten Worte Kasper's laut mit vieler Rührung. Die alte Großmutter umarmte mit Freudenthränen seine Füße, als wäre sie das glücklichste Weib. Er sagte zu ihr: Gebe Sie sich zufrieden, Sie soll eine Pension haben bis an Ihr seliges Ende, ich will Ihrem Enkel und der Annerl einen Denkstein setzen lassen. Nun befahl er dem Prediger, mit der Alten und einem Sarge, in welchen die Gerichtete gelegt wurde, nach seiner Wohnung zu fahren und sie dann nach ihrer Heimath zu bringen und das Begräbniß zu besorgen. Da während dem seine Adjutanten mit Pferden gekommen waren, sagte er noch zu mir: Geben Sie meinen Adjutanten Ihren Namen an, ich werde Sie rufen lassen. Sie haben einen schönen menschlichen Eifer gezeigt. — Der Adjutant schrieb meinen Namen in seine Schreibtafel und machte mir ein verbindliches Compliment. Dann sprengte der Herzog, von den Segenswünschen der Menge begleitet, in die Stadt. Die Leiche<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
der mit dem Schleier noch an der Erde lag, nahm den Schleier herunter, bedeckte Annerl damit und sprach: Dieser unglückliche Schleier, der ihr so gern Gnade gebracht hätte, soll ihr die Ehre wieder geben. Sie ist ehrlich und begnadigt gestorben, der Schleier soll mit ihr begraben werden.
Den Degen gab er dem Offizier der Wache mit den Worten: Sie werden heute noch meine Befehle wegen der Bestattung des Uhlanen und dieses armen Mädchens bei der Parade empfangen.
Nun las er auch die letzten Worte Kasper's laut mit vieler Rührung. Die alte Großmutter umarmte mit Freudenthränen seine Füße, als wäre sie das glücklichste Weib. Er sagte zu ihr: Gebe Sie sich zufrieden, Sie soll eine Pension haben bis an Ihr seliges Ende, ich will Ihrem Enkel und der Annerl einen Denkstein setzen lassen. Nun befahl er dem Prediger, mit der Alten und einem Sarge, in welchen die Gerichtete gelegt wurde, nach seiner Wohnung zu fahren und sie dann nach ihrer Heimath zu bringen und das Begräbniß zu besorgen. Da während dem seine Adjutanten mit Pferden gekommen waren, sagte er noch zu mir: Geben Sie meinen Adjutanten Ihren Namen an, ich werde Sie rufen lassen. Sie haben einen schönen menschlichen Eifer gezeigt. — Der Adjutant schrieb meinen Namen in seine Schreibtafel und machte mir ein verbindliches Compliment. Dann sprengte der Herzog, von den Segenswünschen der Menge begleitet, in die Stadt. Die Leiche
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/57>, abgerufen am 06.07.2024. |