Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Ach das war wohl der schrecklichste Weg in meinem Leben!

Da ward die Alte wieder still, und ich sagte zu ihr: Liebe Mutter, Euer Leid ist entsetzlich, aber Gott hat Euch auch recht lieb; die er am härtesten schlägt, sind seine liebsten Kinder. Sagt mir nun, liebe Mutter, was Euch bewogen hat, den weiten Weg hierher zu gehen, und um was Ihr die Bittschrift einreichen wollt?

Ei, das kann Er sich doch wohl denken, fuhr sie ganz ruhig fort, um ein ehrliches Grab für Kasper und die schöne Annerl, der ich das Kränzlein zu ihrem Ehrentage mitbringe. Es ist ganz mit Kasper's Blut unterlaufen, seh' Er einmal!

Da zog sie einen kleinen Kranz von Flittergold aus ihrem Bündel und zeigte ihn mir. Ich konnte bei dem anbrechenden Tage sehen, daß er vom Pulver geschwärzt und mit Blut besprengt war. Ich war ganz zerrissen von dem Unglücke der guten Alten, und die Größe und Festigkeit, womit sie es trug, erfüllte mich mit Verehrung. Ach, liebe Mutter, sagte ich, wie werdet Ihr der armen Annerl aber ihr Elend beibringen, daß sie nicht gleich vor Schrecken todt niedersinkt, und was ist denn das für ein Ehrentag, zu welchem Ihr dem Annerl den traurigen Kranz bringt?

Lieber Mensch, sprach sie, komme Er nur mit, Er kann mich zu ihr begleiten, ich kann doch nicht geschwind fort, so werden wir sie gerade noch zu rechter Zeit finden. Ich will Ihm unterwegs noch Alles erzählen.

Ach das war wohl der schrecklichste Weg in meinem Leben!

Da ward die Alte wieder still, und ich sagte zu ihr: Liebe Mutter, Euer Leid ist entsetzlich, aber Gott hat Euch auch recht lieb; die er am härtesten schlägt, sind seine liebsten Kinder. Sagt mir nun, liebe Mutter, was Euch bewogen hat, den weiten Weg hierher zu gehen, und um was Ihr die Bittschrift einreichen wollt?

Ei, das kann Er sich doch wohl denken, fuhr sie ganz ruhig fort, um ein ehrliches Grab für Kasper und die schöne Annerl, der ich das Kränzlein zu ihrem Ehrentage mitbringe. Es ist ganz mit Kasper's Blut unterlaufen, seh' Er einmal!

Da zog sie einen kleinen Kranz von Flittergold aus ihrem Bündel und zeigte ihn mir. Ich konnte bei dem anbrechenden Tage sehen, daß er vom Pulver geschwärzt und mit Blut besprengt war. Ich war ganz zerrissen von dem Unglücke der guten Alten, und die Größe und Festigkeit, womit sie es trug, erfüllte mich mit Verehrung. Ach, liebe Mutter, sagte ich, wie werdet Ihr der armen Annerl aber ihr Elend beibringen, daß sie nicht gleich vor Schrecken todt niedersinkt, und was ist denn das für ein Ehrentag, zu welchem Ihr dem Annerl den traurigen Kranz bringt?

Lieber Mensch, sprach sie, komme Er nur mit, Er kann mich zu ihr begleiten, ich kann doch nicht geschwind fort, so werden wir sie gerade noch zu rechter Zeit finden. Ich will Ihm unterwegs noch Alles erzählen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036"/>
Ach das war wohl der schrecklichste Weg in meinem                Leben!</p><lb/>
        <p>Da ward die Alte wieder still, und ich sagte zu ihr: Liebe Mutter, Euer Leid ist                entsetzlich, aber Gott hat Euch auch recht lieb; die er am härtesten schlägt, sind                seine liebsten Kinder. Sagt mir nun, liebe Mutter, was Euch bewogen hat, den weiten                Weg hierher zu gehen, und um was Ihr die Bittschrift einreichen wollt?</p><lb/>
        <p>Ei, das kann Er sich doch wohl denken, fuhr sie ganz ruhig fort, um ein ehrliches                Grab für Kasper und die schöne Annerl, der ich das Kränzlein zu ihrem Ehrentage                mitbringe. Es ist ganz mit Kasper's Blut unterlaufen, seh' Er einmal!</p><lb/>
        <p>Da zog sie einen kleinen Kranz von Flittergold aus ihrem Bündel und zeigte ihn mir.                Ich konnte bei dem anbrechenden Tage sehen, daß er vom Pulver geschwärzt und mit Blut                besprengt war. Ich war ganz zerrissen von dem Unglücke der guten Alten, und die Größe                und Festigkeit, womit sie es trug, erfüllte mich mit Verehrung. Ach, liebe Mutter,                sagte ich, wie werdet Ihr der armen Annerl aber ihr Elend beibringen, daß sie nicht                gleich vor Schrecken todt niedersinkt, und was ist denn das für ein Ehrentag, zu                welchem Ihr dem Annerl den traurigen Kranz bringt?</p><lb/>
        <p>Lieber Mensch, sprach sie, komme Er nur mit, Er kann mich zu ihr begleiten, ich kann                doch nicht geschwind fort, so werden wir sie gerade noch zu rechter Zeit finden. Ich                will Ihm unterwegs noch Alles erzählen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] Ach das war wohl der schrecklichste Weg in meinem Leben! Da ward die Alte wieder still, und ich sagte zu ihr: Liebe Mutter, Euer Leid ist entsetzlich, aber Gott hat Euch auch recht lieb; die er am härtesten schlägt, sind seine liebsten Kinder. Sagt mir nun, liebe Mutter, was Euch bewogen hat, den weiten Weg hierher zu gehen, und um was Ihr die Bittschrift einreichen wollt? Ei, das kann Er sich doch wohl denken, fuhr sie ganz ruhig fort, um ein ehrliches Grab für Kasper und die schöne Annerl, der ich das Kränzlein zu ihrem Ehrentage mitbringe. Es ist ganz mit Kasper's Blut unterlaufen, seh' Er einmal! Da zog sie einen kleinen Kranz von Flittergold aus ihrem Bündel und zeigte ihn mir. Ich konnte bei dem anbrechenden Tage sehen, daß er vom Pulver geschwärzt und mit Blut besprengt war. Ich war ganz zerrissen von dem Unglücke der guten Alten, und die Größe und Festigkeit, womit sie es trug, erfüllte mich mit Verehrung. Ach, liebe Mutter, sagte ich, wie werdet Ihr der armen Annerl aber ihr Elend beibringen, daß sie nicht gleich vor Schrecken todt niedersinkt, und was ist denn das für ein Ehrentag, zu welchem Ihr dem Annerl den traurigen Kranz bringt? Lieber Mensch, sprach sie, komme Er nur mit, Er kann mich zu ihr begleiten, ich kann doch nicht geschwind fort, so werden wir sie gerade noch zu rechter Zeit finden. Ich will Ihm unterwegs noch Alles erzählen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/36
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/36>, abgerufen am 29.03.2024.