Felsenschlucht, in die nie oder äußerst selten ein Sonnen- strahl hineinfällt. Wird euer Auge vielleicht erfreut durch den Anblick schöner Blumen oder euer Ohr er- götzt durch lieblichen Gesang munterer Vögel, die sich hier mit Vorliebe aufhalten? Nein; ihr schauet dort keine Blume, kein üppiges Grün, keine schön gefiederten Sänger; nur Kälte, nur Finsterniß, nur Tod starrt euch entgegen. Aehnlich ist es mit dem Menschenherzen, das sich dem Lichte der Gnade Gottes verschließt. Mag sein Schlag auch noch so kräftig und gesund sein, im Innern findet sich doch kein Leben, das Gott erfreut und Bedeutung hat für den Himmel. Wenn nun der Mann in der Woche fast nur an das Irdische denkt, nur für den Staub, nur für die Arbeiten seines Ge- schäftes lebt und dann auch nicht einmal am Sonntag sein Herz für Gott und für den Himmel erschließt, wie kann dann die Gnade von Oben in dieses Herz ein- dringen, wie es mit ihrem göttlichen Lichte und ihrer himmlischen Wärme beleben? Und so muß denn die Religion, die ja vor Allem innere Lebensverbindung mit Gott ist, in dem Herzen eines Mannes, der oft den Sonntag entheiligt, immer mehr verkümmern; ein solcher Mann wird ohne Gott, ohne seine Liebe, ohne seine Gnade dahinleben, und groß ist die Gefahr, daß er auch ohne Gott dahinstirbt.
Doch man sagt: Man kann ja aber auch an den Wochentagen an Gott denken, ihn lieben und zu ihm beten; man kann also Religion haben, ohne gerade den Sonntag sich dazu zu nehmen. Nur Eines will ich
Felsenschlucht, in die nie oder äußerst selten ein Sonnen- strahl hineinfällt. Wird euer Auge vielleicht erfreut durch den Anblick schöner Blumen oder euer Ohr er- götzt durch lieblichen Gesang munterer Vögel, die sich hier mit Vorliebe aufhalten? Nein; ihr schauet dort keine Blume, kein üppiges Grün, keine schön gefiederten Sänger; nur Kälte, nur Finsterniß, nur Tod starrt euch entgegen. Aehnlich ist es mit dem Menschenherzen, das sich dem Lichte der Gnade Gottes verschließt. Mag sein Schlag auch noch so kräftig und gesund sein, im Innern findet sich doch kein Leben, das Gott erfreut und Bedeutung hat für den Himmel. Wenn nun der Mann in der Woche fast nur an das Irdische denkt, nur für den Staub, nur für die Arbeiten seines Ge- schäftes lebt und dann auch nicht einmal am Sonntag sein Herz für Gott und für den Himmel erschließt, wie kann dann die Gnade von Oben in dieses Herz ein- dringen, wie es mit ihrem göttlichen Lichte und ihrer himmlischen Wärme beleben? Und so muß denn die Religion, die ja vor Allem innere Lebensverbindung mit Gott ist, in dem Herzen eines Mannes, der oft den Sonntag entheiligt, immer mehr verkümmern; ein solcher Mann wird ohne Gott, ohne seine Liebe, ohne seine Gnade dahinleben, und groß ist die Gefahr, daß er auch ohne Gott dahinstirbt.
Doch man sagt: Man kann ja aber auch an den Wochentagen an Gott denken, ihn lieben und zu ihm beten; man kann also Religion haben, ohne gerade den Sonntag sich dazu zu nehmen. Nur Eines will ich
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Felsenschlucht, in die nie oder äußerst selten ein Sonnen-
strahl hineinfällt. Wird euer Auge vielleicht erfreut
durch den Anblick schöner Blumen oder euer Ohr er-
götzt durch lieblichen Gesang munterer Vögel, die sich
hier mit Vorliebe aufhalten? Nein; ihr schauet dort
keine Blume, kein üppiges Grün, keine schön gefiederten
Sänger; nur Kälte, nur Finsterniß, nur Tod starrt
euch entgegen. Aehnlich ist es mit dem Menschenherzen,
das sich dem Lichte der Gnade Gottes verschließt. Mag
sein Schlag auch noch so kräftig und gesund sein, im
Innern findet sich doch kein Leben, das Gott erfreut
und Bedeutung hat für den Himmel. Wenn nun der
Mann in der Woche fast nur an das Irdische denkt,
nur für den Staub, nur für die Arbeiten seines Ge-
schäftes lebt und dann auch nicht einmal am Sonntag
sein Herz für Gott und für den Himmel erschließt, wie
kann dann die Gnade von Oben in dieses Herz ein-
dringen, wie es mit ihrem göttlichen Lichte und ihrer
himmlischen Wärme beleben? Und so muß denn die
Religion, die ja vor Allem innere Lebensverbindung
mit Gott ist, in dem Herzen eines Mannes, der oft
den Sonntag entheiligt, immer mehr verkümmern; ein
solcher Mann wird ohne Gott, ohne seine Liebe, ohne
seine Gnade dahinleben, und groß ist die Gefahr, daß
er auch ohne Gott dahinstirbt.
Doch man sagt: Man kann ja aber auch an den
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beten; man kann also Religion haben, ohne gerade den
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/142>, abgerufen am 16.02.2025.
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