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Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909.

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parlamentarisches Regierungssystem und wirkliche Rechtsgleichheit zu
erkämpfen. Die Arbeit aller derer, die tagaus tagein ihre Kraft für
dieses Ziel einsetzen, scheitert an dem Phlegma und der Jndolenz der
Bürger, die zwar die Faust in der Tasche ballen, und vielleicht auch
schelten, wenn die ins maßlose wachsenden Militär- und Marine-
forderungen und eine ungesunde Finanz- und Wirtschaftspolitik hohe
Zölle auferlegen, drückende Steuern und Konsumabgaben nötig machen,
die aber, wenn der Wahltag herankommt, alles wieder vergessen haben
und auch nicht mehr daran erinnert sein wollen. Dann wird eben
doch wieder konservativ-reaktionär gewählt, oder sie bleiben überhaupt
zu Hause, und jeder einzelne tröstet sich damit, daß seine Stimme
ja doch nicht den Ausschlag geben würde.

Damit kommen wir aber nicht weiter. Der leise Protest hilft
nichts in dem Kampf gegen die Reaktion. Nur in heißem, zähem Ringen
kann sie überwunden werden, und wir hoffen, daß die "Finanzreform"
auch dem Schläfrigsten die Augen öffnet. Die wachsenden Abgaben
auf Verbrauchsartikel, an denen man wohl etwas sparen, die man
aber nicht ganz entbehren kann, werden dem Volke empfindlich fühl-
bar; sie werden - hoffen wir - mehr bewirken als alles predigen
und reden. Vor allem werden sie auch den Frauen zeigen, daß sie
unter allen Maßnahmen, die in den Parlamenten getroffen werden,
mit zu leiden haben. Daß es nicht wahr ist, was alle die sagen, die
von Frauenstimmrecht nichts hören wollen, "wir Männer sorgen besser
für euch Frauen, als ihr es selbst könntet". Die Frauen müssen sich
selbst bewußt werden, wieviel sie vermögen, wenn sie ihre Kräfte an-
wenden, wenn sie ihr Wahlrecht ausüben können. Was hilft den
Hausfrauen alles sparsame Einteilen des Budgets, wenn Nahrungs-
mittel und Bedarfsartikel durch Steuern und Zölle immer teurer
werden. Der Verbrauch muß eben eingeschränkt werden, es wird an
Fleisch, Brot, Butter gespart, darunter leidet die ganze Familie,
und für die Mutter, die Hausfrau, die selbst die täglichen Portionen
kleiner einteilen muß, obwohl sie weiß, daß sie für die Ernährung
nicht ausreichen, ist es am schlimmsten. Dabei kann sie nicht einmal
erwarten, daß das Gehalt des Mannes erhöht wird in dieser Zeit der
wirtschaftlichen Krisis. Daß der Arbeiterhaushalt am schwersten be-
troffen wird ist ohne weiteres einleuchtend, aber die Arbeiterfrauen
sind sich noch am ersten ihrer Rechtlosigkeit bewußt und der Pflicht,
sich gegen die aufzubäumen, die sie in ihrer Rechtlosigkeit halten wollen.

Diese Schrift gilt vor allen den sog. bürgerlichen Frauen, den
Frauen der kleinen Kaufleute und Handwerker, den Frauen der Be-
amten und den erwerbstätigen Frauen, die im kaufmännischen Beruf,

parlamentarisches Regierungssystem und wirkliche Rechtsgleichheit zu
erkämpfen. Die Arbeit aller derer, die tagaus tagein ihre Kraft für
dieses Ziel einsetzen, scheitert an dem Phlegma und der Jndolenz der
Bürger, die zwar die Faust in der Tasche ballen, und vielleicht auch
schelten, wenn die ins maßlose wachsenden Militär- und Marine-
forderungen und eine ungesunde Finanz- und Wirtschaftspolitik hohe
Zölle auferlegen, drückende Steuern und Konsumabgaben nötig machen,
die aber, wenn der Wahltag herankommt, alles wieder vergessen haben
und auch nicht mehr daran erinnert sein wollen. Dann wird eben
doch wieder konservativ-reaktionär gewählt, oder sie bleiben überhaupt
zu Hause, und jeder einzelne tröstet sich damit, daß seine Stimme
ja doch nicht den Ausschlag geben würde.

Damit kommen wir aber nicht weiter. Der leise Protest hilft
nichts in dem Kampf gegen die Reaktion. Nur in heißem, zähem Ringen
kann sie überwunden werden, und wir hoffen, daß die „Finanzreform“
auch dem Schläfrigsten die Augen öffnet. Die wachsenden Abgaben
auf Verbrauchsartikel, an denen man wohl etwas sparen, die man
aber nicht ganz entbehren kann, werden dem Volke empfindlich fühl-
bar; sie werden – hoffen wir – mehr bewirken als alles predigen
und reden. Vor allem werden sie auch den Frauen zeigen, daß sie
unter allen Maßnahmen, die in den Parlamenten getroffen werden,
mit zu leiden haben. Daß es nicht wahr ist, was alle die sagen, die
von Frauenstimmrecht nichts hören wollen, „wir Männer sorgen besser
für euch Frauen, als ihr es selbst könntet“. Die Frauen müssen sich
selbst bewußt werden, wieviel sie vermögen, wenn sie ihre Kräfte an-
wenden, wenn sie ihr Wahlrecht ausüben können. Was hilft den
Hausfrauen alles sparsame Einteilen des Budgets, wenn Nahrungs-
mittel und Bedarfsartikel durch Steuern und Zölle immer teurer
werden. Der Verbrauch muß eben eingeschränkt werden, es wird an
Fleisch, Brot, Butter gespart, darunter leidet die ganze Familie,
und für die Mutter, die Hausfrau, die selbst die täglichen Portionen
kleiner einteilen muß, obwohl sie weiß, daß sie für die Ernährung
nicht ausreichen, ist es am schlimmsten. Dabei kann sie nicht einmal
erwarten, daß das Gehalt des Mannes erhöht wird in dieser Zeit der
wirtschaftlichen Krisis. Daß der Arbeiterhaushalt am schwersten be-
troffen wird ist ohne weiteres einleuchtend, aber die Arbeiterfrauen
sind sich noch am ersten ihrer Rechtlosigkeit bewußt und der Pflicht,
sich gegen die aufzubäumen, die sie in ihrer Rechtlosigkeit halten wollen.

Diese Schrift gilt vor allen den sog. bürgerlichen Frauen, den
Frauen der kleinen Kaufleute und Handwerker, den Frauen der Be-
amten und den erwerbstätigen Frauen, die im kaufmännischen Beruf,

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[12/0014] parlamentarisches Regierungssystem und wirkliche Rechtsgleichheit zu erkämpfen. Die Arbeit aller derer, die tagaus tagein ihre Kraft für dieses Ziel einsetzen, scheitert an dem Phlegma und der Jndolenz der Bürger, die zwar die Faust in der Tasche ballen, und vielleicht auch schelten, wenn die ins maßlose wachsenden Militär- und Marine- forderungen und eine ungesunde Finanz- und Wirtschaftspolitik hohe Zölle auferlegen, drückende Steuern und Konsumabgaben nötig machen, die aber, wenn der Wahltag herankommt, alles wieder vergessen haben und auch nicht mehr daran erinnert sein wollen. Dann wird eben doch wieder konservativ-reaktionär gewählt, oder sie bleiben überhaupt zu Hause, und jeder einzelne tröstet sich damit, daß seine Stimme ja doch nicht den Ausschlag geben würde. Damit kommen wir aber nicht weiter. Der leise Protest hilft nichts in dem Kampf gegen die Reaktion. Nur in heißem, zähem Ringen kann sie überwunden werden, und wir hoffen, daß die „Finanzreform“ auch dem Schläfrigsten die Augen öffnet. Die wachsenden Abgaben auf Verbrauchsartikel, an denen man wohl etwas sparen, die man aber nicht ganz entbehren kann, werden dem Volke empfindlich fühl- bar; sie werden – hoffen wir – mehr bewirken als alles predigen und reden. Vor allem werden sie auch den Frauen zeigen, daß sie unter allen Maßnahmen, die in den Parlamenten getroffen werden, mit zu leiden haben. Daß es nicht wahr ist, was alle die sagen, die von Frauenstimmrecht nichts hören wollen, „wir Männer sorgen besser für euch Frauen, als ihr es selbst könntet“. Die Frauen müssen sich selbst bewußt werden, wieviel sie vermögen, wenn sie ihre Kräfte an- wenden, wenn sie ihr Wahlrecht ausüben können. Was hilft den Hausfrauen alles sparsame Einteilen des Budgets, wenn Nahrungs- mittel und Bedarfsartikel durch Steuern und Zölle immer teurer werden. Der Verbrauch muß eben eingeschränkt werden, es wird an Fleisch, Brot, Butter gespart, darunter leidet die ganze Familie, und für die Mutter, die Hausfrau, die selbst die täglichen Portionen kleiner einteilen muß, obwohl sie weiß, daß sie für die Ernährung nicht ausreichen, ist es am schlimmsten. Dabei kann sie nicht einmal erwarten, daß das Gehalt des Mannes erhöht wird in dieser Zeit der wirtschaftlichen Krisis. Daß der Arbeiterhaushalt am schwersten be- troffen wird ist ohne weiteres einleuchtend, aber die Arbeiterfrauen sind sich noch am ersten ihrer Rechtlosigkeit bewußt und der Pflicht, sich gegen die aufzubäumen, die sie in ihrer Rechtlosigkeit halten wollen. Diese Schrift gilt vor allen den sog. bürgerlichen Frauen, den Frauen der kleinen Kaufleute und Handwerker, den Frauen der Be- amten und den erwerbstätigen Frauen, die im kaufmännischen Beruf,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T09:11:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T09:11:18Z)

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Zitationshilfe: Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909/14>, abgerufen am 24.11.2024.