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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Muscheln. Monomyarier.
Ostseeküste bis Petersburg versandt und verzehrt werden und deren Heimath man gewöhnlich an
die holsteinische Ostseeküste verlegt. Jn der ganzen Ostsee lebt jetzt -- früher war es anders, wie
wir sehen werden -- keine Auster. Die sogenannten Flensburger Austern stammen alle von der
Westküste, der Strecke von Husum bis Tondern gegenüber zwischen den Jnseln Sylt, Föhr u. s. w.,
wo tiefe Wasserrinnen den flachen Meeresboden durchziehen. Während der Ebbe werden meilen-
weite Strecken des Bodens bloßgelegt, während der Fluth ragen nur jene Jnseln hervor. Man
nennt dieses Gebiet die Watten. Von der Beschaffenheit des Bodens kann sich auch derjenige eine
Vorstellung machen, der nicht selbst diese Watten, sondern nur von Bremen aus die westliche
Küstenstrecke mit den Jnseln Wangerooge bis Norderney besucht hat. Der Boden ist stellenweise
tief sandig, stellenweise aber besteht er aus einem feinen klebrigen Schlick, der von dem gehenden
und kommenden Wasser mit vielen unregelmäßigen Furchen und natürlichen Gräbern durchrissen
wird, welche man durch Menschenhände hat leicht verbreitern und vertiefen und zu wirklichen
Kanälen hat umgestalten können. Es ist klar, daß wenn an den Wänden und auf dem Boden
dieser Einrisse die Austern einmal Posto gefaßt und sich auch mit einander verkittet haben, diese
"Bänke" eine nicht geringe Haltbarkeit haben müssen, zumal der Anprall der Wogen durch die
davor liegenden Jnseln gebrochen wird. Der ewige regelmäßige Ab- und Zufluß des Wassers
führt ebenso ununterbrochen den Austern ihre Nahrung zu.

Von hohem Jnteresse ist die erst vor kurzem geschehene natürliche Ansiedlung der Auster im
Liimfjord. Jn einer der wichtigsten Untersuchungen über die Lebensbedingungen dieses Thieres,
die wir dem Altmeister der deutschen Naturwissenschaft, E. von Bär, verdanken, heißt es
darüber: "Der Liimfjord ist bekanntlich das lang gewundene, in seiner westlichen Hälfte vielfach
getheilte und in Buchten auslaufende Gewässer, das den nördlichen Theil von Jütland in seiner
ganzen Breite durchzieht, und im Westen nur durch einen schmalen Uferwall von der Nordsee
getrennt ist oder vielmehr getrennt war. Jm Jahre 1825 wurde nämlich der erwähnte Uferwall
durchbrochen und dieser Durchbruch hat sich erhalten. Er ist auf den neueren Karten unter dem
Namen des Agger-Kanals sichtbar. Schon früher, z. B. in den Jahren 1720 und 1760 hatten
sich Durchbrüche gebildet, aber bald wieder geschlossen. Vor dem neuen und bleibenden Durchbruch
hat das Wasser im Liimfford, wenigstens im westlichen Abschnitte desselben für süßes Wasser
gegolten; über den östlichsten Theil sagt der Etatsrath Eschricht (-- der berühmte Kopenhagner
Physiolog, welcher das Projekt, im Liimfjord Austerbänke anzulegen, zu prüfen hatte --) nichts,
doch läßt sich vermuthen, daß bei der offenen Verbindung mit dem Kattegat hier schon früher
brakisches Wasser war. Durch die neue Kommunikation mit der Nordsee und den Wechsel von
Fluth und Ebbe in derselben, die zweimal täglich Seewasser eintreiben und eben so oft das im
Fjord diluirte Seewasser wieder abfließen läßt, ist der Liimfjord jetzt ein Salzwasserbecken geworden.
Es sind Seefische und Austern eingewandert. Austern hat man zuerst im Jahre 1851 bemerkt,
und zwar im Saling Sund, im westlichen Dritttheil des Liimfjord in großer Menge und schon
völlig ausgewachsen. Jhre Einwanderung als schwimmende Brut muß also schon viel früher
erfolgt sein. Professor Eschricht vermuthet, daß sie zuerst im westlichen Abschnitte, Nissum-
Bredning, sich angesiedelt hatten, und daß von diesem aus, nachdem sie ausgewachsen waren,
neue Brut sich weiter verbreitet hat. Jetzt finden sie sich in vielen Seitenbuchten und Kanälen
der westlichen Hälfte fast überall, wo der Boden für das Gedeihen der Auster passend ist. Auch
im östlichen Abschnitte des Liimfjord, bei Aalborg, hat man Austern bemerkt, jedoch nur ganz
junge. Man sieht also ganz deutlich, daß sie allmälig sich mehr nach Osten verbreiten. Jn der
westlichen Hälfte des Liimfjord sind sie schon in solcher Menge, daß sie zu Hunderttausenden
gefangen werden. Wann sie zuerst einwanderten, läßt sich jetzt nicht bestimmt angeben, da man
sie längere Zeit nicht bemerkt hatte. Jndessen, da die im Salinger-Sund bemerlten wenigstens
fünf Jahre alt waren, und diese nicht die ersten Einwanderer sein konnten, sondern wenigstens
die zweite, vielleicht die dritte Generation der Eingewanderten waren, so sieht man, daß bald

Muſcheln. Monomyarier.
Oſtſeeküſte bis Petersburg verſandt und verzehrt werden und deren Heimath man gewöhnlich an
die holſteiniſche Oſtſeeküſte verlegt. Jn der ganzen Oſtſee lebt jetzt — früher war es anders, wie
wir ſehen werden — keine Auſter. Die ſogenannten Flensburger Auſtern ſtammen alle von der
Weſtküſte, der Strecke von Huſum bis Tondern gegenüber zwiſchen den Jnſeln Sylt, Föhr u. ſ. w.,
wo tiefe Waſſerrinnen den flachen Meeresboden durchziehen. Während der Ebbe werden meilen-
weite Strecken des Bodens bloßgelegt, während der Fluth ragen nur jene Jnſeln hervor. Man
nennt dieſes Gebiet die Watten. Von der Beſchaffenheit des Bodens kann ſich auch derjenige eine
Vorſtellung machen, der nicht ſelbſt dieſe Watten, ſondern nur von Bremen aus die weſtliche
Küſtenſtrecke mit den Jnſeln Wangerooge bis Norderney beſucht hat. Der Boden iſt ſtellenweiſe
tief ſandig, ſtellenweiſe aber beſteht er aus einem feinen klebrigen Schlick, der von dem gehenden
und kommenden Waſſer mit vielen unregelmäßigen Furchen und natürlichen Gräbern durchriſſen
wird, welche man durch Menſchenhände hat leicht verbreitern und vertiefen und zu wirklichen
Kanälen hat umgeſtalten können. Es iſt klar, daß wenn an den Wänden und auf dem Boden
dieſer Einriſſe die Auſtern einmal Poſto gefaßt und ſich auch mit einander verkittet haben, dieſe
„Bänke“ eine nicht geringe Haltbarkeit haben müſſen, zumal der Anprall der Wogen durch die
davor liegenden Jnſeln gebrochen wird. Der ewige regelmäßige Ab- und Zufluß des Waſſers
führt ebenſo ununterbrochen den Auſtern ihre Nahrung zu.

Von hohem Jntereſſe iſt die erſt vor kurzem geſchehene natürliche Anſiedlung der Auſter im
Liimfjord. Jn einer der wichtigſten Unterſuchungen über die Lebensbedingungen dieſes Thieres,
die wir dem Altmeiſter der deutſchen Naturwiſſenſchaft, E. von Bär, verdanken, heißt es
darüber: „Der Liimfjord iſt bekanntlich das lang gewundene, in ſeiner weſtlichen Hälfte vielfach
getheilte und in Buchten auslaufende Gewäſſer, das den nördlichen Theil von Jütland in ſeiner
ganzen Breite durchzieht, und im Weſten nur durch einen ſchmalen Uferwall von der Nordſee
getrennt iſt oder vielmehr getrennt war. Jm Jahre 1825 wurde nämlich der erwähnte Uferwall
durchbrochen und dieſer Durchbruch hat ſich erhalten. Er iſt auf den neueren Karten unter dem
Namen des Agger-Kanals ſichtbar. Schon früher, z. B. in den Jahren 1720 und 1760 hatten
ſich Durchbrüche gebildet, aber bald wieder geſchloſſen. Vor dem neuen und bleibenden Durchbruch
hat das Waſſer im Liimfford, wenigſtens im weſtlichen Abſchnitte deſſelben für ſüßes Waſſer
gegolten; über den öſtlichſten Theil ſagt der Etatsrath Eſchricht (— der berühmte Kopenhagner
Phyſiolog, welcher das Projekt, im Liimfjord Auſterbänke anzulegen, zu prüfen hatte —) nichts,
doch läßt ſich vermuthen, daß bei der offenen Verbindung mit dem Kattegat hier ſchon früher
brakiſches Waſſer war. Durch die neue Kommunikation mit der Nordſee und den Wechſel von
Fluth und Ebbe in derſelben, die zweimal täglich Seewaſſer eintreiben und eben ſo oft das im
Fjord diluirte Seewaſſer wieder abfließen läßt, iſt der Liimfjord jetzt ein Salzwaſſerbecken geworden.
Es ſind Seefiſche und Auſtern eingewandert. Auſtern hat man zuerſt im Jahre 1851 bemerkt,
und zwar im Saling Sund, im weſtlichen Dritttheil des Liimfjord in großer Menge und ſchon
völlig ausgewachſen. Jhre Einwanderung als ſchwimmende Brut muß alſo ſchon viel früher
erfolgt ſein. Profeſſor Eſchricht vermuthet, daß ſie zuerſt im weſtlichen Abſchnitte, Niſſum-
Bredning, ſich angeſiedelt hatten, und daß von dieſem aus, nachdem ſie ausgewachſen waren,
neue Brut ſich weiter verbreitet hat. Jetzt finden ſie ſich in vielen Seitenbuchten und Kanälen
der weſtlichen Hälfte faſt überall, wo der Boden für das Gedeihen der Auſter paſſend iſt. Auch
im öſtlichen Abſchnitte des Liimfjord, bei Aalborg, hat man Auſtern bemerkt, jedoch nur ganz
junge. Man ſieht alſo ganz deutlich, daß ſie allmälig ſich mehr nach Oſten verbreiten. Jn der
weſtlichen Hälfte des Liimfjord ſind ſie ſchon in ſolcher Menge, daß ſie zu Hunderttauſenden
gefangen werden. Wann ſie zuerſt einwanderten, läßt ſich jetzt nicht beſtimmt angeben, da man
ſie längere Zeit nicht bemerkt hatte. Jndeſſen, da die im Salinger-Sund bemerlten wenigſtens
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[950/0998] Muſcheln. Monomyarier. Oſtſeeküſte bis Petersburg verſandt und verzehrt werden und deren Heimath man gewöhnlich an die holſteiniſche Oſtſeeküſte verlegt. Jn der ganzen Oſtſee lebt jetzt — früher war es anders, wie wir ſehen werden — keine Auſter. Die ſogenannten Flensburger Auſtern ſtammen alle von der Weſtküſte, der Strecke von Huſum bis Tondern gegenüber zwiſchen den Jnſeln Sylt, Föhr u. ſ. w., wo tiefe Waſſerrinnen den flachen Meeresboden durchziehen. Während der Ebbe werden meilen- weite Strecken des Bodens bloßgelegt, während der Fluth ragen nur jene Jnſeln hervor. Man nennt dieſes Gebiet die Watten. Von der Beſchaffenheit des Bodens kann ſich auch derjenige eine Vorſtellung machen, der nicht ſelbſt dieſe Watten, ſondern nur von Bremen aus die weſtliche Küſtenſtrecke mit den Jnſeln Wangerooge bis Norderney beſucht hat. Der Boden iſt ſtellenweiſe tief ſandig, ſtellenweiſe aber beſteht er aus einem feinen klebrigen Schlick, der von dem gehenden und kommenden Waſſer mit vielen unregelmäßigen Furchen und natürlichen Gräbern durchriſſen wird, welche man durch Menſchenhände hat leicht verbreitern und vertiefen und zu wirklichen Kanälen hat umgeſtalten können. Es iſt klar, daß wenn an den Wänden und auf dem Boden dieſer Einriſſe die Auſtern einmal Poſto gefaßt und ſich auch mit einander verkittet haben, dieſe „Bänke“ eine nicht geringe Haltbarkeit haben müſſen, zumal der Anprall der Wogen durch die davor liegenden Jnſeln gebrochen wird. Der ewige regelmäßige Ab- und Zufluß des Waſſers führt ebenſo ununterbrochen den Auſtern ihre Nahrung zu. Von hohem Jntereſſe iſt die erſt vor kurzem geſchehene natürliche Anſiedlung der Auſter im Liimfjord. Jn einer der wichtigſten Unterſuchungen über die Lebensbedingungen dieſes Thieres, die wir dem Altmeiſter der deutſchen Naturwiſſenſchaft, E. von Bär, verdanken, heißt es darüber: „Der Liimfjord iſt bekanntlich das lang gewundene, in ſeiner weſtlichen Hälfte vielfach getheilte und in Buchten auslaufende Gewäſſer, das den nördlichen Theil von Jütland in ſeiner ganzen Breite durchzieht, und im Weſten nur durch einen ſchmalen Uferwall von der Nordſee getrennt iſt oder vielmehr getrennt war. Jm Jahre 1825 wurde nämlich der erwähnte Uferwall durchbrochen und dieſer Durchbruch hat ſich erhalten. Er iſt auf den neueren Karten unter dem Namen des Agger-Kanals ſichtbar. Schon früher, z. B. in den Jahren 1720 und 1760 hatten ſich Durchbrüche gebildet, aber bald wieder geſchloſſen. Vor dem neuen und bleibenden Durchbruch hat das Waſſer im Liimfford, wenigſtens im weſtlichen Abſchnitte deſſelben für ſüßes Waſſer gegolten; über den öſtlichſten Theil ſagt der Etatsrath Eſchricht (— der berühmte Kopenhagner Phyſiolog, welcher das Projekt, im Liimfjord Auſterbänke anzulegen, zu prüfen hatte —) nichts, doch läßt ſich vermuthen, daß bei der offenen Verbindung mit dem Kattegat hier ſchon früher brakiſches Waſſer war. Durch die neue Kommunikation mit der Nordſee und den Wechſel von Fluth und Ebbe in derſelben, die zweimal täglich Seewaſſer eintreiben und eben ſo oft das im Fjord diluirte Seewaſſer wieder abfließen läßt, iſt der Liimfjord jetzt ein Salzwaſſerbecken geworden. Es ſind Seefiſche und Auſtern eingewandert. Auſtern hat man zuerſt im Jahre 1851 bemerkt, und zwar im Saling Sund, im weſtlichen Dritttheil des Liimfjord in großer Menge und ſchon völlig ausgewachſen. Jhre Einwanderung als ſchwimmende Brut muß alſo ſchon viel früher erfolgt ſein. Profeſſor Eſchricht vermuthet, daß ſie zuerſt im weſtlichen Abſchnitte, Niſſum- Bredning, ſich angeſiedelt hatten, und daß von dieſem aus, nachdem ſie ausgewachſen waren, neue Brut ſich weiter verbreitet hat. Jetzt finden ſie ſich in vielen Seitenbuchten und Kanälen der weſtlichen Hälfte faſt überall, wo der Boden für das Gedeihen der Auſter paſſend iſt. Auch im öſtlichen Abſchnitte des Liimfjord, bei Aalborg, hat man Auſtern bemerkt, jedoch nur ganz junge. Man ſieht alſo ganz deutlich, daß ſie allmälig ſich mehr nach Oſten verbreiten. Jn der weſtlichen Hälfte des Liimfjord ſind ſie ſchon in ſolcher Menge, daß ſie zu Hunderttauſenden gefangen werden. Wann ſie zuerſt einwanderten, läßt ſich jetzt nicht beſtimmt angeben, da man ſie längere Zeit nicht bemerkt hatte. Jndeſſen, da die im Salinger-Sund bemerlten wenigſtens fünf Jahre alt waren, und dieſe nicht die erſten Einwanderer ſein konnten, ſondern wenigſtens die zweite, vielleicht die dritte Generation der Eingewanderten waren, ſo ſieht man, daß bald

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 950. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/998>, abgerufen am 23.11.2024.