Wir haben nun diese Verhältnisse, das Vorkommen der Auster und ihre geographische Verbreitung an den europäischen Küsten näher ins Auge zu fassen. Es ist nicht gut möglich, die künstlich angelegten Bänke und Zuchten dabei gänzlich unberücksichtigt zu lassen, obgleich wir erst weiter unten über die in neuerer Zeit so großen Rumor machende Austernpflege specieller berichten wollen. Gehen wir vom adriatischen Meere aus, in welchem die Auster überall wenigstens vereinzelt, an verschiedenen Stellen massenhaft, das heißt in Bänken lebt. Es ist kein Zweifel, daß das letztere Verhältniß das natürlichere ist, obschon man von den vereinzelt angesiedelten Austern durchaus nicht das Gegentheil sagen kann. Jm äußersten, sehr flachen Winkel der Bucht von Muggia in Triest siedeln sich die Austern auf den in den Schlamm gesteckten Pfählen an, wogegen sie auf dem sehr weichen Schlammgrunde dieser, bei den Zoologen hoch in Ehren stehenden Bai nicht fortkommen. Seit Jahrhunderten auch hegt man sie in den Kanälen und Bassius des Arsenals in Venedig. Wir sehen das Thier also auf der östlichen und der west- lichen Seite des großen Golfs von Venedig unter sehr verschiedenen Bedingungen gedeihen, dort, bei Muggia, in einem durch keinerlei oder nicht nennenswerthen Zufluß von süßem Wasser gemischten Salzwasser, hier in der Lagune. Man darf jedoch nicht glauben, daß das Arsenal- wasser, in welchem die Austern ohne besondere Pflege ihr ganzes Leben zubringen, sehr brakisch sei; es steht in so naher Verbindung mit dem offenen Meere durch die großen Mündungen des Lido, daß in Folge der regelmäßig eindringenden Fluth sein Salzgehalt nicht sehr herabgedrückt werden dürfte. Sehr schöne große Austern habe ich im Becken von Sebenico von felsigem Grunde aus ungefähr 15 Faden Tiefe mit dem Schleppnetz aufgezogen, jedoch nicht so nahe der Kerka, daß eine merkliche Versüßung des Wassers eingetreten wäre. Die Lage dieser kleinen, von den dortigen Fischern nur gelegentlich ausgebeuteten Bank ist aber in so fern lehrreich, als auch sie zeigt, daß entweder Fluthströmungen oder, wie es dort der Fall ist, unterseeische Strömungen, welche dem hülflosen Thiere Nahrung zuführen, zuträglich sind. Aus einer Vergleichung der Triester und dieser Lokalität geht auch schon hervor, daß die Auster bei sehr verschiedenen Wohntiefen, und zwar etwa von der mittleren Strandmarke an bis 15 Faden, in anderen Fällen bis 20 Faden und noch tiefer ihre volle Lebensthätigkeit entfalten kann, ein physiologischer Zug, der für die praktische Austernzucht von der allergrößten Bedeutung ist. Weiter unten finden sich auf der italienischen Seite schon im Alterthum berühmte Austernlager in der Nähe von Brindisi (Brundusium) und im Golf von Tarent. Jch finde keine Nachrichten über die Beschaffenheit derselben; nach einem flüchtigen Besuch des Hafens von Brindisi und seiner Umgebungen will es mir scheinen, als mangle dort der Felsengrund und müßten die Austernanfiedelungen auf loserem Boden statthaben. Von da zieht sich die Auster durch den ganzen östlichen Theil des Mittelmeeres, ohne sich, wie es scheint, massenhaft anzusammeln; sie ist auch ins schwarze Meer eingedrungen und da und dort einzeln an der Südküste der Krim angesiedelt, ein Beweis ihrer großen Akkommodationsfähigkeit.
Das alte künstliche Austernetablissement bei Bajä, den Lucriner See, besuchen wir später, halten uns auch nicht weiter im westlichen Mittelmeer auf und gehen gleich ins Gebiet der Nordsee und des atlantischen Meeres. Sowohl an den französischen, wie an den britischen Küsten finden sich zahlreiche natürliche Austernbänke und an der norwegischen Küste reicht die Auster bis zum 65. Grade hinauf. Sie kommt im südlichen Norwegen an manchen Strecken in solchen Mengen vor, daß sie mit Brot und Butter als selbstverständlicher Nachtisch a discretion aufgetragen wird. Als ich nach einer Seefahrt von den Faaröern nach dem an der norwegischen Südküste gelegenen Städtchen Kragerö im dortigen Gasthaus meine erste Mahlzeit hielt, machte ich diese angenehme gastronomische Entdeckung.
Zu einem sehr verbreiteten Mißverständniß hat der Ausdruck "Holsteinische" oder "Flensburger" Austern Veranlassung gegeben. Diese Namen führen die Austern, welche vorzugsweise in Nord- deutschland bis Leipzig, Magdeburg und Berlin und weiter südlich, ferner längs der ganzen
Auſter.
Wir haben nun dieſe Verhältniſſe, das Vorkommen der Auſter und ihre geographiſche Verbreitung an den europäiſchen Küſten näher ins Auge zu faſſen. Es iſt nicht gut möglich, die künſtlich angelegten Bänke und Zuchten dabei gänzlich unberückſichtigt zu laſſen, obgleich wir erſt weiter unten über die in neuerer Zeit ſo großen Rumor machende Auſternpflege ſpecieller berichten wollen. Gehen wir vom adriatiſchen Meere aus, in welchem die Auſter überall wenigſtens vereinzelt, an verſchiedenen Stellen maſſenhaft, das heißt in Bänken lebt. Es iſt kein Zweifel, daß das letztere Verhältniß das natürlichere iſt, obſchon man von den vereinzelt angeſiedelten Auſtern durchaus nicht das Gegentheil ſagen kann. Jm äußerſten, ſehr flachen Winkel der Bucht von Muggia in Trieſt ſiedeln ſich die Auſtern auf den in den Schlamm geſteckten Pfählen an, wogegen ſie auf dem ſehr weichen Schlammgrunde dieſer, bei den Zoologen hoch in Ehren ſtehenden Bai nicht fortkommen. Seit Jahrhunderten auch hegt man ſie in den Kanälen und Baſſius des Arſenals in Venedig. Wir ſehen das Thier alſo auf der öſtlichen und der weſt- lichen Seite des großen Golfs von Venedig unter ſehr verſchiedenen Bedingungen gedeihen, dort, bei Muggia, in einem durch keinerlei oder nicht nennenswerthen Zufluß von ſüßem Waſſer gemiſchten Salzwaſſer, hier in der Lagune. Man darf jedoch nicht glauben, daß das Arſenal- waſſer, in welchem die Auſtern ohne beſondere Pflege ihr ganzes Leben zubringen, ſehr brakiſch ſei; es ſteht in ſo naher Verbindung mit dem offenen Meere durch die großen Mündungen des Lido, daß in Folge der regelmäßig eindringenden Fluth ſein Salzgehalt nicht ſehr herabgedrückt werden dürfte. Sehr ſchöne große Auſtern habe ich im Becken von Sebenico von felſigem Grunde aus ungefähr 15 Faden Tiefe mit dem Schleppnetz aufgezogen, jedoch nicht ſo nahe der Kerka, daß eine merkliche Verſüßung des Waſſers eingetreten wäre. Die Lage dieſer kleinen, von den dortigen Fiſchern nur gelegentlich ausgebeuteten Bank iſt aber in ſo fern lehrreich, als auch ſie zeigt, daß entweder Fluthſtrömungen oder, wie es dort der Fall iſt, unterſeeiſche Strömungen, welche dem hülfloſen Thiere Nahrung zuführen, zuträglich ſind. Aus einer Vergleichung der Trieſter und dieſer Lokalität geht auch ſchon hervor, daß die Auſter bei ſehr verſchiedenen Wohntiefen, und zwar etwa von der mittleren Strandmarke an bis 15 Faden, in anderen Fällen bis 20 Faden und noch tiefer ihre volle Lebensthätigkeit entfalten kann, ein phyſiologiſcher Zug, der für die praktiſche Auſternzucht von der allergrößten Bedeutung iſt. Weiter unten finden ſich auf der italieniſchen Seite ſchon im Alterthum berühmte Auſternlager in der Nähe von Brindiſi (Brunduſium) und im Golf von Tarent. Jch finde keine Nachrichten über die Beſchaffenheit derſelben; nach einem flüchtigen Beſuch des Hafens von Brindiſi und ſeiner Umgebungen will es mir ſcheinen, als mangle dort der Felſengrund und müßten die Auſternanfiedelungen auf loſerem Boden ſtatthaben. Von da zieht ſich die Auſter durch den ganzen öſtlichen Theil des Mittelmeeres, ohne ſich, wie es ſcheint, maſſenhaft anzuſammeln; ſie iſt auch ins ſchwarze Meer eingedrungen und da und dort einzeln an der Südküſte der Krim angeſiedelt, ein Beweis ihrer großen Akkommodationsfähigkeit.
Das alte künſtliche Auſternetabliſſement bei Bajä, den Lucriner See, beſuchen wir ſpäter, halten uns auch nicht weiter im weſtlichen Mittelmeer auf und gehen gleich ins Gebiet der Nordſee und des atlantiſchen Meeres. Sowohl an den franzöſiſchen, wie an den britiſchen Küſten finden ſich zahlreiche natürliche Auſternbänke und an der norwegiſchen Küſte reicht die Auſter bis zum 65. Grade hinauf. Sie kommt im ſüdlichen Norwegen an manchen Strecken in ſolchen Mengen vor, daß ſie mit Brot und Butter als ſelbſtverſtändlicher Nachtiſch à discretion aufgetragen wird. Als ich nach einer Seefahrt von den Faaröern nach dem an der norwegiſchen Südküſte gelegenen Städtchen Kragerö im dortigen Gaſthaus meine erſte Mahlzeit hielt, machte ich dieſe angenehme gaſtronomiſche Entdeckung.
Zu einem ſehr verbreiteten Mißverſtändniß hat der Ausdruck „Holſteiniſche“ oder „Flensburger“ Auſtern Veranlaſſung gegeben. Dieſe Namen führen die Auſtern, welche vorzugsweiſe in Nord- deutſchland bis Leipzig, Magdeburg und Berlin und weiter ſüdlich, ferner längs der ganzen
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Auſter.
Wir haben nun dieſe Verhältniſſe, das Vorkommen der Auſter und ihre geographiſche
Verbreitung an den europäiſchen Küſten näher ins Auge zu faſſen. Es iſt nicht gut
möglich, die künſtlich angelegten Bänke und Zuchten dabei gänzlich unberückſichtigt zu laſſen,
obgleich wir erſt weiter unten über die in neuerer Zeit ſo großen Rumor machende Auſternpflege
ſpecieller berichten wollen. Gehen wir vom adriatiſchen Meere aus, in welchem die Auſter überall
wenigſtens vereinzelt, an verſchiedenen Stellen maſſenhaft, das heißt in Bänken lebt. Es iſt kein
Zweifel, daß das letztere Verhältniß das natürlichere iſt, obſchon man von den vereinzelt
angeſiedelten Auſtern durchaus nicht das Gegentheil ſagen kann. Jm äußerſten, ſehr flachen
Winkel der Bucht von Muggia in Trieſt ſiedeln ſich die Auſtern auf den in den Schlamm geſteckten
Pfählen an, wogegen ſie auf dem ſehr weichen Schlammgrunde dieſer, bei den Zoologen hoch in
Ehren ſtehenden Bai nicht fortkommen. Seit Jahrhunderten auch hegt man ſie in den Kanälen
und Baſſius des Arſenals in Venedig. Wir ſehen das Thier alſo auf der öſtlichen und der weſt-
lichen Seite des großen Golfs von Venedig unter ſehr verſchiedenen Bedingungen gedeihen, dort,
bei Muggia, in einem durch keinerlei oder nicht nennenswerthen Zufluß von ſüßem Waſſer
gemiſchten Salzwaſſer, hier in der Lagune. Man darf jedoch nicht glauben, daß das Arſenal-
waſſer, in welchem die Auſtern ohne beſondere Pflege ihr ganzes Leben zubringen, ſehr brakiſch ſei;
es ſteht in ſo naher Verbindung mit dem offenen Meere durch die großen Mündungen des Lido,
daß in Folge der regelmäßig eindringenden Fluth ſein Salzgehalt nicht ſehr herabgedrückt werden
dürfte. Sehr ſchöne große Auſtern habe ich im Becken von Sebenico von felſigem Grunde aus
ungefähr 15 Faden Tiefe mit dem Schleppnetz aufgezogen, jedoch nicht ſo nahe der Kerka, daß
eine merkliche Verſüßung des Waſſers eingetreten wäre. Die Lage dieſer kleinen, von den dortigen
Fiſchern nur gelegentlich ausgebeuteten Bank iſt aber in ſo fern lehrreich, als auch ſie zeigt, daß
entweder Fluthſtrömungen oder, wie es dort der Fall iſt, unterſeeiſche Strömungen, welche dem
hülfloſen Thiere Nahrung zuführen, zuträglich ſind. Aus einer Vergleichung der Trieſter und
dieſer Lokalität geht auch ſchon hervor, daß die Auſter bei ſehr verſchiedenen Wohntiefen, und
zwar etwa von der mittleren Strandmarke an bis 15 Faden, in anderen Fällen bis 20 Faden
und noch tiefer ihre volle Lebensthätigkeit entfalten kann, ein phyſiologiſcher Zug, der für die
praktiſche Auſternzucht von der allergrößten Bedeutung iſt. Weiter unten finden ſich auf der
italieniſchen Seite ſchon im Alterthum berühmte Auſternlager in der Nähe von Brindiſi
(Brunduſium) und im Golf von Tarent. Jch finde keine Nachrichten über die Beſchaffenheit
derſelben; nach einem flüchtigen Beſuch des Hafens von Brindiſi und ſeiner Umgebungen will es
mir ſcheinen, als mangle dort der Felſengrund und müßten die Auſternanfiedelungen auf loſerem
Boden ſtatthaben. Von da zieht ſich die Auſter durch den ganzen öſtlichen Theil des Mittelmeeres,
ohne ſich, wie es ſcheint, maſſenhaft anzuſammeln; ſie iſt auch ins ſchwarze Meer eingedrungen
und da und dort einzeln an der Südküſte der Krim angeſiedelt, ein Beweis ihrer großen
Akkommodationsfähigkeit.
Das alte künſtliche Auſternetabliſſement bei Bajä, den Lucriner See, beſuchen wir ſpäter,
halten uns auch nicht weiter im weſtlichen Mittelmeer auf und gehen gleich ins Gebiet der Nordſee
und des atlantiſchen Meeres. Sowohl an den franzöſiſchen, wie an den britiſchen Küſten finden
ſich zahlreiche natürliche Auſternbänke und an der norwegiſchen Küſte reicht die Auſter bis zum
65. Grade hinauf. Sie kommt im ſüdlichen Norwegen an manchen Strecken in ſolchen Mengen
vor, daß ſie mit Brot und Butter als ſelbſtverſtändlicher Nachtiſch à discretion aufgetragen
wird. Als ich nach einer Seefahrt von den Faaröern nach dem an der norwegiſchen Südküſte
gelegenen Städtchen Kragerö im dortigen Gaſthaus meine erſte Mahlzeit hielt, machte ich dieſe
angenehme gaſtronomiſche Entdeckung.
Zu einem ſehr verbreiteten Mißverſtändniß hat der Ausdruck „Holſteiniſche“ oder „Flensburger“
Auſtern Veranlaſſung gegeben. Dieſe Namen führen die Auſtern, welche vorzugsweiſe in Nord-
deutſchland bis Leipzig, Magdeburg und Berlin und weiter ſüdlich, ferner längs der ganzen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 949. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/997>, abgerufen am 23.11.2024.
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