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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Dreyssena. Steckmuschel.
Man hat gegen diese Annahme geltend gemacht, daß sie auch in einzelnen Seen ohne schiffbare
Verbindung mit Flüssen vorkomme, so im Mecklenburgischen und in Pommern, ferner namentlich
in der europäischen Türkei; für Albanien hat dieser Einwurf Gewicht, für die Ostseegegenden bei
der Nähe schiffbarer Gewässer weniger, indem er hier nur beweist, daß auch ausnahmsweise eine
Verbreitung durch andere Mittel auf kleinere Entfernung möglich sei. Jm Großen und Ganzen
bleibt es Regel, daß sie im Ost- und Nordseegebiet nur in schiffbaren Gewässern sich findet.
Was die Verschleppung über See nach den Rheinmündungen und England betrifft, so scheint mir
ein Transport mit Schiffsbauholz im Jnnern eines Schiffes fast wahrscheinlicher, als ein solcher
außen am Schiff durch das Meerwasser. Aus einem größeren, sie feucht haltenden Klumpen
können einzelne Jndividnen sicher mehrere Tage über Wasser ausdauern und wahrscheinlich länger
als in Seewasser, das den Süßwasserthieren im Allgemeinen verderblich ist. Dreyssena ist aber
keineswegs, wie man oft behauptet, zugleich ein Süßwasser- und ein Meerthier*), wenigstens
nicht mehr, ja weniger als Neritina unter den Schnecken. Jn der Ostsee lebt sie nur innerhalb
der Haffe, nicht außerhalb, und ich fand sie im Odergebiet auf der Jnsel Wollin nur auf der
Haffseite der Jnsel, nicht auf der Meerseite lebend, ja bei Swinemünde noch einzeln an der
Jnnenseite des Dammes, in Gesellschaft der Paludina impura und des Limnaeus ovatus, ächter
Süßwasserschnecken, aber nicht mehr an der Außenseite desselben, wo von sonstigen Süßwasser-
mollusken nur noch Neritina fluviatilis zu finden war. Am offenen Ostseestrande von Misdroy
hatte Mytilus edulis durchaus und einzig die Rolle, welche im Haff und in der Havel Dreyssena
spielt, einzelne Steine und Pfähle zu überziehen".

"Daß Dreyssena somit nicht aus der Ostsee, aber doch aus den Küstenländern der Ostsee
nach Deutschland und England gekommen sei, scheint annehmbar." Das Resultat der Unter-
suchung über die Herkunft ergiebt, daß Dreyssena aus dem füdlichen Rußland auf den künstlichen
und natürlichen Wasserwegen in etwas mehr als einem Jahrzehnt nach den Ostseeprovinzen und
von da ebenfalls durch Binnenkanäle bis zur Havel gelangt wäre. Unbeantwortet ist leider noch
die Frage, ob Dreyssena polymorpha auch im Gebiet des schwarzen Meeres als eine in historischer
Zeit und in ihrer gegenwärtigen Form eingewanderte Art zu betrachten sei.

Jn einer sehr wichtigen Eigenschaft, welche sogar zur Aufstellung einer besonderen Ordnung,
der Heteromyarier (Ungleichmuskelige) benutzt worden, schließt sich den Mytilaceen die Sippe
Pinna, Steckmuschel, an, nämlich darin, daß die beiden Schließmuskeln ungleich sind und
namentlich in sehr ungleichem Abstand vom Rande liegen. Der Mantel des Thieres ist ganz
gespalten, ohne besondere Afterröhre. Der schlanke, wurmförmige Fuß spinnt einen dichten
feinen Bart. Der vordere Schließmuskel liegt unmittelbar unter den Wirbeln, der hintere fast im
Centrum des Thieres. Die Schale der Steckmuscheln besteht fast nur aus den pyramidalischen,
mehr oder minder zur Fläche aufgerichteten Säulchen, deren Schichte bei den meisten anderen
Muscheln gegen die Perlmutterschichte zurücksteht. Sie ist dünn, oft mit Schuppen besetzt und
klafft hinten. Sie bildet ein Dreieck, dessen kleinster Winkel das Vorderende ist, an welchem auch
die geraden, spitzen Wirbel liegen. Das Ligament ist der Art innerlich, daß es der Schale nur
eine geringe Oeffnungsweite gestattet, so daß dieselben, bei dem Versuche, sie ganz aufzuklappen,
auseinander brechen.

Die Pinnen leben in den heißen und gemäßigten Meeren und erreichen zum Theil eine
Länge von 2 Fuß, wie Pinna squamosa des Mittelmeeres. Sie lieben die stillen Meerbusen mit
Schlammgrund, in dem sie in der Tiefe von einigen Fußen meist in großen Mengen bei einander

*) Der südlichste Punkt, an welchem ich (Schmidt) selbst Dreyssena gesammelt, ist in Dalmatien
unweit Sebenico der enge natürliche Kanal, durch welchen der die Kerka unterhalb ihrer berühmten
Wasserfälle aufnehmende Vrana-See mit dem merkwürdigen Becken von Sebenico zusammenhängt.
Das Wasser hat dort kaum einen salzigen Beigeschmack. Weiter gegen das Meer zu ist die Muschel
völlig verschwunden.

Dreyſſena. Steckmuſchel.
Man hat gegen dieſe Annahme geltend gemacht, daß ſie auch in einzelnen Seen ohne ſchiffbare
Verbindung mit Flüſſen vorkomme, ſo im Mecklenburgiſchen und in Pommern, ferner namentlich
in der europäiſchen Türkei; für Albanien hat dieſer Einwurf Gewicht, für die Oſtſeegegenden bei
der Nähe ſchiffbarer Gewäſſer weniger, indem er hier nur beweiſt, daß auch ausnahmsweiſe eine
Verbreitung durch andere Mittel auf kleinere Entfernung möglich ſei. Jm Großen und Ganzen
bleibt es Regel, daß ſie im Oſt- und Nordſeegebiet nur in ſchiffbaren Gewäſſern ſich findet.
Was die Verſchleppung über See nach den Rheinmündungen und England betrifft, ſo ſcheint mir
ein Transport mit Schiffsbauholz im Jnnern eines Schiffes faſt wahrſcheinlicher, als ein ſolcher
außen am Schiff durch das Meerwaſſer. Aus einem größeren, ſie feucht haltenden Klumpen
können einzelne Jndividnen ſicher mehrere Tage über Waſſer ausdauern und wahrſcheinlich länger
als in Seewaſſer, das den Süßwaſſerthieren im Allgemeinen verderblich iſt. Dreyssena iſt aber
keineswegs, wie man oft behauptet, zugleich ein Süßwaſſer- und ein Meerthier*), wenigſtens
nicht mehr, ja weniger als Neritina unter den Schnecken. Jn der Oſtſee lebt ſie nur innerhalb
der Haffe, nicht außerhalb, und ich fand ſie im Odergebiet auf der Jnſel Wollin nur auf der
Haffſeite der Jnſel, nicht auf der Meerſeite lebend, ja bei Swinemünde noch einzeln an der
Jnnenſeite des Dammes, in Geſellſchaft der Paludina impura und des Limnaeus ovatus, ächter
Süßwaſſerſchnecken, aber nicht mehr an der Außenſeite deſſelben, wo von ſonſtigen Süßwaſſer-
mollusken nur noch Neritina fluviatilis zu finden war. Am offenen Oſtſeeſtrande von Misdroy
hatte Mytilus edulis durchaus und einzig die Rolle, welche im Haff und in der Havel Dreyssena
ſpielt, einzelne Steine und Pfähle zu überziehen“.

„Daß Dreyssena ſomit nicht aus der Oſtſee, aber doch aus den Küſtenländern der Oſtſee
nach Deutſchland und England gekommen ſei, ſcheint annehmbar.“ Das Reſultat der Unter-
ſuchung über die Herkunft ergiebt, daß Dreyssena aus dem füdlichen Rußland auf den künſtlichen
und natürlichen Waſſerwegen in etwas mehr als einem Jahrzehnt nach den Oſtſeeprovinzen und
von da ebenfalls durch Binnenkanäle bis zur Havel gelangt wäre. Unbeantwortet iſt leider noch
die Frage, ob Dreyssena polymorpha auch im Gebiet des ſchwarzen Meeres als eine in hiſtoriſcher
Zeit und in ihrer gegenwärtigen Form eingewanderte Art zu betrachten ſei.

Jn einer ſehr wichtigen Eigenſchaft, welche ſogar zur Aufſtellung einer beſonderen Ordnung,
der Heteromyarier (Ungleichmuskelige) benutzt worden, ſchließt ſich den Mytilaceen die Sippe
Pinna, Steckmuſchel, an, nämlich darin, daß die beiden Schließmuskeln ungleich ſind und
namentlich in ſehr ungleichem Abſtand vom Rande liegen. Der Mantel des Thieres iſt ganz
geſpalten, ohne beſondere Afterröhre. Der ſchlanke, wurmförmige Fuß ſpinnt einen dichten
feinen Bart. Der vordere Schließmuskel liegt unmittelbar unter den Wirbeln, der hintere faſt im
Centrum des Thieres. Die Schale der Steckmuſcheln beſteht faſt nur aus den pyramidaliſchen,
mehr oder minder zur Fläche aufgerichteten Säulchen, deren Schichte bei den meiſten anderen
Muſcheln gegen die Perlmutterſchichte zurückſteht. Sie iſt dünn, oft mit Schuppen beſetzt und
klafft hinten. Sie bildet ein Dreieck, deſſen kleinſter Winkel das Vorderende iſt, an welchem auch
die geraden, ſpitzen Wirbel liegen. Das Ligament iſt der Art innerlich, daß es der Schale nur
eine geringe Oeffnungsweite geſtattet, ſo daß dieſelben, bei dem Verſuche, ſie ganz aufzuklappen,
auseinander brechen.

Die Pinnen leben in den heißen und gemäßigten Meeren und erreichen zum Theil eine
Länge von 2 Fuß, wie Pinna squamosa des Mittelmeeres. Sie lieben die ſtillen Meerbuſen mit
Schlammgrund, in dem ſie in der Tiefe von einigen Fußen meiſt in großen Mengen bei einander

*) Der ſüdlichſte Punkt, an welchem ich (Schmidt) ſelbſt Dreyssena geſammelt, iſt in Dalmatien
unweit Sebenico der enge natürliche Kanal, durch welchen der die Kerka unterhalb ihrer berühmten
Waſſerfälle aufnehmende Vrana-See mit dem merkwürdigen Becken von Sebenico zuſammenhängt.
Das Waſſer hat dort kaum einen ſalzigen Beigeſchmack. Weiter gegen das Meer zu iſt die Muſchel
völlig verſchwunden.
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[919/0967] Dreyſſena. Steckmuſchel. Man hat gegen dieſe Annahme geltend gemacht, daß ſie auch in einzelnen Seen ohne ſchiffbare Verbindung mit Flüſſen vorkomme, ſo im Mecklenburgiſchen und in Pommern, ferner namentlich in der europäiſchen Türkei; für Albanien hat dieſer Einwurf Gewicht, für die Oſtſeegegenden bei der Nähe ſchiffbarer Gewäſſer weniger, indem er hier nur beweiſt, daß auch ausnahmsweiſe eine Verbreitung durch andere Mittel auf kleinere Entfernung möglich ſei. Jm Großen und Ganzen bleibt es Regel, daß ſie im Oſt- und Nordſeegebiet nur in ſchiffbaren Gewäſſern ſich findet. Was die Verſchleppung über See nach den Rheinmündungen und England betrifft, ſo ſcheint mir ein Transport mit Schiffsbauholz im Jnnern eines Schiffes faſt wahrſcheinlicher, als ein ſolcher außen am Schiff durch das Meerwaſſer. Aus einem größeren, ſie feucht haltenden Klumpen können einzelne Jndividnen ſicher mehrere Tage über Waſſer ausdauern und wahrſcheinlich länger als in Seewaſſer, das den Süßwaſſerthieren im Allgemeinen verderblich iſt. Dreyssena iſt aber keineswegs, wie man oft behauptet, zugleich ein Süßwaſſer- und ein Meerthier *), wenigſtens nicht mehr, ja weniger als Neritina unter den Schnecken. Jn der Oſtſee lebt ſie nur innerhalb der Haffe, nicht außerhalb, und ich fand ſie im Odergebiet auf der Jnſel Wollin nur auf der Haffſeite der Jnſel, nicht auf der Meerſeite lebend, ja bei Swinemünde noch einzeln an der Jnnenſeite des Dammes, in Geſellſchaft der Paludina impura und des Limnaeus ovatus, ächter Süßwaſſerſchnecken, aber nicht mehr an der Außenſeite deſſelben, wo von ſonſtigen Süßwaſſer- mollusken nur noch Neritina fluviatilis zu finden war. Am offenen Oſtſeeſtrande von Misdroy hatte Mytilus edulis durchaus und einzig die Rolle, welche im Haff und in der Havel Dreyssena ſpielt, einzelne Steine und Pfähle zu überziehen“. „Daß Dreyssena ſomit nicht aus der Oſtſee, aber doch aus den Küſtenländern der Oſtſee nach Deutſchland und England gekommen ſei, ſcheint annehmbar.“ Das Reſultat der Unter- ſuchung über die Herkunft ergiebt, daß Dreyssena aus dem füdlichen Rußland auf den künſtlichen und natürlichen Waſſerwegen in etwas mehr als einem Jahrzehnt nach den Oſtſeeprovinzen und von da ebenfalls durch Binnenkanäle bis zur Havel gelangt wäre. Unbeantwortet iſt leider noch die Frage, ob Dreyssena polymorpha auch im Gebiet des ſchwarzen Meeres als eine in hiſtoriſcher Zeit und in ihrer gegenwärtigen Form eingewanderte Art zu betrachten ſei. Jn einer ſehr wichtigen Eigenſchaft, welche ſogar zur Aufſtellung einer beſonderen Ordnung, der Heteromyarier (Ungleichmuskelige) benutzt worden, ſchließt ſich den Mytilaceen die Sippe Pinna, Steckmuſchel, an, nämlich darin, daß die beiden Schließmuskeln ungleich ſind und namentlich in ſehr ungleichem Abſtand vom Rande liegen. Der Mantel des Thieres iſt ganz geſpalten, ohne beſondere Afterröhre. Der ſchlanke, wurmförmige Fuß ſpinnt einen dichten feinen Bart. Der vordere Schließmuskel liegt unmittelbar unter den Wirbeln, der hintere faſt im Centrum des Thieres. Die Schale der Steckmuſcheln beſteht faſt nur aus den pyramidaliſchen, mehr oder minder zur Fläche aufgerichteten Säulchen, deren Schichte bei den meiſten anderen Muſcheln gegen die Perlmutterſchichte zurückſteht. Sie iſt dünn, oft mit Schuppen beſetzt und klafft hinten. Sie bildet ein Dreieck, deſſen kleinſter Winkel das Vorderende iſt, an welchem auch die geraden, ſpitzen Wirbel liegen. Das Ligament iſt der Art innerlich, daß es der Schale nur eine geringe Oeffnungsweite geſtattet, ſo daß dieſelben, bei dem Verſuche, ſie ganz aufzuklappen, auseinander brechen. Die Pinnen leben in den heißen und gemäßigten Meeren und erreichen zum Theil eine Länge von 2 Fuß, wie Pinna squamosa des Mittelmeeres. Sie lieben die ſtillen Meerbuſen mit Schlammgrund, in dem ſie in der Tiefe von einigen Fußen meiſt in großen Mengen bei einander *) Der ſüdlichſte Punkt, an welchem ich (Schmidt) ſelbſt Dreyssena geſammelt, iſt in Dalmatien unweit Sebenico der enge natürliche Kanal, durch welchen der die Kerka unterhalb ihrer berühmten Waſſerfälle aufnehmende Vrana-See mit dem merkwürdigen Becken von Sebenico zuſammenhängt. Das Waſſer hat dort kaum einen ſalzigen Beigeſchmack. Weiter gegen das Meer zu iſt die Muſchel völlig verſchwunden.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 919. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/967>, abgerufen am 23.11.2024.