Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

Muscheln. Dimyarier. Mießmuscheln. Pinnen.
genauen Nachweis über das allmälige Vorrücken dieser Süßwassermuschel aus dem Osten nach
dem Westen. Der Gegenstand ist in thiergeographischer Hinsicht so wichtig, daß wir nicht umhin
können, den Bericht im Auszug und mit Hinweglassung vieler Detailangaben wörtlich mitzutheilen.

"Jn Betreff der wirbellosen Thiere", heißt es, "ist die Unterscheidung der verschiedenen Arten
im Allgemeinen von so jungem Datum, daß sich noch nichts über eine historische Aenderung in
ihrem Vorkommen sagen läßt. Eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel bietet Dreyssena
polymorpha,
nicht weil sie schon länger den Naturforschern bekannt ist, sondern weil sie in fast
ganz Europa die einzige Art ihrer Gattung ist und vermöge ihrer Gestalt auch beim ober-
flächlichsten Anblick mit keiner anderen Gattung von Süßwassermuscheln verwechselt werden kann."

"Die Kenntniß der auffälligeren Arten unserer deutschen Süßwassermollusten datirt, nur
wenige Arten ausgenommen, erst von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Martini
1768 und Schröter 1779, während die dänischen von O. F. Müller 1774, die schwedischen
von Linne 1746--1766, die nordfranzösischen von Geoffroy 1767, die englischen über fast ein
Jahrhundert früher von Lister 1678 speciell unterschieden wurden. Daß keiner dieser Schrift-
steller die genannte Muschel beobachtet hat, deutet sehr entschieden darauf hin, daß dieselbe in
den von ihnen untersuchten Gegenden damals nicht lebte; ein Schluß, der selbstverständlich bei
kleinen seltneren, schwieriger zu findenden oder zu unterscheidenden Arten nicht statthaft wäre,
wohl aber bei dieser Muschel, welche gegenwärtig in der Havel, im Tegelsee u. s. w. massenweise
nahe am Ufer auf Steinen oder anderen Muscheln sitzend und in Menge ausgeworfen am Ufer
zu finden ist. Alle Naturforscher des vorigen Jahrhunderts kennen sie nur nach Pallas als süd-
ruffische Muschel. Das älteste Datum einer ihr neues Vorkommen betreffenden Veröffentlichung
ist 1825, wo C. E. von Bär sagt, daß sie unermeßlich zahlreich im frischen und kurischen Haff,
sowie in den größeren Flüssen viele Meilen vom Meere entfernt vorkomme, klumpenweise an
Steinen, namentlich anderen Muscheln mittelst des Byssus befestigt."

"Jn derselben Zeit war sie aber nun auf einmal in der Havel unweit Potsdam und den
benachbarten Seen, und zwar in Menge gefunden worden. Alle persönlichen Erinnerungen und
gedruckten Notizen, welche ich in Berlin hierüber aufzuspüren im Stande war, führen überein-
stimmend auf diese Zeit. Einige Jahre später, etwa um 1835 wurde sie bei den Pfaueninseln
unweit Potsdam durch ihr klumpenweises Anheften an im Wasser stehende Pfähle unangenehm
bemerklich. Seit dieser Zeit ist sie in der Havel und in dem Tegelsee äußerst zahlreich geblieben
und hat sich in neuester Zeit auch in der Spree unmittelbar bei Berlin gezeigt. Das Vorkommen
unserer Muschel in der Donan läßt sich mit Sicherheit bis 1824 zurückverfolgen, aber es läßt
sich nicht nachweisen, daß sie früher in der Donan nicht gelebt habe." Aus der zum Elbegebiet
gehörigen Havel ist sie bis jetzt stromaufwärts bis Magdeburg und Halle gedrungen. Jn der
Rheinmündung wurde sie 1826 zuerst gesehen, jetzt gehört ihr das Gebiet bis Hüningen und
Heidelberg. Von Holland aus läßt sich ferner ihr Vordringen in das nördliche Frankreich bis
Paris verfolgen, und in der neuesten Zeit ist sie aus dem Gebiet der Seine in das der Loire
eingewandert. Endlich kennt man sie in England seit 1824, zuerst in den Londoner Docks, jetzt
aber bewohnt sie schon verschiedene Flüsse Englands und Schottlands.

Obschon man sich auf die angegebenen, ihr erstes Auftreten in den mitteleuropäischen Strom-
gebieten betreffenden Zahlen nicht viel verlassen kann, "ist dennoch das nahezu gleichzeitige
Erscheinen unserer Muscheln in den hauptsächlichsten Stromgebieten Deutschlands und in England
von besonderer Bedeutung. Jm Rheingebiet rückt sie entschieden von der Mündung an nur
stromaufwärts vor; in das Elbgebiet ist sie offenbar von Osten her durch die Havel getreten.
Schon das giebt Andeutungen über das Wie und Woher der Verbreitung. Wahrscheinlich ist
die Wanderung keine selbstständige, eigenwillige, sondern Verschleppung durch Schiffe und Flöße,
an welche sich die Muschel einmal festgesetzt hat, der Weg daher die Wasserstraße der Menschen,
seien es Flüsse oder Schifffahrtskanäle. Letztere helfen ihr von einem Stromgebiet in ein anderes.

Muſcheln. Dimyarier. Mießmuſcheln. Pinnen.
genauen Nachweis über das allmälige Vorrücken dieſer Süßwaſſermuſchel aus dem Oſten nach
dem Weſten. Der Gegenſtand iſt in thiergeographiſcher Hinſicht ſo wichtig, daß wir nicht umhin
können, den Bericht im Auszug und mit Hinweglaſſung vieler Detailangaben wörtlich mitzutheilen.

„Jn Betreff der wirbelloſen Thiere“, heißt es, „iſt die Unterſcheidung der verſchiedenen Arten
im Allgemeinen von ſo jungem Datum, daß ſich noch nichts über eine hiſtoriſche Aenderung in
ihrem Vorkommen ſagen läßt. Eine der wenigen Ausnahmen von dieſer Regel bietet Dreyssena
polymorpha,
nicht weil ſie ſchon länger den Naturforſchern bekannt iſt, ſondern weil ſie in faſt
ganz Europa die einzige Art ihrer Gattung iſt und vermöge ihrer Geſtalt auch beim ober-
flächlichſten Anblick mit keiner anderen Gattung von Süßwaſſermuſcheln verwechſelt werden kann.“

„Die Kenntniß der auffälligeren Arten unſerer deutſchen Süßwaſſermollusten datirt, nur
wenige Arten ausgenommen, erſt von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Martini
1768 und Schröter 1779, während die däniſchen von O. F. Müller 1774, die ſchwediſchen
von Linné 1746—1766, die nordfranzöſiſchen von Geoffroy 1767, die engliſchen über faſt ein
Jahrhundert früher von Liſter 1678 ſpeciell unterſchieden wurden. Daß keiner dieſer Schrift-
ſteller die genannte Muſchel beobachtet hat, deutet ſehr entſchieden darauf hin, daß dieſelbe in
den von ihnen unterſuchten Gegenden damals nicht lebte; ein Schluß, der ſelbſtverſtändlich bei
kleinen ſeltneren, ſchwieriger zu findenden oder zu unterſcheidenden Arten nicht ſtatthaft wäre,
wohl aber bei dieſer Muſchel, welche gegenwärtig in der Havel, im Tegelſee u. ſ. w. maſſenweiſe
nahe am Ufer auf Steinen oder anderen Muſcheln ſitzend und in Menge ausgeworfen am Ufer
zu finden iſt. Alle Naturforſcher des vorigen Jahrhunderts kennen ſie nur nach Pallas als ſüd-
ruffiſche Muſchel. Das älteſte Datum einer ihr neues Vorkommen betreffenden Veröffentlichung
iſt 1825, wo C. E. von Bär ſagt, daß ſie unermeßlich zahlreich im friſchen und kuriſchen Haff,
ſowie in den größeren Flüſſen viele Meilen vom Meere entfernt vorkomme, klumpenweiſe an
Steinen, namentlich anderen Muſcheln mittelſt des Byſſus befeſtigt.“

„Jn derſelben Zeit war ſie aber nun auf einmal in der Havel unweit Potsdam und den
benachbarten Seen, und zwar in Menge gefunden worden. Alle perſönlichen Erinnerungen und
gedruckten Notizen, welche ich in Berlin hierüber aufzuſpüren im Stande war, führen überein-
ſtimmend auf dieſe Zeit. Einige Jahre ſpäter, etwa um 1835 wurde ſie bei den Pfaueninſeln
unweit Potsdam durch ihr klumpenweiſes Anheften an im Waſſer ſtehende Pfähle unangenehm
bemerklich. Seit dieſer Zeit iſt ſie in der Havel und in dem Tegelſee äußerſt zahlreich geblieben
und hat ſich in neueſter Zeit auch in der Spree unmittelbar bei Berlin gezeigt. Das Vorkommen
unſerer Muſchel in der Donan läßt ſich mit Sicherheit bis 1824 zurückverfolgen, aber es läßt
ſich nicht nachweiſen, daß ſie früher in der Donan nicht gelebt habe.“ Aus der zum Elbegebiet
gehörigen Havel iſt ſie bis jetzt ſtromaufwärts bis Magdeburg und Halle gedrungen. Jn der
Rheinmündung wurde ſie 1826 zuerſt geſehen, jetzt gehört ihr das Gebiet bis Hüningen und
Heidelberg. Von Holland aus läßt ſich ferner ihr Vordringen in das nördliche Frankreich bis
Paris verfolgen, und in der neueſten Zeit iſt ſie aus dem Gebiet der Seine in das der Loire
eingewandert. Endlich kennt man ſie in England ſeit 1824, zuerſt in den Londoner Docks, jetzt
aber bewohnt ſie ſchon verſchiedene Flüſſe Englands und Schottlands.

Obſchon man ſich auf die angegebenen, ihr erſtes Auftreten in den mitteleuropäiſchen Strom-
gebieten betreffenden Zahlen nicht viel verlaſſen kann, „iſt dennoch das nahezu gleichzeitige
Erſcheinen unſerer Muſcheln in den hauptſächlichſten Stromgebieten Deutſchlands und in England
von beſonderer Bedeutung. Jm Rheingebiet rückt ſie entſchieden von der Mündung an nur
ſtromaufwärts vor; in das Elbgebiet iſt ſie offenbar von Oſten her durch die Havel getreten.
Schon das giebt Andeutungen über das Wie und Woher der Verbreitung. Wahrſcheinlich iſt
die Wanderung keine ſelbſtſtändige, eigenwillige, ſondern Verſchleppung durch Schiffe und Flöße,
an welche ſich die Muſchel einmal feſtgeſetzt hat, der Weg daher die Waſſerſtraße der Menſchen,
ſeien es Flüſſe oder Schifffahrtskanäle. Letztere helfen ihr von einem Stromgebiet in ein anderes.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div n="1">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0966" n="918"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Mu&#x017F;cheln. Dimyarier. Mießmu&#x017F;cheln. Pinnen.</hi></fw><lb/>
genauen Nachweis über das allmälige Vorrücken die&#x017F;er Süßwa&#x017F;&#x017F;ermu&#x017F;chel aus dem O&#x017F;ten nach<lb/>
dem We&#x017F;ten. Der Gegen&#x017F;tand i&#x017F;t in thiergeographi&#x017F;cher Hin&#x017F;icht &#x017F;o wichtig, daß wir nicht umhin<lb/>
können, den Bericht im Auszug und mit Hinwegla&#x017F;&#x017F;ung vieler Detailangaben wörtlich mitzutheilen.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Jn Betreff der wirbello&#x017F;en Thiere&#x201C;, heißt es, &#x201E;i&#x017F;t die Unter&#x017F;cheidung der ver&#x017F;chiedenen Arten<lb/>
im Allgemeinen von &#x017F;o jungem Datum, daß &#x017F;ich noch nichts über eine hi&#x017F;tori&#x017F;che Aenderung in<lb/>
ihrem Vorkommen &#x017F;agen läßt. Eine der wenigen Ausnahmen von die&#x017F;er Regel bietet <hi rendition="#aq">Dreyssena<lb/>
polymorpha,</hi> nicht weil &#x017F;ie &#x017F;chon länger den Naturfor&#x017F;chern bekannt i&#x017F;t, &#x017F;ondern weil &#x017F;ie in fa&#x017F;t<lb/>
ganz Europa die einzige Art ihrer Gattung i&#x017F;t und vermöge ihrer Ge&#x017F;talt auch beim ober-<lb/>
flächlich&#x017F;ten Anblick mit keiner anderen Gattung von Süßwa&#x017F;&#x017F;ermu&#x017F;cheln verwech&#x017F;elt werden kann.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Kenntniß der auffälligeren Arten un&#x017F;erer deut&#x017F;chen Süßwa&#x017F;&#x017F;ermollusten datirt, nur<lb/>
wenige Arten ausgenommen, er&#x017F;t von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit <hi rendition="#g">Martini</hi><lb/>
1768 und <hi rendition="#g">Schröter</hi> 1779, während die däni&#x017F;chen von O. F. <hi rendition="#g">Müller</hi> 1774, die &#x017F;chwedi&#x017F;chen<lb/>
von <hi rendition="#g">Linné</hi> 1746&#x2014;1766, die nordfranzö&#x017F;i&#x017F;chen von <hi rendition="#g">Geoffroy</hi> 1767, die engli&#x017F;chen über fa&#x017F;t ein<lb/>
Jahrhundert früher von <hi rendition="#g">Li&#x017F;ter</hi> 1678 &#x017F;peciell unter&#x017F;chieden wurden. Daß keiner die&#x017F;er Schrift-<lb/>
&#x017F;teller die genannte Mu&#x017F;chel beobachtet hat, deutet &#x017F;ehr ent&#x017F;chieden darauf hin, daß die&#x017F;elbe in<lb/>
den von ihnen unter&#x017F;uchten Gegenden damals nicht lebte; ein Schluß, der &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich bei<lb/>
kleinen &#x017F;eltneren, &#x017F;chwieriger zu findenden oder zu unter&#x017F;cheidenden Arten nicht &#x017F;tatthaft wäre,<lb/>
wohl aber bei die&#x017F;er Mu&#x017F;chel, welche gegenwärtig in der Havel, im Tegel&#x017F;ee u. &#x017F;. w. ma&#x017F;&#x017F;enwei&#x017F;e<lb/>
nahe am Ufer auf Steinen oder anderen Mu&#x017F;cheln &#x017F;itzend und in Menge ausgeworfen am Ufer<lb/>
zu finden i&#x017F;t. Alle Naturfor&#x017F;cher des vorigen Jahrhunderts kennen &#x017F;ie nur nach Pallas als &#x017F;üd-<lb/>
ruffi&#x017F;che Mu&#x017F;chel. Das älte&#x017F;te Datum einer ihr neues Vorkommen betreffenden Veröffentlichung<lb/>
i&#x017F;t 1825, wo C. E. <hi rendition="#g">von Bär</hi> &#x017F;agt, daß &#x017F;ie unermeßlich zahlreich im fri&#x017F;chen und kuri&#x017F;chen Haff,<lb/>
&#x017F;owie in den größeren Flü&#x017F;&#x017F;en viele Meilen vom Meere entfernt vorkomme, klumpenwei&#x017F;e an<lb/>
Steinen, namentlich anderen Mu&#x017F;cheln mittel&#x017F;t des By&#x017F;&#x017F;us befe&#x017F;tigt.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Jn der&#x017F;elben Zeit war &#x017F;ie aber nun auf einmal in der Havel unweit Potsdam und den<lb/>
benachbarten Seen, und zwar in Menge gefunden worden. Alle per&#x017F;önlichen Erinnerungen und<lb/>
gedruckten Notizen, welche ich in Berlin hierüber aufzu&#x017F;püren im Stande war, führen überein-<lb/>
&#x017F;timmend auf die&#x017F;e Zeit. Einige Jahre &#x017F;päter, etwa um 1835 wurde &#x017F;ie bei den Pfauenin&#x017F;eln<lb/>
unweit Potsdam durch ihr klumpenwei&#x017F;es Anheften an im Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;tehende Pfähle unangenehm<lb/>
bemerklich. Seit die&#x017F;er Zeit i&#x017F;t &#x017F;ie in der Havel und in dem Tegel&#x017F;ee äußer&#x017F;t zahlreich geblieben<lb/>
und hat &#x017F;ich in neue&#x017F;ter Zeit auch in der Spree unmittelbar bei Berlin gezeigt. Das Vorkommen<lb/>
un&#x017F;erer Mu&#x017F;chel in der Donan läßt &#x017F;ich mit Sicherheit bis 1824 zurückverfolgen, aber es läßt<lb/>
&#x017F;ich nicht nachwei&#x017F;en, daß &#x017F;ie früher in der Donan nicht gelebt habe.&#x201C; Aus der zum Elbegebiet<lb/>
gehörigen Havel i&#x017F;t &#x017F;ie bis jetzt &#x017F;tromaufwärts bis Magdeburg und Halle gedrungen. Jn der<lb/>
Rheinmündung wurde &#x017F;ie 1826 zuer&#x017F;t ge&#x017F;ehen, jetzt gehört ihr das Gebiet bis Hüningen und<lb/>
Heidelberg. Von Holland aus läßt &#x017F;ich ferner ihr Vordringen in das nördliche Frankreich bis<lb/>
Paris verfolgen, und in der neue&#x017F;ten Zeit i&#x017F;t &#x017F;ie aus dem Gebiet der Seine in das der Loire<lb/>
eingewandert. Endlich kennt man &#x017F;ie in England &#x017F;eit 1824, zuer&#x017F;t in den Londoner Docks, jetzt<lb/>
aber bewohnt &#x017F;ie &#x017F;chon ver&#x017F;chiedene Flü&#x017F;&#x017F;e Englands und Schottlands.</p><lb/>
              <p>Ob&#x017F;chon man &#x017F;ich auf die angegebenen, ihr er&#x017F;tes Auftreten in den mitteleuropäi&#x017F;chen Strom-<lb/>
gebieten betreffenden Zahlen nicht viel verla&#x017F;&#x017F;en kann, &#x201E;i&#x017F;t dennoch das nahezu gleichzeitige<lb/>
Er&#x017F;cheinen un&#x017F;erer Mu&#x017F;cheln in den haupt&#x017F;ächlich&#x017F;ten Stromgebieten Deut&#x017F;chlands und in England<lb/>
von be&#x017F;onderer Bedeutung. Jm Rheingebiet rückt &#x017F;ie ent&#x017F;chieden von der Mündung an nur<lb/>
&#x017F;tromaufwärts vor; in das Elbgebiet i&#x017F;t &#x017F;ie offenbar von O&#x017F;ten her durch die Havel getreten.<lb/>
Schon das giebt Andeutungen über das Wie und Woher der Verbreitung. Wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t<lb/>
die Wanderung keine &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige, eigenwillige, &#x017F;ondern Ver&#x017F;chleppung durch Schiffe und Flöße,<lb/>
an welche &#x017F;ich die Mu&#x017F;chel einmal fe&#x017F;tge&#x017F;etzt hat, der Weg daher die Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;traße der Men&#x017F;chen,<lb/>
&#x017F;eien es Flü&#x017F;&#x017F;e oder Schifffahrtskanäle. Letztere helfen ihr von einem Stromgebiet in ein anderes.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[918/0966] Muſcheln. Dimyarier. Mießmuſcheln. Pinnen. genauen Nachweis über das allmälige Vorrücken dieſer Süßwaſſermuſchel aus dem Oſten nach dem Weſten. Der Gegenſtand iſt in thiergeographiſcher Hinſicht ſo wichtig, daß wir nicht umhin können, den Bericht im Auszug und mit Hinweglaſſung vieler Detailangaben wörtlich mitzutheilen. „Jn Betreff der wirbelloſen Thiere“, heißt es, „iſt die Unterſcheidung der verſchiedenen Arten im Allgemeinen von ſo jungem Datum, daß ſich noch nichts über eine hiſtoriſche Aenderung in ihrem Vorkommen ſagen läßt. Eine der wenigen Ausnahmen von dieſer Regel bietet Dreyssena polymorpha, nicht weil ſie ſchon länger den Naturforſchern bekannt iſt, ſondern weil ſie in faſt ganz Europa die einzige Art ihrer Gattung iſt und vermöge ihrer Geſtalt auch beim ober- flächlichſten Anblick mit keiner anderen Gattung von Süßwaſſermuſcheln verwechſelt werden kann.“ „Die Kenntniß der auffälligeren Arten unſerer deutſchen Süßwaſſermollusten datirt, nur wenige Arten ausgenommen, erſt von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Martini 1768 und Schröter 1779, während die däniſchen von O. F. Müller 1774, die ſchwediſchen von Linné 1746—1766, die nordfranzöſiſchen von Geoffroy 1767, die engliſchen über faſt ein Jahrhundert früher von Liſter 1678 ſpeciell unterſchieden wurden. Daß keiner dieſer Schrift- ſteller die genannte Muſchel beobachtet hat, deutet ſehr entſchieden darauf hin, daß dieſelbe in den von ihnen unterſuchten Gegenden damals nicht lebte; ein Schluß, der ſelbſtverſtändlich bei kleinen ſeltneren, ſchwieriger zu findenden oder zu unterſcheidenden Arten nicht ſtatthaft wäre, wohl aber bei dieſer Muſchel, welche gegenwärtig in der Havel, im Tegelſee u. ſ. w. maſſenweiſe nahe am Ufer auf Steinen oder anderen Muſcheln ſitzend und in Menge ausgeworfen am Ufer zu finden iſt. Alle Naturforſcher des vorigen Jahrhunderts kennen ſie nur nach Pallas als ſüd- ruffiſche Muſchel. Das älteſte Datum einer ihr neues Vorkommen betreffenden Veröffentlichung iſt 1825, wo C. E. von Bär ſagt, daß ſie unermeßlich zahlreich im friſchen und kuriſchen Haff, ſowie in den größeren Flüſſen viele Meilen vom Meere entfernt vorkomme, klumpenweiſe an Steinen, namentlich anderen Muſcheln mittelſt des Byſſus befeſtigt.“ „Jn derſelben Zeit war ſie aber nun auf einmal in der Havel unweit Potsdam und den benachbarten Seen, und zwar in Menge gefunden worden. Alle perſönlichen Erinnerungen und gedruckten Notizen, welche ich in Berlin hierüber aufzuſpüren im Stande war, führen überein- ſtimmend auf dieſe Zeit. Einige Jahre ſpäter, etwa um 1835 wurde ſie bei den Pfaueninſeln unweit Potsdam durch ihr klumpenweiſes Anheften an im Waſſer ſtehende Pfähle unangenehm bemerklich. Seit dieſer Zeit iſt ſie in der Havel und in dem Tegelſee äußerſt zahlreich geblieben und hat ſich in neueſter Zeit auch in der Spree unmittelbar bei Berlin gezeigt. Das Vorkommen unſerer Muſchel in der Donan läßt ſich mit Sicherheit bis 1824 zurückverfolgen, aber es läßt ſich nicht nachweiſen, daß ſie früher in der Donan nicht gelebt habe.“ Aus der zum Elbegebiet gehörigen Havel iſt ſie bis jetzt ſtromaufwärts bis Magdeburg und Halle gedrungen. Jn der Rheinmündung wurde ſie 1826 zuerſt geſehen, jetzt gehört ihr das Gebiet bis Hüningen und Heidelberg. Von Holland aus läßt ſich ferner ihr Vordringen in das nördliche Frankreich bis Paris verfolgen, und in der neueſten Zeit iſt ſie aus dem Gebiet der Seine in das der Loire eingewandert. Endlich kennt man ſie in England ſeit 1824, zuerſt in den Londoner Docks, jetzt aber bewohnt ſie ſchon verſchiedene Flüſſe Englands und Schottlands. Obſchon man ſich auf die angegebenen, ihr erſtes Auftreten in den mitteleuropäiſchen Strom- gebieten betreffenden Zahlen nicht viel verlaſſen kann, „iſt dennoch das nahezu gleichzeitige Erſcheinen unſerer Muſcheln in den hauptſächlichſten Stromgebieten Deutſchlands und in England von beſonderer Bedeutung. Jm Rheingebiet rückt ſie entſchieden von der Mündung an nur ſtromaufwärts vor; in das Elbgebiet iſt ſie offenbar von Oſten her durch die Havel getreten. Schon das giebt Andeutungen über das Wie und Woher der Verbreitung. Wahrſcheinlich iſt die Wanderung keine ſelbſtſtändige, eigenwillige, ſondern Verſchleppung durch Schiffe und Flöße, an welche ſich die Muſchel einmal feſtgeſetzt hat, der Weg daher die Waſſerſtraße der Menſchen, ſeien es Flüſſe oder Schifffahrtskanäle. Letztere helfen ihr von einem Stromgebiet in ein anderes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/966
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 918. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/966>, abgerufen am 19.05.2024.