sie bis kurze Strecken, etwa einige hundert Schritte vor ihrer Einmündung in größere Flüsse. Die Lieblingsstellen dieser Thiere sind mäßig tiefe Tümpel mit einem Untergrunde von Granitkies und Sand, vornehmlich an den Ecken und Winkeln der Bäche im kühlen Schatten unter den Wurzeln der Erlen und Weiden, unter umgerissenen Baumstämmen und vor Allem an der Einmündung frischer, reiner Quellen; doch fliehen sie auch nicht die breiten Strecken in Mitte der Bäche, besonders an ihren Umbiegungen, wo die wärmenden Strahlen der Morgensonne die beschatteten Ufer durch- brechen. So sehr ein reiner, weißsandiger, selbst mit größeren Steinen untermischter Boden und klares, kaltes, mäßig strömendes Wasser die Bedingungen eines behaglichen Lebens für sie sind, so sehr meiden sie womöglich schlammigen oder rein felsigen, mit Wasserpflanzen bewachsenen Grund, vor Allem die Eintrittsstellen aus moosigen Wiesen abfließender oder eisenhaltiger Wasser.
Hier leben sie theils einzeln, mit wenigen Gefährten, theils in zerstreuten, dicht gedrängten Kolonien, welche große Strecken der Bäche wie auspflastern, ihr einförmiges Leben, bald in schwer erreichbaren Tiefen, bald nur von geringer Wasserfläche bedeckt. Sie stecken, der Strömung des Wassers folgend, bisweilen in querer Richtung, mit der Hälfte oder mit zwei Dritttheilen ihrer Schalenlänge im sandigen Grunde, nicht selten zu zwei und drei Schichten übereinander, mit 1 bis 2 Zoll dicken Sandlagen zwischen jeder Schichte, wovon die obere die ältesten, die unterste die jüngsten Thiere stufenweise in sich birgt. Jn dieser Stellung fangen sie mit ihrem hinteren, 1/2 Zoll weit offen stehenden Schalenende das über sie hingleitende Wasser auf, und man kann bei ihrer ungestörten Ruhe an seichten Bachstellen beobachten, wie in beliebigen, an keinen Rhythmus gebundenen Zwischenräumen durch die trichterförmig geschlossenen Tentakeln dasselbe mit seinen suspendirten Körperchen eingesogen und durch eine dem Schlosse näher zu gelegene Spalte mit ziemlich heftigem Stoße, oft in einem starken, vom hinteren Schließmuskel senkrechten Strahle, mit Kothmassen vermischt, wieder ausgestoßen wird, so daß die Oberfläche des Baches auf mehrere Zolle im Umkreise in eine strudelförmige Bewegung versetzt wird. Am lebhaftesten geht diese Kiemenströmung, wobei das Thier mit dem hinteren Theile der Schale sich hebt und wieder senkt, vor sich, wenn es den Strahlen der Sonne unmittelbar oder doch bei hoher Temperatur der Atmosphäre ihrem Widerscheine ausgesetzt ist; sie hält abwechselnd stundenlang an und ruht dann wieder eben so lange und noch länger; im Dunkeln hört sie gewöhnlich ganz auf und wird bei trüber Witterung oft mehrere Tage hindurch immer seltener.
So sehr diese Thiere einer phlegmatischen Ruhe im Uebermaße sich ergeben, so bemerkt man bei ihnen gleichwohl deutliche Spuren einer Bewegungsfähigkeit. Muscheln, nach ihrer Besichtigung bei der Fischerei wieder ins Wasser geworfen, sind Tags darauf bis in die Mitte des Baches fortgerückt, wie die ihnen nachfolgenden Rinnen im Sande beweisen; doch ist auch eine solche Ortsveränderung keine bedeutende und die Bewegung keine lebhafte: gezeichnete Muscheln finden sich oft nach 6 bis 8 Jahren ziemlich in der Nähe des Einsetzungsortes, wenn sie nicht durch äußere Einflüsse gestört wurden. Jhre gemeinschaftlichen Versammlungen an den freien Stellen der Bäche zur milden Sommerszeit, ihre herbstlichen Wanderungen nach der Tiefe des Bodens, die Züge der Einzelnen, welche bei Tag und Nacht erfolgen, erstrecken sich nie auf weite Entfernungen, etwa 20 bis 30 Schritte und darüber. Revierförster Walther in Hohenburg, dieser fleißige Beobachter, erzählte von Heßling von einer Muschel, welche von Morgens 8 Uhr bis Abends 5 Uhr eine Reise von 21/2 Fuß Entfernung unternahm. Wenn sie sich nach jeder Pause wieder bewegte, brauchte sie zu einer Distanz, welche ihrer ganzen Schalenlänge gleichkam, 30 Minuten. Solche Wanderungen, veranlaßt durch verschiedene, oft auch unbekannte Ursachen, z. B. Abschwemmung des Grundes, Veränderung des Wasserstandes, der Temperatur, äußere gewaltsame Störung etc., erfolgen nur da, wo die Muschel so im Sande oder zwischen Kies sitzt, daß sie Furchen ziehen kann; Muscheln, welche zwischen Steinen sich aufhalten oder in steiniger Umgebung neben einander fest eingekeilt sind, wird eine freiwillige Bewegung zur Unmöglichkeit. Die Fortbewegung erfolgt in zwei deutlich zu unterscheidenden Akten: der zwischen den Schalen
Europäiſche Perlenmuſchel.
ſie bis kurze Strecken, etwa einige hundert Schritte vor ihrer Einmündung in größere Flüſſe. Die Lieblingsſtellen dieſer Thiere ſind mäßig tiefe Tümpel mit einem Untergrunde von Granitkies und Sand, vornehmlich an den Ecken und Winkeln der Bäche im kühlen Schatten unter den Wurzeln der Erlen und Weiden, unter umgeriſſenen Baumſtämmen und vor Allem an der Einmündung friſcher, reiner Quellen; doch fliehen ſie auch nicht die breiten Strecken in Mitte der Bäche, beſonders an ihren Umbiegungen, wo die wärmenden Strahlen der Morgenſonne die beſchatteten Ufer durch- brechen. So ſehr ein reiner, weißſandiger, ſelbſt mit größeren Steinen untermiſchter Boden und klares, kaltes, mäßig ſtrömendes Waſſer die Bedingungen eines behaglichen Lebens für ſie ſind, ſo ſehr meiden ſie womöglich ſchlammigen oder rein felſigen, mit Waſſerpflanzen bewachſenen Grund, vor Allem die Eintrittsſtellen aus mooſigen Wieſen abfließender oder eiſenhaltiger Waſſer.
Hier leben ſie theils einzeln, mit wenigen Gefährten, theils in zerſtreuten, dicht gedrängten Kolonien, welche große Strecken der Bäche wie auspflaſtern, ihr einförmiges Leben, bald in ſchwer erreichbaren Tiefen, bald nur von geringer Waſſerfläche bedeckt. Sie ſtecken, der Strömung des Waſſers folgend, bisweilen in querer Richtung, mit der Hälfte oder mit zwei Dritttheilen ihrer Schalenlänge im ſandigen Grunde, nicht ſelten zu zwei und drei Schichten übereinander, mit 1 bis 2 Zoll dicken Sandlagen zwiſchen jeder Schichte, wovon die obere die älteſten, die unterſte die jüngſten Thiere ſtufenweiſe in ſich birgt. Jn dieſer Stellung fangen ſie mit ihrem hinteren, ½ Zoll weit offen ſtehenden Schalenende das über ſie hingleitende Waſſer auf, und man kann bei ihrer ungeſtörten Ruhe an ſeichten Bachſtellen beobachten, wie in beliebigen, an keinen Rhythmus gebundenen Zwiſchenräumen durch die trichterförmig geſchloſſenen Tentakeln daſſelbe mit ſeinen ſuspendirten Körperchen eingeſogen und durch eine dem Schloſſe näher zu gelegene Spalte mit ziemlich heftigem Stoße, oft in einem ſtarken, vom hinteren Schließmuskel ſenkrechten Strahle, mit Kothmaſſen vermiſcht, wieder ausgeſtoßen wird, ſo daß die Oberfläche des Baches auf mehrere Zolle im Umkreiſe in eine ſtrudelförmige Bewegung verſetzt wird. Am lebhafteſten geht dieſe Kiemenſtrömung, wobei das Thier mit dem hinteren Theile der Schale ſich hebt und wieder ſenkt, vor ſich, wenn es den Strahlen der Sonne unmittelbar oder doch bei hoher Temperatur der Atmosphäre ihrem Widerſcheine ausgeſetzt iſt; ſie hält abwechſelnd ſtundenlang an und ruht dann wieder eben ſo lange und noch länger; im Dunkeln hört ſie gewöhnlich ganz auf und wird bei trüber Witterung oft mehrere Tage hindurch immer ſeltener.
So ſehr dieſe Thiere einer phlegmatiſchen Ruhe im Uebermaße ſich ergeben, ſo bemerkt man bei ihnen gleichwohl deutliche Spuren einer Bewegungsfähigkeit. Muſcheln, nach ihrer Beſichtigung bei der Fiſcherei wieder ins Waſſer geworfen, ſind Tags darauf bis in die Mitte des Baches fortgerückt, wie die ihnen nachfolgenden Rinnen im Sande beweiſen; doch iſt auch eine ſolche Ortsveränderung keine bedeutende und die Bewegung keine lebhafte: gezeichnete Muſcheln finden ſich oft nach 6 bis 8 Jahren ziemlich in der Nähe des Einſetzungsortes, wenn ſie nicht durch äußere Einflüſſe geſtört wurden. Jhre gemeinſchaftlichen Verſammlungen an den freien Stellen der Bäche zur milden Sommerszeit, ihre herbſtlichen Wanderungen nach der Tiefe des Bodens, die Züge der Einzelnen, welche bei Tag und Nacht erfolgen, erſtrecken ſich nie auf weite Entfernungen, etwa 20 bis 30 Schritte und darüber. Revierförſter Walther in Hohenburg, dieſer fleißige Beobachter, erzählte von Heßling von einer Muſchel, welche von Morgens 8 Uhr bis Abends 5 Uhr eine Reiſe von 2½ Fuß Entfernung unternahm. Wenn ſie ſich nach jeder Pauſe wieder bewegte, brauchte ſie zu einer Diſtanz, welche ihrer ganzen Schalenlänge gleichkam, 30 Minuten. Solche Wanderungen, veranlaßt durch verſchiedene, oft auch unbekannte Urſachen, z. B. Abſchwemmung des Grundes, Veränderung des Waſſerſtandes, der Temperatur, äußere gewaltſame Störung ꝛc., erfolgen nur da, wo die Muſchel ſo im Sande oder zwiſchen Kies ſitzt, daß ſie Furchen ziehen kann; Muſcheln, welche zwiſchen Steinen ſich aufhalten oder in ſteiniger Umgebung neben einander feſt eingekeilt ſind, wird eine freiwillige Bewegung zur Unmöglichkeit. Die Fortbewegung erfolgt in zwei deutlich zu unterſcheidenden Akten: der zwiſchen den Schalen
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Europäiſche Perlenmuſchel.
ſie bis kurze Strecken, etwa einige hundert Schritte vor ihrer Einmündung in größere Flüſſe. Die
Lieblingsſtellen dieſer Thiere ſind mäßig tiefe Tümpel mit einem Untergrunde von Granitkies und
Sand, vornehmlich an den Ecken und Winkeln der Bäche im kühlen Schatten unter den Wurzeln der
Erlen und Weiden, unter umgeriſſenen Baumſtämmen und vor Allem an der Einmündung friſcher,
reiner Quellen; doch fliehen ſie auch nicht die breiten Strecken in Mitte der Bäche, beſonders an
ihren Umbiegungen, wo die wärmenden Strahlen der Morgenſonne die beſchatteten Ufer durch-
brechen. So ſehr ein reiner, weißſandiger, ſelbſt mit größeren Steinen untermiſchter Boden und
klares, kaltes, mäßig ſtrömendes Waſſer die Bedingungen eines behaglichen Lebens für ſie ſind,
ſo ſehr meiden ſie womöglich ſchlammigen oder rein felſigen, mit Waſſerpflanzen bewachſenen
Grund, vor Allem die Eintrittsſtellen aus mooſigen Wieſen abfließender oder eiſenhaltiger Waſſer.
Hier leben ſie theils einzeln, mit wenigen Gefährten, theils in zerſtreuten, dicht gedrängten
Kolonien, welche große Strecken der Bäche wie auspflaſtern, ihr einförmiges Leben, bald in ſchwer
erreichbaren Tiefen, bald nur von geringer Waſſerfläche bedeckt. Sie ſtecken, der Strömung des
Waſſers folgend, bisweilen in querer Richtung, mit der Hälfte oder mit zwei Dritttheilen ihrer
Schalenlänge im ſandigen Grunde, nicht ſelten zu zwei und drei Schichten übereinander, mit
1 bis 2 Zoll dicken Sandlagen zwiſchen jeder Schichte, wovon die obere die älteſten, die unterſte
die jüngſten Thiere ſtufenweiſe in ſich birgt. Jn dieſer Stellung fangen ſie mit ihrem hinteren,
½ Zoll weit offen ſtehenden Schalenende das über ſie hingleitende Waſſer auf, und man kann
bei ihrer ungeſtörten Ruhe an ſeichten Bachſtellen beobachten, wie in beliebigen, an keinen
Rhythmus gebundenen Zwiſchenräumen durch die trichterförmig geſchloſſenen Tentakeln daſſelbe mit
ſeinen ſuspendirten Körperchen eingeſogen und durch eine dem Schloſſe näher zu gelegene Spalte
mit ziemlich heftigem Stoße, oft in einem ſtarken, vom hinteren Schließmuskel ſenkrechten Strahle,
mit Kothmaſſen vermiſcht, wieder ausgeſtoßen wird, ſo daß die Oberfläche des Baches auf mehrere
Zolle im Umkreiſe in eine ſtrudelförmige Bewegung verſetzt wird. Am lebhafteſten geht dieſe
Kiemenſtrömung, wobei das Thier mit dem hinteren Theile der Schale ſich hebt und wieder ſenkt,
vor ſich, wenn es den Strahlen der Sonne unmittelbar oder doch bei hoher Temperatur der
Atmosphäre ihrem Widerſcheine ausgeſetzt iſt; ſie hält abwechſelnd ſtundenlang an und ruht
dann wieder eben ſo lange und noch länger; im Dunkeln hört ſie gewöhnlich ganz auf und wird
bei trüber Witterung oft mehrere Tage hindurch immer ſeltener.
So ſehr dieſe Thiere einer phlegmatiſchen Ruhe im Uebermaße ſich ergeben, ſo bemerkt man
bei ihnen gleichwohl deutliche Spuren einer Bewegungsfähigkeit. Muſcheln, nach ihrer
Beſichtigung bei der Fiſcherei wieder ins Waſſer geworfen, ſind Tags darauf bis in die Mitte
des Baches fortgerückt, wie die ihnen nachfolgenden Rinnen im Sande beweiſen; doch iſt auch
eine ſolche Ortsveränderung keine bedeutende und die Bewegung keine lebhafte: gezeichnete Muſcheln
finden ſich oft nach 6 bis 8 Jahren ziemlich in der Nähe des Einſetzungsortes, wenn ſie nicht
durch äußere Einflüſſe geſtört wurden. Jhre gemeinſchaftlichen Verſammlungen an den freien
Stellen der Bäche zur milden Sommerszeit, ihre herbſtlichen Wanderungen nach der Tiefe des
Bodens, die Züge der Einzelnen, welche bei Tag und Nacht erfolgen, erſtrecken ſich nie auf weite
Entfernungen, etwa 20 bis 30 Schritte und darüber. Revierförſter Walther in Hohenburg,
dieſer fleißige Beobachter, erzählte von Heßling von einer Muſchel, welche von Morgens
8 Uhr bis Abends 5 Uhr eine Reiſe von 2½ Fuß Entfernung unternahm. Wenn ſie ſich nach jeder
Pauſe wieder bewegte, brauchte ſie zu einer Diſtanz, welche ihrer ganzen Schalenlänge gleichkam,
30 Minuten. Solche Wanderungen, veranlaßt durch verſchiedene, oft auch unbekannte Urſachen,
z. B. Abſchwemmung des Grundes, Veränderung des Waſſerſtandes, der Temperatur, äußere
gewaltſame Störung ꝛc., erfolgen nur da, wo die Muſchel ſo im Sande oder zwiſchen Kies ſitzt,
daß ſie Furchen ziehen kann; Muſcheln, welche zwiſchen Steinen ſich aufhalten oder in ſteiniger
Umgebung neben einander feſt eingekeilt ſind, wird eine freiwillige Bewegung zur Unmöglichkeit.
Die Fortbewegung erfolgt in zwei deutlich zu unterſcheidenden Akten: der zwiſchen den Schalen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 901. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/949>, abgerufen am 24.11.2024.
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