Viele Arten von Unio erzeugen Perlen, besonders reich an diesem köstlichen Erzeugniß ist aber die ächte Perlenmuschel (Unio margaritifer). Wir besitzen über die Perlenmuscheln und Perlen ein ganz vorzügliches, den Gegenstand kulturhistorisch, naturgeschichtlich, anatomisch und physiologisch erschöpfendes Werk von Theodor von Heßling, aus welchem Alles, was wir jetzt über die Flußperlenmuschel und später über die Seeperleumuschel (Avicula) bringen werden, ein größtentheils wörtlicher Auszug ist. Bei der so innigen Verwandtschaft der Unionen gilt das Bild, welches der Münchner Naturforscher von Unio margaritifer entwirft in anatomisch- physiologischer und lebensgeschichtlicher Beziehung mehr oder minder für alle übrigen.
Die ächte Perlenmuschel ist unter allen deutschen Süßwassermuscheln durch die unverhältnißmäßige Dicke ihrer Schalen ausgezeichnet, welche in einigen Gegenden, in Sachsen, dem nördlichen und östlichen Bayern eine Länge von 5 bis 6 Zoll erreichen. Die Behauptung der Systematiker, daß bei allen Najaden und vorzüglich bei der Perlenmuschel der Geschlechtsunterschied mancherlei Abweichungen in der äußeren Form der Schalen bedinge, fand von Heßling nicht bestätigt. Es erwies sich auf das allerbestimmteste, daß derartige Unterschiede nicht angenommen werden dürfen, daß alle diese Abweichungen bei der Perlenmuschel zwar vorhanden, aber nur individueller, nie vom Geschlecht bedingter Natur sind. Das Vorkommen der Flußperlenmuschel ist ein sehr ausgedehntes; sie lebt an Jrlands westlichen Küsten und in den Flüssen des Urals, sie gedeiht auf der skandinavischen Halbinsel, wie im nördlichen Rußland bis hinauf aus Eismeer und wohnt in den Mündungen des Don wie in den reißenden Bächen der Pyrenäen. Wenn wir oben (Seite 793) den günstigen Einfluß erwähnten, den der Kalkboden auf die Verbreitung der Weichthiere ausübt, so macht hiervon die Flußperlenmuschel eine merkwürdige Ausnahme. Diese lebt und findet sich nur behaglich in solchen Gewässern, welche aus Urgebirge und anderen, viel Kieselerde führenden, äußerst kalkarmen Gebirgsarten entspringen, sowie ununterbrochen durch Gegenden von derartiger geognostischer Beschaffenheit fließen. Solche Bodenverhältnisse zeigen vor allen die Perlenmuscheln führenden Gewässer Deutschlands, dessen größte Perlenmuschel-Reviere der bayerische Wald, das Fichtelgebirge und das sächsische Voigtland sind. Heßling veranlaßte eine genaue Untersuchung der Wässer des bayerischen Waldes, welche sämmtlich ausgezeichnet weich sind, und spricht sich, wie folgt, über den Einfluß derselben auf die Thierwelt aus. Ueberall wie in der Pflanzenwelt auffallender Mangel der Arten bei höheren, wie bei niederen Organismen. Mit welcher Emsigkeit kommen die Vögel des Waldes zur Brütezeit an die menschlichen Wohnungen, um den Mörtel der Mauern aufzulesen und fortzutragen. Die Bäuerinnen sammeln und tauschen gegen Flachs Eierschalen für ihre Hennen ein, welche sonst Eier ohne Schalen legen. Und welche Resultate der Viehmast bei einem Futter von Haidekraut, Farrenkraut, welches die Thiere der üppigen Alpenweide nie berühren: zartknochige Rinder mit appetitlichen Fleischbeilagen. Arm sind die Bäche an niederen Thierformen, arm an Fischen; ungenießbare Aiteln, flüchtige Aeschen, welche nach dem Ausspruche der Fischer weit phlegmatischer sein sollen, als die der harten Wasser, springende Forellen mit vortrefflichem Fleische und Einsiedelei treibende Krebse sind der Perlenmuschel fast einzige Genossen.
Diese kalkarmen Bäche, in welchen Unio margaritifer lebt und wächst, so schildert von Heßling, rieseln ruhigen, doch nicht schläfrigen Ganges über blumenreiche Wiesenauen, bald zwischen üppig grünenden Halden oder am Saume schattiger Wälder, bald zwischen fruchtbaren Hügeln und Vergen, welchen frische muntere Wasser entquellen; sie sind umfriedet von üppig wuchernden Erlen und Weiden, umflattert von neckischen Libellen und belebt von klappernden Mühlen; aber sie stürzen auch in pfeilschneller Eile durch enge, schluchtenartige Thäler, zwischen steilen, melancholisch beschatteten, felsigen Wänden, über steinigen, unterwühlten Grund, aus welchem riesige Granitblöcke mächtig ihr ehrwürdiges Haupt erheben. Gewöhnlich erst, nachdem sie das Hauptgehänge des Gebirges verlassen, aus dunklen, finsteren Wäldern getreten und ihr starker Fall sich verloren, nehmen sie die Perlenmuschel in ihr kaltes, gastliches Bett auf und beherbergen
Muſcheln. Dimyarier. Najaden.
Viele Arten von Unio erzeugen Perlen, beſonders reich an dieſem köſtlichen Erzeugniß iſt aber die ächte Perlenmuſchel (Unio margaritifer). Wir beſitzen über die Perlenmuſcheln und Perlen ein ganz vorzügliches, den Gegenſtand kulturhiſtoriſch, naturgeſchichtlich, anatomiſch und phyſiologiſch erſchöpfendes Werk von Theodor von Heßling, aus welchem Alles, was wir jetzt über die Flußperlenmuſchel und ſpäter über die Seeperleumuſchel (Avicula) bringen werden, ein größtentheils wörtlicher Auszug iſt. Bei der ſo innigen Verwandtſchaft der Unionen gilt das Bild, welches der Münchner Naturforſcher von Unio margaritifer entwirft in anatomiſch- phyſiologiſcher und lebensgeſchichtlicher Beziehung mehr oder minder für alle übrigen.
Die ächte Perlenmuſchel iſt unter allen deutſchen Süßwaſſermuſcheln durch die unverhältnißmäßige Dicke ihrer Schalen ausgezeichnet, welche in einigen Gegenden, in Sachſen, dem nördlichen und öſtlichen Bayern eine Länge von 5 bis 6 Zoll erreichen. Die Behauptung der Syſtematiker, daß bei allen Najaden und vorzüglich bei der Perlenmuſchel der Geſchlechtsunterſchied mancherlei Abweichungen in der äußeren Form der Schalen bedinge, fand von Heßling nicht beſtätigt. Es erwies ſich auf das allerbeſtimmteſte, daß derartige Unterſchiede nicht angenommen werden dürfen, daß alle dieſe Abweichungen bei der Perlenmuſchel zwar vorhanden, aber nur individueller, nie vom Geſchlecht bedingter Natur ſind. Das Vorkommen der Flußperlenmuſchel iſt ein ſehr ausgedehntes; ſie lebt an Jrlands weſtlichen Küſten und in den Flüſſen des Urals, ſie gedeiht auf der ſkandinaviſchen Halbinſel, wie im nördlichen Rußland bis hinauf aus Eismeer und wohnt in den Mündungen des Don wie in den reißenden Bächen der Pyrenäen. Wenn wir oben (Seite 793) den günſtigen Einfluß erwähnten, den der Kalkboden auf die Verbreitung der Weichthiere ausübt, ſo macht hiervon die Flußperlenmuſchel eine merkwürdige Ausnahme. Dieſe lebt und findet ſich nur behaglich in ſolchen Gewäſſern, welche aus Urgebirge und anderen, viel Kieſelerde führenden, äußerſt kalkarmen Gebirgsarten entſpringen, ſowie ununterbrochen durch Gegenden von derartiger geognoſtiſcher Beſchaffenheit fließen. Solche Bodenverhältniſſe zeigen vor allen die Perlenmuſcheln führenden Gewäſſer Deutſchlands, deſſen größte Perlenmuſchel-Reviere der bayeriſche Wald, das Fichtelgebirge und das ſächſiſche Voigtland ſind. Heßling veranlaßte eine genaue Unterſuchung der Wäſſer des bayeriſchen Waldes, welche ſämmtlich ausgezeichnet weich ſind, und ſpricht ſich, wie folgt, über den Einfluß derſelben auf die Thierwelt aus. Ueberall wie in der Pflanzenwelt auffallender Mangel der Arten bei höheren, wie bei niederen Organismen. Mit welcher Emſigkeit kommen die Vögel des Waldes zur Brütezeit an die menſchlichen Wohnungen, um den Mörtel der Mauern aufzuleſen und fortzutragen. Die Bäuerinnen ſammeln und tauſchen gegen Flachs Eierſchalen für ihre Hennen ein, welche ſonſt Eier ohne Schalen legen. Und welche Reſultate der Viehmaſt bei einem Futter von Haidekraut, Farrenkraut, welches die Thiere der üppigen Alpenweide nie berühren: zartknochige Rinder mit appetitlichen Fleiſchbeilagen. Arm ſind die Bäche an niederen Thierformen, arm an Fiſchen; ungenießbare Aiteln, flüchtige Aeſchen, welche nach dem Ausſpruche der Fiſcher weit phlegmatiſcher ſein ſollen, als die der harten Waſſer, ſpringende Forellen mit vortrefflichem Fleiſche und Einſiedelei treibende Krebſe ſind der Perlenmuſchel faſt einzige Genoſſen.
Dieſe kalkarmen Bäche, in welchen Unio margaritifer lebt und wächſt, ſo ſchildert von Heßling, rieſeln ruhigen, doch nicht ſchläfrigen Ganges über blumenreiche Wieſenauen, bald zwiſchen üppig grünenden Halden oder am Saume ſchattiger Wälder, bald zwiſchen fruchtbaren Hügeln und Vergen, welchen friſche muntere Waſſer entquellen; ſie ſind umfriedet von üppig wuchernden Erlen und Weiden, umflattert von neckiſchen Libellen und belebt von klappernden Mühlen; aber ſie ſtürzen auch in pfeilſchneller Eile durch enge, ſchluchtenartige Thäler, zwiſchen ſteilen, melancholiſch beſchatteten, felſigen Wänden, über ſteinigen, unterwühlten Grund, aus welchem rieſige Granitblöcke mächtig ihr ehrwürdiges Haupt erheben. Gewöhnlich erſt, nachdem ſie das Hauptgehänge des Gebirges verlaſſen, aus dunklen, finſteren Wäldern getreten und ihr ſtarker Fall ſich verloren, nehmen ſie die Perlenmuſchel in ihr kaltes, gaſtliches Bett auf und beherbergen
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Muſcheln. Dimyarier. Najaden.
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aber die ächte Perlenmuſchel (Unio margaritifer). Wir beſitzen über die Perlenmuſcheln
und Perlen ein ganz vorzügliches, den Gegenſtand kulturhiſtoriſch, naturgeſchichtlich, anatomiſch
und phyſiologiſch erſchöpfendes Werk von Theodor von Heßling, aus welchem Alles, was
wir jetzt über die Flußperlenmuſchel und ſpäter über die Seeperleumuſchel (Avicula) bringen
werden, ein größtentheils wörtlicher Auszug iſt. Bei der ſo innigen Verwandtſchaft der Unionen
gilt das Bild, welches der Münchner Naturforſcher von Unio margaritifer entwirft in anatomiſch-
phyſiologiſcher und lebensgeſchichtlicher Beziehung mehr oder minder für alle übrigen.
Die ächte Perlenmuſchel iſt unter allen deutſchen Süßwaſſermuſcheln durch die unverhältnißmäßige
Dicke ihrer Schalen ausgezeichnet, welche in einigen Gegenden, in Sachſen, dem nördlichen und
öſtlichen Bayern eine Länge von 5 bis 6 Zoll erreichen. Die Behauptung der Syſtematiker, daß
bei allen Najaden und vorzüglich bei der Perlenmuſchel der Geſchlechtsunterſchied mancherlei
Abweichungen in der äußeren Form der Schalen bedinge, fand von Heßling nicht beſtätigt.
Es erwies ſich auf das allerbeſtimmteſte, daß derartige Unterſchiede nicht angenommen werden
dürfen, daß alle dieſe Abweichungen bei der Perlenmuſchel zwar vorhanden, aber nur individueller,
nie vom Geſchlecht bedingter Natur ſind. Das Vorkommen der Flußperlenmuſchel iſt ein ſehr
ausgedehntes; ſie lebt an Jrlands weſtlichen Küſten und in den Flüſſen des Urals, ſie gedeiht
auf der ſkandinaviſchen Halbinſel, wie im nördlichen Rußland bis hinauf aus Eismeer und wohnt
in den Mündungen des Don wie in den reißenden Bächen der Pyrenäen. Wenn wir oben
(Seite 793) den günſtigen Einfluß erwähnten, den der Kalkboden auf die Verbreitung der
Weichthiere ausübt, ſo macht hiervon die Flußperlenmuſchel eine merkwürdige Ausnahme. Dieſe
lebt und findet ſich nur behaglich in ſolchen Gewäſſern, welche aus Urgebirge und anderen, viel
Kieſelerde führenden, äußerſt kalkarmen Gebirgsarten entſpringen, ſowie ununterbrochen durch
Gegenden von derartiger geognoſtiſcher Beſchaffenheit fließen. Solche Bodenverhältniſſe zeigen vor
allen die Perlenmuſcheln führenden Gewäſſer Deutſchlands, deſſen größte Perlenmuſchel-Reviere der
bayeriſche Wald, das Fichtelgebirge und das ſächſiſche Voigtland ſind. Heßling veranlaßte eine
genaue Unterſuchung der Wäſſer des bayeriſchen Waldes, welche ſämmtlich ausgezeichnet weich ſind,
und ſpricht ſich, wie folgt, über den Einfluß derſelben auf die Thierwelt aus. Ueberall wie in
der Pflanzenwelt auffallender Mangel der Arten bei höheren, wie bei niederen Organismen.
Mit welcher Emſigkeit kommen die Vögel des Waldes zur Brütezeit an die menſchlichen Wohnungen,
um den Mörtel der Mauern aufzuleſen und fortzutragen. Die Bäuerinnen ſammeln und tauſchen
gegen Flachs Eierſchalen für ihre Hennen ein, welche ſonſt Eier ohne Schalen legen. Und welche
Reſultate der Viehmaſt bei einem Futter von Haidekraut, Farrenkraut, welches die Thiere der
üppigen Alpenweide nie berühren: zartknochige Rinder mit appetitlichen Fleiſchbeilagen. Arm ſind
die Bäche an niederen Thierformen, arm an Fiſchen; ungenießbare Aiteln, flüchtige Aeſchen,
welche nach dem Ausſpruche der Fiſcher weit phlegmatiſcher ſein ſollen, als die der harten
Waſſer, ſpringende Forellen mit vortrefflichem Fleiſche und Einſiedelei treibende Krebſe ſind der
Perlenmuſchel faſt einzige Genoſſen.
Dieſe kalkarmen Bäche, in welchen Unio margaritifer lebt und wächſt, ſo ſchildert von Heßling,
rieſeln ruhigen, doch nicht ſchläfrigen Ganges über blumenreiche Wieſenauen, bald zwiſchen üppig
grünenden Halden oder am Saume ſchattiger Wälder, bald zwiſchen fruchtbaren Hügeln und
Vergen, welchen friſche muntere Waſſer entquellen; ſie ſind umfriedet von üppig wuchernden
Erlen und Weiden, umflattert von neckiſchen Libellen und belebt von klappernden Mühlen; aber
ſie ſtürzen auch in pfeilſchneller Eile durch enge, ſchluchtenartige Thäler, zwiſchen ſteilen,
melancholiſch beſchatteten, felſigen Wänden, über ſteinigen, unterwühlten Grund, aus welchem
rieſige Granitblöcke mächtig ihr ehrwürdiges Haupt erheben. Gewöhnlich erſt, nachdem ſie das
Hauptgehänge des Gebirges verlaſſen, aus dunklen, finſteren Wäldern getreten und ihr ſtarker
Fall ſich verloren, nehmen ſie die Perlenmuſchel in ihr kaltes, gaſtliches Bett auf und beherbergen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 900. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/948>, abgerufen am 24.11.2024.
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