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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Schnecken. Kammkiemer.
hervorgehen. "Man nennet einen solchen Unguis oder Nagel einen Onyx marina, und ist durch
ganz Jndien ein bekanntes Räucherwerk, indem es zu allen Räncherpulvern die Hauptingredienz
ausmacht. Jch rede von solchen Räucherpulvern, welche bei den Aerzten Thymiamata genannt
werden, und womit man auf glühenden Kohlen räuchert. Unter solchen nun macht der Unguis
die Hauptingredienz aus, wie die Aloe unter den Pillen. Es hat zwar der Meernagel an und
vor sich keinen angenehmen Geruch; denn wenn man ihn in grobe Stücken zerbricht und auf
Kohlen leget, so gibt er erstlich einen Geruch, wie die gebratene Garneelen, bald hernach aber
neiget sich der Geruch auf Bernstein, oder, wie Dioscorides will, auf Bibergail, mithin ist doch
der Geruch, so lange man ihn alleine räuchert, nicht gar zu lieblich; menget man ihn hingegen
unter ander Räucherwerk, so gibt derselbe erst den anderen Sachen eine männliche Kraft und
Dauer. Denn da mehrentheils alles Räucherwerk aus solchen Hölzern, Harzen und Säften
bestehet, welche einen süßen, blumenartigen und starken widrigen Geruch haben, so muß man den
Meernagel darunter mengen, um den Geruch kräftig und dauerhaft zu machen. Man möchte
also diesen Meernagel mit dem Baß in der Musik vergleichen, welcher, so lange er allein gehört
wird, nicht angenehm klinget, aber unter anderen Tönen eine reizende Uebereinstimmung gibt,
und die Töne standhaft macht." Wenn wir unter den vielen Recepten noch das auswählen, daß
die indischen Quacksalber ein Wenig vom Onyx des Murex ramosus auf einen Stein reiben,
"und geben solches wider die Kolik und Bauchgrimmen zu trinken, auch gebrauchen sie den Rauch
davon wider die Mutterbeschwerung, jedoch muß man sie im letzteren Fall etwas hart braten oder
brennen" -- so werden wir uns glücklich schätzen, heute die Schneckendeckel weder als Parfüm
noch als Medicin gebrauchen zu müssen.

Ein viel wichtigerer und interessanterer Gegenstand, welcher sich an die Naturgeschichte von
Purpura und Murex anknüpft, ist die Purpurfarbe, über deren Gewinnung und Eigenthümlich-
keiten eine ganze Literatur existirt, ohne daß es zu einer genügenden Klarheit gekommen wäre,
bis vor zehn Jahren Lacaze-Duthiers die Angelegenheit durch seine ausgezeichneten Unter-
suchungen zu einem Abschluß gebracht hat. Als dieser Naturforscher im Sommer 1858 im Hafen
von Mahon mit Hülfe eines Fischers allerlei Seethiere aufsuchte, bemerkte er, daß sein Gehülfe
seine Kleidungsstücke zeichnete. Er machte die rohen Buchstaben und Figuren mit einem Stückchen
Holz; die Züge erschienen zuerst gelblich. "Es wird roth werden", sagte der Fischer, "sobald die
Sonne wird darauf geschienen haben." Dabei tauchte er das Holz in die zähe Absonderung des
Mantels, den er von einer Schnecke abgerissen hatte, und welche sogleich als Purpura haemastoma
-- spanisch Corn de fel -- zu erkennen war. Der Zoolog ließ auch seine Kleider auf der Stelle
zeichnen und machte alsbald die weitere Bemerkung, daß bei Einwirkung der Sonnenstrahlen sich
ein höchst unangenehmer und penetrauter Geruch entwickelte und eine sehr schöne violette Farbe
zum Vorschein kam. Dieß war die Veranlassung zu weiteren von dem schönsten Erfolge gekrönten
Nachforschungen, denen wir folgen.

Bekanntlich hat man schon längst aufgehört, sich des von Schnecken gelieferten Purpurs als
Färbemittel zu bedienen. Dagegen wissen wir aus den Schriftstellern der Griechen und Römer,
daß die Purpurgewinnung ein großer Jndustriezweig war, und daß nur die Großen und Reichen
sich wegen der Kostbarkeit des Stoffes den stolzen Namen der Bepurpurten -- purpurati --
beilegen konnten. Heute sehen wir nur an abgelegenen Jnseln und Küsten einzelne arme Leute
ihre Wäsche mit dem unauslöschlichen Purpur zeichnen, der im Alterthum, als die metallischen
und anderen Farben der modernen Chemie unbekannt waren, einen um so höheren Werth haben
mußte, als seine Tinten und seine Eigenschaft der Unauslöschlichkeit eben von der Sonne hervor-
gerufen und bedingt wurden. Jm Anfang des vorigen Jahrhunderts beschäftigte sich der berühmte
Beobachter der Jnsekten, Reaumur, an der Küste von Poitou mit den Purpurschnecken. Auch
er fand, daß die Substanz violet färbe, erkannte aber merkwürdiger Weise nicht, daß das Hervor-
treten der Farbe vom Licht abhänge, sondern glaubte, daß der Luftzug dabei im Spiele sei.

Schnecken. Kammkiemer.
hervorgehen. „Man nennet einen ſolchen Unguis oder Nagel einen Onyx marina, und iſt durch
ganz Jndien ein bekanntes Räucherwerk, indem es zu allen Räncherpulvern die Hauptingredienz
ausmacht. Jch rede von ſolchen Räucherpulvern, welche bei den Aerzten Thymiamata genannt
werden, und womit man auf glühenden Kohlen räuchert. Unter ſolchen nun macht der Unguis
die Hauptingredienz aus, wie die Aloe unter den Pillen. Es hat zwar der Meernagel an und
vor ſich keinen angenehmen Geruch; denn wenn man ihn in grobe Stücken zerbricht und auf
Kohlen leget, ſo gibt er erſtlich einen Geruch, wie die gebratene Garneelen, bald hernach aber
neiget ſich der Geruch auf Bernſtein, oder, wie Dioscorides will, auf Bibergail, mithin iſt doch
der Geruch, ſo lange man ihn alleine räuchert, nicht gar zu lieblich; menget man ihn hingegen
unter ander Räucherwerk, ſo gibt derſelbe erſt den anderen Sachen eine männliche Kraft und
Dauer. Denn da mehrentheils alles Räucherwerk aus ſolchen Hölzern, Harzen und Säften
beſtehet, welche einen ſüßen, blumenartigen und ſtarken widrigen Geruch haben, ſo muß man den
Meernagel darunter mengen, um den Geruch kräftig und dauerhaft zu machen. Man möchte
alſo dieſen Meernagel mit dem Baß in der Muſik vergleichen, welcher, ſo lange er allein gehört
wird, nicht angenehm klinget, aber unter anderen Tönen eine reizende Uebereinſtimmung gibt,
und die Töne ſtandhaft macht.“ Wenn wir unter den vielen Recepten noch das auswählen, daß
die indiſchen Quackſalber ein Wenig vom Onyx des Murex ramosus auf einen Stein reiben,
„und geben ſolches wider die Kolik und Bauchgrimmen zu trinken, auch gebrauchen ſie den Rauch
davon wider die Mutterbeſchwerung, jedoch muß man ſie im letzteren Fall etwas hart braten oder
brennen“ — ſo werden wir uns glücklich ſchätzen, heute die Schneckendeckel weder als Parfüm
noch als Medicin gebrauchen zu müſſen.

Ein viel wichtigerer und intereſſanterer Gegenſtand, welcher ſich an die Naturgeſchichte von
Purpura und Murex anknüpft, iſt die Purpurfarbe, über deren Gewinnung und Eigenthümlich-
keiten eine ganze Literatur exiſtirt, ohne daß es zu einer genügenden Klarheit gekommen wäre,
bis vor zehn Jahren Lacaze-Duthiers die Angelegenheit durch ſeine ausgezeichneten Unter-
ſuchungen zu einem Abſchluß gebracht hat. Als dieſer Naturforſcher im Sommer 1858 im Hafen
von Mahon mit Hülfe eines Fiſchers allerlei Seethiere aufſuchte, bemerkte er, daß ſein Gehülfe
ſeine Kleidungsſtücke zeichnete. Er machte die rohen Buchſtaben und Figuren mit einem Stückchen
Holz; die Züge erſchienen zuerſt gelblich. „Es wird roth werden“, ſagte der Fiſcher, „ſobald die
Sonne wird darauf geſchienen haben.“ Dabei tauchte er das Holz in die zähe Abſonderung des
Mantels, den er von einer Schnecke abgeriſſen hatte, und welche ſogleich als Purpura haemastoma
— ſpaniſch Corn de fel — zu erkennen war. Der Zoolog ließ auch ſeine Kleider auf der Stelle
zeichnen und machte alsbald die weitere Bemerkung, daß bei Einwirkung der Sonnenſtrahlen ſich
ein höchſt unangenehmer und penetrauter Geruch entwickelte und eine ſehr ſchöne violette Farbe
zum Vorſchein kam. Dieß war die Veranlaſſung zu weiteren von dem ſchönſten Erfolge gekrönten
Nachforſchungen, denen wir folgen.

Bekanntlich hat man ſchon längſt aufgehört, ſich des von Schnecken gelieferten Purpurs als
Färbemittel zu bedienen. Dagegen wiſſen wir aus den Schriftſtellern der Griechen und Römer,
daß die Purpurgewinnung ein großer Jnduſtriezweig war, und daß nur die Großen und Reichen
ſich wegen der Koſtbarkeit des Stoffes den ſtolzen Namen der Bepurpurten — purpurati
beilegen konnten. Heute ſehen wir nur an abgelegenen Jnſeln und Küſten einzelne arme Leute
ihre Wäſche mit dem unauslöſchlichen Purpur zeichnen, der im Alterthum, als die metalliſchen
und anderen Farben der modernen Chemie unbekannt waren, einen um ſo höheren Werth haben
mußte, als ſeine Tinten und ſeine Eigenſchaft der Unauslöſchlichkeit eben von der Sonne hervor-
gerufen und bedingt wurden. Jm Anfang des vorigen Jahrhunderts beſchäftigte ſich der berühmte
Beobachter der Jnſekten, Réaumur, an der Küſte von Poitou mit den Purpurſchnecken. Auch
er fand, daß die Subſtanz violet färbe, erkannte aber merkwürdiger Weiſe nicht, daß das Hervor-
treten der Farbe vom Licht abhänge, ſondern glaubte, daß der Luftzug dabei im Spiele ſei.

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[832/0880] Schnecken. Kammkiemer. hervorgehen. „Man nennet einen ſolchen Unguis oder Nagel einen Onyx marina, und iſt durch ganz Jndien ein bekanntes Räucherwerk, indem es zu allen Räncherpulvern die Hauptingredienz ausmacht. Jch rede von ſolchen Räucherpulvern, welche bei den Aerzten Thymiamata genannt werden, und womit man auf glühenden Kohlen räuchert. Unter ſolchen nun macht der Unguis die Hauptingredienz aus, wie die Aloe unter den Pillen. Es hat zwar der Meernagel an und vor ſich keinen angenehmen Geruch; denn wenn man ihn in grobe Stücken zerbricht und auf Kohlen leget, ſo gibt er erſtlich einen Geruch, wie die gebratene Garneelen, bald hernach aber neiget ſich der Geruch auf Bernſtein, oder, wie Dioscorides will, auf Bibergail, mithin iſt doch der Geruch, ſo lange man ihn alleine räuchert, nicht gar zu lieblich; menget man ihn hingegen unter ander Räucherwerk, ſo gibt derſelbe erſt den anderen Sachen eine männliche Kraft und Dauer. Denn da mehrentheils alles Räucherwerk aus ſolchen Hölzern, Harzen und Säften beſtehet, welche einen ſüßen, blumenartigen und ſtarken widrigen Geruch haben, ſo muß man den Meernagel darunter mengen, um den Geruch kräftig und dauerhaft zu machen. Man möchte alſo dieſen Meernagel mit dem Baß in der Muſik vergleichen, welcher, ſo lange er allein gehört wird, nicht angenehm klinget, aber unter anderen Tönen eine reizende Uebereinſtimmung gibt, und die Töne ſtandhaft macht.“ Wenn wir unter den vielen Recepten noch das auswählen, daß die indiſchen Quackſalber ein Wenig vom Onyx des Murex ramosus auf einen Stein reiben, „und geben ſolches wider die Kolik und Bauchgrimmen zu trinken, auch gebrauchen ſie den Rauch davon wider die Mutterbeſchwerung, jedoch muß man ſie im letzteren Fall etwas hart braten oder brennen“ — ſo werden wir uns glücklich ſchätzen, heute die Schneckendeckel weder als Parfüm noch als Medicin gebrauchen zu müſſen. Ein viel wichtigerer und intereſſanterer Gegenſtand, welcher ſich an die Naturgeſchichte von Purpura und Murex anknüpft, iſt die Purpurfarbe, über deren Gewinnung und Eigenthümlich- keiten eine ganze Literatur exiſtirt, ohne daß es zu einer genügenden Klarheit gekommen wäre, bis vor zehn Jahren Lacaze-Duthiers die Angelegenheit durch ſeine ausgezeichneten Unter- ſuchungen zu einem Abſchluß gebracht hat. Als dieſer Naturforſcher im Sommer 1858 im Hafen von Mahon mit Hülfe eines Fiſchers allerlei Seethiere aufſuchte, bemerkte er, daß ſein Gehülfe ſeine Kleidungsſtücke zeichnete. Er machte die rohen Buchſtaben und Figuren mit einem Stückchen Holz; die Züge erſchienen zuerſt gelblich. „Es wird roth werden“, ſagte der Fiſcher, „ſobald die Sonne wird darauf geſchienen haben.“ Dabei tauchte er das Holz in die zähe Abſonderung des Mantels, den er von einer Schnecke abgeriſſen hatte, und welche ſogleich als Purpura haemastoma — ſpaniſch Corn de fel — zu erkennen war. Der Zoolog ließ auch ſeine Kleider auf der Stelle zeichnen und machte alsbald die weitere Bemerkung, daß bei Einwirkung der Sonnenſtrahlen ſich ein höchſt unangenehmer und penetrauter Geruch entwickelte und eine ſehr ſchöne violette Farbe zum Vorſchein kam. Dieß war die Veranlaſſung zu weiteren von dem ſchönſten Erfolge gekrönten Nachforſchungen, denen wir folgen. Bekanntlich hat man ſchon längſt aufgehört, ſich des von Schnecken gelieferten Purpurs als Färbemittel zu bedienen. Dagegen wiſſen wir aus den Schriftſtellern der Griechen und Römer, daß die Purpurgewinnung ein großer Jnduſtriezweig war, und daß nur die Großen und Reichen ſich wegen der Koſtbarkeit des Stoffes den ſtolzen Namen der Bepurpurten — purpurati — beilegen konnten. Heute ſehen wir nur an abgelegenen Jnſeln und Küſten einzelne arme Leute ihre Wäſche mit dem unauslöſchlichen Purpur zeichnen, der im Alterthum, als die metalliſchen und anderen Farben der modernen Chemie unbekannt waren, einen um ſo höheren Werth haben mußte, als ſeine Tinten und ſeine Eigenſchaft der Unauslöſchlichkeit eben von der Sonne hervor- gerufen und bedingt wurden. Jm Anfang des vorigen Jahrhunderts beſchäftigte ſich der berühmte Beobachter der Jnſekten, Réaumur, an der Küſte von Poitou mit den Purpurſchnecken. Auch er fand, daß die Subſtanz violet färbe, erkannte aber merkwürdiger Weiſe nicht, daß das Hervor- treten der Farbe vom Licht abhänge, ſondern glaubte, daß der Luftzug dabei im Spiele ſei.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 832. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/880>, abgerufen am 24.11.2024.