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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Weinbergschnecke.

"Weil wir einmal noch im Walde sind, so dürfen wir nicht vergessen, die alten halbverfaulten
Stöcke, die oft hier stehn, oder alte hohle Bäume genau zu untersuchen. Jn und auf ihnen leben
viele Schnecken, namentlich Clausilien, Pupa und Vertigo. Von recht alten Stöcken oder alten
Bäumen läßt sich, namentlich bei feuchter Witterung, die Borke leicht in großen Schalen ablösen,
und auch hier, in dem engen Raume zwischen Borke und Holz, lebt manche seltene Schnecke,
namentlich aus der Gattung Vertigo und Carychium. Hat man Gelegenheit, felsige Gegenden zu
durchsuchen, so wird man meist durch manche hübsche Schnecke belohnt. Vorzüglich kommen auf
der Abend- und Morgenseite, die gewöhnlich am längsten feucht sind, und in den Ritzen, zumal
wenn diese mit etwas Moos und Flechten bekleidet und von herabtropfendem Wasser befeuchtet
sind, viele Schnecken vor, vorzüglich einige Arten aus den Geschlechtern Helix und Clausilia."

Wir gehen nun etwas näher auf die untergeordneten Gruppen und einzelne ihrer Repräsen-
tanten ein, zunächst auf die Schnirkelschnecken (Helicidae). Sie bilden mit einigen anderen
Familien die Abtheilung der Stylommatophoren, durch welchen Namen die Stellung ihrer Augen
auf der Spitze der beiden hinteren, hohlen und einziehbaren Fühlhörner bezeichnet wird. Alle
besitzen ein spiraliges, geräumiges, zur Aufnahme des ganzen Körpers geeignetes Gehäus, welches
übrigens in allen möglichen Gestalten von der fast flach tellerförmigen bis zur spitz und lang
turmförmigen wechselt. Man hat etwa 4600 lebende Arten beschrieben, von denen über 1600 auf
die Gattung Helix kommen. Von den im mittleren Europa am meisten verbreiteten Arten hat
uns Helix pomatia, die Weinbergschnecke, oben schon beschäftigt. Jedermann kennt das
große kugelige, bauchige, gelbliche oder bräunliche Gehäus, welches die Conchyliologen "bedeckt
durchbohrt" nennen, indem der enge, in die Axe hinein sich erstreckende Nabel durch eine Ver-
breiterung des Spindelrandes bedeckt ist. Sie ist in ihrem Vorkommen keineswegs an die Wein-
gärten gebunden, obwohl sie im Frühjahr den Knospen der Reben großen Geschmack abgewinnt
und dadurch erheblichen Schaden anrichten kann, sondern findet sich überall in trockneren, vor-
züglich hügligen Gegenden, wo Gräser und Buschwerk gedeihen. Wegen ihrer Größe und ihres
Nutzens ist sie von ihren Gattungsgenossen am häufigsten Gegenstand der Beobachtung und
Forschung gewesen. Sie gehört zu denjenigen Arten, welche im Herbst, nachdem sie sich am
liebsten unter einer Moosdecke einen halben bis einen Fuß tief in die lockere Erde eingegraben,
ihr Gehäus mit einem soliden Kalkdeckel verschließen. Von diesem zieht sich das Thier noch ziem-
lich weit in die Schale zurück, indem es den Zwischenraum durch eine oder einige dünne Häute
quer abtheilt. Während dieser, wenigstens 6 Monate dauernden Zeit innerster Beschaulichkeit
ist der Athmungsprozeß und die Thätigkeit des Herzens nicht unterbrochen. Der Kalkdeckel hat
zwar keine Oeffnung, welche man bei einigen anderen Arten bemerkt hat, wohl aber ist er so
porös, daß durch ihn und durch die übrigen dünnen Häute hindurch der nothwendige Gas-
austausch stattfinden kann. Man denke nur, um einen Vergleich zu haben, daß auch das
Hühnchen während seiner Entwicklung im Ei durch seine Schale hindurch mit der athmo-
sphärischen Luft im Gasaustausch steht. Aber, wie bei allen Winterschlaf haltenden Thieren, ist
auch bei der Weinbergschnecke und ihren Schwestern die Athmung eine geringere. Nach
einer Reihe von schönen, wenn auch nicht allzuwarmen Märztagen fand ich den Pulsschlag noch
sehr unregelmäßig, 12 bis 13 Schläge in der Minute, während die Zahl nach dem Winter-
schlaf auf 30 sich erhebt. Jedenfalls ist aber in der eigentlichen Winterzeit die Herzthätigkeit
eine viel geringere. Ja ein englischer Beobachter behauptet, daß mitten im Winter das Herz
gänzlich zu schlagen aufhöre und der Kreislauf unterbrochen würde, und ein deutscher Naturforscher,
Barkow, der eingehend sich mit den Erscheinungen des Winterschlafes der Thiere beschäftigt hat,
sagt, daß zwar die Pulsationen des Herzens nicht gänzlich aufhörten, daß aber der Lungensack
geschlossen sei und die Athmung nicht stattfinde. Jch meine, daß auch das Athmen nie vollständig
unterbrochen ist. Der Mageninhalt, mit welchem sich das Thier für den Winter eingesargt, wird

Weinbergſchnecke.

„Weil wir einmal noch im Walde ſind, ſo dürfen wir nicht vergeſſen, die alten halbverfaulten
Stöcke, die oft hier ſtehn, oder alte hohle Bäume genau zu unterſuchen. Jn und auf ihnen leben
viele Schnecken, namentlich Clauſilien, Pupa und Vertigo. Von recht alten Stöcken oder alten
Bäumen läßt ſich, namentlich bei feuchter Witterung, die Borke leicht in großen Schalen ablöſen,
und auch hier, in dem engen Raume zwiſchen Borke und Holz, lebt manche ſeltene Schnecke,
namentlich aus der Gattung Vertigo und Carychium. Hat man Gelegenheit, felſige Gegenden zu
durchſuchen, ſo wird man meiſt durch manche hübſche Schnecke belohnt. Vorzüglich kommen auf
der Abend- und Morgenſeite, die gewöhnlich am längſten feucht ſind, und in den Ritzen, zumal
wenn dieſe mit etwas Moos und Flechten bekleidet und von herabtropfendem Waſſer befeuchtet
ſind, viele Schnecken vor, vorzüglich einige Arten aus den Geſchlechtern Helix und Clausilia.

Wir gehen nun etwas näher auf die untergeordneten Gruppen und einzelne ihrer Repräſen-
tanten ein, zunächſt auf die Schnirkelſchnecken (Helicidae). Sie bilden mit einigen anderen
Familien die Abtheilung der Stylommatophoren, durch welchen Namen die Stellung ihrer Augen
auf der Spitze der beiden hinteren, hohlen und einziehbaren Fühlhörner bezeichnet wird. Alle
beſitzen ein ſpiraliges, geräumiges, zur Aufnahme des ganzen Körpers geeignetes Gehäus, welches
übrigens in allen möglichen Geſtalten von der faſt flach tellerförmigen bis zur ſpitz und lang
turmförmigen wechſelt. Man hat etwa 4600 lebende Arten beſchrieben, von denen über 1600 auf
die Gattung Helix kommen. Von den im mittleren Europa am meiſten verbreiteten Arten hat
uns Helix pomatia, die Weinbergſchnecke, oben ſchon beſchäftigt. Jedermann kennt das
große kugelige, bauchige, gelbliche oder bräunliche Gehäus, welches die Conchyliologen „bedeckt
durchbohrt“ nennen, indem der enge, in die Axe hinein ſich erſtreckende Nabel durch eine Ver-
breiterung des Spindelrandes bedeckt iſt. Sie iſt in ihrem Vorkommen keineswegs an die Wein-
gärten gebunden, obwohl ſie im Frühjahr den Knospen der Reben großen Geſchmack abgewinnt
und dadurch erheblichen Schaden anrichten kann, ſondern findet ſich überall in trockneren, vor-
züglich hügligen Gegenden, wo Gräſer und Buſchwerk gedeihen. Wegen ihrer Größe und ihres
Nutzens iſt ſie von ihren Gattungsgenoſſen am häufigſten Gegenſtand der Beobachtung und
Forſchung geweſen. Sie gehört zu denjenigen Arten, welche im Herbſt, nachdem ſie ſich am
liebſten unter einer Moosdecke einen halben bis einen Fuß tief in die lockere Erde eingegraben,
ihr Gehäus mit einem ſoliden Kalkdeckel verſchließen. Von dieſem zieht ſich das Thier noch ziem-
lich weit in die Schale zurück, indem es den Zwiſchenraum durch eine oder einige dünne Häute
quer abtheilt. Während dieſer, wenigſtens 6 Monate dauernden Zeit innerſter Beſchaulichkeit
iſt der Athmungsprozeß und die Thätigkeit des Herzens nicht unterbrochen. Der Kalkdeckel hat
zwar keine Oeffnung, welche man bei einigen anderen Arten bemerkt hat, wohl aber iſt er ſo
porös, daß durch ihn und durch die übrigen dünnen Häute hindurch der nothwendige Gas-
austauſch ſtattfinden kann. Man denke nur, um einen Vergleich zu haben, daß auch das
Hühnchen während ſeiner Entwicklung im Ei durch ſeine Schale hindurch mit der athmo-
ſphäriſchen Luft im Gasaustauſch ſteht. Aber, wie bei allen Winterſchlaf haltenden Thieren, iſt
auch bei der Weinbergſchnecke und ihren Schweſtern die Athmung eine geringere. Nach
einer Reihe von ſchönen, wenn auch nicht allzuwarmen Märztagen fand ich den Pulsſchlag noch
ſehr unregelmäßig, 12 bis 13 Schläge in der Minute, während die Zahl nach dem Winter-
ſchlaf auf 30 ſich erhebt. Jedenfalls iſt aber in der eigentlichen Winterzeit die Herzthätigkeit
eine viel geringere. Ja ein engliſcher Beobachter behauptet, daß mitten im Winter das Herz
gänzlich zu ſchlagen aufhöre und der Kreislauf unterbrochen würde, und ein deutſcher Naturforſcher,
Barkow, der eingehend ſich mit den Erſcheinungen des Winterſchlafes der Thiere beſchäftigt hat,
ſagt, daß zwar die Pulſationen des Herzens nicht gänzlich aufhörten, daß aber der Lungenſack
geſchloſſen ſei und die Athmung nicht ſtattfinde. Jch meine, daß auch das Athmen nie vollſtändig
unterbrochen iſt. Der Mageninhalt, mit welchem ſich das Thier für den Winter eingeſargt, wird

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[795/0841] Weinbergſchnecke. „Weil wir einmal noch im Walde ſind, ſo dürfen wir nicht vergeſſen, die alten halbverfaulten Stöcke, die oft hier ſtehn, oder alte hohle Bäume genau zu unterſuchen. Jn und auf ihnen leben viele Schnecken, namentlich Clauſilien, Pupa und Vertigo. Von recht alten Stöcken oder alten Bäumen läßt ſich, namentlich bei feuchter Witterung, die Borke leicht in großen Schalen ablöſen, und auch hier, in dem engen Raume zwiſchen Borke und Holz, lebt manche ſeltene Schnecke, namentlich aus der Gattung Vertigo und Carychium. Hat man Gelegenheit, felſige Gegenden zu durchſuchen, ſo wird man meiſt durch manche hübſche Schnecke belohnt. Vorzüglich kommen auf der Abend- und Morgenſeite, die gewöhnlich am längſten feucht ſind, und in den Ritzen, zumal wenn dieſe mit etwas Moos und Flechten bekleidet und von herabtropfendem Waſſer befeuchtet ſind, viele Schnecken vor, vorzüglich einige Arten aus den Geſchlechtern Helix und Clausilia.“ Wir gehen nun etwas näher auf die untergeordneten Gruppen und einzelne ihrer Repräſen- tanten ein, zunächſt auf die Schnirkelſchnecken (Helicidae). Sie bilden mit einigen anderen Familien die Abtheilung der Stylommatophoren, durch welchen Namen die Stellung ihrer Augen auf der Spitze der beiden hinteren, hohlen und einziehbaren Fühlhörner bezeichnet wird. Alle beſitzen ein ſpiraliges, geräumiges, zur Aufnahme des ganzen Körpers geeignetes Gehäus, welches übrigens in allen möglichen Geſtalten von der faſt flach tellerförmigen bis zur ſpitz und lang turmförmigen wechſelt. Man hat etwa 4600 lebende Arten beſchrieben, von denen über 1600 auf die Gattung Helix kommen. Von den im mittleren Europa am meiſten verbreiteten Arten hat uns Helix pomatia, die Weinbergſchnecke, oben ſchon beſchäftigt. Jedermann kennt das große kugelige, bauchige, gelbliche oder bräunliche Gehäus, welches die Conchyliologen „bedeckt durchbohrt“ nennen, indem der enge, in die Axe hinein ſich erſtreckende Nabel durch eine Ver- breiterung des Spindelrandes bedeckt iſt. Sie iſt in ihrem Vorkommen keineswegs an die Wein- gärten gebunden, obwohl ſie im Frühjahr den Knospen der Reben großen Geſchmack abgewinnt und dadurch erheblichen Schaden anrichten kann, ſondern findet ſich überall in trockneren, vor- züglich hügligen Gegenden, wo Gräſer und Buſchwerk gedeihen. Wegen ihrer Größe und ihres Nutzens iſt ſie von ihren Gattungsgenoſſen am häufigſten Gegenſtand der Beobachtung und Forſchung geweſen. Sie gehört zu denjenigen Arten, welche im Herbſt, nachdem ſie ſich am liebſten unter einer Moosdecke einen halben bis einen Fuß tief in die lockere Erde eingegraben, ihr Gehäus mit einem ſoliden Kalkdeckel verſchließen. Von dieſem zieht ſich das Thier noch ziem- lich weit in die Schale zurück, indem es den Zwiſchenraum durch eine oder einige dünne Häute quer abtheilt. Während dieſer, wenigſtens 6 Monate dauernden Zeit innerſter Beſchaulichkeit iſt der Athmungsprozeß und die Thätigkeit des Herzens nicht unterbrochen. Der Kalkdeckel hat zwar keine Oeffnung, welche man bei einigen anderen Arten bemerkt hat, wohl aber iſt er ſo porös, daß durch ihn und durch die übrigen dünnen Häute hindurch der nothwendige Gas- austauſch ſtattfinden kann. Man denke nur, um einen Vergleich zu haben, daß auch das Hühnchen während ſeiner Entwicklung im Ei durch ſeine Schale hindurch mit der athmo- ſphäriſchen Luft im Gasaustauſch ſteht. Aber, wie bei allen Winterſchlaf haltenden Thieren, iſt auch bei der Weinbergſchnecke und ihren Schweſtern die Athmung eine geringere. Nach einer Reihe von ſchönen, wenn auch nicht allzuwarmen Märztagen fand ich den Pulsſchlag noch ſehr unregelmäßig, 12 bis 13 Schläge in der Minute, während die Zahl nach dem Winter- ſchlaf auf 30 ſich erhebt. Jedenfalls iſt aber in der eigentlichen Winterzeit die Herzthätigkeit eine viel geringere. Ja ein engliſcher Beobachter behauptet, daß mitten im Winter das Herz gänzlich zu ſchlagen aufhöre und der Kreislauf unterbrochen würde, und ein deutſcher Naturforſcher, Barkow, der eingehend ſich mit den Erſcheinungen des Winterſchlafes der Thiere beſchäftigt hat, ſagt, daß zwar die Pulſationen des Herzens nicht gänzlich aufhörten, daß aber der Lungenſack geſchloſſen ſei und die Athmung nicht ſtattfinde. Jch meine, daß auch das Athmen nie vollſtändig unterbrochen iſt. Der Mageninhalt, mit welchem ſich das Thier für den Winter eingeſargt, wird

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/841>, abgerufen am 24.11.2024.