selten 30 Fuß über die Oberfläche steigt. Jn den Vertiefungen, welche die Unebenheiten des Felsrückens bilden, ist Wasser zurückgeblieben, in diesem sieht man Fische springen. Nach und nach entwickeln sich die Hügel und Berge dieser Jnsel zu immer steilerer Höhe. Aus Jnnen heraus, wie die Fühlhörner einer Schnecke, steigen Arme empor, stärker als der stärkste Mast- baum des größten Schiffes, mächtig genug, um einen hundert Kanonen führenden Koloß zu erfassen und in den Abgrund zu ziehen. Sie dehnen sich nach allen Seiten aus, spielen gleichsam mit einander, neigen sich zur Wasserfläche, richten sich wieder empor und haben alle Beweglichkeit der Arme eines jeden andern Polypen. Ein Junges dieses Riesenthieres hat sich 1680 in Nordland in Norwegen, wie es Friis beschreibt, zwischen die Felsen eines engen Fjords eingeklemmt. Der ungeheure Körper, berichtet er, füllte die Bucht ganz aus, die Arme waren um Felsen und Bäume geschlungen, hatten dieselben entwurzelt und sich an dem unzerstörbaren Gestein so fest gehangen, daß man sie auf keine Weise lösen konnte."
"Die meisten Angaben über diesen Riesenpolypen findet man in Montforts Naturgeschichte der Mollusken. Dort wird von einem solchen Seeungeheuer erzählt, daß an der Küste von Angola ein Schiff an der Takelage mit seinen Armen in den Grund zu ziehen drohte und der glücklich geret- teten Mannschaft Veranlassung gab, ihre höchste Noth auf einem Votivgemälde in der St. Tho- maskapelle in St. Malo darstellen zu lassen. Ferner erzählt Montfort nach den Angaben des Schiffskapitäns Maj. Dens von einem Polypen, der in der Nähe von St. Helena mit seinen Armen ein Paar Matrosen von einem Gerüst am Schiff herabholte, und von dem eine in die Takelage verwirrte Spitze eines Armes abgehauen 25 Fuß maß und mehrere Reihen Saug- näpfe trug."
"Einem ähnlich großen Thiere muß der Arm angehört haben, der von einem Walfischfänger in der Südsee aus dem Rachen eines Kachelots genommen sein und der 23 Fuß Länge gehabt haben soll. Aber es wurde diesen und anderen Angaben so wenig Werth beigemessen, daß man in der Wissenschaft alle Angaben von Dintenfischen über ein Paar Fuß Größe, welche diese Thiere im Mittelmeere oft erreichen, für Fabeln erklärte."
"Später wurden durch Steenstrup die Erzählungen über Riesendintenfische theilweise wieder zu Ehren gebracht, indem er die 1639 und 1790 an der Jsländischen Küste gestrandeten Seeungeheuer, von denen das letztere einen 31/2 Faden langen Körper und 3 Faden lange Arme gehabt haben soll, mit Sicherheit als Cephalopoden deutet und den 1546 im Sunde gefangenen sogenannten Seemönch von 8 Fuß Länge in derselben Weise auffaßt. Später erhielt Steen- strup selbst Reste eines Riesendintenfisches, der 1853 in Jütland gestrandet war, dessen Kopf sich so groß wie ein Kinderkopf zeigte und dessen hornige Rückenschale 6 Fuß maß. Von Resten ähn- licher großer Dintenfische aus den Museen in Utrecht und Amsterdam berichtet dann 1860 Har- ting genauer. Die merkwürdigste und neueste Nachricht über einen riesenhaften Dintenfisch ver- dankt man dem Kapitän Bouyer von dem französischen Aviso Alecton, welcher das Thier am 30. November 1861 in der Nähe von Teneriffa beobachtete. Der Aviso traf zwischen Madeira und Teneriffa einen riesenhaften Polypen, der an der Oberfläche des Wassers schwamm. Das Thier maß 5 bis 6 Meter (18 Fuß) an Länge, ohne die acht furchtbaren, mit Saugnäpfen versehenen Arme. Seine Farbe war ziegelroth; seine Augen waren ungeheuer und zeigten eine erschreckende Starrheit. Das Gewicht seines spindelförmigen, in der Mitte sehr angeschwollenen Körpers mußte an 2000 Kilogramm (4000 Pfund) betragen, und seine am Hinterende befindlichen Flossen waren abgerundet und von sehr großem Volumen. Man suchte das Thier in einer Tauschlinge zu fangen und durch Schüsse zu tödten, doch wagte der Kapitän nicht, das Leben seiner Mann- schaft dadurch zu gefährden, daß er ein Boot aussetzen ließ, welches das Ungeheuer mit seinen furchtbaren Armen leicht hätte entern können. Nach dreistündiger Jagd erhielt man nur Theile vom Hinterende des Thiers. Wenn also die neueren Beobachtungen auch nichts von den Sagen des Kranken bestätigt haben, so haben sie uns doch sichere Kunde über riesenhafte Cephalopoden
Allgemeines. Die Rieſenkraken.
ſelten 30 Fuß über die Oberfläche ſteigt. Jn den Vertiefungen, welche die Unebenheiten des Felsrückens bilden, iſt Waſſer zurückgeblieben, in dieſem ſieht man Fiſche ſpringen. Nach und nach entwickeln ſich die Hügel und Berge dieſer Jnſel zu immer ſteilerer Höhe. Aus Jnnen heraus, wie die Fühlhörner einer Schnecke, ſteigen Arme empor, ſtärker als der ſtärkſte Maſt- baum des größten Schiffes, mächtig genug, um einen hundert Kanonen führenden Koloß zu erfaſſen und in den Abgrund zu ziehen. Sie dehnen ſich nach allen Seiten aus, ſpielen gleichſam mit einander, neigen ſich zur Waſſerfläche, richten ſich wieder empor und haben alle Beweglichkeit der Arme eines jeden andern Polypen. Ein Junges dieſes Rieſenthieres hat ſich 1680 in Nordland in Norwegen, wie es Friis beſchreibt, zwiſchen die Felſen eines engen Fjords eingeklemmt. Der ungeheure Körper, berichtet er, füllte die Bucht ganz aus, die Arme waren um Felſen und Bäume geſchlungen, hatten dieſelben entwurzelt und ſich an dem unzerſtörbaren Geſtein ſo feſt gehangen, daß man ſie auf keine Weiſe löſen konnte.“
„Die meiſten Angaben über dieſen Rieſenpolypen findet man in Montforts Naturgeſchichte der Mollusken. Dort wird von einem ſolchen Seeungeheuer erzählt, daß an der Küſte von Angola ein Schiff an der Takelage mit ſeinen Armen in den Grund zu ziehen drohte und der glücklich geret- teten Mannſchaft Veranlaſſung gab, ihre höchſte Noth auf einem Votivgemälde in der St. Tho- maskapelle in St. Malo darſtellen zu laſſen. Ferner erzählt Montfort nach den Angaben des Schiffskapitäns Maj. Dens von einem Polypen, der in der Nähe von St. Helena mit ſeinen Armen ein Paar Matroſen von einem Gerüſt am Schiff herabholte, und von dem eine in die Takelage verwirrte Spitze eines Armes abgehauen 25 Fuß maß und mehrere Reihen Saug- näpfe trug.“
„Einem ähnlich großen Thiere muß der Arm angehört haben, der von einem Walfiſchfänger in der Südſee aus dem Rachen eines Kachelots genommen ſein und der 23 Fuß Länge gehabt haben ſoll. Aber es wurde dieſen und anderen Angaben ſo wenig Werth beigemeſſen, daß man in der Wiſſenſchaft alle Angaben von Dintenfiſchen über ein Paar Fuß Größe, welche dieſe Thiere im Mittelmeere oft erreichen, für Fabeln erklärte.“
„Später wurden durch Steenſtrup die Erzählungen über Rieſendintenfiſche theilweiſe wieder zu Ehren gebracht, indem er die 1639 und 1790 an der Jsländiſchen Küſte geſtrandeten Seeungeheuer, von denen das letztere einen 3½ Faden langen Körper und 3 Faden lange Arme gehabt haben ſoll, mit Sicherheit als Cephalopoden deutet und den 1546 im Sunde gefangenen ſogenannten Seemönch von 8 Fuß Länge in derſelben Weiſe auffaßt. Später erhielt Steen- ſtrup ſelbſt Reſte eines Rieſendintenfiſches, der 1853 in Jütland geſtrandet war, deſſen Kopf ſich ſo groß wie ein Kinderkopf zeigte und deſſen hornige Rückenſchale 6 Fuß maß. Von Reſten ähn- licher großer Dintenfiſche aus den Muſeen in Utrecht und Amſterdam berichtet dann 1860 Har- ting genauer. Die merkwürdigſte und neueſte Nachricht über einen rieſenhaften Dintenfiſch ver- dankt man dem Kapitän Bouyer von dem franzöſiſchen Aviſo Alecton, welcher das Thier am 30. November 1861 in der Nähe von Teneriffa beobachtete. Der Aviſo traf zwiſchen Madeira und Teneriffa einen rieſenhaften Polypen, der an der Oberfläche des Waſſers ſchwamm. Das Thier maß 5 bis 6 Meter (18 Fuß) an Länge, ohne die acht furchtbaren, mit Saugnäpfen verſehenen Arme. Seine Farbe war ziegelroth; ſeine Augen waren ungeheuer und zeigten eine erſchreckende Starrheit. Das Gewicht ſeines ſpindelförmigen, in der Mitte ſehr angeſchwollenen Körpers mußte an 2000 Kilogramm (4000 Pfund) betragen, und ſeine am Hinterende befindlichen Floſſen waren abgerundet und von ſehr großem Volumen. Man ſuchte das Thier in einer Tauſchlinge zu fangen und durch Schüſſe zu tödten, doch wagte der Kapitän nicht, das Leben ſeiner Mann- ſchaft dadurch zu gefährden, daß er ein Boot ausſetzen ließ, welches das Ungeheuer mit ſeinen furchtbaren Armen leicht hätte entern können. Nach dreiſtündiger Jagd erhielt man nur Theile vom Hinterende des Thiers. Wenn alſo die neueren Beobachtungen auch nichts von den Sagen des Kranken beſtätigt haben, ſo haben ſie uns doch ſichere Kunde über rieſenhafte Cephalopoden
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Allgemeines. Die Rieſenkraken.
ſelten 30 Fuß über die Oberfläche ſteigt. Jn den Vertiefungen, welche die Unebenheiten des
Felsrückens bilden, iſt Waſſer zurückgeblieben, in dieſem ſieht man Fiſche ſpringen. Nach
und nach entwickeln ſich die Hügel und Berge dieſer Jnſel zu immer ſteilerer Höhe. Aus Jnnen
heraus, wie die Fühlhörner einer Schnecke, ſteigen Arme empor, ſtärker als der ſtärkſte Maſt-
baum des größten Schiffes, mächtig genug, um einen hundert Kanonen führenden Koloß zu erfaſſen
und in den Abgrund zu ziehen. Sie dehnen ſich nach allen Seiten aus, ſpielen gleichſam mit
einander, neigen ſich zur Waſſerfläche, richten ſich wieder empor und haben alle Beweglichkeit der
Arme eines jeden andern Polypen. Ein Junges dieſes Rieſenthieres hat ſich 1680 in Nordland
in Norwegen, wie es Friis beſchreibt, zwiſchen die Felſen eines engen Fjords eingeklemmt.
Der ungeheure Körper, berichtet er, füllte die Bucht ganz aus, die Arme waren um Felſen und
Bäume geſchlungen, hatten dieſelben entwurzelt und ſich an dem unzerſtörbaren Geſtein ſo feſt
gehangen, daß man ſie auf keine Weiſe löſen konnte.“
„Die meiſten Angaben über dieſen Rieſenpolypen findet man in Montforts Naturgeſchichte
der Mollusken. Dort wird von einem ſolchen Seeungeheuer erzählt, daß an der Küſte von Angola ein
Schiff an der Takelage mit ſeinen Armen in den Grund zu ziehen drohte und der glücklich geret-
teten Mannſchaft Veranlaſſung gab, ihre höchſte Noth auf einem Votivgemälde in der St. Tho-
maskapelle in St. Malo darſtellen zu laſſen. Ferner erzählt Montfort nach den Angaben des
Schiffskapitäns Maj. Dens von einem Polypen, der in der Nähe von St. Helena mit ſeinen
Armen ein Paar Matroſen von einem Gerüſt am Schiff herabholte, und von dem eine in die
Takelage verwirrte Spitze eines Armes abgehauen 25 Fuß maß und mehrere Reihen Saug-
näpfe trug.“
„Einem ähnlich großen Thiere muß der Arm angehört haben, der von einem Walfiſchfänger
in der Südſee aus dem Rachen eines Kachelots genommen ſein und der 23 Fuß Länge gehabt
haben ſoll. Aber es wurde dieſen und anderen Angaben ſo wenig Werth beigemeſſen, daß man
in der Wiſſenſchaft alle Angaben von Dintenfiſchen über ein Paar Fuß Größe, welche dieſe Thiere
im Mittelmeere oft erreichen, für Fabeln erklärte.“
„Später wurden durch Steenſtrup die Erzählungen über Rieſendintenfiſche theilweiſe
wieder zu Ehren gebracht, indem er die 1639 und 1790 an der Jsländiſchen Küſte geſtrandeten
Seeungeheuer, von denen das letztere einen 3½ Faden langen Körper und 3 Faden lange Arme
gehabt haben ſoll, mit Sicherheit als Cephalopoden deutet und den 1546 im Sunde gefangenen
ſogenannten Seemönch von 8 Fuß Länge in derſelben Weiſe auffaßt. Später erhielt Steen-
ſtrup ſelbſt Reſte eines Rieſendintenfiſches, der 1853 in Jütland geſtrandet war, deſſen Kopf ſich
ſo groß wie ein Kinderkopf zeigte und deſſen hornige Rückenſchale 6 Fuß maß. Von Reſten ähn-
licher großer Dintenfiſche aus den Muſeen in Utrecht und Amſterdam berichtet dann 1860 Har-
ting genauer. Die merkwürdigſte und neueſte Nachricht über einen rieſenhaften Dintenfiſch ver-
dankt man dem Kapitän Bouyer von dem franzöſiſchen Aviſo Alecton, welcher das Thier am
30. November 1861 in der Nähe von Teneriffa beobachtete. Der Aviſo traf zwiſchen Madeira und
Teneriffa einen rieſenhaften Polypen, der an der Oberfläche des Waſſers ſchwamm. Das Thier
maß 5 bis 6 Meter (18 Fuß) an Länge, ohne die acht furchtbaren, mit Saugnäpfen verſehenen
Arme. Seine Farbe war ziegelroth; ſeine Augen waren ungeheuer und zeigten eine erſchreckende
Starrheit. Das Gewicht ſeines ſpindelförmigen, in der Mitte ſehr angeſchwollenen Körpers
mußte an 2000 Kilogramm (4000 Pfund) betragen, und ſeine am Hinterende befindlichen Floſſen
waren abgerundet und von ſehr großem Volumen. Man ſuchte das Thier in einer Tauſchlinge
zu fangen und durch Schüſſe zu tödten, doch wagte der Kapitän nicht, das Leben ſeiner Mann-
ſchaft dadurch zu gefährden, daß er ein Boot ausſetzen ließ, welches das Ungeheuer mit ſeinen
furchtbaren Armen leicht hätte entern können. Nach dreiſtündiger Jagd erhielt man nur Theile
vom Hinterende des Thiers. Wenn alſo die neueren Beobachtungen auch nichts von den Sagen
des Kranken beſtätigt haben, ſo haben ſie uns doch ſichere Kunde über rieſenhafte Cephalopoden
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/807>, abgerufen am 24.11.2024.
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