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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Der Kreis der Weichthiere.


Der Markt des Lebens stattet Jeden auch für die nähere Befreundung mit den Weichthieren
mit einer kleinen Summe von Vorkenntnissen und Erfahrungen aus. Von einer Schnecke, einer
Muschel hat Jedermann den Eindruck bekommen, daß sie eben Weichthiere seien, und daß diese
Bezeichnung in durchgreifenden Abweichungen von den Wirbel- uud Gliederthieren beruhe. Jn der
Annahme der Zusammengehörigkeit von Schnecke und Muschel lassen wir uns nicht stören durch
die Bemerkung, daß die eine einen mit Fühlhörnern und Augen ausgestatteten Kopf besitzt, während
ein solcher Körperabschnitt bei der anderen vergeblich gesucht wird; die Anwesenheit eines Gehäuses
bei der Weinbergsschnecke hindert auch den ungeschulten Betrachter durchaus nicht, in der nackten
Wegschnecke ihre nächste Verwandte zu erblicken. Und wenn sich die Anschauungen mit dem Besuch
des Meeresgestades verhundertfachen, die Märkte der Seestädte neue und neue Formen zuführen,
werden auch die fremdartigeren Weichthiergestalten von dem prüfenden und vergleichenden Auge
mit den Formen des Wirbelthier- und Gliederthier-Reiches, die Würmer nicht ausgeschlossen,
nicht verwechselt werden.

An vielen Weichthieren ist freilich Kopf und Leib zu unterscheiden, aber der ganze Körper
bleibt, im Vergleich zu den uns schon näher bekannten Thieren, klumpenhafter und zeigt nicht
im entferntesten jene Gliederung oder auch nur die Anlage dazu, welche das Gliederthier im
Jnnersten beherrscht und auch dem Wirbelthier durch die Sonderung seiner Wirbelsäule und der
gelenkigen Gliedmaßen sein eigenthümliches Gepräge verleiht. Die Entschiedenheit der Gestalt, welche
beim Wirbelthier vom inneren Knochenskelet, beim Gliederthier von den erhärteten Hautbedeckungen
abhängt, mangelt dem Weichthier. Nur die einfacheren Würmer treten hier wenigstens als
oberflächliche Vermittler dazwischen. Aber die Schale, die Gehäuse? wird man fragen. Das
sind eben bloße Gehäuse, zwar ausgeschieden und producirt vom Körper, aber so lose mit ihm
zusammenhängend, daß sie einen Vergleich mit einem inneren oder äußeren Skelet nicht aushalten.
Das letztere ist in vollster Bedeutung des Wortes ein Theil des Organismus. Die Knochen
wachsen und ernähren sich; der Käfer kann nicht aus seinem Hautskelet herausgeschält werden
wenn der Panzer des Krebses nicht mehr lebendig mit dem Thier verbunden ist, fällt er ab, um
einem neuen Platz zu machen. Dieses innige Verhältniß findet zwischen dem Weichthier und
seinem Gehäus nicht statt; letzteres ist ein Ausscheidungsprodukt, das allerdings durch Auflagerung
neuer Schichten verdickt, durch Anfügung an den freien Rändern vergrößert und erweitert, auch,
wenn es beschädigt ist, nothdürftig ausgeflickt werden kann, aber nur an einer oder einigen
beschränkten Stellen mit dem Thier wirklich zusammenhängt und, weil es an dem das Leben
ausmachenden Stoffwechsel nicht Theil nimmt, ein Todtes ist. Eine Schnecke kann man aus dem
Gehäus herausnehmen, indem man nur einen kleinen Muskel, der sie damit verbindet, zu durch-

Der Kreis der Weichthiere.


Der Markt des Lebens ſtattet Jeden auch für die nähere Befreundung mit den Weichthieren
mit einer kleinen Summe von Vorkenntniſſen und Erfahrungen aus. Von einer Schnecke, einer
Muſchel hat Jedermann den Eindruck bekommen, daß ſie eben Weichthiere ſeien, und daß dieſe
Bezeichnung in durchgreifenden Abweichungen von den Wirbel- uud Gliederthieren beruhe. Jn der
Annahme der Zuſammengehörigkeit von Schnecke und Muſchel laſſen wir uns nicht ſtören durch
die Bemerkung, daß die eine einen mit Fühlhörnern und Augen ausgeſtatteten Kopf beſitzt, während
ein ſolcher Körperabſchnitt bei der anderen vergeblich geſucht wird; die Anweſenheit eines Gehäuſes
bei der Weinbergsſchnecke hindert auch den ungeſchulten Betrachter durchaus nicht, in der nackten
Wegſchnecke ihre nächſte Verwandte zu erblicken. Und wenn ſich die Anſchauungen mit dem Beſuch
des Meeresgeſtades verhundertfachen, die Märkte der Seeſtädte neue und neue Formen zuführen,
werden auch die fremdartigeren Weichthiergeſtalten von dem prüfenden und vergleichenden Auge
mit den Formen des Wirbelthier- und Gliederthier-Reiches, die Würmer nicht ausgeſchloſſen,
nicht verwechſelt werden.

An vielen Weichthieren iſt freilich Kopf und Leib zu unterſcheiden, aber der ganze Körper
bleibt, im Vergleich zu den uns ſchon näher bekannten Thieren, klumpenhafter und zeigt nicht
im entfernteſten jene Gliederung oder auch nur die Anlage dazu, welche das Gliederthier im
Jnnerſten beherrſcht und auch dem Wirbelthier durch die Sonderung ſeiner Wirbelſäule und der
gelenkigen Gliedmaßen ſein eigenthümliches Gepräge verleiht. Die Entſchiedenheit der Geſtalt, welche
beim Wirbelthier vom inneren Knochenſkelet, beim Gliederthier von den erhärteten Hautbedeckungen
abhängt, mangelt dem Weichthier. Nur die einfacheren Würmer treten hier wenigſtens als
oberflächliche Vermittler dazwiſchen. Aber die Schale, die Gehäuſe? wird man fragen. Das
ſind eben bloße Gehäuſe, zwar ausgeſchieden und producirt vom Körper, aber ſo loſe mit ihm
zuſammenhängend, daß ſie einen Vergleich mit einem inneren oder äußeren Skelet nicht aushalten.
Das letztere iſt in vollſter Bedeutung des Wortes ein Theil des Organismus. Die Knochen
wachſen und ernähren ſich; der Käfer kann nicht aus ſeinem Hautſkelet herausgeſchält werden
wenn der Panzer des Krebſes nicht mehr lebendig mit dem Thier verbunden iſt, fällt er ab, um
einem neuen Platz zu machen. Dieſes innige Verhältniß findet zwiſchen dem Weichthier und
ſeinem Gehäus nicht ſtatt; letzteres iſt ein Ausſcheidungsprodukt, das allerdings durch Auflagerung
neuer Schichten verdickt, durch Anfügung an den freien Rändern vergrößert und erweitert, auch,
wenn es beſchädigt iſt, nothdürftig ausgeflickt werden kann, aber nur an einer oder einigen
beſchränkten Stellen mit dem Thier wirklich zuſammenhängt und, weil es an dem das Leben
ausmachenden Stoffwechſel nicht Theil nimmt, ein Todtes iſt. Eine Schnecke kann man aus dem
Gehäus herausnehmen, indem man nur einen kleinen Muskel, der ſie damit verbindet, zu durch-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. [756]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/800>, abgerufen am 24.11.2024.