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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Enoplus. Essig- und Kleisterälchen. Leptodera. Pelodera.
somit auch für Essigälchen. Denn die Geschlechtsreife und Fortpflanzung der letzteren kann nicht
in reinem Essig eintreten, sondern nur zwischen Pilzen, wo ihnen eine stickstoffhaltige Nahrung
geboten wird. Der Essig, wie er jetzt in den Handel gebracht wird, enthält wohl nie geschlechts-
reife Thiere, sondern
nur Larven. Ja die
letzteren sind oft sogar
abgestorben, und man
darf sich nicht täuschen
lassen, wenn man beim
Schütteln einer Essig-
flasche unzählige leben-
dige Wesen zu sehen
glaubt; es sind nur die
herumschwimmenden
Hautskelete. Die Essig-
mutter in den sogenann-
ten Essigbildern enthält
jedoch heute noch alle
Entwicklungsstufen der
Essigälchen in großer
[Abbildung] Kleister-Essigälchen (Leptodera). Stark vergrößert.
Menge. Jn Kleister, welcher durch Kochen von reinem Stärkemehl bereitet ist, hat mir die Zucht der
Aelchen nie gelingen wollen, ein Zusatz von Leim, überhaupt einer stickstoffhaltigen Substanz ist
nothwendig." (Schneider.) Der wissenschaftliche Name, den dieses Kleister-Essigälchen heute
führt, ist Leptodera oxophila.

Fast alle übrigen Arten von Leptodera und Pelodera leben in feuchter Erde und faulenden
Substanzen. Schneider unterhielt Jahre lang in Blumentöpfen und irdenen, mit Erde gefüllten
Gefäßen Colonien derselben, um ihre merkwürdigen Lebensverhältnisse zu beobachten, die während
einer Wanderung sich abspinnen. "Legt man in irgend ein Gefäß mit Erde ein Stück faulendes
Fleisch, oder gießt man Blut, Milch oder dergleichen darauf, so wird man sicher sein, eine der
hierher gehörigen Species zu erhalten; indem ich die Erde aus den verschiedensten Orten entnahm,
Schlamm der Gewässer, faulendes Holz aus hohlen Bäumen, Garten-, Ackererde u. s. w., habe
ich mir diese verschiedenen Species verschafft. Um die nöthige Feuchtigkeit zu unterhalten, muß
man die Erde immer befeuchten, oder das Gefäß bedeckt halten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
man die Fäulniß nicht bis zu einem zu hohen Grade gelangen läßt. Auch sterben die Thiere,
wenn man die Erde mit mehr Wasser bedeckt, als sie aufsaugen kann." Jn diesen Versuchs-
stationen können die Thiere alle drei Altersstufen durchmachen, das heißt, der Embryo geht durch
eine Häutung in das Larvenstadium über, welches sich durch andere Bildung des oft verschlossenen
Mundes und den Mangel der Fortpflanzungsorgane von der Stufe der Geschlechtsreife unter-
scheidet und in diese wiederum mit einer Häutung eintritt. Jn der freien Natur aber, wie gesagt,
gehen diese Wandlungen während einer Wanderung vor sich. "Ueberall in der Erde und im
Wasser finden sich die geschlechtslosen Larven dieser Thiere in großen Mengen zerstreut, aber sobald
sich in ihrer Nähe ein Fäulnißherd bildet, so kriechen sie, vielleicht durch den Geruch geleitet,
danach hin, werden geschlechtsreif, und die Jungen, welche sie gebären, entwickeln sich an Ort und
Stelle ebenfalls zu geschlechtsreifen Thieren. Haben nun geschlechtsreife Thiere einige Zeit in
solcher faulenden Substanz gelebt, so erwacht in ihnen ein Wandertrieb, der sie veranlaßt, den
Herd der Fäulniß zu verlassen und nach allen Richtungen weiter zu kriechen. Dabei gebären sie
Junge, welche sich der Wanderung ebenfalls anschließen. Die Dauer dieser Wanderung auf
trocknem Boden wird dadurch unterstützt, daß die Embryonen sich in Schaaren zusammenfinden

Enoplus. Eſſig- und Kleiſterälchen. Leptodera. Pelodera.
ſomit auch für Eſſigälchen. Denn die Geſchlechtsreife und Fortpflanzung der letzteren kann nicht
in reinem Eſſig eintreten, ſondern nur zwiſchen Pilzen, wo ihnen eine ſtickſtoffhaltige Nahrung
geboten wird. Der Eſſig, wie er jetzt in den Handel gebracht wird, enthält wohl nie geſchlechts-
reife Thiere, ſondern
nur Larven. Ja die
letzteren ſind oft ſogar
abgeſtorben, und man
darf ſich nicht täuſchen
laſſen, wenn man beim
Schütteln einer Eſſig-
flaſche unzählige leben-
dige Weſen zu ſehen
glaubt; es ſind nur die
herumſchwimmenden
Hautſkelete. Die Eſſig-
mutter in den ſogenann-
ten Eſſigbildern enthält
jedoch heute noch alle
Entwicklungsſtufen der
Eſſigälchen in großer
[Abbildung] Kleiſter-Eſſigälchen (Leptodera). Stark vergrößert.
Menge. Jn Kleiſter, welcher durch Kochen von reinem Stärkemehl bereitet iſt, hat mir die Zucht der
Aelchen nie gelingen wollen, ein Zuſatz von Leim, überhaupt einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz iſt
nothwendig.“ (Schneider.) Der wiſſenſchaftliche Name, den dieſes Kleiſter-Eſſigälchen heute
führt, iſt Leptodera oxophila.

Faſt alle übrigen Arten von Leptodera und Pelodera leben in feuchter Erde und faulenden
Subſtanzen. Schneider unterhielt Jahre lang in Blumentöpfen und irdenen, mit Erde gefüllten
Gefäßen Colonien derſelben, um ihre merkwürdigen Lebensverhältniſſe zu beobachten, die während
einer Wanderung ſich abſpinnen. „Legt man in irgend ein Gefäß mit Erde ein Stück faulendes
Fleiſch, oder gießt man Blut, Milch oder dergleichen darauf, ſo wird man ſicher ſein, eine der
hierher gehörigen Species zu erhalten; indem ich die Erde aus den verſchiedenſten Orten entnahm,
Schlamm der Gewäſſer, faulendes Holz aus hohlen Bäumen, Garten-, Ackererde u. ſ. w., habe
ich mir dieſe verſchiedenen Species verſchafft. Um die nöthige Feuchtigkeit zu unterhalten, muß
man die Erde immer befeuchten, oder das Gefäß bedeckt halten. Dabei iſt zu berückſichtigen, daß
man die Fäulniß nicht bis zu einem zu hohen Grade gelangen läßt. Auch ſterben die Thiere,
wenn man die Erde mit mehr Waſſer bedeckt, als ſie aufſaugen kann.“ Jn dieſen Verſuchs-
ſtationen können die Thiere alle drei Altersſtufen durchmachen, das heißt, der Embryo geht durch
eine Häutung in das Larvenſtadium über, welches ſich durch andere Bildung des oft verſchloſſenen
Mundes und den Mangel der Fortpflanzungsorgane von der Stufe der Geſchlechtsreife unter-
ſcheidet und in dieſe wiederum mit einer Häutung eintritt. Jn der freien Natur aber, wie geſagt,
gehen dieſe Wandlungen während einer Wanderung vor ſich. „Ueberall in der Erde und im
Waſſer finden ſich die geſchlechtsloſen Larven dieſer Thiere in großen Mengen zerſtreut, aber ſobald
ſich in ihrer Nähe ein Fäulnißherd bildet, ſo kriechen ſie, vielleicht durch den Geruch geleitet,
danach hin, werden geſchlechtsreif, und die Jungen, welche ſie gebären, entwickeln ſich an Ort und
Stelle ebenfalls zu geſchlechtsreifen Thieren. Haben nun geſchlechtsreife Thiere einige Zeit in
ſolcher faulenden Subſtanz gelebt, ſo erwacht in ihnen ein Wandertrieb, der ſie veranlaßt, den
Herd der Fäulniß zu verlaſſen und nach allen Richtungen weiter zu kriechen. Dabei gebären ſie
Junge, welche ſich der Wanderung ebenfalls anſchließen. Die Dauer dieſer Wanderung auf
trocknem Boden wird dadurch unterſtützt, daß die Embryonen ſich in Schaaren zuſammenfinden

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[711/0755] Enoplus. Eſſig- und Kleiſterälchen. Leptodera. Pelodera. ſomit auch für Eſſigälchen. Denn die Geſchlechtsreife und Fortpflanzung der letzteren kann nicht in reinem Eſſig eintreten, ſondern nur zwiſchen Pilzen, wo ihnen eine ſtickſtoffhaltige Nahrung geboten wird. Der Eſſig, wie er jetzt in den Handel gebracht wird, enthält wohl nie geſchlechts- reife Thiere, ſondern nur Larven. Ja die letzteren ſind oft ſogar abgeſtorben, und man darf ſich nicht täuſchen laſſen, wenn man beim Schütteln einer Eſſig- flaſche unzählige leben- dige Weſen zu ſehen glaubt; es ſind nur die herumſchwimmenden Hautſkelete. Die Eſſig- mutter in den ſogenann- ten Eſſigbildern enthält jedoch heute noch alle Entwicklungsſtufen der Eſſigälchen in großer [Abbildung Kleiſter-Eſſigälchen (Leptodera). Stark vergrößert.] Menge. Jn Kleiſter, welcher durch Kochen von reinem Stärkemehl bereitet iſt, hat mir die Zucht der Aelchen nie gelingen wollen, ein Zuſatz von Leim, überhaupt einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz iſt nothwendig.“ (Schneider.) Der wiſſenſchaftliche Name, den dieſes Kleiſter-Eſſigälchen heute führt, iſt Leptodera oxophila. Faſt alle übrigen Arten von Leptodera und Pelodera leben in feuchter Erde und faulenden Subſtanzen. Schneider unterhielt Jahre lang in Blumentöpfen und irdenen, mit Erde gefüllten Gefäßen Colonien derſelben, um ihre merkwürdigen Lebensverhältniſſe zu beobachten, die während einer Wanderung ſich abſpinnen. „Legt man in irgend ein Gefäß mit Erde ein Stück faulendes Fleiſch, oder gießt man Blut, Milch oder dergleichen darauf, ſo wird man ſicher ſein, eine der hierher gehörigen Species zu erhalten; indem ich die Erde aus den verſchiedenſten Orten entnahm, Schlamm der Gewäſſer, faulendes Holz aus hohlen Bäumen, Garten-, Ackererde u. ſ. w., habe ich mir dieſe verſchiedenen Species verſchafft. Um die nöthige Feuchtigkeit zu unterhalten, muß man die Erde immer befeuchten, oder das Gefäß bedeckt halten. Dabei iſt zu berückſichtigen, daß man die Fäulniß nicht bis zu einem zu hohen Grade gelangen läßt. Auch ſterben die Thiere, wenn man die Erde mit mehr Waſſer bedeckt, als ſie aufſaugen kann.“ Jn dieſen Verſuchs- ſtationen können die Thiere alle drei Altersſtufen durchmachen, das heißt, der Embryo geht durch eine Häutung in das Larvenſtadium über, welches ſich durch andere Bildung des oft verſchloſſenen Mundes und den Mangel der Fortpflanzungsorgane von der Stufe der Geſchlechtsreife unter- ſcheidet und in dieſe wiederum mit einer Häutung eintritt. Jn der freien Natur aber, wie geſagt, gehen dieſe Wandlungen während einer Wanderung vor ſich. „Ueberall in der Erde und im Waſſer finden ſich die geſchlechtsloſen Larven dieſer Thiere in großen Mengen zerſtreut, aber ſobald ſich in ihrer Nähe ein Fäulnißherd bildet, ſo kriechen ſie, vielleicht durch den Geruch geleitet, danach hin, werden geſchlechtsreif, und die Jungen, welche ſie gebären, entwickeln ſich an Ort und Stelle ebenfalls zu geſchlechtsreifen Thieren. Haben nun geſchlechtsreife Thiere einige Zeit in ſolcher faulenden Subſtanz gelebt, ſo erwacht in ihnen ein Wandertrieb, der ſie veranlaßt, den Herd der Fäulniß zu verlaſſen und nach allen Richtungen weiter zu kriechen. Dabei gebären ſie Junge, welche ſich der Wanderung ebenfalls anſchließen. Die Dauer dieſer Wanderung auf trocknem Boden wird dadurch unterſtützt, daß die Embryonen ſich in Schaaren zuſammenfinden

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/755>, abgerufen am 24.11.2024.