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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Netzflügler. Köcherfliegen.
schiedenen Paaren auftreten, hat man die ursprüngliche Linne'sche Gattung Phryganea und
einige nach ihr aufgestellte andere Gattungen neuerdings in einige dreißig zerlegt, auf welche
hier nicht näher eingegangen werden kann. Dafür möge die rautenfleckige Köcherfliege
(Limnophilus rhombicus) die ganze Familie veranschaulichen. Sie macht sich an den zwei
Fensterflecken auf jedem der gelbbraunen Vorderflügel leicht kenntlich, ihre artenreiche Gattung
aber an folgenden Merkmalen: Beim Männchen setzen drei, beim Weibchen fünf Glieder die Kiefer-
taster zusammen, die Nebenaugen sind deutlich, die Fühler so lang wie die schwachbehaarten, an
der Spitze scharf abgestutzten Vorderflügel, die Vorderschienen mit einem, die mittleren mit drei
und die hintersten mit vier Sporen bewehrt.

Jn der Lebens- und Entwickelungsweise, so weit letztere bekannt ist, stimmen alle Frühlings-
fliegen der Hauptsache nach überein. Jm Mai und Juni treiben sich die allermeisten an fließenden
und stehenden Gewässern umher und beleben deren Ufer, ohne sich dem Naturfreunde gerade sehr

[Abbildung] Die rautenfleckige Köcherjungfer (Limnophilus rhombicus).
a, b
Fliege, c Aus dem Gehänse (d) genommene Larve. e Puppe.
bemerklich zu machen, es sei denn, daß er ihnen besondere Aufmerksamkeit widmet und ihnen
mit Vorliebe nachspürt; denn ihre Beweglichkeit beginnt erst mit einbrechender Dunkelheit. Bei
Tage sitzen sie an Wasserpflanzen, Planken, äußerlich an Baumstämmen oder versteckt öfter in
großen Gesellschaften hinter abgelösten Rindenstücken derselben. Werden sie gestört, irgend wie
von außen her beunruhigt, so entziehen sie sich in raschem, fahrigem, aber kurzem Fluge der
Nachstellung, setzen sich an gleichen Stellen von Neuem fest, oder fallen in das Gras nieder;
will man sie hier angreifen, so wissen sie sich durch halb rutschende, halb hüpfende Bewegungen,
welche sie ohne Anwendung der Flügel, nur mittelst der langen, in der Mittellinie der Brust
zusammenstoßenden Hüften ausführen, tiefer in das Gras zu verbergen oder auf glattem Boden
der Gefangennahme zu entwischen. Andere suchen an den Blättern unter lebhafteren Bewegungen
im Sonnenscheine nach Feuchtigkeit, welche sie aufsaugen. Sie alle erscheinen aber mehr träge
und schwerfällig in ihrem Gebahren und ziemlich theilnahmlos der Außenwelt gegenüber. Der
Name "Frühlingsfliegen" paßt auf die meisten, einzelne kommen jedoch erst im Herbst und dann
nicht selten auf Eichengebüsch, Kiefern und anderen Hölzern an weit vom Wasser entfernten Wald-
stellen zum Vorschein. Flogen sie des Nachts dorthin, oder begnügen sich ihre Larven mit bloßer
Feuchtigkeit? Jch wage keine bestimmte Antwort auf diese Doppelfrage zu geben, glaube mich aber
für die zweite entscheiden zu müssen. Die Larven der meisten Köcherfliegen leben nämlich im
Wasser und zwar in selbstgefertigten Gehäusen. Diese "Wasserraupen", wie sie Rösel nennt, erinnern
lebhaft an die Sackträger unter den Schmetterlingen, wie manche der vollkommenen Kerse an
die Motten und es erscheinen darum die Bezeichnungen, "Köcherfliegen, Wassermotten" und
einige andere dahin zielende vollkommen gerechtfertigt; in gewissen Gegenden Deutschlands kennt

Die Netzflügler. Köcherfliegen.
ſchiedenen Paaren auftreten, hat man die urſprüngliche Linnéſche Gattung Phryganea und
einige nach ihr aufgeſtellte andere Gattungen neuerdings in einige dreißig zerlegt, auf welche
hier nicht näher eingegangen werden kann. Dafür möge die rautenfleckige Köcherfliege
(Limnophilus rhombicus) die ganze Familie veranſchaulichen. Sie macht ſich an den zwei
Fenſterflecken auf jedem der gelbbraunen Vorderflügel leicht kenntlich, ihre artenreiche Gattung
aber an folgenden Merkmalen: Beim Männchen ſetzen drei, beim Weibchen fünf Glieder die Kiefer-
taſter zuſammen, die Nebenaugen ſind deutlich, die Fühler ſo lang wie die ſchwachbehaarten, an
der Spitze ſcharf abgeſtutzten Vorderflügel, die Vorderſchienen mit einem, die mittleren mit drei
und die hinterſten mit vier Sporen bewehrt.

Jn der Lebens- und Entwickelungsweiſe, ſo weit letztere bekannt iſt, ſtimmen alle Frühlings-
fliegen der Hauptſache nach überein. Jm Mai und Juni treiben ſich die allermeiſten an fließenden
und ſtehenden Gewäſſern umher und beleben deren Ufer, ohne ſich dem Naturfreunde gerade ſehr

[Abbildung] Die rautenfleckige Köcherjungfer (Limnophilus rhombicus).
a, b
Fliege, c Aus dem Gehänſe (d) genommene Larve. e Puppe.
bemerklich zu machen, es ſei denn, daß er ihnen beſondere Aufmerkſamkeit widmet und ihnen
mit Vorliebe nachſpürt; denn ihre Beweglichkeit beginnt erſt mit einbrechender Dunkelheit. Bei
Tage ſitzen ſie an Waſſerpflanzen, Planken, äußerlich an Baumſtämmen oder verſteckt öfter in
großen Geſellſchaften hinter abgelöſten Rindenſtücken derſelben. Werden ſie geſtört, irgend wie
von außen her beunruhigt, ſo entziehen ſie ſich in raſchem, fahrigem, aber kurzem Fluge der
Nachſtellung, ſetzen ſich an gleichen Stellen von Neuem feſt, oder fallen in das Gras nieder;
will man ſie hier angreifen, ſo wiſſen ſie ſich durch halb rutſchende, halb hüpfende Bewegungen,
welche ſie ohne Anwendung der Flügel, nur mittelſt der langen, in der Mittellinie der Bruſt
zuſammenſtoßenden Hüften ausführen, tiefer in das Gras zu verbergen oder auf glattem Boden
der Gefangennahme zu entwiſchen. Andere ſuchen an den Blättern unter lebhafteren Bewegungen
im Sonnenſcheine nach Feuchtigkeit, welche ſie aufſaugen. Sie alle erſcheinen aber mehr träge
und ſchwerfällig in ihrem Gebahren und ziemlich theilnahmlos der Außenwelt gegenüber. Der
Name „Frühlingsfliegen“ paßt auf die meiſten, einzelne kommen jedoch erſt im Herbſt und dann
nicht ſelten auf Eichengebüſch, Kiefern und anderen Hölzern an weit vom Waſſer entfernten Wald-
ſtellen zum Vorſchein. Flogen ſie des Nachts dorthin, oder begnügen ſich ihre Larven mit bloßer
Feuchtigkeit? Jch wage keine beſtimmte Antwort auf dieſe Doppelfrage zu geben, glaube mich aber
für die zweite entſcheiden zu müſſen. Die Larven der meiſten Köcherfliegen leben nämlich im
Waſſer und zwar in ſelbſtgefertigten Gehäuſen. Dieſe „Waſſerraupen“, wie ſie Röſel nennt, erinnern
lebhaft an die Sackträger unter den Schmetterlingen, wie manche der vollkommenen Kerſe an
die Motten und es erſcheinen darum die Bezeichnungen, „Köcherfliegen, Waſſermotten“ und
einige andere dahin zielende vollkommen gerechtfertigt; in gewiſſen Gegenden Deutſchlands kennt

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[432/0460] Die Netzflügler. Köcherfliegen. ſchiedenen Paaren auftreten, hat man die urſprüngliche Linné’ſche Gattung Phryganea und einige nach ihr aufgeſtellte andere Gattungen neuerdings in einige dreißig zerlegt, auf welche hier nicht näher eingegangen werden kann. Dafür möge die rautenfleckige Köcherfliege (Limnophilus rhombicus) die ganze Familie veranſchaulichen. Sie macht ſich an den zwei Fenſterflecken auf jedem der gelbbraunen Vorderflügel leicht kenntlich, ihre artenreiche Gattung aber an folgenden Merkmalen: Beim Männchen ſetzen drei, beim Weibchen fünf Glieder die Kiefer- taſter zuſammen, die Nebenaugen ſind deutlich, die Fühler ſo lang wie die ſchwachbehaarten, an der Spitze ſcharf abgeſtutzten Vorderflügel, die Vorderſchienen mit einem, die mittleren mit drei und die hinterſten mit vier Sporen bewehrt. Jn der Lebens- und Entwickelungsweiſe, ſo weit letztere bekannt iſt, ſtimmen alle Frühlings- fliegen der Hauptſache nach überein. Jm Mai und Juni treiben ſich die allermeiſten an fließenden und ſtehenden Gewäſſern umher und beleben deren Ufer, ohne ſich dem Naturfreunde gerade ſehr [Abbildung Die rautenfleckige Köcherjungfer (Limnophilus rhombicus). a, b Fliege, c Aus dem Gehänſe (d) genommene Larve. e Puppe.] bemerklich zu machen, es ſei denn, daß er ihnen beſondere Aufmerkſamkeit widmet und ihnen mit Vorliebe nachſpürt; denn ihre Beweglichkeit beginnt erſt mit einbrechender Dunkelheit. Bei Tage ſitzen ſie an Waſſerpflanzen, Planken, äußerlich an Baumſtämmen oder verſteckt öfter in großen Geſellſchaften hinter abgelöſten Rindenſtücken derſelben. Werden ſie geſtört, irgend wie von außen her beunruhigt, ſo entziehen ſie ſich in raſchem, fahrigem, aber kurzem Fluge der Nachſtellung, ſetzen ſich an gleichen Stellen von Neuem feſt, oder fallen in das Gras nieder; will man ſie hier angreifen, ſo wiſſen ſie ſich durch halb rutſchende, halb hüpfende Bewegungen, welche ſie ohne Anwendung der Flügel, nur mittelſt der langen, in der Mittellinie der Bruſt zuſammenſtoßenden Hüften ausführen, tiefer in das Gras zu verbergen oder auf glattem Boden der Gefangennahme zu entwiſchen. Andere ſuchen an den Blättern unter lebhafteren Bewegungen im Sonnenſcheine nach Feuchtigkeit, welche ſie aufſaugen. Sie alle erſcheinen aber mehr träge und ſchwerfällig in ihrem Gebahren und ziemlich theilnahmlos der Außenwelt gegenüber. Der Name „Frühlingsfliegen“ paßt auf die meiſten, einzelne kommen jedoch erſt im Herbſt und dann nicht ſelten auf Eichengebüſch, Kiefern und anderen Hölzern an weit vom Waſſer entfernten Wald- ſtellen zum Vorſchein. Flogen ſie des Nachts dorthin, oder begnügen ſich ihre Larven mit bloßer Feuchtigkeit? Jch wage keine beſtimmte Antwort auf dieſe Doppelfrage zu geben, glaube mich aber für die zweite entſcheiden zu müſſen. Die Larven der meiſten Köcherfliegen leben nämlich im Waſſer und zwar in ſelbſtgefertigten Gehäuſen. Dieſe „Waſſerraupen“, wie ſie Röſel nennt, erinnern lebhaft an die Sackträger unter den Schmetterlingen, wie manche der vollkommenen Kerſe an die Motten und es erſcheinen darum die Bezeichnungen, „Köcherfliegen, Waſſermotten“ und einige andere dahin zielende vollkommen gerechtfertigt; in gewiſſen Gegenden Deutſchlands kennt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/460>, abgerufen am 24.11.2024.