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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Schmetterlinge. Holzbohrer.

Es sei noch bemerkt, daß man die alte Gattung Sesia neuerdings in mehrere zerlegt hat, und
daß die Schmetterlinge, welche jenen Namen behielten, bedeutend schlanker im Hinterleibe sind, wie
der hier abgebildete, und in einen zierlichen Haarbusch endigen, welcher fächerartig ausgebreitet werden
kann, was besonders bei der Paarung geschieht. Als ich einst in den Morgenstunden (11. Juni) auf
den Fang der hübschen Sesia myopiformis ausging, eines glänzend blauschwarzen Glasflüglers,
dessen schmächtigen Hinterleib ein rother Ring verziert, und dessen Raupe in den Stämmen der

[Abbildung] Der Hornissenschwärmer (Trochilium apiforme) nebst Raupe, Puppenhülfe und Puppe.
Apfelbäume lebt, beachtete ich auch die Grashalme des neben den Bäumen hinlaufenden Chaussee-
grabens, weil sie nicht selten an demselben ruheten. Hier sah ich den Gesuchten auch sitzen und daneben
eine fette Wespe. Als ich mich näherte, um mich der Sesie zu bemächtigen, flog jene davon. Wie
groß war aber mein Staunen, als ich ein Männchen gefangen hatte, dessen Hinterleib um die beiden
letzten Glieder eines weiblichen verlängert war; alles übrige Fleisch dieser unglücklichen Mutter war
im Magen der gefräßigen Wespe spurlos verschwunden.

Vornehmlich in dem Baume, von welchem der Weidenbohrer (Cossus ligniperda) seinen
deutschen Namen erhielt, aber auch in Obstbäumen, Rüstern, Pappeln, Erlen, Eichen und Linden,
wohin gerade das Eier legende, ziemlich träge Weibchen verschlagen wurde, lebt seine Larve. Sie
findet sich meist einzeln oder nur in geringer Anzahl in einem Baume, kommt aber auch aus-
nahmsweise in größeren Mengen vor. Jn den Anlagen um Göttingen wurden im Dezember (1836)
drei je fast einen Fuß im Durchmesser haltende Trauerweiden ausgerottet, aus welchen beim Zer-
klüften des Holzes hundert Raupen zum Vorschein kamen. Hinter der Rinde einer Eichenstubbe
fand ich einmal im März neun halbzöllige, rosenrothe Raupen eben derselben Art, welche entschieden
aus Eiern vom Juli des vorangegangenen Jahres abstammten. Sie saßen nahe bei einander und
waren noch nicht in das Holz eingedrungen. Die Gänge, welche sie später bohren, verlausen in
der Regel mit der Längsachse des Baumes, sie verbindende Querzüge scheinen nur dadurch entstanden
zu sein, daß eine neue Straße angelegt wurde, oder, wenn sie nach außen führen, zum Fortschaffen
der Späne zu dienen. Die Raupe wächst bei der holzigen Kost, welche wenig Nahrungsstoff bietet,
sehr langsam, und ehe sie daher ihre volle Größe von 31/2 Zoll Läuge und fast 3/4 Zoll Breite
erlangt hat, vergehen mindestens zwei Jahre. Weil sie gesundes Holz ebenso wie mürbes angreist,
so stattete sie Mutter Natur mit sehr kräftigen Freßzangen, bedeutender Muskulatur -- die berühmte
Anatomie der Weidenbohrerraupe von Peter Lyonnet weist 4041 Muskeln nach -- und mit
einem ätzenden Safte aus, welchen sie auch demjenigen in das Gesicht spritzt, welcher sich mehr mit
ihr zu schaffen macht, als sie vertragen kann. Die rosenrothe Farbe des Jugendkleides vertauscht
sie in vorgerückterem Alter mit einer schmuzigen Fleischfarbe an den Seiten, am Bauche und in den
Gelenkeinschnitten, während sich die Rückenflächen der Segmente braun, Nacken und Kopf schwarz
färben. Zur Verpuppung begibt sie sich in die Nähe des Ausgangsloches und spinnt einen Cocon.
Gelangt sie bei ihren unruhigen Wanderungen vor der Verpuppung tief genug, daß sie die Erde
erreicht, so fertigt sie von solcher ein Gespinnst. Lebte sie endlich in einem schwachen Stamme,

Die Schmetterlinge. Holzbohrer.

Es ſei noch bemerkt, daß man die alte Gattung Sesia neuerdings in mehrere zerlegt hat, und
daß die Schmetterlinge, welche jenen Namen behielten, bedeutend ſchlanker im Hinterleibe ſind, wie
der hier abgebildete, und in einen zierlichen Haarbuſch endigen, welcher fächerartig ausgebreitet werden
kann, was beſonders bei der Paarung geſchieht. Als ich einſt in den Morgenſtunden (11. Juni) auf
den Fang der hübſchen Sesia myopiformis ausging, eines glänzend blauſchwarzen Glasflüglers,
deſſen ſchmächtigen Hinterleib ein rother Ring verziert, und deſſen Raupe in den Stämmen der

[Abbildung] Der Horniſſenſchwärmer (Trochilium apiforme) nebſt Raupe, Puppenhülfe und Puppe.
Apfelbäume lebt, beachtete ich auch die Grashalme des neben den Bäumen hinlaufenden Chauſſee-
grabens, weil ſie nicht ſelten an demſelben ruheten. Hier ſah ich den Geſuchten auch ſitzen und daneben
eine fette Wespe. Als ich mich näherte, um mich der Seſie zu bemächtigen, flog jene davon. Wie
groß war aber mein Staunen, als ich ein Männchen gefangen hatte, deſſen Hinterleib um die beiden
letzten Glieder eines weiblichen verlängert war; alles übrige Fleiſch dieſer unglücklichen Mutter war
im Magen der gefräßigen Wespe ſpurlos verſchwunden.

Vornehmlich in dem Baume, von welchem der Weidenbohrer (Cossus ligniperda) ſeinen
deutſchen Namen erhielt, aber auch in Obſtbäumen, Rüſtern, Pappeln, Erlen, Eichen und Linden,
wohin gerade das Eier legende, ziemlich träge Weibchen verſchlagen wurde, lebt ſeine Larve. Sie
findet ſich meiſt einzeln oder nur in geringer Anzahl in einem Baume, kommt aber auch aus-
nahmsweiſe in größeren Mengen vor. Jn den Anlagen um Göttingen wurden im Dezember (1836)
drei je faſt einen Fuß im Durchmeſſer haltende Trauerweiden ausgerottet, aus welchen beim Zer-
klüften des Holzes hundert Raupen zum Vorſchein kamen. Hinter der Rinde einer Eichenſtubbe
fand ich einmal im März neun halbzöllige, roſenrothe Raupen eben derſelben Art, welche entſchieden
aus Eiern vom Juli des vorangegangenen Jahres abſtammten. Sie ſaßen nahe bei einander und
waren noch nicht in das Holz eingedrungen. Die Gänge, welche ſie ſpäter bohren, verlauſen in
der Regel mit der Längsachſe des Baumes, ſie verbindende Querzüge ſcheinen nur dadurch entſtanden
zu ſein, daß eine neue Straße angelegt wurde, oder, wenn ſie nach außen führen, zum Fortſchaffen
der Späne zu dienen. Die Raupe wächſt bei der holzigen Koſt, welche wenig Nahrungsſtoff bietet,
ſehr langſam, und ehe ſie daher ihre volle Größe von 3½ Zoll Läuge und faſt ¾ Zoll Breite
erlangt hat, vergehen mindeſtens zwei Jahre. Weil ſie geſundes Holz ebenſo wie mürbes angreiſt,
ſo ſtattete ſie Mutter Natur mit ſehr kräftigen Freßzangen, bedeutender Muskulatur — die berühmte
Anatomie der Weidenbohrerraupe von Peter Lyonnet weiſt 4041 Muskeln nach — und mit
einem ätzenden Safte aus, welchen ſie auch demjenigen in das Geſicht ſpritzt, welcher ſich mehr mit
ihr zu ſchaffen macht, als ſie vertragen kann. Die roſenrothe Farbe des Jugendkleides vertauſcht
ſie in vorgerückterem Alter mit einer ſchmuzigen Fleiſchfarbe an den Seiten, am Bauche und in den
Gelenkeinſchnitten, während ſich die Rückenflächen der Segmente braun, Nacken und Kopf ſchwarz
färben. Zur Verpuppung begibt ſie ſich in die Nähe des Ausgangsloches und ſpinnt einen Cocon.
Gelangt ſie bei ihren unruhigen Wanderungen vor der Verpuppung tief genug, daß ſie die Erde
erreicht, ſo fertigt ſie von ſolcher ein Geſpinnſt. Lebte ſie endlich in einem ſchwachen Stamme,

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[320/0344] Die Schmetterlinge. Holzbohrer. Es ſei noch bemerkt, daß man die alte Gattung Sesia neuerdings in mehrere zerlegt hat, und daß die Schmetterlinge, welche jenen Namen behielten, bedeutend ſchlanker im Hinterleibe ſind, wie der hier abgebildete, und in einen zierlichen Haarbuſch endigen, welcher fächerartig ausgebreitet werden kann, was beſonders bei der Paarung geſchieht. Als ich einſt in den Morgenſtunden (11. Juni) auf den Fang der hübſchen Sesia myopiformis ausging, eines glänzend blauſchwarzen Glasflüglers, deſſen ſchmächtigen Hinterleib ein rother Ring verziert, und deſſen Raupe in den Stämmen der [Abbildung Der Horniſſenſchwärmer (Trochilium apiforme) nebſt Raupe, Puppenhülfe und Puppe.] Apfelbäume lebt, beachtete ich auch die Grashalme des neben den Bäumen hinlaufenden Chauſſee- grabens, weil ſie nicht ſelten an demſelben ruheten. Hier ſah ich den Geſuchten auch ſitzen und daneben eine fette Wespe. Als ich mich näherte, um mich der Seſie zu bemächtigen, flog jene davon. Wie groß war aber mein Staunen, als ich ein Männchen gefangen hatte, deſſen Hinterleib um die beiden letzten Glieder eines weiblichen verlängert war; alles übrige Fleiſch dieſer unglücklichen Mutter war im Magen der gefräßigen Wespe ſpurlos verſchwunden. Vornehmlich in dem Baume, von welchem der Weidenbohrer (Cossus ligniperda) ſeinen deutſchen Namen erhielt, aber auch in Obſtbäumen, Rüſtern, Pappeln, Erlen, Eichen und Linden, wohin gerade das Eier legende, ziemlich träge Weibchen verſchlagen wurde, lebt ſeine Larve. Sie findet ſich meiſt einzeln oder nur in geringer Anzahl in einem Baume, kommt aber auch aus- nahmsweiſe in größeren Mengen vor. Jn den Anlagen um Göttingen wurden im Dezember (1836) drei je faſt einen Fuß im Durchmeſſer haltende Trauerweiden ausgerottet, aus welchen beim Zer- klüften des Holzes hundert Raupen zum Vorſchein kamen. Hinter der Rinde einer Eichenſtubbe fand ich einmal im März neun halbzöllige, roſenrothe Raupen eben derſelben Art, welche entſchieden aus Eiern vom Juli des vorangegangenen Jahres abſtammten. Sie ſaßen nahe bei einander und waren noch nicht in das Holz eingedrungen. Die Gänge, welche ſie ſpäter bohren, verlauſen in der Regel mit der Längsachſe des Baumes, ſie verbindende Querzüge ſcheinen nur dadurch entſtanden zu ſein, daß eine neue Straße angelegt wurde, oder, wenn ſie nach außen führen, zum Fortſchaffen der Späne zu dienen. Die Raupe wächſt bei der holzigen Koſt, welche wenig Nahrungsſtoff bietet, ſehr langſam, und ehe ſie daher ihre volle Größe von 3½ Zoll Läuge und faſt ¾ Zoll Breite erlangt hat, vergehen mindeſtens zwei Jahre. Weil ſie geſundes Holz ebenſo wie mürbes angreiſt, ſo ſtattete ſie Mutter Natur mit ſehr kräftigen Freßzangen, bedeutender Muskulatur — die berühmte Anatomie der Weidenbohrerraupe von Peter Lyonnet weiſt 4041 Muskeln nach — und mit einem ätzenden Safte aus, welchen ſie auch demjenigen in das Geſicht ſpritzt, welcher ſich mehr mit ihr zu ſchaffen macht, als ſie vertragen kann. Die roſenrothe Farbe des Jugendkleides vertauſcht ſie in vorgerückterem Alter mit einer ſchmuzigen Fleiſchfarbe an den Seiten, am Bauche und in den Gelenkeinſchnitten, während ſich die Rückenflächen der Segmente braun, Nacken und Kopf ſchwarz färben. Zur Verpuppung begibt ſie ſich in die Nähe des Ausgangsloches und ſpinnt einen Cocon. Gelangt ſie bei ihren unruhigen Wanderungen vor der Verpuppung tief genug, daß ſie die Erde erreicht, ſo fertigt ſie von ſolcher ein Geſpinnſt. Lebte ſie endlich in einem ſchwachen Stamme,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/344>, abgerufen am 24.11.2024.