verschieden gefeldert und durch einen tiefen Quereindruck vom kurzen Hinterrücken getrennt, in welchem jederseits ein häutiges, meist heller gefärbtes Fleckchen sichtbar wird, welche Hartig die Rückenkörnchen nennt. Beim Weibchen erscheint der Hinterleib in der Regel walzig und läßt die Scheiden der Legröhre an der Unterseite sehen, wenn dieselbe nicht, wie bei den Holzwespen, als schwanzartige Verlängerung ihn überragt. Die beiden Enddornen der Schienen, an den Vor- derbeinen bisweilen nur einer, kommen nicht immer in der gewöhnlichen Dorngestalt, sondern bisweilen breitgedrückt, mehr häutig vor, auch sind die Sohlen vieler mit breiten, napfartigen Erweiterungen, den sogenannten Patellen, versehen und die Klauen zweizähnig.
Von den bisher betrachteten Aderflüglern sind nur die Larven der echten Gallwespen auf Pflanzennahrung angewiesen, aber insofern vollkommen unselbständige Wesen, als sie in Gallen wohnen und in der ihnen durch die Gallenbildung angewiesenen Kammer der Ortsveränderung entbehren. Hier finden sich gleichfalls bohrende Larven, welche, dem Lichte entzogen, beinfarben, wie alle dergleichen Larven, erscheinen, aber doch mehr Freiheit genießen, weil sie ihren Gängen eine beliebige Richtung geben können. Dieselben gehören den Holzwespen an und haben sechs deutliche oder verkümmerte Brustfüße, oder einigen wenigen Blattwespen, wenn ihnen zahlreichere Beine zur Ver- fügung stehen. Die bei weitem größere Anzahl der Larven lebt aber frei auf den Blättern, gleicht durch bunte Farben den Schmetterlingsraupen, für welche sie der Unkundige auch häufig genug hält, und erlangt somit eine Selbständigkeit, wie sonst keine Aderflüglerlarve. Diese After- raupen, wie man sie genannt hat, leben gern in Gesellschaften beisammen und sitzen in der Ruhe schneckenförmig zusammengerollt auf der obern oder untern Blattfläche ihrer Futterpflanze. Beim Fressen reiten sie auf dem Blattrande und garniren ihn auf sehr eigenthümliche Weise, wenn ihrer mehrere beisammen sind. Dabei haben viele die sonderbare Gewohnheit, den von den Brustfüßen an folgenden Körpertheil fragezeigenförmig in die Höhe zu halten und taktmäßig auf und nieder zu bewegen, wenn erst eine von ihnen den Ton angegeben hat. Es ist höchst unterhaltend, diese wippenden Fragezeichen zu beobachten, aber auch ersichtlich, daß sie nicht zum Vergnügen, sondern zur Abwehr einer vermeintlichen Gefahr, dergleichen Turnkünste vornehmen. Man braucht sich nur der kleinen Gesellschaft soweit zu nähern, daß sie den Athem fühlt, so setzt sie sich in der angegebenen Weise in Bewegung, läßt sich wohl auch herabfallen, wenn sie weiter belästigt wird. Ganz besonders dürfte das Gebahren darauf berechnet sein, einer zudringlichen Schlupfwespe ihr Vorhaben zu vereiteln. Mit Ausschluß des vierten und häufig auch des vorletzten Leibesgliedes trägt jedes ein Paar kurzer Beinchen, von welchen die drei vordersten Paare an den Brustringen nur horniger Natur sind und je in eine Spitze auslaufen, während die übrigen fleischigen Zapfen gleichen, welche in einen Vorstenkranz endigen. Durch jene Lebensäußerungen, sowie durch die Anzahl von 20 bis 22 Beinen unterscheidet sich jede Afterraupe von der höchstens sechzehnbeinigen Schmetterlings- Larve. Jhre Haut erscheint auf den ersten Blick nackt, doch bemerkt man bei genauerer Besichtigung dünne Behaarung, manchmal auffallende Dornspitzchen, nie aber das dichte Haarkleid, wie bei so manchen der letzteren. Die Farben sind lebhaft, doch nicht manchfaltig, und dunklere Flecke auf hellem Grunde die gewöhnlichen Zeichnungen. Die Afterraupen sind mit einfachen Augen und kleinen Fühlern ausgestattet, häuten sich mehrere Male, wobei manche nicht nur Farbe, son- dern auch Gestalt nicht unwesentlich verändern. Erwachsen, verlassen die meisten ihre Futter- pflanze und spinnen in der Erde, an derselben, unter dürrem Laube oder Moos, mitunter aber auch am Stengel anderer pflanzen ein tonnenförmiges, pergamentähnliches, aber auch zarteres Cocon, in welchem sie in verkürzter Gestalt und bewegungslos den Winter verbringen und erst kurze Zeit vor dem Ausschlüpfen der Fliege zur gemeiselten Puppe werden. Manche ruhen sogar in diesem Zustande ein volles Jahr. Jn dieser Hinsicht kommen aber auch sonderbare Ausnahmen vor. So verpuppen sich die Larven einer brasilianischen Hylotoma-Art (Dielocerus Ellissi) gesell- schaftlich. Das Nest hat die Form eines gestreckten Eies von vier bis fünf Zoll Länge und hängt aufrecht an einem Zweige. Jede Larve besitzt ihre eigne Zelle, welche in mehreren Schichten dicht,
Die Hautflügler. Pflanzenwespen.
verſchieden gefeldert und durch einen tiefen Quereindruck vom kurzen Hinterrücken getrennt, in welchem jederſeits ein häutiges, meiſt heller gefärbtes Fleckchen ſichtbar wird, welche Hartig die Rückenkörnchen nennt. Beim Weibchen erſcheint der Hinterleib in der Regel walzig und läßt die Scheiden der Legröhre an der Unterſeite ſehen, wenn dieſelbe nicht, wie bei den Holzwespen, als ſchwanzartige Verlängerung ihn überragt. Die beiden Enddornen der Schienen, an den Vor- derbeinen bisweilen nur einer, kommen nicht immer in der gewöhnlichen Dorngeſtalt, ſondern bisweilen breitgedrückt, mehr häutig vor, auch ſind die Sohlen vieler mit breiten, napfartigen Erweiterungen, den ſogenannten Patellen, verſehen und die Klauen zweizähnig.
Von den bisher betrachteten Aderflüglern ſind nur die Larven der echten Gallwespen auf Pflanzennahrung angewieſen, aber inſofern vollkommen unſelbſtändige Weſen, als ſie in Gallen wohnen und in der ihnen durch die Gallenbildung angewieſenen Kammer der Ortsveränderung entbehren. Hier finden ſich gleichfalls bohrende Larven, welche, dem Lichte entzogen, beinfarben, wie alle dergleichen Larven, erſcheinen, aber doch mehr Freiheit genießen, weil ſie ihren Gängen eine beliebige Richtung geben können. Dieſelben gehören den Holzwespen an und haben ſechs deutliche oder verkümmerte Bruſtfüße, oder einigen wenigen Blattwespen, wenn ihnen zahlreichere Beine zur Ver- fügung ſtehen. Die bei weitem größere Anzahl der Larven lebt aber frei auf den Blättern, gleicht durch bunte Farben den Schmetterlingsraupen, für welche ſie der Unkundige auch häufig genug hält, und erlangt ſomit eine Selbſtändigkeit, wie ſonſt keine Aderflüglerlarve. Dieſe After- raupen, wie man ſie genannt hat, leben gern in Geſellſchaften beiſammen und ſitzen in der Ruhe ſchneckenförmig zuſammengerollt auf der obern oder untern Blattfläche ihrer Futterpflanze. Beim Freſſen reiten ſie auf dem Blattrande und garniren ihn auf ſehr eigenthümliche Weiſe, wenn ihrer mehrere beiſammen ſind. Dabei haben viele die ſonderbare Gewohnheit, den von den Bruſtfüßen an folgenden Körpertheil fragezeigenförmig in die Höhe zu halten und taktmäßig auf und nieder zu bewegen, wenn erſt eine von ihnen den Ton angegeben hat. Es iſt höchſt unterhaltend, dieſe wippenden Fragezeichen zu beobachten, aber auch erſichtlich, daß ſie nicht zum Vergnügen, ſondern zur Abwehr einer vermeintlichen Gefahr, dergleichen Turnkünſte vornehmen. Man braucht ſich nur der kleinen Geſellſchaft ſoweit zu nähern, daß ſie den Athem fühlt, ſo ſetzt ſie ſich in der angegebenen Weiſe in Bewegung, läßt ſich wohl auch herabfallen, wenn ſie weiter beläſtigt wird. Ganz beſonders dürfte das Gebahren darauf berechnet ſein, einer zudringlichen Schlupfwespe ihr Vorhaben zu vereiteln. Mit Ausſchluß des vierten und häufig auch des vorletzten Leibesgliedes trägt jedes ein Paar kurzer Beinchen, von welchen die drei vorderſten Paare an den Bruſtringen nur horniger Natur ſind und je in eine Spitze auslaufen, während die übrigen fleiſchigen Zapfen gleichen, welche in einen Vorſtenkranz endigen. Durch jene Lebensäußerungen, ſowie durch die Anzahl von 20 bis 22 Beinen unterſcheidet ſich jede Afterraupe von der höchſtens ſechzehnbeinigen Schmetterlings- Larve. Jhre Haut erſcheint auf den erſten Blick nackt, doch bemerkt man bei genauerer Beſichtigung dünne Behaarung, manchmal auffallende Dornſpitzchen, nie aber das dichte Haarkleid, wie bei ſo manchen der letzteren. Die Farben ſind lebhaft, doch nicht manchfaltig, und dunklere Flecke auf hellem Grunde die gewöhnlichen Zeichnungen. Die Afterraupen ſind mit einfachen Augen und kleinen Fühlern ausgeſtattet, häuten ſich mehrere Male, wobei manche nicht nur Farbe, ſon- dern auch Geſtalt nicht unweſentlich verändern. Erwachſen, verlaſſen die meiſten ihre Futter- pflanze und ſpinnen in der Erde, an derſelben, unter dürrem Laube oder Moos, mitunter aber auch am Stengel anderer pflanzen ein tonnenförmiges, pergamentähnliches, aber auch zarteres Cocon, in welchem ſie in verkürzter Geſtalt und bewegungslos den Winter verbringen und erſt kurze Zeit vor dem Ausſchlüpfen der Fliege zur gemeiſelten Puppe werden. Manche ruhen ſogar in dieſem Zuſtande ein volles Jahr. Jn dieſer Hinſicht kommen aber auch ſonderbare Ausnahmen vor. So verpuppen ſich die Larven einer braſilianiſchen Hylotoma-Art (Dielocerus Ellissi) geſell- ſchaftlich. Das Neſt hat die Form eines geſtreckten Eies von vier bis fünf Zoll Länge und hängt aufrecht an einem Zweige. Jede Larve beſitzt ihre eigne Zelle, welche in mehreren Schichten dicht,
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[276/0298]
Die Hautflügler. Pflanzenwespen.
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welchem jederſeits ein häutiges, meiſt heller gefärbtes Fleckchen ſichtbar wird, welche Hartig die
Rückenkörnchen nennt. Beim Weibchen erſcheint der Hinterleib in der Regel walzig und läßt
die Scheiden der Legröhre an der Unterſeite ſehen, wenn dieſelbe nicht, wie bei den Holzwespen,
als ſchwanzartige Verlängerung ihn überragt. Die beiden Enddornen der Schienen, an den Vor-
derbeinen bisweilen nur einer, kommen nicht immer in der gewöhnlichen Dorngeſtalt, ſondern
bisweilen breitgedrückt, mehr häutig vor, auch ſind die Sohlen vieler mit breiten, napfartigen
Erweiterungen, den ſogenannten Patellen, verſehen und die Klauen zweizähnig.
Von den bisher betrachteten Aderflüglern ſind nur die Larven der echten Gallwespen auf
Pflanzennahrung angewieſen, aber inſofern vollkommen unſelbſtändige Weſen, als ſie in Gallen
wohnen und in der ihnen durch die Gallenbildung angewieſenen Kammer der Ortsveränderung
entbehren. Hier finden ſich gleichfalls bohrende Larven, welche, dem Lichte entzogen, beinfarben,
wie alle dergleichen Larven, erſcheinen, aber doch mehr Freiheit genießen, weil ſie ihren Gängen eine
beliebige Richtung geben können. Dieſelben gehören den Holzwespen an und haben ſechs deutliche oder
verkümmerte Bruſtfüße, oder einigen wenigen Blattwespen, wenn ihnen zahlreichere Beine zur Ver-
fügung ſtehen. Die bei weitem größere Anzahl der Larven lebt aber frei auf den Blättern, gleicht
durch bunte Farben den Schmetterlingsraupen, für welche ſie der Unkundige auch häufig genug
hält, und erlangt ſomit eine Selbſtändigkeit, wie ſonſt keine Aderflüglerlarve. Dieſe After-
raupen, wie man ſie genannt hat, leben gern in Geſellſchaften beiſammen und ſitzen in der Ruhe
ſchneckenförmig zuſammengerollt auf der obern oder untern Blattfläche ihrer Futterpflanze. Beim
Freſſen reiten ſie auf dem Blattrande und garniren ihn auf ſehr eigenthümliche Weiſe, wenn ihrer
mehrere beiſammen ſind. Dabei haben viele die ſonderbare Gewohnheit, den von den Bruſtfüßen
an folgenden Körpertheil fragezeigenförmig in die Höhe zu halten und taktmäßig auf und nieder
zu bewegen, wenn erſt eine von ihnen den Ton angegeben hat. Es iſt höchſt unterhaltend, dieſe
wippenden Fragezeichen zu beobachten, aber auch erſichtlich, daß ſie nicht zum Vergnügen, ſondern
zur Abwehr einer vermeintlichen Gefahr, dergleichen Turnkünſte vornehmen. Man braucht
ſich nur der kleinen Geſellſchaft ſoweit zu nähern, daß ſie den Athem fühlt, ſo ſetzt ſie ſich in der
angegebenen Weiſe in Bewegung, läßt ſich wohl auch herabfallen, wenn ſie weiter beläſtigt wird.
Ganz beſonders dürfte das Gebahren darauf berechnet ſein, einer zudringlichen Schlupfwespe ihr
Vorhaben zu vereiteln. Mit Ausſchluß des vierten und häufig auch des vorletzten Leibesgliedes
trägt jedes ein Paar kurzer Beinchen, von welchen die drei vorderſten Paare an den Bruſtringen
nur horniger Natur ſind und je in eine Spitze auslaufen, während die übrigen fleiſchigen Zapfen
gleichen, welche in einen Vorſtenkranz endigen. Durch jene Lebensäußerungen, ſowie durch die Anzahl
von 20 bis 22 Beinen unterſcheidet ſich jede Afterraupe von der höchſtens ſechzehnbeinigen Schmetterlings-
Larve. Jhre Haut erſcheint auf den erſten Blick nackt, doch bemerkt man bei genauerer Beſichtigung
dünne Behaarung, manchmal auffallende Dornſpitzchen, nie aber das dichte Haarkleid, wie bei ſo
manchen der letzteren. Die Farben ſind lebhaft, doch nicht manchfaltig, und dunklere Flecke auf
hellem Grunde die gewöhnlichen Zeichnungen. Die Afterraupen ſind mit einfachen Augen und
kleinen Fühlern ausgeſtattet, häuten ſich mehrere Male, wobei manche nicht nur Farbe, ſon-
dern auch Geſtalt nicht unweſentlich verändern. Erwachſen, verlaſſen die meiſten ihre Futter-
pflanze und ſpinnen in der Erde, an derſelben, unter dürrem Laube oder Moos, mitunter aber
auch am Stengel anderer pflanzen ein tonnenförmiges, pergamentähnliches, aber auch zarteres
Cocon, in welchem ſie in verkürzter Geſtalt und bewegungslos den Winter verbringen und erſt
kurze Zeit vor dem Ausſchlüpfen der Fliege zur gemeiſelten Puppe werden. Manche ruhen ſogar
in dieſem Zuſtande ein volles Jahr. Jn dieſer Hinſicht kommen aber auch ſonderbare Ausnahmen
vor. So verpuppen ſich die Larven einer braſilianiſchen Hylotoma-Art (Dielocerus Ellissi) geſell-
ſchaftlich. Das Neſt hat die Form eines geſtreckten Eies von vier bis fünf Zoll Länge und hängt
aufrecht an einem Zweige. Jede Larve beſitzt ihre eigne Zelle, welche in mehreren Schichten dicht,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/298>, abgerufen am 23.11.2024.
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