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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Hantflügler. Ameisen.
übrigen europäischen Arten, cylindrische, ungezähnte Kinnbacken, entbehren also desjenigen Werk-
zeuges oder vielmehr der rechten Einrichtung desselben, womit alle Arbeit zu Stande gebracht
wird. Die erste Art zeichnet sich außerdem durch eine dicke, ovale, hohe und aufrechte Schuppe
auf dem eingliederigen Hinterleibsstiele und einen stark buckelförmig erhobenen Mittelrücken aus
und lebt in Erdhaufen, welche mit der Oberfläche des Bodens nur durch eine Oeffnung in Ver-
bindung stehen. Strongylognathus hat einen zweiknotigen Hinterleibsstiel, viergliederige Kiefer-
und dreigliederige Lippentaster und findet sich unter Steinen, aber selten. Jene raubt die Arbeiter-
brut von Formica fusca und cunicularia, diese die von Tetramorium caespitum. Die dritte
europäische Raubameise, die Formica sanguinea, holt sich die Arbeiter aus den Nestern der beiden
eben genannten Gattungsgenossen und, wiewohl seltener, von Lasius alienus, verrichtet aber
gemeinschaftlich mit den Sklaven alle Arbeiten und vertheidigt als eine der bissigsten Ameisen das
Nest auf das Muthigste, während die beiden anderen Raubameisen nur Feigheit an den Tag
legen. Jn solchen gemischten Kolonien gehören die geflügelten Geschlechter der Raubameise an und
nur die Arbeiter verschiedenen Arten. Die Räubereien werden von den Arbeitern der betreffenden
Thiere in förmlichen Heerzügen unternommen, und daß es bei dem Grundcharakter der Emsen
zu mörderischen Schlachten kommt, wo Todte und Verwundete massenhaft bleiben, läßt sich wohl
denken. Aber auch aus anderen, als den eben angeführten Gründen werden von den Ameisen
Angriffe auf fremde Nester unternommen, z. B. um daraus lebende Blattläuse zu holen, und dieser
Umstand leitet uns zu ihren "Freunden", den sogenannten Myrmecophilen, über.

Neben der bekannten Thatsache, daß die Ameisen über jedes Thier sogleich herfallen, welches
in ihr Nest gerathen ist, mußte es Wunder nehmen, gewisse Jnsekten nicht nur unangefochten,
sondern sogar mit einer merklichen Achtung von ihnen behandelt, mitten unter ihnen zu finden.
Mehrere Entomologen haben mit besonderer Vorliebe diesen Gegenstand weiter verfolgt und lange
Listen dieser Thiere angefertigt, auch das Verhalten der Ameisen zu ihnen zu erforschen sich
bemüht. Hiernach lassen sie sich in drei Gruppen eintheilen. 1) Ameisenfreunde, welche nur als
Larven oder Puppen in den Nestern leben, die als ihnen unschädliche Gäste geduldet werden. So
nährt sich, wie wir früher sahen, die einem Engerlinge ähnliche Larve des gemeinen Goldkäfers
(Cetonia) von den vermodernden Holzstückchen des untern Nesttheiles bei der Waldameise. 2) Ameisen-
freunde, welche als vollkommene Jnsekten in den Nestern anzutreffen sind, aber hier nicht aus-
schließlich. Dahin gehören einige Stutzkäfer (Hister) und Staphylinen, aber auch die Blatt-
läuse müssen dazu gerechnet werden, welche nicht freiwillig, sondern von den Ameisen hineingetragen,
bei ihnen als "Milchkühe" leben müssen. Es wurde bereits erwähnt, wie versessen alle Hymenop-
teren auf die süßen Absonderungen der Blattläuse seien, und darum dürfen wir uns nicht wundern,
daß die Ameisen herdenweise dieselben nicht nur außerhalb ihres Nestes aufsuchen und sie durch
Betasten mit ihren Fühlern und durch Streicheln dazu veranlassen, jenen Saft von sich zu geben,
sie zu "melken", sondern auch sie, die wehrlosen, schwachen Thierchen dorthin entführen und dabei
weniger ritterlichen Sinn als ganz gemeinen Egoismus an den Tag legen. Bei den in Baum-
stämmen nistenden, wie Lasius fuliginosus und brunneus, wohnt häufig eine Blattlaus, Namens
Lachnus longirostris, welche mit ihrem den Körper dreimal an Länge übertreffenden Schnabel
an dem jungen Holze des Baumes saugt; in unterirdischen Ameisennestern erhalten wieder andere
Arten von Blattläusen ihre Nahrung aus den Graswurzeln in der nächsten Nähe. Oft umgeben
Ameisen eine Gesellschaft von Blattläusen mit einem Gehäuse von Erde, wohin sie auch wohl ihre
Larven tragen, oder setzen eine Blattlauskolonie durch einen bedeckten Gang mit ihrem Neste in
Verbindung. Jn heißen Ländern, wo die Blattläuse fehlen, vertreten die ihnen verwandten kleinen
Cikaden ihre Stelle. 3) Ameisenfreunde, welche in allen Verwandlungsstufen und als Jmago
ausschließlich in den Nestern leben, und deren ganze Eristenz von den Ameisen abhängt. Hierher
gehören einige kleine gelbbraune Käferchen aus der Sippe der Pselaphen (S. 54) und zahlreichere
Staphylinen. Jn Deutschland kennt man über 300 Arten von Jnsekten aller Ordnungen, welche

Die Hantflügler. Ameiſen.
übrigen europäiſchen Arten, cylindriſche, ungezähnte Kinnbacken, entbehren alſo desjenigen Werk-
zeuges oder vielmehr der rechten Einrichtung deſſelben, womit alle Arbeit zu Stande gebracht
wird. Die erſte Art zeichnet ſich außerdem durch eine dicke, ovale, hohe und aufrechte Schuppe
auf dem eingliederigen Hinterleibsſtiele und einen ſtark buckelförmig erhobenen Mittelrücken aus
und lebt in Erdhaufen, welche mit der Oberfläche des Bodens nur durch eine Oeffnung in Ver-
bindung ſtehen. Strongylognathus hat einen zweiknotigen Hinterleibsſtiel, viergliederige Kiefer-
und dreigliederige Lippentaſter und findet ſich unter Steinen, aber ſelten. Jene raubt die Arbeiter-
brut von Formica fusca und cunicularia, dieſe die von Tetramorium caespitum. Die dritte
europäiſche Raubameiſe, die Formica sanguinea, holt ſich die Arbeiter aus den Neſtern der beiden
eben genannten Gattungsgenoſſen und, wiewohl ſeltener, von Lasius alienus, verrichtet aber
gemeinſchaftlich mit den Sklaven alle Arbeiten und vertheidigt als eine der biſſigſten Ameiſen das
Neſt auf das Muthigſte, während die beiden anderen Raubameiſen nur Feigheit an den Tag
legen. Jn ſolchen gemiſchten Kolonien gehören die geflügelten Geſchlechter der Raubameiſe an und
nur die Arbeiter verſchiedenen Arten. Die Räubereien werden von den Arbeitern der betreffenden
Thiere in förmlichen Heerzügen unternommen, und daß es bei dem Grundcharakter der Emſen
zu mörderiſchen Schlachten kommt, wo Todte und Verwundete maſſenhaft bleiben, läßt ſich wohl
denken. Aber auch aus anderen, als den eben angeführten Gründen werden von den Ameiſen
Angriffe auf fremde Neſter unternommen, z. B. um daraus lebende Blattläuſe zu holen, und dieſer
Umſtand leitet uns zu ihren „Freunden“, den ſogenannten Myrmecophilen, über.

Neben der bekannten Thatſache, daß die Ameiſen über jedes Thier ſogleich herfallen, welches
in ihr Neſt gerathen iſt, mußte es Wunder nehmen, gewiſſe Jnſekten nicht nur unangefochten,
ſondern ſogar mit einer merklichen Achtung von ihnen behandelt, mitten unter ihnen zu finden.
Mehrere Entomologen haben mit beſonderer Vorliebe dieſen Gegenſtand weiter verfolgt und lange
Liſten dieſer Thiere angefertigt, auch das Verhalten der Ameiſen zu ihnen zu erforſchen ſich
bemüht. Hiernach laſſen ſie ſich in drei Gruppen eintheilen. 1) Ameiſenfreunde, welche nur als
Larven oder Puppen in den Neſtern leben, die als ihnen unſchädliche Gäſte geduldet werden. So
nährt ſich, wie wir früher ſahen, die einem Engerlinge ähnliche Larve des gemeinen Goldkäfers
(Cetonia) von den vermodernden Holzſtückchen des untern Neſttheiles bei der Waldameiſe. 2) Ameiſen-
freunde, welche als vollkommene Jnſekten in den Neſtern anzutreffen ſind, aber hier nicht aus-
ſchließlich. Dahin gehören einige Stutzkäfer (Hister) und Staphylinen, aber auch die Blatt-
läuſe müſſen dazu gerechnet werden, welche nicht freiwillig, ſondern von den Ameiſen hineingetragen,
bei ihnen als „Milchkühe“ leben müſſen. Es wurde bereits erwähnt, wie verſeſſen alle Hymenop-
teren auf die ſüßen Abſonderungen der Blattläuſe ſeien, und darum dürfen wir uns nicht wundern,
daß die Ameiſen herdenweiſe dieſelben nicht nur außerhalb ihres Neſtes aufſuchen und ſie durch
Betaſten mit ihren Fühlern und durch Streicheln dazu veranlaſſen, jenen Saft von ſich zu geben,
ſie zu „melken“, ſondern auch ſie, die wehrloſen, ſchwachen Thierchen dorthin entführen und dabei
weniger ritterlichen Sinn als ganz gemeinen Egoismus an den Tag legen. Bei den in Baum-
ſtämmen niſtenden, wie Lasius fuliginosus und brunneus, wohnt häufig eine Blattlaus, Namens
Lachnus longirostris, welche mit ihrem den Körper dreimal an Länge übertreffenden Schnabel
an dem jungen Holze des Baumes ſaugt; in unterirdiſchen Ameiſenneſtern erhalten wieder andere
Arten von Blattläuſen ihre Nahrung aus den Graswurzeln in der nächſten Nähe. Oft umgeben
Ameiſen eine Geſellſchaft von Blattläuſen mit einem Gehäuſe von Erde, wohin ſie auch wohl ihre
Larven tragen, oder ſetzen eine Blattlauskolonie durch einen bedeckten Gang mit ihrem Neſte in
Verbindung. Jn heißen Ländern, wo die Blattläuſe fehlen, vertreten die ihnen verwandten kleinen
Cikaden ihre Stelle. 3) Ameiſenfreunde, welche in allen Verwandlungsſtufen und als Jmago
ausſchließlich in den Neſtern leben, und deren ganze Eriſtenz von den Ameiſen abhängt. Hierher
gehören einige kleine gelbbraune Käferchen aus der Sippe der Pſelaphen (S. 54) und zahlreichere
Staphylinen. Jn Deutſchland kennt man über 300 Arten von Jnſekten aller Ordnungen, welche

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[214/0236] Die Hantflügler. Ameiſen. übrigen europäiſchen Arten, cylindriſche, ungezähnte Kinnbacken, entbehren alſo desjenigen Werk- zeuges oder vielmehr der rechten Einrichtung deſſelben, womit alle Arbeit zu Stande gebracht wird. Die erſte Art zeichnet ſich außerdem durch eine dicke, ovale, hohe und aufrechte Schuppe auf dem eingliederigen Hinterleibsſtiele und einen ſtark buckelförmig erhobenen Mittelrücken aus und lebt in Erdhaufen, welche mit der Oberfläche des Bodens nur durch eine Oeffnung in Ver- bindung ſtehen. Strongylognathus hat einen zweiknotigen Hinterleibsſtiel, viergliederige Kiefer- und dreigliederige Lippentaſter und findet ſich unter Steinen, aber ſelten. Jene raubt die Arbeiter- brut von Formica fusca und cunicularia, dieſe die von Tetramorium caespitum. Die dritte europäiſche Raubameiſe, die Formica sanguinea, holt ſich die Arbeiter aus den Neſtern der beiden eben genannten Gattungsgenoſſen und, wiewohl ſeltener, von Lasius alienus, verrichtet aber gemeinſchaftlich mit den Sklaven alle Arbeiten und vertheidigt als eine der biſſigſten Ameiſen das Neſt auf das Muthigſte, während die beiden anderen Raubameiſen nur Feigheit an den Tag legen. Jn ſolchen gemiſchten Kolonien gehören die geflügelten Geſchlechter der Raubameiſe an und nur die Arbeiter verſchiedenen Arten. Die Räubereien werden von den Arbeitern der betreffenden Thiere in förmlichen Heerzügen unternommen, und daß es bei dem Grundcharakter der Emſen zu mörderiſchen Schlachten kommt, wo Todte und Verwundete maſſenhaft bleiben, läßt ſich wohl denken. Aber auch aus anderen, als den eben angeführten Gründen werden von den Ameiſen Angriffe auf fremde Neſter unternommen, z. B. um daraus lebende Blattläuſe zu holen, und dieſer Umſtand leitet uns zu ihren „Freunden“, den ſogenannten Myrmecophilen, über. Neben der bekannten Thatſache, daß die Ameiſen über jedes Thier ſogleich herfallen, welches in ihr Neſt gerathen iſt, mußte es Wunder nehmen, gewiſſe Jnſekten nicht nur unangefochten, ſondern ſogar mit einer merklichen Achtung von ihnen behandelt, mitten unter ihnen zu finden. Mehrere Entomologen haben mit beſonderer Vorliebe dieſen Gegenſtand weiter verfolgt und lange Liſten dieſer Thiere angefertigt, auch das Verhalten der Ameiſen zu ihnen zu erforſchen ſich bemüht. Hiernach laſſen ſie ſich in drei Gruppen eintheilen. 1) Ameiſenfreunde, welche nur als Larven oder Puppen in den Neſtern leben, die als ihnen unſchädliche Gäſte geduldet werden. So nährt ſich, wie wir früher ſahen, die einem Engerlinge ähnliche Larve des gemeinen Goldkäfers (Cetonia) von den vermodernden Holzſtückchen des untern Neſttheiles bei der Waldameiſe. 2) Ameiſen- freunde, welche als vollkommene Jnſekten in den Neſtern anzutreffen ſind, aber hier nicht aus- ſchließlich. Dahin gehören einige Stutzkäfer (Hister) und Staphylinen, aber auch die Blatt- läuſe müſſen dazu gerechnet werden, welche nicht freiwillig, ſondern von den Ameiſen hineingetragen, bei ihnen als „Milchkühe“ leben müſſen. Es wurde bereits erwähnt, wie verſeſſen alle Hymenop- teren auf die ſüßen Abſonderungen der Blattläuſe ſeien, und darum dürfen wir uns nicht wundern, daß die Ameiſen herdenweiſe dieſelben nicht nur außerhalb ihres Neſtes aufſuchen und ſie durch Betaſten mit ihren Fühlern und durch Streicheln dazu veranlaſſen, jenen Saft von ſich zu geben, ſie zu „melken“, ſondern auch ſie, die wehrloſen, ſchwachen Thierchen dorthin entführen und dabei weniger ritterlichen Sinn als ganz gemeinen Egoismus an den Tag legen. Bei den in Baum- ſtämmen niſtenden, wie Lasius fuliginosus und brunneus, wohnt häufig eine Blattlaus, Namens Lachnus longirostris, welche mit ihrem den Körper dreimal an Länge übertreffenden Schnabel an dem jungen Holze des Baumes ſaugt; in unterirdiſchen Ameiſenneſtern erhalten wieder andere Arten von Blattläuſen ihre Nahrung aus den Graswurzeln in der nächſten Nähe. Oft umgeben Ameiſen eine Geſellſchaft von Blattläuſen mit einem Gehäuſe von Erde, wohin ſie auch wohl ihre Larven tragen, oder ſetzen eine Blattlauskolonie durch einen bedeckten Gang mit ihrem Neſte in Verbindung. Jn heißen Ländern, wo die Blattläuſe fehlen, vertreten die ihnen verwandten kleinen Cikaden ihre Stelle. 3) Ameiſenfreunde, welche in allen Verwandlungsſtufen und als Jmago ausſchließlich in den Neſtern leben, und deren ganze Eriſtenz von den Ameiſen abhängt. Hierher gehören einige kleine gelbbraune Käferchen aus der Sippe der Pſelaphen (S. 54) und zahlreichere Staphylinen. Jn Deutſchland kennt man über 300 Arten von Jnſekten aller Ordnungen, welche

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/236>, abgerufen am 03.05.2024.