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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Hautflügler. Blumenwespen.

Die Männchen, die sich um den Bau und das Einsammeln nicht kümmern, sondern nur
verzehren, was Andere mühsam erwarben, haben nichts weiter zu thun, als um die Mittagszeit
in schwankendem Fluge mit herabhängenden Beinen und gewaltigem Summen sich einige Bewegung
zu machen. Das weiß die junge Königin wohl, selbst wenn in ihrem Staate nicht ein einziger
dieser Faullenzer wäre. Gleich nach den ersten Tagen ihres Einzuges fühlt sie den Drang in sich,
genau zu derselben Zeit auch einen Ausflug zu unternehmen. Sie erreicht ihren Zweck, es findet
sich bald ein Männchen, in der Lust erfolgt die Paarung und endet mit dem Tode des Auser-
wählten. Nach kurzer Abwesenheit kehrt die Königin zurück, befruchtet für ihre Lebenszeit, die
vier, auch wohl fünf Jahre währen kann, und vermag nach den angestellten Versuchen jährlich 50 bis
60 tausend Eier zu legen, in den letzten Jahren weniger; auch läßt man sie im Jnteresse des
Stockes in der Regel nicht vier Jahre in Thätigkeit. Sechsundvierzig Stunden nach der Heimkehr
fängt sie an mit Legen. Die vorderste Wabe und die Vorderwand der folgenden läßt sie in der
Regel noch unberührt; die oberen Reihen aller Waben sind gedeckelt und enthalten Honig, unter diesen
finden sich die Brutzellen. Bei ihrer Arbeit, welche meist ohne längere Unterbrechung zum Ausruhen
fortgeht, wird sie von Arbeiterinnen begleitet, die ihr Nahrung reichen, sie mit den Fühlern
streicheln, mit der Zunge belecken und ihr alle die Anfmerksamkeit beweisen, die eben eine Biene
ihrer Königin zollt. Jn jede Zelle, die sie mit einem Eie zu beschenken gedenkt, kriecht sie erst
mit dem Kopfe hinein, gleichsam um sich zu überzeugen, ob auch Alles in Ordnung sei, dann
kommt sie wieder hervor, schiebt den Hinterleib hinein, und ist sie fertig, so sieht man hinten zur
Seite der untern Wand unmittelbar am Boden der Zelle das Ei senkrecht hingestellt. Es ist
milchweiß, durchscheinend, reichlich zwei Millimeter lang, schwach gekrümmt und an seinem untern
Ende kaum merklich schmäler als am obern. Der Anblick des ersten Beweises königlicher Gnade
ist für das Volk ein Mahnruf zu doppelter Thätigkeit, eine Aufforderung zur Uebernahme neuer
Sorgen. Sofort werden die Brutzellen mit einem kleinen Häuflein weißer Gallerte ganz hinten
am Boden, noch hinter dem Eie, versehen, welche aus Honig, Bienenbrod und Wasser im Labora-
torium zubereitet ward. Am vierten Tage erscheint die Larve als ein geringeltes Würmlein, zehrt
das Futter auf, streckt sich gerade mit dem Kopfe nach vorn und wird weiter gefüttert. Dabei
wächst sie, ohne sich zu häuten, ohne sich zu entleeren, so schnell, wird so feist, daß sie am
sechsten (siebenten) Tage die ganze Zelle erfüllt. Die um sie besorgten Pflegerinnen dehnen mit
ihren Zähnen die Ränder der Zelle, biegen sie nach innen, um sie zu verengen und ergänzen das
Fehlende durch einen platten Wachsdeckel, damit der Verschluß vollständig sei. Noch hört die Für-
sorge für sie nicht auf. Die gedeckelten Brutzellen werden nicht verlassen, sondern sind stets von
Bienen in dichtgedrängtem Haufen belagert, werden gewissermaßen "bebrütet". Jm Jnnern spinnt
die Made ein Seidencocon um sich, streift ihre Haut ab und wird zur Puppe. Am einund-
zwanzigsten
Tage, vom Ei an gerechnet, wird der Deckel von innen abgestoßen, und die junge
Bürgerin ist geboren. Sie reckt und streckt sich, wird freundlich von den Schwestern begrüßt,
beleckt und gefüttert; doch kaum fühlt sie sich trocken und im Besitz ihrer vollen Kräfte, was nach
wenigen Stunden der Fall ist, so mischt sie sich unter das Volk und findet eine Beschäftigung im
häuslichen Kreise: Füttern, Brüten, Deckeln und Reinhalten der Wohnung, Wegschaffen der
Brocken, welche beim Auskriechen abfallen; das dürften die Beschäftigungen sein, welche in den
ersten acht Tagen den jungen Bienen zufallen. Sie ist kaum aus ihrer Wiege hervorgekrochen,
so erscheinen Arbeiter, um die Häute, die Windeln des neugebornen Kindes, zu entfernen, die
Ränder der Zelle wieder zu glätten und ihr die frühere Verfassung zurückzugeben, damit sie für
ein zweites Ei tauglich sei. Die acht Tage alte Biene bekommt aber jetzt Sehnsucht nach der
Freiheit. Nachdem sie in der früher beschriebenen Weise ihren Ortssinn geprüft hat, sucht sie das
Weite und trägt mit demselben Geschick ein, wie die alten Bienen. So verhält sich die Sache
also, wenn die früheren Schriftsteller behaupteten, es gebe zwei Arten von Arbeitsbienen: die
jungen verrichten häusliche Dienste, die alten gehen der Tracht nach in's Feld, in den Wald, auf

Die Hautflügler. Blumenwespen.

Die Männchen, die ſich um den Bau und das Einſammeln nicht kümmern, ſondern nur
verzehren, was Andere mühſam erwarben, haben nichts weiter zu thun, als um die Mittagszeit
in ſchwankendem Fluge mit herabhängenden Beinen und gewaltigem Summen ſich einige Bewegung
zu machen. Das weiß die junge Königin wohl, ſelbſt wenn in ihrem Staate nicht ein einziger
dieſer Faullenzer wäre. Gleich nach den erſten Tagen ihres Einzuges fühlt ſie den Drang in ſich,
genau zu derſelben Zeit auch einen Ausflug zu unternehmen. Sie erreicht ihren Zweck, es findet
ſich bald ein Männchen, in der Luſt erfolgt die Paarung und endet mit dem Tode des Auser-
wählten. Nach kurzer Abweſenheit kehrt die Königin zurück, befruchtet für ihre Lebenszeit, die
vier, auch wohl fünf Jahre währen kann, und vermag nach den angeſtellten Verſuchen jährlich 50 bis
60 tauſend Eier zu legen, in den letzten Jahren weniger; auch läßt man ſie im Jntereſſe des
Stockes in der Regel nicht vier Jahre in Thätigkeit. Sechsundvierzig Stunden nach der Heimkehr
fängt ſie an mit Legen. Die vorderſte Wabe und die Vorderwand der folgenden läßt ſie in der
Regel noch unberührt; die oberen Reihen aller Waben ſind gedeckelt und enthalten Honig, unter dieſen
finden ſich die Brutzellen. Bei ihrer Arbeit, welche meiſt ohne längere Unterbrechung zum Ausruhen
fortgeht, wird ſie von Arbeiterinnen begleitet, die ihr Nahrung reichen, ſie mit den Fühlern
ſtreicheln, mit der Zunge belecken und ihr alle die Anfmerkſamkeit beweiſen, die eben eine Biene
ihrer Königin zollt. Jn jede Zelle, die ſie mit einem Eie zu beſchenken gedenkt, kriecht ſie erſt
mit dem Kopfe hinein, gleichſam um ſich zu überzeugen, ob auch Alles in Ordnung ſei, dann
kommt ſie wieder hervor, ſchiebt den Hinterleib hinein, und iſt ſie fertig, ſo ſieht man hinten zur
Seite der untern Wand unmittelbar am Boden der Zelle das Ei ſenkrecht hingeſtellt. Es iſt
milchweiß, durchſcheinend, reichlich zwei Millimeter lang, ſchwach gekrümmt und an ſeinem untern
Ende kaum merklich ſchmäler als am obern. Der Anblick des erſten Beweiſes königlicher Gnade
iſt für das Volk ein Mahnruf zu doppelter Thätigkeit, eine Aufforderung zur Uebernahme neuer
Sorgen. Sofort werden die Brutzellen mit einem kleinen Häuflein weißer Gallerte ganz hinten
am Boden, noch hinter dem Eie, verſehen, welche aus Honig, Bienenbrod und Waſſer im Labora-
torium zubereitet ward. Am vierten Tage erſcheint die Larve als ein geringeltes Würmlein, zehrt
das Futter auf, ſtreckt ſich gerade mit dem Kopfe nach vorn und wird weiter gefüttert. Dabei
wächſt ſie, ohne ſich zu häuten, ohne ſich zu entleeren, ſo ſchnell, wird ſo feiſt, daß ſie am
ſechſten (ſiebenten) Tage die ganze Zelle erfüllt. Die um ſie beſorgten Pflegerinnen dehnen mit
ihren Zähnen die Ränder der Zelle, biegen ſie nach innen, um ſie zu verengen und ergänzen das
Fehlende durch einen platten Wachsdeckel, damit der Verſchluß vollſtändig ſei. Noch hört die Für-
ſorge für ſie nicht auf. Die gedeckelten Brutzellen werden nicht verlaſſen, ſondern ſind ſtets von
Bienen in dichtgedrängtem Haufen belagert, werden gewiſſermaßen „bebrütet“. Jm Jnnern ſpinnt
die Made ein Seidencocon um ſich, ſtreift ihre Haut ab und wird zur Puppe. Am einund-
zwanzigſten
Tage, vom Ei an gerechnet, wird der Deckel von innen abgeſtoßen, und die junge
Bürgerin iſt geboren. Sie reckt und ſtreckt ſich, wird freundlich von den Schweſtern begrüßt,
beleckt und gefüttert; doch kaum fühlt ſie ſich trocken und im Beſitz ihrer vollen Kräfte, was nach
wenigen Stunden der Fall iſt, ſo miſcht ſie ſich unter das Volk und findet eine Beſchäftigung im
häuslichen Kreiſe: Füttern, Brüten, Deckeln und Reinhalten der Wohnung, Wegſchaffen der
Brocken, welche beim Auskriechen abfallen; das dürften die Beſchäftigungen ſein, welche in den
erſten acht Tagen den jungen Bienen zufallen. Sie iſt kaum aus ihrer Wiege hervorgekrochen,
ſo erſcheinen Arbeiter, um die Häute, die Windeln des neugebornen Kindes, zu entfernen, die
Ränder der Zelle wieder zu glätten und ihr die frühere Verfaſſung zurückzugeben, damit ſie für
ein zweites Ei tauglich ſei. Die acht Tage alte Biene bekommt aber jetzt Sehnſucht nach der
Freiheit. Nachdem ſie in der früher beſchriebenen Weiſe ihren Ortsſinn geprüft hat, ſucht ſie das
Weite und trägt mit demſelben Geſchick ein, wie die alten Bienen. So verhält ſich die Sache
alſo, wenn die früheren Schriftſteller behaupteten, es gebe zwei Arten von Arbeitsbienen: die
jungen verrichten häusliche Dienſte, die alten gehen der Tracht nach in’s Feld, in den Wald, auf

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[172/0192] Die Hautflügler. Blumenwespen. Die Männchen, die ſich um den Bau und das Einſammeln nicht kümmern, ſondern nur verzehren, was Andere mühſam erwarben, haben nichts weiter zu thun, als um die Mittagszeit in ſchwankendem Fluge mit herabhängenden Beinen und gewaltigem Summen ſich einige Bewegung zu machen. Das weiß die junge Königin wohl, ſelbſt wenn in ihrem Staate nicht ein einziger dieſer Faullenzer wäre. Gleich nach den erſten Tagen ihres Einzuges fühlt ſie den Drang in ſich, genau zu derſelben Zeit auch einen Ausflug zu unternehmen. Sie erreicht ihren Zweck, es findet ſich bald ein Männchen, in der Luſt erfolgt die Paarung und endet mit dem Tode des Auser- wählten. Nach kurzer Abweſenheit kehrt die Königin zurück, befruchtet für ihre Lebenszeit, die vier, auch wohl fünf Jahre währen kann, und vermag nach den angeſtellten Verſuchen jährlich 50 bis 60 tauſend Eier zu legen, in den letzten Jahren weniger; auch läßt man ſie im Jntereſſe des Stockes in der Regel nicht vier Jahre in Thätigkeit. Sechsundvierzig Stunden nach der Heimkehr fängt ſie an mit Legen. Die vorderſte Wabe und die Vorderwand der folgenden läßt ſie in der Regel noch unberührt; die oberen Reihen aller Waben ſind gedeckelt und enthalten Honig, unter dieſen finden ſich die Brutzellen. Bei ihrer Arbeit, welche meiſt ohne längere Unterbrechung zum Ausruhen fortgeht, wird ſie von Arbeiterinnen begleitet, die ihr Nahrung reichen, ſie mit den Fühlern ſtreicheln, mit der Zunge belecken und ihr alle die Anfmerkſamkeit beweiſen, die eben eine Biene ihrer Königin zollt. Jn jede Zelle, die ſie mit einem Eie zu beſchenken gedenkt, kriecht ſie erſt mit dem Kopfe hinein, gleichſam um ſich zu überzeugen, ob auch Alles in Ordnung ſei, dann kommt ſie wieder hervor, ſchiebt den Hinterleib hinein, und iſt ſie fertig, ſo ſieht man hinten zur Seite der untern Wand unmittelbar am Boden der Zelle das Ei ſenkrecht hingeſtellt. Es iſt milchweiß, durchſcheinend, reichlich zwei Millimeter lang, ſchwach gekrümmt und an ſeinem untern Ende kaum merklich ſchmäler als am obern. Der Anblick des erſten Beweiſes königlicher Gnade iſt für das Volk ein Mahnruf zu doppelter Thätigkeit, eine Aufforderung zur Uebernahme neuer Sorgen. Sofort werden die Brutzellen mit einem kleinen Häuflein weißer Gallerte ganz hinten am Boden, noch hinter dem Eie, verſehen, welche aus Honig, Bienenbrod und Waſſer im Labora- torium zubereitet ward. Am vierten Tage erſcheint die Larve als ein geringeltes Würmlein, zehrt das Futter auf, ſtreckt ſich gerade mit dem Kopfe nach vorn und wird weiter gefüttert. Dabei wächſt ſie, ohne ſich zu häuten, ohne ſich zu entleeren, ſo ſchnell, wird ſo feiſt, daß ſie am ſechſten (ſiebenten) Tage die ganze Zelle erfüllt. Die um ſie beſorgten Pflegerinnen dehnen mit ihren Zähnen die Ränder der Zelle, biegen ſie nach innen, um ſie zu verengen und ergänzen das Fehlende durch einen platten Wachsdeckel, damit der Verſchluß vollſtändig ſei. Noch hört die Für- ſorge für ſie nicht auf. Die gedeckelten Brutzellen werden nicht verlaſſen, ſondern ſind ſtets von Bienen in dichtgedrängtem Haufen belagert, werden gewiſſermaßen „bebrütet“. Jm Jnnern ſpinnt die Made ein Seidencocon um ſich, ſtreift ihre Haut ab und wird zur Puppe. Am einund- zwanzigſten Tage, vom Ei an gerechnet, wird der Deckel von innen abgeſtoßen, und die junge Bürgerin iſt geboren. Sie reckt und ſtreckt ſich, wird freundlich von den Schweſtern begrüßt, beleckt und gefüttert; doch kaum fühlt ſie ſich trocken und im Beſitz ihrer vollen Kräfte, was nach wenigen Stunden der Fall iſt, ſo miſcht ſie ſich unter das Volk und findet eine Beſchäftigung im häuslichen Kreiſe: Füttern, Brüten, Deckeln und Reinhalten der Wohnung, Wegſchaffen der Brocken, welche beim Auskriechen abfallen; das dürften die Beſchäftigungen ſein, welche in den erſten acht Tagen den jungen Bienen zufallen. Sie iſt kaum aus ihrer Wiege hervorgekrochen, ſo erſcheinen Arbeiter, um die Häute, die Windeln des neugebornen Kindes, zu entfernen, die Ränder der Zelle wieder zu glätten und ihr die frühere Verfaſſung zurückzugeben, damit ſie für ein zweites Ei tauglich ſei. Die acht Tage alte Biene bekommt aber jetzt Sehnſucht nach der Freiheit. Nachdem ſie in der früher beſchriebenen Weiſe ihren Ortsſinn geprüft hat, ſucht ſie das Weite und trägt mit demſelben Geſchick ein, wie die alten Bienen. So verhält ſich die Sache alſo, wenn die früheren Schriftſteller behaupteten, es gebe zwei Arten von Arbeitsbienen: die jungen verrichten häusliche Dienſte, die alten gehen der Tracht nach in’s Feld, in den Wald, auf

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/192>, abgerufen am 23.11.2024.