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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Hautflügler. Blumenwespen.
die jugendliche Königin mit erfaßt hat, daß sie nicht draußen blieb, was bei ungeschickter Hand-
habung oder ungünstigem Sammelplatze des Schwarmes wohl geschehen kann. Sollte dies Miß-
geschick eingetreten sein, so bleibt das Volk keinen Augenblick im Stocke. Jn wilder Hast stürzt
Alles hervor und schwärmt angstvoll umher, bis der Gegenstand gefunden, dem man die Leitung
seiner künftigen Geschicke nun einmal anvertraute; läßt er sich nicht auffinden, so kehrt das
gesammte Volk, Arbeiter und Drohnen, in die alte Behausung zurück. Jn unserem neuen Stocke ist
aber Alles in Ordnung und es beginnt sofort die Arbeit: der Bau der Zellen und zwar von der
Decke herab. Die Bienenväter pflegen dabei zu Hilfe zu kommen und einige leere Waben, welche
bei der Bienenwirthschaft stets abfallen, als Aussteuer in die neue Wohnung mitzugeben. Davon
sehen wir jedoch ab. Das Baumaterial haben die Thierchen bei sich, wohl wissend, daß die
häuslichen Arbeiten ihnen zunächst keine Zeit lassen zum Eintragen, haben eine dreifache Por-
tion in ihren kleinen Magen geladen, um nicht zu hungern und das unentbehrliche Wachs bereiten
zu können. Dieses lassen sie in kleinen Blättchen zwischen den Bauchringen hervortreten, wenn
sie seiner bedürfen. Jn einfacher, doppelter oder vielfach verschränkter Kette, wenn der Bau erst
weiter vorgeschritten, hängen sie an einander. Das gibt ein eigenthümliches Gekrabbel; denn
jede muß sich wohl vorsehen, daß sie den Grund und Boden, d. h. die Nachbarinnen nicht unter
den Füßen verliert. Die Geschäfte des Handlangers und des Meisters, sie sind hier in ein und
derselben Person vereinigt. Sie nehmen sich einander die Wachsblättchen vom Bauche weg, durch-
kauen und vermischen sie mit ihrem Speichel, und jede, die das Material auf diese Weise vor-
gerichtet hat, geht an die Baustelle und klebt es an. Zunächst entsteht eine gerade, nicht mathe-
matisch regelmäßige Kante oder Leiste, an diese werden rechts und links mit den Seiten an einander
stoßende und mit den Böden sich berührende Zellen in wagrechter Lage an einander gereiht, bis
die senkrecht herabhängenden, rechts und links sich öffnenden Tafeln entstehen, die man Waben
nennt. Jede Seite dieser stellt ein allerliebstes Netz sechsseitiger Maschen dar von einer Regel-
mäßigkeit, wie wir sie nur mit Zirkel und Lineal erzielen könnten. Die Zellen sind bekanntlich
sechseckig, auf dem Boden napfartig vertieft, an ihrem offenen Ende, also oben, wenn man sie
sich aufrecht und nicht wagrecht dächte, gerade abgeschnitten, 7 Mill. lang und 5 breit, von einer
zur gegenüberliegenden Seite, nicht übereck gemessen, und jede genau so groß wie die andere.
Solcher Waben finden sich in derselben Richtung mit der Zeit so viele, als der Raum des Stockes
erlaubt, wenn nur zwischen je zweien ein Zwischenraum bleibt von der Breite einer Zellenhöhe.
Auch lassen die Bauleute stellenweise Löcher in denselben als Durchgänge. Sie wachsen so ziemlich
gleichmäßig, und keine wird so groß, wie es der Raum gestattet, ehe nicht die anderen angelegt
und gleichzeitig mit erweitert worden. Doch greifen wir der Einrichtung nicht zu weit vor. Nach
einigen Stunden schon können wir in unserm Stocke einen dreieckigen Wabenzipfel von etwa vier
Zoll ins Geviert herabhängen sehen.

Aller Anfang ist schwer. Dieses Wort bewahrheitet sich auch an jedem neuen Bienenstaate.
Sein Platz ist ein anderer, als auf welchem die Bürger desselben geboren wurden. Daher ist die
Orientirung vor dem ersten Ausfluge für jeden einzelnen ein unverläßliches Studium. Die Biene ist,
wie man weiß, ein Gewohnheitsthier von so peinlicher Art, daß sie mehrere Male erst genau an der-
selben Stelle anfliegt, die sie als den Eingang in ihren Bau kennen gelernt hatte, wenn man
denselben und somit das Flugloch auch nur um wenige Zoll zur Seite rückte. Um also ihren
Ortssinn zu schärfen, die Umgebung des kleinen Raumes, der ihr zum Aus- und Eingange neben
so und so vielen ganz gleichen dient, ihrem Gedächtnisse genau einzuprägen, kommt jede sich rechts
und links umschauend bedächtig auf das Flugbrett herausspaziert, erhebt sich in kurzen Bogen-
schwingungen, läßt sich nieder, erhebt sich von neuem, um die Bogen zu vergrößern und zu
Kreisen zu erweitern. Jetzt erst ist sie ihrer Sache gewiß, sie wird das Flugloch bei der Rückkehr
nicht verfehlen, mit einem kurzen Anlaufe erhebt sie sich in geradem und raschem Fluge und ist in
die Ferne verschwunden. Diese kann sie, wenn es sein muß, bis auf zwei Stunden Weges aus-

Die Hautflügler. Blumenwespen.
die jugendliche Königin mit erfaßt hat, daß ſie nicht draußen blieb, was bei ungeſchickter Hand-
habung oder ungünſtigem Sammelplatze des Schwarmes wohl geſchehen kann. Sollte dies Miß-
geſchick eingetreten ſein, ſo bleibt das Volk keinen Augenblick im Stocke. Jn wilder Haſt ſtürzt
Alles hervor und ſchwärmt angſtvoll umher, bis der Gegenſtand gefunden, dem man die Leitung
ſeiner künftigen Geſchicke nun einmal anvertraute; läßt er ſich nicht auffinden, ſo kehrt das
geſammte Volk, Arbeiter und Drohnen, in die alte Behauſung zurück. Jn unſerem neuen Stocke iſt
aber Alles in Ordnung und es beginnt ſofort die Arbeit: der Bau der Zellen und zwar von der
Decke herab. Die Bienenväter pflegen dabei zu Hilfe zu kommen und einige leere Waben, welche
bei der Bienenwirthſchaft ſtets abfallen, als Ausſteuer in die neue Wohnung mitzugeben. Davon
ſehen wir jedoch ab. Das Baumaterial haben die Thierchen bei ſich, wohl wiſſend, daß die
häuslichen Arbeiten ihnen zunächſt keine Zeit laſſen zum Eintragen, haben eine dreifache Por-
tion in ihren kleinen Magen geladen, um nicht zu hungern und das unentbehrliche Wachs bereiten
zu können. Dieſes laſſen ſie in kleinen Blättchen zwiſchen den Bauchringen hervortreten, wenn
ſie ſeiner bedürfen. Jn einfacher, doppelter oder vielfach verſchränkter Kette, wenn der Bau erſt
weiter vorgeſchritten, hängen ſie an einander. Das gibt ein eigenthümliches Gekrabbel; denn
jede muß ſich wohl vorſehen, daß ſie den Grund und Boden, d. h. die Nachbarinnen nicht unter
den Füßen verliert. Die Geſchäfte des Handlangers und des Meiſters, ſie ſind hier in ein und
derſelben Perſon vereinigt. Sie nehmen ſich einander die Wachsblättchen vom Bauche weg, durch-
kauen und vermiſchen ſie mit ihrem Speichel, und jede, die das Material auf dieſe Weiſe vor-
gerichtet hat, geht an die Bauſtelle und klebt es an. Zunächſt entſteht eine gerade, nicht mathe-
matiſch regelmäßige Kante oder Leiſte, an dieſe werden rechts und links mit den Seiten an einander
ſtoßende und mit den Böden ſich berührende Zellen in wagrechter Lage an einander gereiht, bis
die ſenkrecht herabhängenden, rechts und links ſich öffnenden Tafeln entſtehen, die man Waben
nennt. Jede Seite dieſer ſtellt ein allerliebſtes Netz ſechsſeitiger Maſchen dar von einer Regel-
mäßigkeit, wie wir ſie nur mit Zirkel und Lineal erzielen könnten. Die Zellen ſind bekanntlich
ſechseckig, auf dem Boden napfartig vertieft, an ihrem offenen Ende, alſo oben, wenn man ſie
ſich aufrecht und nicht wagrecht dächte, gerade abgeſchnitten, 7 Mill. lang und 5 breit, von einer
zur gegenüberliegenden Seite, nicht übereck gemeſſen, und jede genau ſo groß wie die andere.
Solcher Waben finden ſich in derſelben Richtung mit der Zeit ſo viele, als der Raum des Stockes
erlaubt, wenn nur zwiſchen je zweien ein Zwiſchenraum bleibt von der Breite einer Zellenhöhe.
Auch laſſen die Bauleute ſtellenweiſe Löcher in denſelben als Durchgänge. Sie wachſen ſo ziemlich
gleichmäßig, und keine wird ſo groß, wie es der Raum geſtattet, ehe nicht die anderen angelegt
und gleichzeitig mit erweitert worden. Doch greifen wir der Einrichtung nicht zu weit vor. Nach
einigen Stunden ſchon können wir in unſerm Stocke einen dreieckigen Wabenzipfel von etwa vier
Zoll ins Geviert herabhängen ſehen.

Aller Anfang iſt ſchwer. Dieſes Wort bewahrheitet ſich auch an jedem neuen Bienenſtaate.
Sein Platz iſt ein anderer, als auf welchem die Bürger deſſelben geboren wurden. Daher iſt die
Orientirung vor dem erſten Ausfluge für jeden einzelnen ein unverläßliches Studium. Die Biene iſt,
wie man weiß, ein Gewohnheitsthier von ſo peinlicher Art, daß ſie mehrere Male erſt genau an der-
ſelben Stelle anfliegt, die ſie als den Eingang in ihren Bau kennen gelernt hatte, wenn man
denſelben und ſomit das Flugloch auch nur um wenige Zoll zur Seite rückte. Um alſo ihren
Ortsſinn zu ſchärfen, die Umgebung des kleinen Raumes, der ihr zum Aus- und Eingange neben
ſo und ſo vielen ganz gleichen dient, ihrem Gedächtniſſe genau einzuprägen, kommt jede ſich rechts
und links umſchauend bedächtig auf das Flugbrett herausſpaziert, erhebt ſich in kurzen Bogen-
ſchwingungen, läßt ſich nieder, erhebt ſich von neuem, um die Bogen zu vergrößern und zu
Kreiſen zu erweitern. Jetzt erſt iſt ſie ihrer Sache gewiß, ſie wird das Flugloch bei der Rückkehr
nicht verfehlen, mit einem kurzen Anlaufe erhebt ſie ſich in geradem und raſchem Fluge und iſt in
die Ferne verſchwunden. Dieſe kann ſie, wenn es ſein muß, bis auf zwei Stunden Weges aus-

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[170/0190] Die Hautflügler. Blumenwespen. die jugendliche Königin mit erfaßt hat, daß ſie nicht draußen blieb, was bei ungeſchickter Hand- habung oder ungünſtigem Sammelplatze des Schwarmes wohl geſchehen kann. Sollte dies Miß- geſchick eingetreten ſein, ſo bleibt das Volk keinen Augenblick im Stocke. Jn wilder Haſt ſtürzt Alles hervor und ſchwärmt angſtvoll umher, bis der Gegenſtand gefunden, dem man die Leitung ſeiner künftigen Geſchicke nun einmal anvertraute; läßt er ſich nicht auffinden, ſo kehrt das geſammte Volk, Arbeiter und Drohnen, in die alte Behauſung zurück. Jn unſerem neuen Stocke iſt aber Alles in Ordnung und es beginnt ſofort die Arbeit: der Bau der Zellen und zwar von der Decke herab. Die Bienenväter pflegen dabei zu Hilfe zu kommen und einige leere Waben, welche bei der Bienenwirthſchaft ſtets abfallen, als Ausſteuer in die neue Wohnung mitzugeben. Davon ſehen wir jedoch ab. Das Baumaterial haben die Thierchen bei ſich, wohl wiſſend, daß die häuslichen Arbeiten ihnen zunächſt keine Zeit laſſen zum Eintragen, haben eine dreifache Por- tion in ihren kleinen Magen geladen, um nicht zu hungern und das unentbehrliche Wachs bereiten zu können. Dieſes laſſen ſie in kleinen Blättchen zwiſchen den Bauchringen hervortreten, wenn ſie ſeiner bedürfen. Jn einfacher, doppelter oder vielfach verſchränkter Kette, wenn der Bau erſt weiter vorgeſchritten, hängen ſie an einander. Das gibt ein eigenthümliches Gekrabbel; denn jede muß ſich wohl vorſehen, daß ſie den Grund und Boden, d. h. die Nachbarinnen nicht unter den Füßen verliert. Die Geſchäfte des Handlangers und des Meiſters, ſie ſind hier in ein und derſelben Perſon vereinigt. Sie nehmen ſich einander die Wachsblättchen vom Bauche weg, durch- kauen und vermiſchen ſie mit ihrem Speichel, und jede, die das Material auf dieſe Weiſe vor- gerichtet hat, geht an die Bauſtelle und klebt es an. Zunächſt entſteht eine gerade, nicht mathe- matiſch regelmäßige Kante oder Leiſte, an dieſe werden rechts und links mit den Seiten an einander ſtoßende und mit den Böden ſich berührende Zellen in wagrechter Lage an einander gereiht, bis die ſenkrecht herabhängenden, rechts und links ſich öffnenden Tafeln entſtehen, die man Waben nennt. Jede Seite dieſer ſtellt ein allerliebſtes Netz ſechsſeitiger Maſchen dar von einer Regel- mäßigkeit, wie wir ſie nur mit Zirkel und Lineal erzielen könnten. Die Zellen ſind bekanntlich ſechseckig, auf dem Boden napfartig vertieft, an ihrem offenen Ende, alſo oben, wenn man ſie ſich aufrecht und nicht wagrecht dächte, gerade abgeſchnitten, 7 Mill. lang und 5 breit, von einer zur gegenüberliegenden Seite, nicht übereck gemeſſen, und jede genau ſo groß wie die andere. Solcher Waben finden ſich in derſelben Richtung mit der Zeit ſo viele, als der Raum des Stockes erlaubt, wenn nur zwiſchen je zweien ein Zwiſchenraum bleibt von der Breite einer Zellenhöhe. Auch laſſen die Bauleute ſtellenweiſe Löcher in denſelben als Durchgänge. Sie wachſen ſo ziemlich gleichmäßig, und keine wird ſo groß, wie es der Raum geſtattet, ehe nicht die anderen angelegt und gleichzeitig mit erweitert worden. Doch greifen wir der Einrichtung nicht zu weit vor. Nach einigen Stunden ſchon können wir in unſerm Stocke einen dreieckigen Wabenzipfel von etwa vier Zoll ins Geviert herabhängen ſehen. Aller Anfang iſt ſchwer. Dieſes Wort bewahrheitet ſich auch an jedem neuen Bienenſtaate. Sein Platz iſt ein anderer, als auf welchem die Bürger deſſelben geboren wurden. Daher iſt die Orientirung vor dem erſten Ausfluge für jeden einzelnen ein unverläßliches Studium. Die Biene iſt, wie man weiß, ein Gewohnheitsthier von ſo peinlicher Art, daß ſie mehrere Male erſt genau an der- ſelben Stelle anfliegt, die ſie als den Eingang in ihren Bau kennen gelernt hatte, wenn man denſelben und ſomit das Flugloch auch nur um wenige Zoll zur Seite rückte. Um alſo ihren Ortsſinn zu ſchärfen, die Umgebung des kleinen Raumes, der ihr zum Aus- und Eingange neben ſo und ſo vielen ganz gleichen dient, ihrem Gedächtniſſe genau einzuprägen, kommt jede ſich rechts und links umſchauend bedächtig auf das Flugbrett herausſpaziert, erhebt ſich in kurzen Bogen- ſchwingungen, läßt ſich nieder, erhebt ſich von neuem, um die Bogen zu vergrößern und zu Kreiſen zu erweitern. Jetzt erſt iſt ſie ihrer Sache gewiß, ſie wird das Flugloch bei der Rückkehr nicht verfehlen, mit einem kurzen Anlaufe erhebt ſie ſich in geradem und raſchem Fluge und iſt in die Ferne verſchwunden. Dieſe kann ſie, wenn es ſein muß, bis auf zwei Stunden Weges aus-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/190>, abgerufen am 23.11.2024.