Gehöre, oder dem Geruche, das steht dahin. Erichson, welcher eine große Menge dieser geheimniß- vollen Gebilde mikroskopischen Prüfungen unterwarf, fand in der Regel an gewissen Gliedern, besonders den letzten, oder den blattartigen Ansätzen, welche vielen eigen sind, einzelne oder siebähnlich bei einander stehende, größere oder kleinere Löcher und hinter jedem eine Haut aus- gespannt, um sie herum einen kurzen Filz dichter Härchen. Er glaubt in diesem Bau die Nase der Wirbelthiere erkennen zu müssen. Und in der That, wer einer weiblichen Schlupfwespe im Aufsuchen der ihrem Auge verborgenen, im Holze eines alten Baumstammes lebenden Larve zusieht, welcher sie ihr Ei anvertrauen möchte, der wird nach seiner menschlichen Ausdrucksweise erklären, sie berieche mit den Spitzen der langen Fühler alle Bohrlöcher, bis sie das richtige aufgefunden hat. Die Honigbienen und andere Jnsekten scheinen sich mittelst ihrer Fühler bis- weilen zu unterhalten und ihre, für uns Menschenkinder freilich unverständliche Sprache zu reden. Was dagegen anderen Jnsekten, wie den Cicaden, den Libellen ihre kurze, einfache Borste auf ein Paar kurzen dicken Grundgliedern nützen solle, das kann die Beobachtung nicht verrathen. Weil es im Begriffe des niederen Organismus liegt, daß zwei Verrichtungen, die wir beim höheren auf zwei verschiedene Werkzeuge vertheilt finden, einem einzigen zufallen können, oder auch ganz fehlen, weil es ferner nicht zulässig ist, die Einrichtung unserer Geruchs- oder Gehörwerkzeuge auf die der ganz anders gebauten Jnsekten übertragen zu wollen: so ist es meiner Ansicht nach recht wohl denkbar, daß bei den Einen von ihnen die Fühler den Ohren, sofern solche ihnen überhaupt nöthig, bei Anderen der Nase höherer Thiere entsprechen und vielleicht wieder bei Anderen keinem von beiden.
Während die Antennen in besondere Gruben eingelenkt sind und eine freie Bewegung zulassen, ja oft große Beweglichkeit an den Tag legen, sitzen die Augen fest, so fest, daß sie auch nicht die geringste Wendung machen können. Dessenungeachtet dürfte das Jnsekt ein größeres Gesichtsfeld haben als jedes Wirbelthier mit seinen beweglichen Augen. Ohne den Körper zu rühren, schaut es zugleich nach oben und unten, nach vorn und hinten, wie der flüchtige Schmetterling lehrt, der sich nicht beschleichen läßt, von welcher Seite her man auch nahen mag. Der Grund von dieser Umsichtigkeit liegt im Baue des Jnsektenauges. Dasselbe besteht nämlich aus einer über- raschenden Menge kleiner Aeugelchen, deren Oberfläche sich als regelmäßiges Sechseck schon bei mäßiger Vergrößerung oft erkennen läßt. Jn den gewöhnlichsten Fällen zwischen 2 und 6 Tausend schwankend, in einzelnen darüber hinausgehend, bei den Ameisen nur zu 50, bilden sie auf jeder Seite des Kopfes scheinbar ein einziges, mehr oder weniger gewölbtes, bisweilen halbkugelig vor- quellendes, zusammengesetztes Auge. Manchmal lassen sich die Ränder der einzelnen Felder oder Facetten als regelmäßige Unebenheiten auf der das Ganze überziehenden Hornhaut erkennen; sind sie mit Wimpern besetzt, so erscheint das Auge behaart. Unter jeder Facette, von ihr durch eine wässerige Flüssigkeit getrennt, geht die kegelförmig sich zuspitzende, oder prismatische Krystall- linse nach innen in den Glaskörper und steht hier mit dem Sehnerven in Verbindung. Vom Durchmesser und der Wölbung der Hornhaut, sowie von der Entfernung dieser bis zu der Netz- haut, auf der sich die Nervenfaden ausbreiten, hängt die Weitsichtigkeit eines Jnsektes ab. Jn beiden Beziehungen zeigen sich bei den verschiedenen immer andere Verhältnisse, die mit der Lebensweise gewiß in engster Wechselwirkung stehen. Die zusammengesetzten Augen füllen einen größeren oder geringeren Theil von der Oberfläche des Kopfes aus, nicht selten, wenn sie oben zusammenstoßen, den größten. Außer ihnen kommen bei sehr vielen Jnsekten auf dem Scheitel noch einfache oder Punktaugen (Ocellen) vor, die meist zu dreien in flachen Bogen oder mit seiner Spitze nach vorn gerichtetem Dreiecke, auch zu zweien oder gar vereinzelt zwischen den Schei[t]rändern der zusammengesetzten stehen. Jn ihrer äußeren Erscheinung lassen sie sich am besten mit einer zarten Perle vergleichen, die der Goldarbeiter halbirt und gefaßt hat, im inneren Bau wiederholt sich ungefähr das, was von der einzelnen Facette des zusammengesetzten Auges gilt. Sehr wenige Jnsekten sind blind. Es gehören dahin besonders einige Käfer, die ausschließlich
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Der Kopf. Die Fühler. Die Augen.
Gehöre, oder dem Geruche, das ſteht dahin. Erichſon, welcher eine große Menge dieſer geheimniß- vollen Gebilde mikroskopiſchen Prüfungen unterwarf, fand in der Regel an gewiſſen Gliedern, beſonders den letzten, oder den blattartigen Anſätzen, welche vielen eigen ſind, einzelne oder ſiebähnlich bei einander ſtehende, größere oder kleinere Löcher und hinter jedem eine Haut aus- geſpannt, um ſie herum einen kurzen Filz dichter Härchen. Er glaubt in dieſem Bau die Naſe der Wirbelthiere erkennen zu müſſen. Und in der That, wer einer weiblichen Schlupfwespe im Aufſuchen der ihrem Auge verborgenen, im Holze eines alten Baumſtammes lebenden Larve zuſieht, welcher ſie ihr Ei anvertrauen möchte, der wird nach ſeiner menſchlichen Ausdrucksweiſe erklären, ſie berieche mit den Spitzen der langen Fühler alle Bohrlöcher, bis ſie das richtige aufgefunden hat. Die Honigbienen und andere Jnſekten ſcheinen ſich mittelſt ihrer Fühler bis- weilen zu unterhalten und ihre, für uns Menſchenkinder freilich unverſtändliche Sprache zu reden. Was dagegen anderen Jnſekten, wie den Cicaden, den Libellen ihre kurze, einfache Borſte auf ein Paar kurzen dicken Grundgliedern nützen ſolle, das kann die Beobachtung nicht verrathen. Weil es im Begriffe des niederen Organismus liegt, daß zwei Verrichtungen, die wir beim höheren auf zwei verſchiedene Werkzeuge vertheilt finden, einem einzigen zufallen können, oder auch ganz fehlen, weil es ferner nicht zuläſſig iſt, die Einrichtung unſerer Geruchs- oder Gehörwerkzeuge auf die der ganz anders gebauten Jnſekten übertragen zu wollen: ſo iſt es meiner Anſicht nach recht wohl denkbar, daß bei den Einen von ihnen die Fühler den Ohren, ſofern ſolche ihnen überhaupt nöthig, bei Anderen der Naſe höherer Thiere entſprechen und vielleicht wieder bei Anderen keinem von beiden.
Während die Antennen in beſondere Gruben eingelenkt ſind und eine freie Bewegung zulaſſen, ja oft große Beweglichkeit an den Tag legen, ſitzen die Augen feſt, ſo feſt, daß ſie auch nicht die geringſte Wendung machen können. Deſſenungeachtet dürfte das Jnſekt ein größeres Geſichtsfeld haben als jedes Wirbelthier mit ſeinen beweglichen Augen. Ohne den Körper zu rühren, ſchaut es zugleich nach oben und unten, nach vorn und hinten, wie der flüchtige Schmetterling lehrt, der ſich nicht beſchleichen läßt, von welcher Seite her man auch nahen mag. Der Grund von dieſer Umſichtigkeit liegt im Baue des Jnſektenauges. Daſſelbe beſteht nämlich aus einer über- raſchenden Menge kleiner Aeugelchen, deren Oberfläche ſich als regelmäßiges Sechseck ſchon bei mäßiger Vergrößerung oft erkennen läßt. Jn den gewöhnlichſten Fällen zwiſchen 2 und 6 Tauſend ſchwankend, in einzelnen darüber hinausgehend, bei den Ameiſen nur zu 50, bilden ſie auf jeder Seite des Kopfes ſcheinbar ein einziges, mehr oder weniger gewölbtes, bisweilen halbkugelig vor- quellendes, zuſammengeſetztes Auge. Manchmal laſſen ſich die Ränder der einzelnen Felder oder Facetten als regelmäßige Unebenheiten auf der das Ganze überziehenden Hornhaut erkennen; ſind ſie mit Wimpern beſetzt, ſo erſcheint das Auge behaart. Unter jeder Facette, von ihr durch eine wäſſerige Flüſſigkeit getrennt, geht die kegelförmig ſich zuſpitzende, oder prismatiſche Kryſtall- linſe nach innen in den Glaskörper und ſteht hier mit dem Sehnerven in Verbindung. Vom Durchmeſſer und der Wölbung der Hornhaut, ſowie von der Entfernung dieſer bis zu der Netz- haut, auf der ſich die Nervenfaden ausbreiten, hängt die Weitſichtigkeit eines Jnſektes ab. Jn beiden Beziehungen zeigen ſich bei den verſchiedenen immer andere Verhältniſſe, die mit der Lebensweiſe gewiß in engſter Wechſelwirkung ſtehen. Die zuſammengeſetzten Augen füllen einen größeren oder geringeren Theil von der Oberfläche des Kopfes aus, nicht ſelten, wenn ſie oben zuſammenſtoßen, den größten. Außer ihnen kommen bei ſehr vielen Jnſekten auf dem Scheitel noch einfache oder Punktaugen (Ocellen) vor, die meiſt zu dreien in flachen Bogen oder mit ſeiner Spitze nach vorn gerichtetem Dreiecke, auch zu zweien oder gar vereinzelt zwiſchen den Schei[t]rändern der zuſammengeſetzten ſtehen. Jn ihrer äußeren Erſcheinung laſſen ſie ſich am beſten mit einer zarten Perle vergleichen, die der Goldarbeiter halbirt und gefaßt hat, im inneren Bau wiederholt ſich ungefähr das, was von der einzelnen Facette des zuſammengeſetzten Auges gilt. Sehr wenige Jnſekten ſind blind. Es gehören dahin beſonders einige Käfer, die ausſchließlich
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Der Kopf. Die Fühler. Die Augen.
Gehöre, oder dem Geruche, das ſteht dahin. Erichſon, welcher eine große Menge dieſer geheimniß-
vollen Gebilde mikroskopiſchen Prüfungen unterwarf, fand in der Regel an gewiſſen Gliedern,
beſonders den letzten, oder den blattartigen Anſätzen, welche vielen eigen ſind, einzelne oder
ſiebähnlich bei einander ſtehende, größere oder kleinere Löcher und hinter jedem eine Haut aus-
geſpannt, um ſie herum einen kurzen Filz dichter Härchen. Er glaubt in dieſem Bau die Naſe
der Wirbelthiere erkennen zu müſſen. Und in der That, wer einer weiblichen Schlupfwespe im
Aufſuchen der ihrem Auge verborgenen, im Holze eines alten Baumſtammes lebenden Larve
zuſieht, welcher ſie ihr Ei anvertrauen möchte, der wird nach ſeiner menſchlichen Ausdrucksweiſe
erklären, ſie berieche mit den Spitzen der langen Fühler alle Bohrlöcher, bis ſie das richtige
aufgefunden hat. Die Honigbienen und andere Jnſekten ſcheinen ſich mittelſt ihrer Fühler bis-
weilen zu unterhalten und ihre, für uns Menſchenkinder freilich unverſtändliche Sprache zu reden.
Was dagegen anderen Jnſekten, wie den Cicaden, den Libellen ihre kurze, einfache Borſte auf ein
Paar kurzen dicken Grundgliedern nützen ſolle, das kann die Beobachtung nicht verrathen. Weil
es im Begriffe des niederen Organismus liegt, daß zwei Verrichtungen, die wir beim höheren
auf zwei verſchiedene Werkzeuge vertheilt finden, einem einzigen zufallen können, oder auch ganz
fehlen, weil es ferner nicht zuläſſig iſt, die Einrichtung unſerer Geruchs- oder Gehörwerkzeuge
auf die der ganz anders gebauten Jnſekten übertragen zu wollen: ſo iſt es meiner Anſicht nach
recht wohl denkbar, daß bei den Einen von ihnen die Fühler den Ohren, ſofern ſolche ihnen überhaupt
nöthig, bei Anderen der Naſe höherer Thiere entſprechen und vielleicht wieder bei Anderen keinem
von beiden.
Während die Antennen in beſondere Gruben eingelenkt ſind und eine freie Bewegung zulaſſen,
ja oft große Beweglichkeit an den Tag legen, ſitzen die Augen feſt, ſo feſt, daß ſie auch nicht die
geringſte Wendung machen können. Deſſenungeachtet dürfte das Jnſekt ein größeres Geſichtsfeld
haben als jedes Wirbelthier mit ſeinen beweglichen Augen. Ohne den Körper zu rühren, ſchaut
es zugleich nach oben und unten, nach vorn und hinten, wie der flüchtige Schmetterling lehrt,
der ſich nicht beſchleichen läßt, von welcher Seite her man auch nahen mag. Der Grund von
dieſer Umſichtigkeit liegt im Baue des Jnſektenauges. Daſſelbe beſteht nämlich aus einer über-
raſchenden Menge kleiner Aeugelchen, deren Oberfläche ſich als regelmäßiges Sechseck ſchon bei
mäßiger Vergrößerung oft erkennen läßt. Jn den gewöhnlichſten Fällen zwiſchen 2 und 6 Tauſend
ſchwankend, in einzelnen darüber hinausgehend, bei den Ameiſen nur zu 50, bilden ſie auf jeder
Seite des Kopfes ſcheinbar ein einziges, mehr oder weniger gewölbtes, bisweilen halbkugelig vor-
quellendes, zuſammengeſetztes Auge. Manchmal laſſen ſich die Ränder der einzelnen Felder
oder Facetten als regelmäßige Unebenheiten auf der das Ganze überziehenden Hornhaut erkennen;
ſind ſie mit Wimpern beſetzt, ſo erſcheint das Auge behaart. Unter jeder Facette, von ihr durch
eine wäſſerige Flüſſigkeit getrennt, geht die kegelförmig ſich zuſpitzende, oder prismatiſche Kryſtall-
linſe nach innen in den Glaskörper und ſteht hier mit dem Sehnerven in Verbindung. Vom
Durchmeſſer und der Wölbung der Hornhaut, ſowie von der Entfernung dieſer bis zu der Netz-
haut, auf der ſich die Nervenfaden ausbreiten, hängt die Weitſichtigkeit eines Jnſektes ab. Jn
beiden Beziehungen zeigen ſich bei den verſchiedenen immer andere Verhältniſſe, die mit der
Lebensweiſe gewiß in engſter Wechſelwirkung ſtehen. Die zuſammengeſetzten Augen füllen einen
größeren oder geringeren Theil von der Oberfläche des Kopfes aus, nicht ſelten, wenn ſie oben
zuſammenſtoßen, den größten. Außer ihnen kommen bei ſehr vielen Jnſekten auf dem Scheitel
noch einfache oder Punktaugen (Ocellen) vor, die meiſt zu dreien in flachen Bogen oder
mit ſeiner Spitze nach vorn gerichtetem Dreiecke, auch zu zweien oder gar vereinzelt zwiſchen den
Scheiträndern der zuſammengeſetzten ſtehen. Jn ihrer äußeren Erſcheinung laſſen ſie ſich am
beſten mit einer zarten Perle vergleichen, die der Goldarbeiter halbirt und gefaßt hat, im inneren
Bau wiederholt ſich ungefähr das, was von der einzelnen Facette des zuſammengeſetzten Auges
gilt. Sehr wenige Jnſekten ſind blind. Es gehören dahin beſonders einige Käfer, die ausſchließlich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/15>, abgerufen am 24.11.2024.
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