Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Edelfische. Heringe.

"Die Laichzeit, während welcher der bedeutendste Fang geschieht, fällt in die Wintermonate,
scheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüssen oft um Wochen und
Monate abzuändern. Die Fischer haben verschiedene Anzeichen, aus welchen sie das Herannahen
der Heringsschwärme beurtheilen; doch sind dieselben so ungenau, daß die Holländer sagen, sie
gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein sicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann
und wo die Heringe erscheinen sollen. Auch sind die Jahre sehr verschieden. Jn einem Winter
erscheinen an einem gewissen Orte ungeheuere Massen, während im nächsten Winter nur einzelne
Fische in die Netze gerathen. Jst Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht
gelungen ist, die Ursachen zu enträthseln, weshalb in unseren Seen und Flüssen die Lachse und
Lachsforellen ganz dieselben Erscheinungen darbieten?"

"Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus
ist leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikanische Hering, welcher an der ganzen
Küste bis hinunter nach New-York gefangen wird, ist entschieden eine andere Art als derjenige der
europäischen Küsten. Unter den europäischen Heringen unterscheidet man auch viele Rassen, wenn-
gleich ein artlicher Unterschied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Ostsee ist der kleinste
und schwächste, der holländische wie der englische Hering schon größer, während der Hering der
Shetlandsinseln und der norwegischen Küste der größte und fetteste ist. Die Fischer an der Küste
unterscheiden selbst, ebensogut wie die Lachsfischer, in den Flußmündungen den landstehenden Hering,
welcher in der Nähe der Küste sich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von so feinem
Geschmack ist, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küste heranschwimmt.
Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte im
Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verschiedenen Schwärme sich
so genau nach Größe, Gestalt und inneren Eigenschaften abtrennen würden, daß sie wie Regimenter
und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu bestimmter Zeit sich einstellen, ohne daß
die Alles bezwingende Liebe eine Vermischung der Schwärme bedingt hätte?"

"Was nun aber vollends dem Fasse den Boden ausschlägt, ist einerseits die verhältnißmäßige
Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererseits der Zeitunterschied in der Erscheinung an den
verschiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptstrom gen Amerika vorüber-
ziehen soll, ist der Hering so selten, daß viele Naturforscher ihn gar nicht unter den Fischen des
Landes aufführen. An den Küsten von Jsland, an denen der ganze Zug sich spalten soll, ist der
Hering zwar bekannt, aber niemals so häufig, daß eine besondere Fischerei auf ihn angestellt würde,
und das Gleiche ist der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo so wenige Heringe gefangen werden,
daß man sich nicht einmal die Mühe gibt, sie zu salzen, während in der südlichen Hälfte zwischen
Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord
der Heringsfang fast die einzige Lebensquelle der Küstenbewohner bildet. Wie wäre eine solche Ver-
theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?"

"Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den südlichen Küsten bei Holland und Stavanger
früher erscheint, als an den schottischen und irischen Küsten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde,
wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen
Größen an den Küsten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn sie nicht in der Nähe dieser Küste
geboren würden, auswüchsen und stürben?"

"Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umstand aufgeführt, daß
früher in der Ostsee und namentlich an der schwedischen Küste bei Gothenburg ein sehr schwungreicher
Heringsfang geübt wurde, während Dies sich jetzt so sehr verändert hat, daß die Fischer in die tiefste
Armuth versunken seien. Gerade dieser Umstand aber scheint uns ein Beweis für unsere Ansicht zu
sein. Es wäre kein Grund abzusehen, warum die Schwärme nicht mehr die Ostsee besuchen sollten;
man müßte denn die Dampfschiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Ursache der Verscheuchung
ansehen. Die Ostsee ist ein sehr beschränktes und oben ein sehr flaches Becken, und sie ist dergestalt

Die Edelfiſche. Heringe.

„Die Laichzeit, während welcher der bedeutendſte Fang geſchieht, fällt in die Wintermonate,
ſcheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüſſen oft um Wochen und
Monate abzuändern. Die Fiſcher haben verſchiedene Anzeichen, aus welchen ſie das Herannahen
der Heringsſchwärme beurtheilen; doch ſind dieſelben ſo ungenau, daß die Holländer ſagen, ſie
gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein ſicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann
und wo die Heringe erſcheinen ſollen. Auch ſind die Jahre ſehr verſchieden. Jn einem Winter
erſcheinen an einem gewiſſen Orte ungeheuere Maſſen, während im nächſten Winter nur einzelne
Fiſche in die Netze gerathen. Jſt Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht
gelungen iſt, die Urſachen zu enträthſeln, weshalb in unſeren Seen und Flüſſen die Lachſe und
Lachsforellen ganz dieſelben Erſcheinungen darbieten?“

„Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus
iſt leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikaniſche Hering, welcher an der ganzen
Küſte bis hinunter nach New-York gefangen wird, iſt entſchieden eine andere Art als derjenige der
europäiſchen Küſten. Unter den europäiſchen Heringen unterſcheidet man auch viele Raſſen, wenn-
gleich ein artlicher Unterſchied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Oſtſee iſt der kleinſte
und ſchwächſte, der holländiſche wie der engliſche Hering ſchon größer, während der Hering der
Shetlandsinſeln und der norwegiſchen Küſte der größte und fetteſte iſt. Die Fiſcher an der Küſte
unterſcheiden ſelbſt, ebenſogut wie die Lachsfiſcher, in den Flußmündungen den landſtehenden Hering,
welcher in der Nähe der Küſte ſich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von ſo feinem
Geſchmack iſt, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küſte heranſchwimmt.
Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte im
Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verſchiedenen Schwärme ſich
ſo genau nach Größe, Geſtalt und inneren Eigenſchaften abtrennen würden, daß ſie wie Regimenter
und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu beſtimmter Zeit ſich einſtellen, ohne daß
die Alles bezwingende Liebe eine Vermiſchung der Schwärme bedingt hätte?“

„Was nun aber vollends dem Faſſe den Boden ausſchlägt, iſt einerſeits die verhältnißmäßige
Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererſeits der Zeitunterſchied in der Erſcheinung an den
verſchiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptſtrom gen Amerika vorüber-
ziehen ſoll, iſt der Hering ſo ſelten, daß viele Naturforſcher ihn gar nicht unter den Fiſchen des
Landes aufführen. An den Küſten von Jsland, an denen der ganze Zug ſich ſpalten ſoll, iſt der
Hering zwar bekannt, aber niemals ſo häufig, daß eine beſondere Fiſcherei auf ihn angeſtellt würde,
und das Gleiche iſt der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo ſo wenige Heringe gefangen werden,
daß man ſich nicht einmal die Mühe gibt, ſie zu ſalzen, während in der ſüdlichen Hälfte zwiſchen
Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord
der Heringsfang faſt die einzige Lebensquelle der Küſtenbewohner bildet. Wie wäre eine ſolche Ver-
theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?“

„Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den ſüdlichen Küſten bei Holland und Stavanger
früher erſcheint, als an den ſchottiſchen und iriſchen Küſten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde,
wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen
Größen an den Küſten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn ſie nicht in der Nähe dieſer Küſte
geboren würden, auswüchſen und ſtürben?“

„Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umſtand aufgeführt, daß
früher in der Oſtſee und namentlich an der ſchwediſchen Küſte bei Gothenburg ein ſehr ſchwungreicher
Heringsfang geübt wurde, während Dies ſich jetzt ſo ſehr verändert hat, daß die Fiſcher in die tiefſte
Armuth verſunken ſeien. Gerade dieſer Umſtand aber ſcheint uns ein Beweis für unſere Anſicht zu
ſein. Es wäre kein Grund abzuſehen, warum die Schwärme nicht mehr die Oſtſee beſuchen ſollten;
man müßte denn die Dampfſchiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Urſache der Verſcheuchung
anſehen. Die Oſtſee iſt ein ſehr beſchränktes und oben ein ſehr flaches Becken, und ſie iſt dergeſtalt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0762" n="722"/>
            <fw place="top" type="header">Die Edelfi&#x017F;che. Heringe.</fw><lb/>
            <p>&#x201E;Die Laichzeit, während welcher der bedeutend&#x017F;te Fang ge&#x017F;chieht, fällt in die Wintermonate,<lb/>
&#x017F;cheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflü&#x017F;&#x017F;en oft um Wochen und<lb/>
Monate abzuändern. Die Fi&#x017F;cher haben ver&#x017F;chiedene Anzeichen, aus welchen &#x017F;ie das Herannahen<lb/>
der Herings&#x017F;chwärme beurtheilen; doch &#x017F;ind die&#x017F;elben &#x017F;o ungenau, daß die Holländer &#x017F;agen, &#x017F;ie<lb/>
gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein &#x017F;icheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann<lb/>
und wo die Heringe er&#x017F;cheinen &#x017F;ollen. Auch &#x017F;ind die Jahre &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden. Jn einem Winter<lb/>
er&#x017F;cheinen an einem gewi&#x017F;&#x017F;en Orte ungeheuere Ma&#x017F;&#x017F;en, während im näch&#x017F;ten Winter nur einzelne<lb/>
Fi&#x017F;che in die Netze gerathen. J&#x017F;t Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht<lb/>
gelungen i&#x017F;t, die Ur&#x017F;achen zu enträth&#x017F;eln, weshalb in un&#x017F;eren Seen und Flü&#x017F;&#x017F;en die Lach&#x017F;e und<lb/>
Lachsforellen ganz die&#x017F;elben Er&#x017F;cheinungen darbieten?&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus<lb/>
i&#x017F;t leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikani&#x017F;che Hering, welcher an der ganzen<lb/>&#x017F;te bis hinunter nach New-York gefangen wird, i&#x017F;t ent&#x017F;chieden eine andere Art als derjenige der<lb/>
europäi&#x017F;chen Kü&#x017F;ten. Unter den europäi&#x017F;chen Heringen unter&#x017F;cheidet man auch viele Ra&#x017F;&#x017F;en, wenn-<lb/>
gleich ein artlicher Unter&#x017F;chied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der O&#x017F;t&#x017F;ee i&#x017F;t der klein&#x017F;te<lb/>
und &#x017F;chwäch&#x017F;te, der holländi&#x017F;che wie der engli&#x017F;che Hering &#x017F;chon größer, während der Hering der<lb/>
Shetlandsin&#x017F;eln und der norwegi&#x017F;chen Kü&#x017F;te der größte und fette&#x017F;te i&#x017F;t. Die Fi&#x017F;cher an der Kü&#x017F;te<lb/>
unter&#x017F;cheiden &#x017F;elb&#x017F;t, eben&#x017F;ogut wie die Lachsfi&#x017F;cher, in den Flußmündungen den land&#x017F;tehenden Hering,<lb/>
welcher in der Nähe der Kü&#x017F;te &#x017F;ich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von &#x017F;o feinem<lb/>
Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Kü&#x017F;te heran&#x017F;chwimmt.<lb/>
Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemein&#x017F;chaftlichen Mittelpunkte im<lb/>
Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die ver&#x017F;chiedenen Schwärme &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o genau nach Größe, Ge&#x017F;talt und inneren Eigen&#x017F;chaften abtrennen würden, daß &#x017F;ie wie Regimenter<lb/>
und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu be&#x017F;timmter Zeit &#x017F;ich ein&#x017F;tellen, ohne daß<lb/>
die Alles bezwingende Liebe eine Vermi&#x017F;chung der Schwärme bedingt hätte?&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Was nun aber vollends dem Fa&#x017F;&#x017F;e den Boden aus&#x017F;chlägt, i&#x017F;t einer&#x017F;eits die verhältnißmäßige<lb/>
Seltenheit in den nördlichen Gegenden, anderer&#x017F;eits der Zeitunter&#x017F;chied in der Er&#x017F;cheinung an den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Haupt&#x017F;trom gen Amerika vorüber-<lb/>
ziehen &#x017F;oll, i&#x017F;t der Hering &#x017F;o &#x017F;elten, daß viele Naturfor&#x017F;cher ihn gar nicht unter den Fi&#x017F;chen des<lb/>
Landes aufführen. An den Kü&#x017F;ten von Jsland, an denen der ganze Zug &#x017F;ich &#x017F;palten &#x017F;oll, i&#x017F;t der<lb/>
Hering zwar bekannt, aber niemals &#x017F;o häufig, daß eine be&#x017F;ondere Fi&#x017F;cherei auf ihn ange&#x017F;tellt würde,<lb/>
und das Gleiche i&#x017F;t der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo &#x017F;o wenige Heringe gefangen werden,<lb/>
daß man &#x017F;ich nicht einmal die Mühe gibt, &#x017F;ie zu &#x017F;alzen, während in der &#x017F;üdlichen Hälfte zwi&#x017F;chen<lb/>
Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord<lb/>
der Heringsfang fa&#x017F;t die einzige Lebensquelle der Kü&#x017F;tenbewohner bildet. Wie wäre eine &#x017F;olche Ver-<lb/>
theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den &#x017F;üdlichen Kü&#x017F;ten bei Holland und Stavanger<lb/>
früher er&#x017F;cheint, als an den &#x017F;chotti&#x017F;chen und iri&#x017F;chen Kü&#x017F;ten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde,<lb/>
wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen<lb/>
Größen an den Kü&#x017F;ten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn &#x017F;ie nicht in der Nähe die&#x017F;er Kü&#x017F;te<lb/>
geboren würden, auswüch&#x017F;en und &#x017F;türben?&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Um&#x017F;tand aufgeführt, daß<lb/>
früher in der O&#x017F;t&#x017F;ee und namentlich an der &#x017F;chwedi&#x017F;chen Kü&#x017F;te bei Gothenburg ein &#x017F;ehr &#x017F;chwungreicher<lb/>
Heringsfang geübt wurde, während Dies &#x017F;ich jetzt &#x017F;o &#x017F;ehr verändert hat, daß die Fi&#x017F;cher in die tief&#x017F;te<lb/>
Armuth ver&#x017F;unken &#x017F;eien. Gerade die&#x017F;er Um&#x017F;tand aber &#x017F;cheint uns ein Beweis für un&#x017F;ere An&#x017F;icht zu<lb/>
&#x017F;ein. Es wäre kein Grund abzu&#x017F;ehen, warum die Schwärme nicht mehr die O&#x017F;t&#x017F;ee be&#x017F;uchen &#x017F;ollten;<lb/>
man müßte denn die Dampf&#x017F;chiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Ur&#x017F;ache der Ver&#x017F;cheuchung<lb/>
an&#x017F;ehen. Die O&#x017F;t&#x017F;ee i&#x017F;t ein &#x017F;ehr be&#x017F;chränktes und oben ein &#x017F;ehr flaches Becken, und &#x017F;ie i&#x017F;t derge&#x017F;talt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[722/0762] Die Edelfiſche. Heringe. „Die Laichzeit, während welcher der bedeutendſte Fang geſchieht, fällt in die Wintermonate, ſcheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüſſen oft um Wochen und Monate abzuändern. Die Fiſcher haben verſchiedene Anzeichen, aus welchen ſie das Herannahen der Heringsſchwärme beurtheilen; doch ſind dieſelben ſo ungenau, daß die Holländer ſagen, ſie gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein ſicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann und wo die Heringe erſcheinen ſollen. Auch ſind die Jahre ſehr verſchieden. Jn einem Winter erſcheinen an einem gewiſſen Orte ungeheuere Maſſen, während im nächſten Winter nur einzelne Fiſche in die Netze gerathen. Jſt Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht gelungen iſt, die Urſachen zu enträthſeln, weshalb in unſeren Seen und Flüſſen die Lachſe und Lachsforellen ganz dieſelben Erſcheinungen darbieten?“ „Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus iſt leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikaniſche Hering, welcher an der ganzen Küſte bis hinunter nach New-York gefangen wird, iſt entſchieden eine andere Art als derjenige der europäiſchen Küſten. Unter den europäiſchen Heringen unterſcheidet man auch viele Raſſen, wenn- gleich ein artlicher Unterſchied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Oſtſee iſt der kleinſte und ſchwächſte, der holländiſche wie der engliſche Hering ſchon größer, während der Hering der Shetlandsinſeln und der norwegiſchen Küſte der größte und fetteſte iſt. Die Fiſcher an der Küſte unterſcheiden ſelbſt, ebenſogut wie die Lachsfiſcher, in den Flußmündungen den landſtehenden Hering, welcher in der Nähe der Küſte ſich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von ſo feinem Geſchmack iſt, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küſte heranſchwimmt. Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte im Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verſchiedenen Schwärme ſich ſo genau nach Größe, Geſtalt und inneren Eigenſchaften abtrennen würden, daß ſie wie Regimenter und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu beſtimmter Zeit ſich einſtellen, ohne daß die Alles bezwingende Liebe eine Vermiſchung der Schwärme bedingt hätte?“ „Was nun aber vollends dem Faſſe den Boden ausſchlägt, iſt einerſeits die verhältnißmäßige Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererſeits der Zeitunterſchied in der Erſcheinung an den verſchiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptſtrom gen Amerika vorüber- ziehen ſoll, iſt der Hering ſo ſelten, daß viele Naturforſcher ihn gar nicht unter den Fiſchen des Landes aufführen. An den Küſten von Jsland, an denen der ganze Zug ſich ſpalten ſoll, iſt der Hering zwar bekannt, aber niemals ſo häufig, daß eine beſondere Fiſcherei auf ihn angeſtellt würde, und das Gleiche iſt der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo ſo wenige Heringe gefangen werden, daß man ſich nicht einmal die Mühe gibt, ſie zu ſalzen, während in der ſüdlichen Hälfte zwiſchen Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord der Heringsfang faſt die einzige Lebensquelle der Küſtenbewohner bildet. Wie wäre eine ſolche Ver- theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?“ „Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den ſüdlichen Küſten bei Holland und Stavanger früher erſcheint, als an den ſchottiſchen und iriſchen Küſten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde, wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen Größen an den Küſten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn ſie nicht in der Nähe dieſer Küſte geboren würden, auswüchſen und ſtürben?“ „Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umſtand aufgeführt, daß früher in der Oſtſee und namentlich an der ſchwediſchen Küſte bei Gothenburg ein ſehr ſchwungreicher Heringsfang geübt wurde, während Dies ſich jetzt ſo ſehr verändert hat, daß die Fiſcher in die tiefſte Armuth verſunken ſeien. Gerade dieſer Umſtand aber ſcheint uns ein Beweis für unſere Anſicht zu ſein. Es wäre kein Grund abzuſehen, warum die Schwärme nicht mehr die Oſtſee beſuchen ſollten; man müßte denn die Dampfſchiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Urſache der Verſcheuchung anſehen. Die Oſtſee iſt ein ſehr beſchränktes und oben ein ſehr flaches Becken, und ſie iſt dergeſtalt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/762
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/762>, abgerufen am 22.06.2024.