eisbedachten Bergen und dem Meere sich wiederspiegelt, einen wunderbaren Zauber aus. Wesentlich dazu tragen bei die überall zerstreuten "Gehöfte", wie der Normann sagt, Wohnungen aus Holz gezimmert, mit Bretern verschlagen und mit Rasen gedacht, prangend in seltsam blutrother Farbe, welche sich lebhaft abhebt von dem als Schwarz erscheinendem Dunkel der Bergwand und dem Eis- blau der Gletscher dahinter. Nicht ohne Verwunderung nimmt der im Lande noch fremde Südländer wahr, daß diese Gehöfte größer, stattlicher, geräumiger sind, als jene der gesegnetsten Thäler des südlichen Skandinaviens, obgleich sie nur selten von Aeckern umgeben werden, auf denen die vier- monatliche Sommersonne nicht immer die Gerste zur Reife bringt. Ja, die stattlichsten und geräumigsten Gehöfte liegen oft auf verhältnißmäßig kleinen Jnseln, auf denen nur Torf die Felsen deckt, und auf denen dem undankbaren Boden kaum soviel Raum abgewonnen werden konnte, als ihn ein kleines Gärtchen beansprucht.
Das scheinbare Räthsel löst sich, wenn man erfährt, daß hier nicht das Land, sondern das Meer der Acker ist, welcher gepflügt wird, daß man nicht im Sommer säet und erntet, sondern inmitten des Winters, gerade in denjenigen Monaten, in welchen die lange Nacht unbestritten ihre Herrschaft aus- übt und anstatt der Sonne nur der Mond leuchtet, anstatt des Morgen- oder Abendrothes nur das Nordlicht erglüht. Zwischen jenen Jnseln liegen die gesegnetsten Fischgründe Skandinaviens; jene Gehöfte bilden die Scheuern, in denen die eingeheimste Ernte des Meeres geborgen wird.
Während des Hochsommers ist das Land hier menschenleer; während des Winters wimmeln die Jnseln und das Meer von Schiffen und Booten und geschäftigen Männern. Jm Sommer schauen Millionen Vogelaugen von den Gehängen herab auf das Wasser; im Winter regen sich arbeitsame Menschenhände, wenigstens am unteren Ende derselben Gehänge, Tag und Nacht. Von der ganzen Küste her strömt um die Weihnachtszeit die Fischerbevölkerung hier zusammen und, so geräumig auch die Gehöfte, sie vermögen die Anzahl der Gäste nicht zu fassen. Ein guter Theil derselben muß herbergen auf den Schiffen oder in kleinen, roh zusammengeschichteten Hütten auf dem Lande, obgleich immer nur eine gewisse Abtheilung der Männer sich in der Herberge überhaupt aufhält, die Haupt- masse hingegen auf dem Meere sich befindet, um zu ernten.
Monatelang währt das regsame Getriebe, monatelang ein ununterbrochener Markt. Mit den Fischern sind Aufkäufer und Händler erschienen; denn die Schiffe, dazu bestimmt, die Meeresernte wegzuführen, haben die Erzeugnisse des Südens gebracht. Der Bewohner der Lofodden tauscht sich jetzt gegen die Schätze des Meeres die des südlichen Landes ein; der hier angesiedelte Kaufmann versorgt sich für das übrige Jahr. Erst wenn die Sonne sich am südlichen Himmel wiederum zeigt und damit den Frühling bringt auch über dieses Land, wird es stiller. Beladen vom Kiel bis zum Deck, hebt eines der Schiffe nach dem andern den Anker, hißt die Segel und steuert südwärts; und wenn die Meervögel einziehen auf den Bergen, haben die Menschen den Fuß derselben geräumt.
Um dieselbe Zeit beginnt fast genau dasselbe Leben auf der entgegengesetzten Seite des Meeres, an der Bank von Neufundland, nur mit dem Unterschiede, daß sich hier alle fischereitreibenden Völker des Nordens ein Stelldichein geben, während zwischen den Lofodden hauptsächlich Normannen sich versammeln. Von Großbritannien allein steuern alljährlich über zweitaufend Schiffe nach der Bank von Neufundland, von Frankreich aus die Hälfte, von Belgien, Holland etwa sechs Hundert, vom Norden Amerikas so viele, als Engländer und Franzosen zusammen stellen: die Flotte also, welche sich auf der einen Stelle vereinigt, zählt mehr Schiffe als die Handelsflotte Deutschlands und an Schiffern ein Heer von gegen Hunderttausend Mann.
Und dasselbe Ziel, welches die Fischer in der Nähe der Lofodden oder Neufundlandsbank zusammen führt, wird, zur gleichen Zeit mit besonderem Eifer, aber auch in den übrigen Monaten des Jahres verfolgt an der Westküste Frankreichs, an der Küste Belgiens und Hollands, Deutschlands und Jüt- lands, in den britischen Meeren und auf der etwa hundertundsechszig Meilen von der Jnsel Kilda in der Nordsee gelegenen Bank Rockall, wird verfolgt überall, wo die Aussicht auf Gewinn sich zeigt, bald hier, bald dort mit mehr oder weniger Nutzen, wird verfolgt eines einzigen Fisches halber.
Die Weichſloſſer. Schellfiſche. Weichſiſche.
eisbedachten Bergen und dem Meere ſich wiederſpiegelt, einen wunderbaren Zauber aus. Weſentlich dazu tragen bei die überall zerſtreuten „Gehöfte“, wie der Normann ſagt, Wohnungen aus Holz gezimmert, mit Bretern verſchlagen und mit Raſen gedacht, prangend in ſeltſam blutrother Farbe, welche ſich lebhaft abhebt von dem als Schwarz erſcheinendem Dunkel der Bergwand und dem Eis- blau der Gletſcher dahinter. Nicht ohne Verwunderung nimmt der im Lande noch fremde Südländer wahr, daß dieſe Gehöfte größer, ſtattlicher, geräumiger ſind, als jene der geſegnetſten Thäler des ſüdlichen Skandinaviens, obgleich ſie nur ſelten von Aeckern umgeben werden, auf denen die vier- monatliche Sommerſonne nicht immer die Gerſte zur Reife bringt. Ja, die ſtattlichſten und geräumigſten Gehöfte liegen oft auf verhältnißmäßig kleinen Jnſeln, auf denen nur Torf die Felſen deckt, und auf denen dem undankbaren Boden kaum ſoviel Raum abgewonnen werden konnte, als ihn ein kleines Gärtchen beanſprucht.
Das ſcheinbare Räthſel löſt ſich, wenn man erfährt, daß hier nicht das Land, ſondern das Meer der Acker iſt, welcher gepflügt wird, daß man nicht im Sommer ſäet und erntet, ſondern inmitten des Winters, gerade in denjenigen Monaten, in welchen die lange Nacht unbeſtritten ihre Herrſchaft aus- übt und anſtatt der Sonne nur der Mond leuchtet, anſtatt des Morgen- oder Abendrothes nur das Nordlicht erglüht. Zwiſchen jenen Jnſeln liegen die geſegnetſten Fiſchgründe Skandinaviens; jene Gehöfte bilden die Scheuern, in denen die eingeheimſte Ernte des Meeres geborgen wird.
Während des Hochſommers iſt das Land hier menſchenleer; während des Winters wimmeln die Jnſeln und das Meer von Schiffen und Booten und geſchäftigen Männern. Jm Sommer ſchauen Millionen Vogelaugen von den Gehängen herab auf das Waſſer; im Winter regen ſich arbeitſame Menſchenhände, wenigſtens am unteren Ende derſelben Gehänge, Tag und Nacht. Von der ganzen Küſte her ſtrömt um die Weihnachtszeit die Fiſcherbevölkerung hier zuſammen und, ſo geräumig auch die Gehöfte, ſie vermögen die Anzahl der Gäſte nicht zu faſſen. Ein guter Theil derſelben muß herbergen auf den Schiffen oder in kleinen, roh zuſammengeſchichteten Hütten auf dem Lande, obgleich immer nur eine gewiſſe Abtheilung der Männer ſich in der Herberge überhaupt aufhält, die Haupt- maſſe hingegen auf dem Meere ſich befindet, um zu ernten.
Monatelang währt das regſame Getriebe, monatelang ein ununterbrochener Markt. Mit den Fiſchern ſind Aufkäufer und Händler erſchienen; denn die Schiffe, dazu beſtimmt, die Meeresernte wegzuführen, haben die Erzeugniſſe des Südens gebracht. Der Bewohner der Lofodden tauſcht ſich jetzt gegen die Schätze des Meeres die des ſüdlichen Landes ein; der hier angeſiedelte Kaufmann verſorgt ſich für das übrige Jahr. Erſt wenn die Sonne ſich am ſüdlichen Himmel wiederum zeigt und damit den Frühling bringt auch über dieſes Land, wird es ſtiller. Beladen vom Kiel bis zum Deck, hebt eines der Schiffe nach dem andern den Anker, hißt die Segel und ſteuert ſüdwärts; und wenn die Meervögel einziehen auf den Bergen, haben die Menſchen den Fuß derſelben geräumt.
Um dieſelbe Zeit beginnt faſt genau daſſelbe Leben auf der entgegengeſetzten Seite des Meeres, an der Bank von Neufundland, nur mit dem Unterſchiede, daß ſich hier alle fiſchereitreibenden Völker des Nordens ein Stelldichein geben, während zwiſchen den Lofodden hauptſächlich Normannen ſich verſammeln. Von Großbritannien allein ſteuern alljährlich über zweitaufend Schiffe nach der Bank von Neufundland, von Frankreich aus die Hälfte, von Belgien, Holland etwa ſechs Hundert, vom Norden Amerikas ſo viele, als Engländer und Franzoſen zuſammen ſtellen: die Flotte alſo, welche ſich auf der einen Stelle vereinigt, zählt mehr Schiffe als die Handelsflotte Deutſchlands und an Schiffern ein Heer von gegen Hunderttauſend Mann.
Und daſſelbe Ziel, welches die Fiſcher in der Nähe der Lofodden oder Neufundlandsbank zuſammen führt, wird, zur gleichen Zeit mit beſonderem Eifer, aber auch in den übrigen Monaten des Jahres verfolgt an der Weſtküſte Frankreichs, an der Küſte Belgiens und Hollands, Deutſchlands und Jüt- lands, in den britiſchen Meeren und auf der etwa hundertundſechszig Meilen von der Jnſel Kilda in der Nordſee gelegenen Bank Rockall, wird verfolgt überall, wo die Ausſicht auf Gewinn ſich zeigt, bald hier, bald dort mit mehr oder weniger Nutzen, wird verfolgt eines einzigen Fiſches halber.
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[594/0630]
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dazu tragen bei die überall zerſtreuten „Gehöfte“, wie der Normann ſagt, Wohnungen aus Holz
gezimmert, mit Bretern verſchlagen und mit Raſen gedacht, prangend in ſeltſam blutrother Farbe,
welche ſich lebhaft abhebt von dem als Schwarz erſcheinendem Dunkel der Bergwand und dem Eis-
blau der Gletſcher dahinter. Nicht ohne Verwunderung nimmt der im Lande noch fremde Südländer
wahr, daß dieſe Gehöfte größer, ſtattlicher, geräumiger ſind, als jene der geſegnetſten Thäler des
ſüdlichen Skandinaviens, obgleich ſie nur ſelten von Aeckern umgeben werden, auf denen die vier-
monatliche Sommerſonne nicht immer die Gerſte zur Reife bringt. Ja, die ſtattlichſten und
geräumigſten Gehöfte liegen oft auf verhältnißmäßig kleinen Jnſeln, auf denen nur Torf die Felſen
deckt, und auf denen dem undankbaren Boden kaum ſoviel Raum abgewonnen werden konnte, als ihn
ein kleines Gärtchen beanſprucht.
Das ſcheinbare Räthſel löſt ſich, wenn man erfährt, daß hier nicht das Land, ſondern das Meer
der Acker iſt, welcher gepflügt wird, daß man nicht im Sommer ſäet und erntet, ſondern inmitten des
Winters, gerade in denjenigen Monaten, in welchen die lange Nacht unbeſtritten ihre Herrſchaft aus-
übt und anſtatt der Sonne nur der Mond leuchtet, anſtatt des Morgen- oder Abendrothes nur das
Nordlicht erglüht. Zwiſchen jenen Jnſeln liegen die geſegnetſten Fiſchgründe Skandinaviens; jene
Gehöfte bilden die Scheuern, in denen die eingeheimſte Ernte des Meeres geborgen wird.
Während des Hochſommers iſt das Land hier menſchenleer; während des Winters wimmeln die
Jnſeln und das Meer von Schiffen und Booten und geſchäftigen Männern. Jm Sommer ſchauen
Millionen Vogelaugen von den Gehängen herab auf das Waſſer; im Winter regen ſich arbeitſame
Menſchenhände, wenigſtens am unteren Ende derſelben Gehänge, Tag und Nacht. Von der ganzen
Küſte her ſtrömt um die Weihnachtszeit die Fiſcherbevölkerung hier zuſammen und, ſo geräumig auch
die Gehöfte, ſie vermögen die Anzahl der Gäſte nicht zu faſſen. Ein guter Theil derſelben muß
herbergen auf den Schiffen oder in kleinen, roh zuſammengeſchichteten Hütten auf dem Lande, obgleich
immer nur eine gewiſſe Abtheilung der Männer ſich in der Herberge überhaupt aufhält, die Haupt-
maſſe hingegen auf dem Meere ſich befindet, um zu ernten.
Monatelang währt das regſame Getriebe, monatelang ein ununterbrochener Markt. Mit den
Fiſchern ſind Aufkäufer und Händler erſchienen; denn die Schiffe, dazu beſtimmt, die Meeresernte
wegzuführen, haben die Erzeugniſſe des Südens gebracht. Der Bewohner der Lofodden tauſcht ſich
jetzt gegen die Schätze des Meeres die des ſüdlichen Landes ein; der hier angeſiedelte Kaufmann
verſorgt ſich für das übrige Jahr. Erſt wenn die Sonne ſich am ſüdlichen Himmel wiederum
zeigt und damit den Frühling bringt auch über dieſes Land, wird es ſtiller. Beladen vom Kiel bis
zum Deck, hebt eines der Schiffe nach dem andern den Anker, hißt die Segel und ſteuert ſüdwärts;
und wenn die Meervögel einziehen auf den Bergen, haben die Menſchen den Fuß derſelben geräumt.
Um dieſelbe Zeit beginnt faſt genau daſſelbe Leben auf der entgegengeſetzten Seite des Meeres,
an der Bank von Neufundland, nur mit dem Unterſchiede, daß ſich hier alle fiſchereitreibenden Völker
des Nordens ein Stelldichein geben, während zwiſchen den Lofodden hauptſächlich Normannen ſich
verſammeln. Von Großbritannien allein ſteuern alljährlich über zweitaufend Schiffe nach der Bank
von Neufundland, von Frankreich aus die Hälfte, von Belgien, Holland etwa ſechs Hundert, vom
Norden Amerikas ſo viele, als Engländer und Franzoſen zuſammen ſtellen: die Flotte alſo, welche
ſich auf der einen Stelle vereinigt, zählt mehr Schiffe als die Handelsflotte Deutſchlands und an
Schiffern ein Heer von gegen Hunderttauſend Mann.
Und daſſelbe Ziel, welches die Fiſcher in der Nähe der Lofodden oder Neufundlandsbank zuſammen
führt, wird, zur gleichen Zeit mit beſonderem Eifer, aber auch in den übrigen Monaten des Jahres
verfolgt an der Weſtküſte Frankreichs, an der Küſte Belgiens und Hollands, Deutſchlands und Jüt-
lands, in den britiſchen Meeren und auf der etwa hundertundſechszig Meilen von der Jnſel Kilda in
der Nordſee gelegenen Bank Rockall, wird verfolgt überall, wo die Ausſicht auf Gewinn ſich zeigt,
bald hier, bald dort mit mehr oder weniger Nutzen, wird verfolgt eines einzigen Fiſches halber.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/630>, abgerufen am 16.07.2024.
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