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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Ramado. Großkopf.
Netze. Couch selbst war Zeuge, daß eine Meeräsche von weniger als Zollänge sich wiederholt über
die Wand eines Gefäßes warf, deren Rand mehr als einen Zoll über das Wasser emporragte.

Gar nicht selten schwimmen die Ramados in einen mit der See zusammenhängenden großen
Teich der Küste Cornwalls, und wenn die größeren von ihnen erst einmal den Weg gefunden haben,
halten sie denselben regelmäßig ein; sobald aber die Flut zurücktritt und die Schleußen geschlossen
werden, überkommt sie augenblicklich das Gefühl von Gefangenschaft und Furcht. Dann untersuchen
sie das Ufer nach allen Seiten, werden immer ängstlicher, versuchen auch wohl, sich über den Damm
hinwegzuschnellen, wobei sie oft genug zu Grunde gehen. Aehnlich geberden sie sich in einem weiten
Netze, nachdem zwei oder drei von ihnen glücklich entwischt sind, den anderen aber die Flucht verwehrt
wurde; sie besichtigen dann gleichsam jede Masche, jede Falte des Netzes, welche unten auf dem
Grunde liegt, gehen endlich soweit als möglich zurück und versuchen, gleichsam verzweifelt, die
Maschen zu durchdringen, wobei sie sich in der Regel vollständig verwickeln.

Weiche und fettige Stoffe bilden ihre bevorzugte Nahrung, insbesondere solche, welche bereits in
Verwesung begriffen sind. Jhre Lippen scheinen einen sehr feinen Tastsinn zu besitzen; denn die
meiste Nahrung holen sie sich aus dem Grunde heraus. Couch meint, daß sie die einzigen Fische
seien, welche regelmäßig todte, abgestorbene Thiere zur Speise wählen und ausnahmsweise nur den
gemeinen Sandwurm verschlingen. An der Angel fangen sie sich selten, weil sie den Köder nicht
gleich verschlingen, sondern erst sorgfältig bestasten, oft wieder von sich speien, und ihr bedeutendes
Gewicht und die Anstrengungen, sich loszumachen, sie außerdem oft befreien, wenn sich die Spitze der
Angel wirklich in ihrem Maule befestigt. Am Leichtesten noch fängt man sie, wenn man die Angel
mit Fischeingeweiden oder in Fleischbrühe abgekochten Kohlblättern ködert. Jn den Flüssen beißen
sie übrigens auch nach der künstlichen Fliege, selbst nach der großen, welche man zum Lachsfange
anwendet; sie erfordern aber nach dem Anbeißen alle Sorgfalt des Anglers. Jn Jtalien fängt man
sie noch jetzt wie zu Zeiten der alten Römer in den am Meere liegenden Teichen, insbesondere während
der Wintermonate. Auch die Teiche an den Küsten von Languedoc sind ihretwegen berühmt. Jn
die Garonne, Loire, Seine, Rhone und Somme steigen sie oft in so großer Menge empor, daß der
Fluß mit ihnen bedeckt erscheint, und die Fischer kaum die von ihnen beschwerten Netze aufziehen
können; solcher Ueberfluß währt jedoch stets nur zwei bis drei Tage. Die Netze, welche man
anwendet, sind in eine Menge einzelner Säcke getheilt und außerdem mit Wänden versehen, welche
die Oberfläche des Wassers überragen. Gelegentlich wendet man auch eine Leuchte an, um sie heran-
zulocken, da Feuerschimmer sie herbeizieht. Das Fleisch wird seiner Zartheit, Fettigkeit und
Schmackhaftigkeit halber überall hoch geschätzt und frisch oder eingesalzen genossen. Außerdem
sammelt man die Eierstöcke, preßt und falzt sie und bereitet aus ihnen eine, zumal in der Provence,
sehr beliebte Speise.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß es der Geschlechtstrieb ist, welcher die Meeräschen zu so
großen Massen schart und bewegt, Flüsse oder Meeresbuchten aufzusuchen. Jm Mittelmeere laichen
sie im Frühsommer, an den englischen Küsten gewöhnlich erst im Juli. Junge von Zolllänge sieht
man hier im August meist in ungeheuren Schwärmen, an den Flußmündungen oder in den Flüssen
selbst, soweit die Flut in ihnen reicht; aber auch sie kehren mit der Ebbe nach dem Meere zurück.
Couch meint, daß der Wechsel zwischen salzigem und frischem Wasser ihrer Gesundheit zuträglich
sein müsse und will diese Behauptung durch Beobachtungen an Gefangenen begründen. Andererseits
wissen wir übrigens, daß sich dieser köstliche Fisch auch in Süßwasser sehr wohl befinden kann. Ein
gewisser Arnould setzte eine Menge junger Ramados von etwa Fingerlänge in einen Süßwasserteich
von etwa drei Acker Oberfläche und fing nach wenigen Jahren Erwachsene von vier Pfund Gewicht,
welche größer und wohlbeleibter, auch etwas anders gefärbt waren als die aus der See erbeuteten.
Dieser Versuch verdient die allgemeinste Beachtung, namentlich in Deutschland, wo ein so köstlicher
und wenig begehrender Seefisch als eine werthvolle Erwerbung angesehen werden müßte.



Ramado. Großkopf.
Netze. Couch ſelbſt war Zeuge, daß eine Meeräſche von weniger als Zollänge ſich wiederholt über
die Wand eines Gefäßes warf, deren Rand mehr als einen Zoll über das Waſſer emporragte.

Gar nicht ſelten ſchwimmen die Ramados in einen mit der See zuſammenhängenden großen
Teich der Küſte Cornwalls, und wenn die größeren von ihnen erſt einmal den Weg gefunden haben,
halten ſie denſelben regelmäßig ein; ſobald aber die Flut zurücktritt und die Schleußen geſchloſſen
werden, überkommt ſie augenblicklich das Gefühl von Gefangenſchaft und Furcht. Dann unterſuchen
ſie das Ufer nach allen Seiten, werden immer ängſtlicher, verſuchen auch wohl, ſich über den Damm
hinwegzuſchnellen, wobei ſie oft genug zu Grunde gehen. Aehnlich geberden ſie ſich in einem weiten
Netze, nachdem zwei oder drei von ihnen glücklich entwiſcht ſind, den anderen aber die Flucht verwehrt
wurde; ſie beſichtigen dann gleichſam jede Maſche, jede Falte des Netzes, welche unten auf dem
Grunde liegt, gehen endlich ſoweit als möglich zurück und verſuchen, gleichſam verzweifelt, die
Maſchen zu durchdringen, wobei ſie ſich in der Regel vollſtändig verwickeln.

Weiche und fettige Stoffe bilden ihre bevorzugte Nahrung, insbeſondere ſolche, welche bereits in
Verweſung begriffen ſind. Jhre Lippen ſcheinen einen ſehr feinen Taſtſinn zu beſitzen; denn die
meiſte Nahrung holen ſie ſich aus dem Grunde heraus. Couch meint, daß ſie die einzigen Fiſche
ſeien, welche regelmäßig todte, abgeſtorbene Thiere zur Speiſe wählen und ausnahmsweiſe nur den
gemeinen Sandwurm verſchlingen. An der Angel fangen ſie ſich ſelten, weil ſie den Köder nicht
gleich verſchlingen, ſondern erſt ſorgfältig beſtaſten, oft wieder von ſich ſpeien, und ihr bedeutendes
Gewicht und die Anſtrengungen, ſich loszumachen, ſie außerdem oft befreien, wenn ſich die Spitze der
Angel wirklich in ihrem Maule befeſtigt. Am Leichteſten noch fängt man ſie, wenn man die Angel
mit Fiſcheingeweiden oder in Fleiſchbrühe abgekochten Kohlblättern ködert. Jn den Flüſſen beißen
ſie übrigens auch nach der künſtlichen Fliege, ſelbſt nach der großen, welche man zum Lachsfange
anwendet; ſie erfordern aber nach dem Anbeißen alle Sorgfalt des Anglers. Jn Jtalien fängt man
ſie noch jetzt wie zu Zeiten der alten Römer in den am Meere liegenden Teichen, insbeſondere während
der Wintermonate. Auch die Teiche an den Küſten von Languedoc ſind ihretwegen berühmt. Jn
die Garonne, Loire, Seine, Rhone und Somme ſteigen ſie oft in ſo großer Menge empor, daß der
Fluß mit ihnen bedeckt erſcheint, und die Fiſcher kaum die von ihnen beſchwerten Netze aufziehen
können; ſolcher Ueberfluß währt jedoch ſtets nur zwei bis drei Tage. Die Netze, welche man
anwendet, ſind in eine Menge einzelner Säcke getheilt und außerdem mit Wänden verſehen, welche
die Oberfläche des Waſſers überragen. Gelegentlich wendet man auch eine Leuchte an, um ſie heran-
zulocken, da Feuerſchimmer ſie herbeizieht. Das Fleiſch wird ſeiner Zartheit, Fettigkeit und
Schmackhaftigkeit halber überall hoch geſchätzt und friſch oder eingeſalzen genoſſen. Außerdem
ſammelt man die Eierſtöcke, preßt und falzt ſie und bereitet aus ihnen eine, zumal in der Provence,
ſehr beliebte Speiſe.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß es der Geſchlechtstrieb iſt, welcher die Meeräſchen zu ſo
großen Maſſen ſchart und bewegt, Flüſſe oder Meeresbuchten aufzuſuchen. Jm Mittelmeere laichen
ſie im Frühſommer, an den engliſchen Küſten gewöhnlich erſt im Juli. Junge von Zolllänge ſieht
man hier im Auguſt meiſt in ungeheuren Schwärmen, an den Flußmündungen oder in den Flüſſen
ſelbſt, ſoweit die Flut in ihnen reicht; aber auch ſie kehren mit der Ebbe nach dem Meere zurück.
Couch meint, daß der Wechſel zwiſchen ſalzigem und friſchem Waſſer ihrer Geſundheit zuträglich
ſein müſſe und will dieſe Behauptung durch Beobachtungen an Gefangenen begründen. Andererſeits
wiſſen wir übrigens, daß ſich dieſer köſtliche Fiſch auch in Süßwaſſer ſehr wohl befinden kann. Ein
gewiſſer Arnould ſetzte eine Menge junger Ramados von etwa Fingerlänge in einen Süßwaſſerteich
von etwa drei Acker Oberfläche und fing nach wenigen Jahren Erwachſene von vier Pfund Gewicht,
welche größer und wohlbeleibter, auch etwas anders gefärbt waren als die aus der See erbeuteten.
Dieſer Verſuch verdient die allgemeinſte Beachtung, namentlich in Deutſchland, wo ein ſo köſtlicher
und wenig begehrender Seefiſch als eine werthvolle Erwerbung angeſehen werden müßte.



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[533/0567] Ramado. Großkopf. Netze. Couch ſelbſt war Zeuge, daß eine Meeräſche von weniger als Zollänge ſich wiederholt über die Wand eines Gefäßes warf, deren Rand mehr als einen Zoll über das Waſſer emporragte. Gar nicht ſelten ſchwimmen die Ramados in einen mit der See zuſammenhängenden großen Teich der Küſte Cornwalls, und wenn die größeren von ihnen erſt einmal den Weg gefunden haben, halten ſie denſelben regelmäßig ein; ſobald aber die Flut zurücktritt und die Schleußen geſchloſſen werden, überkommt ſie augenblicklich das Gefühl von Gefangenſchaft und Furcht. Dann unterſuchen ſie das Ufer nach allen Seiten, werden immer ängſtlicher, verſuchen auch wohl, ſich über den Damm hinwegzuſchnellen, wobei ſie oft genug zu Grunde gehen. Aehnlich geberden ſie ſich in einem weiten Netze, nachdem zwei oder drei von ihnen glücklich entwiſcht ſind, den anderen aber die Flucht verwehrt wurde; ſie beſichtigen dann gleichſam jede Maſche, jede Falte des Netzes, welche unten auf dem Grunde liegt, gehen endlich ſoweit als möglich zurück und verſuchen, gleichſam verzweifelt, die Maſchen zu durchdringen, wobei ſie ſich in der Regel vollſtändig verwickeln. Weiche und fettige Stoffe bilden ihre bevorzugte Nahrung, insbeſondere ſolche, welche bereits in Verweſung begriffen ſind. Jhre Lippen ſcheinen einen ſehr feinen Taſtſinn zu beſitzen; denn die meiſte Nahrung holen ſie ſich aus dem Grunde heraus. Couch meint, daß ſie die einzigen Fiſche ſeien, welche regelmäßig todte, abgeſtorbene Thiere zur Speiſe wählen und ausnahmsweiſe nur den gemeinen Sandwurm verſchlingen. An der Angel fangen ſie ſich ſelten, weil ſie den Köder nicht gleich verſchlingen, ſondern erſt ſorgfältig beſtaſten, oft wieder von ſich ſpeien, und ihr bedeutendes Gewicht und die Anſtrengungen, ſich loszumachen, ſie außerdem oft befreien, wenn ſich die Spitze der Angel wirklich in ihrem Maule befeſtigt. Am Leichteſten noch fängt man ſie, wenn man die Angel mit Fiſcheingeweiden oder in Fleiſchbrühe abgekochten Kohlblättern ködert. Jn den Flüſſen beißen ſie übrigens auch nach der künſtlichen Fliege, ſelbſt nach der großen, welche man zum Lachsfange anwendet; ſie erfordern aber nach dem Anbeißen alle Sorgfalt des Anglers. Jn Jtalien fängt man ſie noch jetzt wie zu Zeiten der alten Römer in den am Meere liegenden Teichen, insbeſondere während der Wintermonate. Auch die Teiche an den Küſten von Languedoc ſind ihretwegen berühmt. Jn die Garonne, Loire, Seine, Rhone und Somme ſteigen ſie oft in ſo großer Menge empor, daß der Fluß mit ihnen bedeckt erſcheint, und die Fiſcher kaum die von ihnen beſchwerten Netze aufziehen können; ſolcher Ueberfluß währt jedoch ſtets nur zwei bis drei Tage. Die Netze, welche man anwendet, ſind in eine Menge einzelner Säcke getheilt und außerdem mit Wänden verſehen, welche die Oberfläche des Waſſers überragen. Gelegentlich wendet man auch eine Leuchte an, um ſie heran- zulocken, da Feuerſchimmer ſie herbeizieht. Das Fleiſch wird ſeiner Zartheit, Fettigkeit und Schmackhaftigkeit halber überall hoch geſchätzt und friſch oder eingeſalzen genoſſen. Außerdem ſammelt man die Eierſtöcke, preßt und falzt ſie und bereitet aus ihnen eine, zumal in der Provence, ſehr beliebte Speiſe. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es der Geſchlechtstrieb iſt, welcher die Meeräſchen zu ſo großen Maſſen ſchart und bewegt, Flüſſe oder Meeresbuchten aufzuſuchen. Jm Mittelmeere laichen ſie im Frühſommer, an den engliſchen Küſten gewöhnlich erſt im Juli. Junge von Zolllänge ſieht man hier im Auguſt meiſt in ungeheuren Schwärmen, an den Flußmündungen oder in den Flüſſen ſelbſt, ſoweit die Flut in ihnen reicht; aber auch ſie kehren mit der Ebbe nach dem Meere zurück. Couch meint, daß der Wechſel zwiſchen ſalzigem und friſchem Waſſer ihrer Geſundheit zuträglich ſein müſſe und will dieſe Behauptung durch Beobachtungen an Gefangenen begründen. Andererſeits wiſſen wir übrigens, daß ſich dieſer köſtliche Fiſch auch in Süßwaſſer ſehr wohl befinden kann. Ein gewiſſer Arnould ſetzte eine Menge junger Ramados von etwa Fingerlänge in einen Süßwaſſerteich von etwa drei Acker Oberfläche und fing nach wenigen Jahren Erwachſene von vier Pfund Gewicht, welche größer und wohlbeleibter, auch etwas anders gefärbt waren als die aus der See erbeuteten. Dieſer Verſuch verdient die allgemeinſte Beachtung, namentlich in Deutſchland, wo ein ſo köſtlicher und wenig begehrender Seefiſch als eine werthvolle Erwerbung angeſehen werden müßte.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/567>, abgerufen am 16.07.2024.