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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Fische. Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
Lande also in den Frühling und Sommer; aber schon unsere deutschen Flußfische laichen, mit Aus-
nahme des Januar, Februar und August, in allen übrigen Monaten des Jahres, und einzelne von
ihnen lassen gewiß auch nicht einmal diese Ausnahme gelten, sei es, daß sie eher, sei es, daß sie
später mit dem Laichen beginnen, dieses wichtige Geschäft also schon vor oder nach der durch-
schnittlichen Zeit abmachen. Da nun die Wanderungen der Fische einzig und allein zu dem Zwecke
unternommen werden, den Laich an geeigneten Stellen abzusetzen, ergibt sich von selbst, daß von
einer allgemeinen Zeit dieser Wanderungen, wie sie der Zug der Vögel einhält, nicht gesprochen
werden kann. Nicht die beginnende Verarmung einer gewissen Gegend, bedingt durch den Eintritt
eines bestimmten Jahresabschnittes, ist es, welche sie treibt zu wandern, sondern einzig und allein
der gefüllte Eierstock des Roggeners, der von Samen strotzende des Milchners. Je nach der Zeit
nun, in welche ihre Fortpflanzung fällt, steigen sie aus der Tiefe des Meeres oder den kalten
Gründen einzelner Binnenseen zu den höheren Wasserschichten empor, schwimmen in den Flüssen
aufwärts, soweit sie können, suchen sich die geeigneten Plätze aus, um ihren Laich abzulegen und
kehren, nachdem sie dem Fortpflanzungstriebe Genüge geleistet, allgemach wieder nach dem früheren
Aufenthaltsorte zurück, ihre Jungen, um mich so auszudrücken, voraussendend, mit sich nehmend
oder nach sich ziehend. Daß auch das Umgekehrte geschehen kann, daß Süßwasserfische bewogen
werden, ins Meer zu gehen, haben wir gesehen; die Ursache der Wanderung bleibt immer dieselbe.
Wie bereits bemerkt, nahm man früher an, daß die Wanderungen der Fische sich über ausgedehnte
Meerestheile erstrecken, während wir gegenwärtig, abgesehen von einzelnen Verschlagenen, beispiels-
weise von solchen, welche mit dem Golfstrome ziehen, an diese großartigen Reisen nicht mehr glauben,
sondern nur ein Aufsteigen aus tieferen Schichten zu höheren annehmen können. Erst die Erkenntniß,
daß einzig und allein der Fortpflanzungstrieb zum Wandern bewegt, erklärt das uns schwer
verständliche Betragen, das Drängen, Eilen, das rücksichtslose Vorwärtsgehen der Fische, welches
uns erscheint, als wären sie mit Blindheit geschlagen. Dieser auch bei anderen Thieren so gewaltige
Trieb ist es, welcher sie ihre bisher gewohnte Lebensweise vollständig vergessen, und sie mit ihrem
sonstigen Benehmen in Widerspruch stehende Handlungen begehen läßt.

Minder leicht erklärt sich das Rückwandern der Jungen, die wunderbare Geselligkeit, welche sie
bei dieser Gelegenheit offenbaren, die Regelmäßigkeit ihrer Züge, der Eifer, jedes nur irgendwie
überwindliche Hinderniß auch wirklich zu überwinden. Bei Beobachtung ihrer Reisen wird man
versucht, das Wort "Jnstinkt" auszusprechen, so oft und bestimmt man sich auch sagen muß, daß
da, wo die Begriffe mangeln, zu rechter Zeit dieses Wort sich einstellt, welches wohl dem Blind-
gläubigen, nimmermehr aber dem Forscher genügt.

Ueber die Art und Weise der Wanderungen selbst hat man noch keineswegs genügende
Beobachtungen gesammelt; trotzdem weiß man, daß das Reisen mit einer gewissen Regelmäßigkeit
vor sich geht, daß einzelne Arten in Keilform schwimmen, so wie ein Kranichheer durch die Luft zieht,
daß bei anderen, welche in dicht gedrängten, wirren Massen einherziehen, Männchen und Weibchen
sich sondern, indem die einen in den oberen, die anderen in tieferen Schichten fortschwimmen, daß bei
anderen die Roggener den Milchnern vorausziehen u. s. w. Allen Wanderfischen gemein ist die
Ruhe und Rastlosigkeit: sie scheinen nicht freiwillig, sondern gezwungen zu reisen.



Wenn die alten Morgenländer einen Begriff von der Anzahl der Eier eines einzigen Fisches
gehabt hätten, würden sie die ihnen so erwünschte Fruchtbarkeit des Weibes wahrscheinlich nicht mit
dem Weinstocke, sondern mit der eines Fisches verglichen oder dem Erzvater Abraham durch den
Mund des Engels so viele Nachkommen, als der Fisch sie erzeugt, gewünscht haben. Die Fruchtbar-

Die Fiſche. Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
Lande alſo in den Frühling und Sommer; aber ſchon unſere deutſchen Flußfiſche laichen, mit Aus-
nahme des Januar, Februar und Auguſt, in allen übrigen Monaten des Jahres, und einzelne von
ihnen laſſen gewiß auch nicht einmal dieſe Ausnahme gelten, ſei es, daß ſie eher, ſei es, daß ſie
ſpäter mit dem Laichen beginnen, dieſes wichtige Geſchäft alſo ſchon vor oder nach der durch-
ſchnittlichen Zeit abmachen. Da nun die Wanderungen der Fiſche einzig und allein zu dem Zwecke
unternommen werden, den Laich an geeigneten Stellen abzuſetzen, ergibt ſich von ſelbſt, daß von
einer allgemeinen Zeit dieſer Wanderungen, wie ſie der Zug der Vögel einhält, nicht geſprochen
werden kann. Nicht die beginnende Verarmung einer gewiſſen Gegend, bedingt durch den Eintritt
eines beſtimmten Jahresabſchnittes, iſt es, welche ſie treibt zu wandern, ſondern einzig und allein
der gefüllte Eierſtock des Roggeners, der von Samen ſtrotzende des Milchners. Je nach der Zeit
nun, in welche ihre Fortpflanzung fällt, ſteigen ſie aus der Tiefe des Meeres oder den kalten
Gründen einzelner Binnenſeen zu den höheren Waſſerſchichten empor, ſchwimmen in den Flüſſen
aufwärts, ſoweit ſie können, ſuchen ſich die geeigneten Plätze aus, um ihren Laich abzulegen und
kehren, nachdem ſie dem Fortpflanzungstriebe Genüge geleiſtet, allgemach wieder nach dem früheren
Aufenthaltsorte zurück, ihre Jungen, um mich ſo auszudrücken, vorausſendend, mit ſich nehmend
oder nach ſich ziehend. Daß auch das Umgekehrte geſchehen kann, daß Süßwaſſerfiſche bewogen
werden, ins Meer zu gehen, haben wir geſehen; die Urſache der Wanderung bleibt immer dieſelbe.
Wie bereits bemerkt, nahm man früher an, daß die Wanderungen der Fiſche ſich über ausgedehnte
Meerestheile erſtrecken, während wir gegenwärtig, abgeſehen von einzelnen Verſchlagenen, beiſpiels-
weiſe von ſolchen, welche mit dem Golfſtrome ziehen, an dieſe großartigen Reiſen nicht mehr glauben,
ſondern nur ein Aufſteigen aus tieferen Schichten zu höheren annehmen können. Erſt die Erkenntniß,
daß einzig und allein der Fortpflanzungstrieb zum Wandern bewegt, erklärt das uns ſchwer
verſtändliche Betragen, das Drängen, Eilen, das rückſichtsloſe Vorwärtsgehen der Fiſche, welches
uns erſcheint, als wären ſie mit Blindheit geſchlagen. Dieſer auch bei anderen Thieren ſo gewaltige
Trieb iſt es, welcher ſie ihre bisher gewohnte Lebensweiſe vollſtändig vergeſſen, und ſie mit ihrem
ſonſtigen Benehmen in Widerſpruch ſtehende Handlungen begehen läßt.

Minder leicht erklärt ſich das Rückwandern der Jungen, die wunderbare Geſelligkeit, welche ſie
bei dieſer Gelegenheit offenbaren, die Regelmäßigkeit ihrer Züge, der Eifer, jedes nur irgendwie
überwindliche Hinderniß auch wirklich zu überwinden. Bei Beobachtung ihrer Reiſen wird man
verſucht, das Wort „Jnſtinkt“ auszuſprechen, ſo oft und beſtimmt man ſich auch ſagen muß, daß
da, wo die Begriffe mangeln, zu rechter Zeit dieſes Wort ſich einſtellt, welches wohl dem Blind-
gläubigen, nimmermehr aber dem Forſcher genügt.

Ueber die Art und Weiſe der Wanderungen ſelbſt hat man noch keineswegs genügende
Beobachtungen geſammelt; trotzdem weiß man, daß das Reiſen mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit
vor ſich geht, daß einzelne Arten in Keilform ſchwimmen, ſo wie ein Kranichheer durch die Luft zieht,
daß bei anderen, welche in dicht gedrängten, wirren Maſſen einherziehen, Männchen und Weibchen
ſich ſondern, indem die einen in den oberen, die anderen in tieferen Schichten fortſchwimmen, daß bei
anderen die Roggener den Milchnern vorausziehen u. ſ. w. Allen Wanderfiſchen gemein iſt die
Ruhe und Raſtloſigkeit: ſie ſcheinen nicht freiwillig, ſondern gezwungen zu reiſen.



Wenn die alten Morgenländer einen Begriff von der Anzahl der Eier eines einzigen Fiſches
gehabt hätten, würden ſie die ihnen ſo erwünſchte Fruchtbarkeit des Weibes wahrſcheinlich nicht mit
dem Weinſtocke, ſondern mit der eines Fiſches verglichen oder dem Erzvater Abraham durch den
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[460/0490] Die Fiſche. Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. Lande alſo in den Frühling und Sommer; aber ſchon unſere deutſchen Flußfiſche laichen, mit Aus- nahme des Januar, Februar und Auguſt, in allen übrigen Monaten des Jahres, und einzelne von ihnen laſſen gewiß auch nicht einmal dieſe Ausnahme gelten, ſei es, daß ſie eher, ſei es, daß ſie ſpäter mit dem Laichen beginnen, dieſes wichtige Geſchäft alſo ſchon vor oder nach der durch- ſchnittlichen Zeit abmachen. Da nun die Wanderungen der Fiſche einzig und allein zu dem Zwecke unternommen werden, den Laich an geeigneten Stellen abzuſetzen, ergibt ſich von ſelbſt, daß von einer allgemeinen Zeit dieſer Wanderungen, wie ſie der Zug der Vögel einhält, nicht geſprochen werden kann. Nicht die beginnende Verarmung einer gewiſſen Gegend, bedingt durch den Eintritt eines beſtimmten Jahresabſchnittes, iſt es, welche ſie treibt zu wandern, ſondern einzig und allein der gefüllte Eierſtock des Roggeners, der von Samen ſtrotzende des Milchners. Je nach der Zeit nun, in welche ihre Fortpflanzung fällt, ſteigen ſie aus der Tiefe des Meeres oder den kalten Gründen einzelner Binnenſeen zu den höheren Waſſerſchichten empor, ſchwimmen in den Flüſſen aufwärts, ſoweit ſie können, ſuchen ſich die geeigneten Plätze aus, um ihren Laich abzulegen und kehren, nachdem ſie dem Fortpflanzungstriebe Genüge geleiſtet, allgemach wieder nach dem früheren Aufenthaltsorte zurück, ihre Jungen, um mich ſo auszudrücken, vorausſendend, mit ſich nehmend oder nach ſich ziehend. Daß auch das Umgekehrte geſchehen kann, daß Süßwaſſerfiſche bewogen werden, ins Meer zu gehen, haben wir geſehen; die Urſache der Wanderung bleibt immer dieſelbe. Wie bereits bemerkt, nahm man früher an, daß die Wanderungen der Fiſche ſich über ausgedehnte Meerestheile erſtrecken, während wir gegenwärtig, abgeſehen von einzelnen Verſchlagenen, beiſpiels- weiſe von ſolchen, welche mit dem Golfſtrome ziehen, an dieſe großartigen Reiſen nicht mehr glauben, ſondern nur ein Aufſteigen aus tieferen Schichten zu höheren annehmen können. Erſt die Erkenntniß, daß einzig und allein der Fortpflanzungstrieb zum Wandern bewegt, erklärt das uns ſchwer verſtändliche Betragen, das Drängen, Eilen, das rückſichtsloſe Vorwärtsgehen der Fiſche, welches uns erſcheint, als wären ſie mit Blindheit geſchlagen. Dieſer auch bei anderen Thieren ſo gewaltige Trieb iſt es, welcher ſie ihre bisher gewohnte Lebensweiſe vollſtändig vergeſſen, und ſie mit ihrem ſonſtigen Benehmen in Widerſpruch ſtehende Handlungen begehen läßt. Minder leicht erklärt ſich das Rückwandern der Jungen, die wunderbare Geſelligkeit, welche ſie bei dieſer Gelegenheit offenbaren, die Regelmäßigkeit ihrer Züge, der Eifer, jedes nur irgendwie überwindliche Hinderniß auch wirklich zu überwinden. Bei Beobachtung ihrer Reiſen wird man verſucht, das Wort „Jnſtinkt“ auszuſprechen, ſo oft und beſtimmt man ſich auch ſagen muß, daß da, wo die Begriffe mangeln, zu rechter Zeit dieſes Wort ſich einſtellt, welches wohl dem Blind- gläubigen, nimmermehr aber dem Forſcher genügt. Ueber die Art und Weiſe der Wanderungen ſelbſt hat man noch keineswegs genügende Beobachtungen geſammelt; trotzdem weiß man, daß das Reiſen mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit vor ſich geht, daß einzelne Arten in Keilform ſchwimmen, ſo wie ein Kranichheer durch die Luft zieht, daß bei anderen, welche in dicht gedrängten, wirren Maſſen einherziehen, Männchen und Weibchen ſich ſondern, indem die einen in den oberen, die anderen in tieferen Schichten fortſchwimmen, daß bei anderen die Roggener den Milchnern vorausziehen u. ſ. w. Allen Wanderfiſchen gemein iſt die Ruhe und Raſtloſigkeit: ſie ſcheinen nicht freiwillig, ſondern gezwungen zu reiſen. Wenn die alten Morgenländer einen Begriff von der Anzahl der Eier eines einzigen Fiſches gehabt hätten, würden ſie die ihnen ſo erwünſchte Fruchtbarkeit des Weibes wahrſcheinlich nicht mit dem Weinſtocke, ſondern mit der eines Fiſches verglichen oder dem Erzvater Abraham durch den Mund des Engels ſo viele Nachkommen, als der Fiſch ſie erzeugt, gewünſcht haben. Die Fruchtbar-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/490>, abgerufen am 23.12.2024.