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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Grubenottern. Lochottern.
als sie lang ist, worauf sie sich augenblicklich wieder in einen Kreis zusammenzieht. Geht man, wenn
sie so auf dem Boden ruht, in einiger Entfernung um sie herum, so dreht sie sich, ohne daß man recht
sieht wie, immer nach, sodaß sie Einem stets die Stirn zeigt. Beim Gehen trägt sie den Kopf hoch
und erhält dadurch ein zierliches und stolzes Ansehen. Sie bewegt sich mit solcher Leichtigkeit am
Boden fort, als ob sie dahin schwebe; man hört nicht das geringste Geräusch, sieht auch nicht den
geringsten Eindruck. Daß sie mit leichter Mühe schwimmt, ist allgemein bekannt auf der Jnsel.
"Jch selbst", sagt Rufz, dem ich das Vor- und Nachstehende im Wortlaute der von Lenz gegebenen
Uebersetzung entnehme, "ich selbst habe einmal eine 4 Fuß lange Lanzenschlange im Angesicht der
Stadt St. Pierre auf einen Flintenschuß Entfernung vom Ufer aus einem Boote in das Meer
geworfen. Sie schwamm rasch und mit unbeschreiblicher Anmuth dem Ufer zu; so oft wir sie aber
einholten, machte sie augenblicklich Halt, ringelte sich inmitten der Flut ebenso leicht zusammen, als
ob sie auf ebenem, festen Boden gelegen hätte, und hob drohend den Kopf gegen uns. Wunderbar
ist, daß sie diese Fertigkeit nicht benutzt, um nach benachbarten, zum Theil sehr nahe liegenden Jnseln
auszuwandern."

Die Paarungszeit fällt in den Januar, die Zeit des Eierlegens in den Juli. Die Jungen
kriechen aus den Schalen der Eier in dem Augenblicke, in welchem letztere gelegt werden. Viele,
ja, wohl die meisten derselben, kommen in ihrer Jugend um, da sie von den Alten nicht geschützt und
selbst von schwachen Thieren, beispielsweise Haushühnern, getödtet werden; die Vermehrung der
Lanzenschlange ist aber so ungeheuerlich, daß alle Verluste reichlich gedeckt werden. Nach der Ver-
sicherung Moreau's befinden sich in dem Leibe trächtiger Weibchen funfzig bis sechzig Eier;
Bonodet hat ebenfalls zwanzig bis sechzig Stück gefunden, je nach der Größe der Mutter; Huc
deren sogar siebenundsechzig, Rufz selbst sechsunddreißig bis siebenundvierzig. Die Jungen sind beim
Auskriechen 8 bis 10 Zoll lang, sehr beweglich und bissig.

Jn der frühesten Jugend nährt sich die Lanzenschlange von Eidechsen, später von kleinen Vögeln,
zuletzt hauptsächlich von Ratten, welche, durch die europäischen Schiffe auf der Jnsel eingeschleppt,
sich in erschreckender Menge vermehrt haben; sie geht aber auch dem Hausgeflügel nach und kann,
wenn sie erwachsen ist, ganze Haushühner und selbst kleine Truthühner oder Beutelratten verschlingen.
Durch Verminderung der Ratten mag sie sich verdient machen, Niemand aber wird ihr deshalb das
Wort reden wollen; denn die Verluste an Menschenleben, welche einzig und allein auf ihre Rechnung
kommen, sind geradezu schauerlich. "Daß sie", fährt Rufz fort, "beißt, wenn man ihr zu nah
kommt, ist gewiß, daß sie sich aber auf den Menschen von Weitem zustürzt und Fliehende verfolgt,
geschieht wohl nie oder doch nur höchst selten; sonst wären auch die Jnseln, auf denen sie haust, für
Menschen geradezu unbewohnbar.... Jch habe bei den Pfarrern und Ortsvorstehern Erkundigungen
über die Todesfälle eingezogen, welche jetzt (1843) alljährlich durch die Lanzenschlange verursacht
werden und erfahren, daß jede Gemeinde der Jnsel in der Regel jährlich einen bis drei Menschen
durch sie verliert. Die Anzahl der Gebissenen, welche mit dem Leben davonkommen, ist freilich zehn-
mal größer, und da dann, im günstigsten Falle also, langwierige Krankheit, oft auch Verstümmelung
der Glieder die Folge des Bisses ist, so muß man den für die Ansiedelung entstehenden Verlust sehr
hoch anschlagen. Es gibt übrigens Jahre, welche viel schlimmer sind, als die gewöhnlichen, so z. B.
das gegenwärtige, in welchem die Bisse tödtlicher sind als sonst, sodaß mir z. B. der Ortsvorsteher
Venancourt berichtet hat, in seiner Gemeinde seien in weniger als sieben Monaten schon achtzehn
Leute an Schlangenbissen gestorben. Ebenso zeigt Dr. Clerville an, daß zu Vauclin dieses Jahr
fast jeder Gebissene stirbt. Und doch ist die Verwüstung, welche die Ratten gerade in dem gegen-
wärtigen Jahre anrichten, wirklich fürchterlich, sodaß man leider sieht, daß die Hilfe, welche man von
der Lanzenschlange gegen die Ratten erwarten konnte, eben nicht von großer Bedeutung ist."

Wenn das Zuckerrohr geerntet wird, läßt man die Neger stets in einer Reihe arbeiten und stellt
womöglich die Männer und Weiber abwechselnd; die Stimme des Aufsehers ermahnt von Zeit zu
Zeit, damit sich jeder vor der Schlange hüte. Wurde eine bemerkt, so flieht, unter jämmerlichem

Die Schlangen. Grubenottern. Lochottern.
als ſie lang iſt, worauf ſie ſich augenblicklich wieder in einen Kreis zuſammenzieht. Geht man, wenn
ſie ſo auf dem Boden ruht, in einiger Entfernung um ſie herum, ſo dreht ſie ſich, ohne daß man recht
ſieht wie, immer nach, ſodaß ſie Einem ſtets die Stirn zeigt. Beim Gehen trägt ſie den Kopf hoch
und erhält dadurch ein zierliches und ſtolzes Anſehen. Sie bewegt ſich mit ſolcher Leichtigkeit am
Boden fort, als ob ſie dahin ſchwebe; man hört nicht das geringſte Geräuſch, ſieht auch nicht den
geringſten Eindruck. Daß ſie mit leichter Mühe ſchwimmt, iſt allgemein bekannt auf der Jnſel.
„Jch ſelbſt“, ſagt Rufz, dem ich das Vor- und Nachſtehende im Wortlaute der von Lenz gegebenen
Ueberſetzung entnehme, „ich ſelbſt habe einmal eine 4 Fuß lange Lanzenſchlange im Angeſicht der
Stadt St. Pierre auf einen Flintenſchuß Entfernung vom Ufer aus einem Boote in das Meer
geworfen. Sie ſchwamm raſch und mit unbeſchreiblicher Anmuth dem Ufer zu; ſo oft wir ſie aber
einholten, machte ſie augenblicklich Halt, ringelte ſich inmitten der Flut ebenſo leicht zuſammen, als
ob ſie auf ebenem, feſten Boden gelegen hätte, und hob drohend den Kopf gegen uns. Wunderbar
iſt, daß ſie dieſe Fertigkeit nicht benutzt, um nach benachbarten, zum Theil ſehr nahe liegenden Jnſeln
auszuwandern.“

Die Paarungszeit fällt in den Januar, die Zeit des Eierlegens in den Juli. Die Jungen
kriechen aus den Schalen der Eier in dem Augenblicke, in welchem letztere gelegt werden. Viele,
ja, wohl die meiſten derſelben, kommen in ihrer Jugend um, da ſie von den Alten nicht geſchützt und
ſelbſt von ſchwachen Thieren, beiſpielsweiſe Haushühnern, getödtet werden; die Vermehrung der
Lanzenſchlange iſt aber ſo ungeheuerlich, daß alle Verluſte reichlich gedeckt werden. Nach der Ver-
ſicherung Moreau’s befinden ſich in dem Leibe trächtiger Weibchen funfzig bis ſechzig Eier;
Bonodet hat ebenfalls zwanzig bis ſechzig Stück gefunden, je nach der Größe der Mutter; Huc
deren ſogar ſiebenundſechzig, Rufz ſelbſt ſechsunddreißig bis ſiebenundvierzig. Die Jungen ſind beim
Auskriechen 8 bis 10 Zoll lang, ſehr beweglich und biſſig.

Jn der früheſten Jugend nährt ſich die Lanzenſchlange von Eidechſen, ſpäter von kleinen Vögeln,
zuletzt hauptſächlich von Ratten, welche, durch die europäiſchen Schiffe auf der Jnſel eingeſchleppt,
ſich in erſchreckender Menge vermehrt haben; ſie geht aber auch dem Hausgeflügel nach und kann,
wenn ſie erwachſen iſt, ganze Haushühner und ſelbſt kleine Truthühner oder Beutelratten verſchlingen.
Durch Verminderung der Ratten mag ſie ſich verdient machen, Niemand aber wird ihr deshalb das
Wort reden wollen; denn die Verluſte an Menſchenleben, welche einzig und allein auf ihre Rechnung
kommen, ſind geradezu ſchauerlich. „Daß ſie“, fährt Rufz fort, „beißt, wenn man ihr zu nah
kommt, iſt gewiß, daß ſie ſich aber auf den Menſchen von Weitem zuſtürzt und Fliehende verfolgt,
geſchieht wohl nie oder doch nur höchſt ſelten; ſonſt wären auch die Jnſeln, auf denen ſie hauſt, für
Menſchen geradezu unbewohnbar.... Jch habe bei den Pfarrern und Ortsvorſtehern Erkundigungen
über die Todesfälle eingezogen, welche jetzt (1843) alljährlich durch die Lanzenſchlange verurſacht
werden und erfahren, daß jede Gemeinde der Jnſel in der Regel jährlich einen bis drei Menſchen
durch ſie verliert. Die Anzahl der Gebiſſenen, welche mit dem Leben davonkommen, iſt freilich zehn-
mal größer, und da dann, im günſtigſten Falle alſo, langwierige Krankheit, oft auch Verſtümmelung
der Glieder die Folge des Biſſes iſt, ſo muß man den für die Anſiedelung entſtehenden Verluſt ſehr
hoch anſchlagen. Es gibt übrigens Jahre, welche viel ſchlimmer ſind, als die gewöhnlichen, ſo z. B.
das gegenwärtige, in welchem die Biſſe tödtlicher ſind als ſonſt, ſodaß mir z. B. der Ortsvorſteher
Venancourt berichtet hat, in ſeiner Gemeinde ſeien in weniger als ſieben Monaten ſchon achtzehn
Leute an Schlangenbiſſen geſtorben. Ebenſo zeigt Dr. Clerville an, daß zu Vauclin dieſes Jahr
faſt jeder Gebiſſene ſtirbt. Und doch iſt die Verwüſtung, welche die Ratten gerade in dem gegen-
wärtigen Jahre anrichten, wirklich fürchterlich, ſodaß man leider ſieht, daß die Hilfe, welche man von
der Lanzenſchlange gegen die Ratten erwarten konnte, eben nicht von großer Bedeutung iſt.“

Wenn das Zuckerrohr geerntet wird, läßt man die Neger ſtets in einer Reihe arbeiten und ſtellt
womöglich die Männer und Weiber abwechſelnd; die Stimme des Aufſehers ermahnt von Zeit zu
Zeit, damit ſich jeder vor der Schlange hüte. Wurde eine bemerkt, ſo flieht, unter jämmerlichem

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[344/0370] Die Schlangen. Grubenottern. Lochottern. als ſie lang iſt, worauf ſie ſich augenblicklich wieder in einen Kreis zuſammenzieht. Geht man, wenn ſie ſo auf dem Boden ruht, in einiger Entfernung um ſie herum, ſo dreht ſie ſich, ohne daß man recht ſieht wie, immer nach, ſodaß ſie Einem ſtets die Stirn zeigt. Beim Gehen trägt ſie den Kopf hoch und erhält dadurch ein zierliches und ſtolzes Anſehen. Sie bewegt ſich mit ſolcher Leichtigkeit am Boden fort, als ob ſie dahin ſchwebe; man hört nicht das geringſte Geräuſch, ſieht auch nicht den geringſten Eindruck. Daß ſie mit leichter Mühe ſchwimmt, iſt allgemein bekannt auf der Jnſel. „Jch ſelbſt“, ſagt Rufz, dem ich das Vor- und Nachſtehende im Wortlaute der von Lenz gegebenen Ueberſetzung entnehme, „ich ſelbſt habe einmal eine 4 Fuß lange Lanzenſchlange im Angeſicht der Stadt St. Pierre auf einen Flintenſchuß Entfernung vom Ufer aus einem Boote in das Meer geworfen. Sie ſchwamm raſch und mit unbeſchreiblicher Anmuth dem Ufer zu; ſo oft wir ſie aber einholten, machte ſie augenblicklich Halt, ringelte ſich inmitten der Flut ebenſo leicht zuſammen, als ob ſie auf ebenem, feſten Boden gelegen hätte, und hob drohend den Kopf gegen uns. Wunderbar iſt, daß ſie dieſe Fertigkeit nicht benutzt, um nach benachbarten, zum Theil ſehr nahe liegenden Jnſeln auszuwandern.“ Die Paarungszeit fällt in den Januar, die Zeit des Eierlegens in den Juli. Die Jungen kriechen aus den Schalen der Eier in dem Augenblicke, in welchem letztere gelegt werden. Viele, ja, wohl die meiſten derſelben, kommen in ihrer Jugend um, da ſie von den Alten nicht geſchützt und ſelbſt von ſchwachen Thieren, beiſpielsweiſe Haushühnern, getödtet werden; die Vermehrung der Lanzenſchlange iſt aber ſo ungeheuerlich, daß alle Verluſte reichlich gedeckt werden. Nach der Ver- ſicherung Moreau’s befinden ſich in dem Leibe trächtiger Weibchen funfzig bis ſechzig Eier; Bonodet hat ebenfalls zwanzig bis ſechzig Stück gefunden, je nach der Größe der Mutter; Huc deren ſogar ſiebenundſechzig, Rufz ſelbſt ſechsunddreißig bis ſiebenundvierzig. Die Jungen ſind beim Auskriechen 8 bis 10 Zoll lang, ſehr beweglich und biſſig. Jn der früheſten Jugend nährt ſich die Lanzenſchlange von Eidechſen, ſpäter von kleinen Vögeln, zuletzt hauptſächlich von Ratten, welche, durch die europäiſchen Schiffe auf der Jnſel eingeſchleppt, ſich in erſchreckender Menge vermehrt haben; ſie geht aber auch dem Hausgeflügel nach und kann, wenn ſie erwachſen iſt, ganze Haushühner und ſelbſt kleine Truthühner oder Beutelratten verſchlingen. Durch Verminderung der Ratten mag ſie ſich verdient machen, Niemand aber wird ihr deshalb das Wort reden wollen; denn die Verluſte an Menſchenleben, welche einzig und allein auf ihre Rechnung kommen, ſind geradezu ſchauerlich. „Daß ſie“, fährt Rufz fort, „beißt, wenn man ihr zu nah kommt, iſt gewiß, daß ſie ſich aber auf den Menſchen von Weitem zuſtürzt und Fliehende verfolgt, geſchieht wohl nie oder doch nur höchſt ſelten; ſonſt wären auch die Jnſeln, auf denen ſie hauſt, für Menſchen geradezu unbewohnbar.... Jch habe bei den Pfarrern und Ortsvorſtehern Erkundigungen über die Todesfälle eingezogen, welche jetzt (1843) alljährlich durch die Lanzenſchlange verurſacht werden und erfahren, daß jede Gemeinde der Jnſel in der Regel jährlich einen bis drei Menſchen durch ſie verliert. Die Anzahl der Gebiſſenen, welche mit dem Leben davonkommen, iſt freilich zehn- mal größer, und da dann, im günſtigſten Falle alſo, langwierige Krankheit, oft auch Verſtümmelung der Glieder die Folge des Biſſes iſt, ſo muß man den für die Anſiedelung entſtehenden Verluſt ſehr hoch anſchlagen. Es gibt übrigens Jahre, welche viel ſchlimmer ſind, als die gewöhnlichen, ſo z. B. das gegenwärtige, in welchem die Biſſe tödtlicher ſind als ſonſt, ſodaß mir z. B. der Ortsvorſteher Venancourt berichtet hat, in ſeiner Gemeinde ſeien in weniger als ſieben Monaten ſchon achtzehn Leute an Schlangenbiſſen geſtorben. Ebenſo zeigt Dr. Clerville an, daß zu Vauclin dieſes Jahr faſt jeder Gebiſſene ſtirbt. Und doch iſt die Verwüſtung, welche die Ratten gerade in dem gegen- wärtigen Jahre anrichten, wirklich fürchterlich, ſodaß man leider ſieht, daß die Hilfe, welche man von der Lanzenſchlange gegen die Ratten erwarten konnte, eben nicht von großer Bedeutung iſt.“ Wenn das Zuckerrohr geerntet wird, läßt man die Neger ſtets in einer Reihe arbeiten und ſtellt womöglich die Männer und Weiber abwechſelnd; die Stimme des Aufſehers ermahnt von Zeit zu Zeit, damit ſich jeder vor der Schlange hüte. Wurde eine bemerkt, ſo flieht, unter jämmerlichem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/370>, abgerufen am 15.05.2024.