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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Buschmeister.

Nach Europa gelangt der Buschmeister viel seltener als den Homöopathen zu wünschen wäre.
Jhm zu Ehren nämlich ist eine ihrer Arzeneien Lachesis benannt worden, vielleicht deshalb, weil
Hering zuerst von einem Buschmeister Gift entnahm und verarbeitete. Welche erstaunliche Wirkung
besagte Arzenei hat, mag aus dem Nachstehenden hervorgehen.

"Wenn wir", so läßt sich der unfehlbare Hering vernehmen, "der alten Volksmittel gedenken,
sehen wir, daß sehr viele Fische Arzenei sein müssen; aber noch viel mehr finden wir die Amphibien
hierzu benutzt. Diese greulichen, widerlichen Wesen sollten auch Kräfte haben, die Krankheiten und
zwar die greulichsten zu überwinden. Betrachten wir die noch vorhandenen alten Sagen näher, so
sehen wir, daß die gerösteten Kröten, getrockneten Eidechsen, das Fett der Schlangen, das Blut der
Schildkröten, vor Allem aber die Galle gegen die hartnäckigsten Ausschläge und Geschwüre gerühmt
werden. Unter allen thierischen Giften steht nun aber, wie billig, das Schlangengift obenan, dessen
sich als Arzenei zu bedienen man nie wagen konnte, wenn man bedenkt, daß viele Gebissene, welche
gerettet wurden, noch einige Zeit hernach, eigentlich ihr Leben lang, an demselben Theile Hautaus-
schläge behielten, oder eine feurige Farbe, man sagt, die der Schlange selber. Wenn man dazu
nimmt, daß größere Mengen des Giftes blitzschnell tödten können, kleinere Geschwülste und Brände
erregen, sehr kleine noch gefährlichere Zufälle, so wird man wünschen, die Menge des Giftes so
verringern zu können, daß die Wirkung minder stürmisch wird und leichter wahrgenommen und
beurtheilt werden könne. Es war daher schon früher, ehe ich noch in den Süden gelangen konnte,
mein lebhafter Wunsch, dieses berühmte Gift einst untersuchen zu können. Versuche mit Schlangen-
gift, welches mit Milchzucker abgerieben wurde, werden nicht nur lehren, daß es auf den Menschen
wirke, sondern sie werden es möglich machen, daß man die Gebissenen mit Sicherheit behandele und
aus der Unzahl von Gegenmitteln die rechten erwählen könne; ja, sie werden vielleicht auch das
Schlangengift zu einer wichtigen Arzenei erheben. Jch erinnere hier nur an die Geschichte in
Galen, wo ein Aussätziger geheilt wird durch Wein, in welchem eine Natter ertrunken war. Auch
hat man mir hier (in Paramaribo) als ein großes Geheimniß eröffnet, daß der geröstete Kopf einer
Giftschlange, zu Pulver zerstoßen, ein Hauptbestandtheil sei zu einem Pulver, welches, in kleine
Hautritzchen eingerieben, nicht nur vor den Nachtheilen des Bisses schütze, sondern, nach dem Bisse
angewendet, auch helfe. Ferner habe ich einen Aussätzigen gesehen, der wirklich von allen Knollen
im Gesicht und sonst befreit worden war und, wie man wollte, durch dasselbe Schlangenpulver.
Man muß aber Volksmittel nicht verachten; sie sind vor Hahnemann fast die einzige Quelle der
materia medica gewesen und wir werden dadurch noch viel lernen können. Oft hat der Jnstinkt dem
Menschen Mittel gelehrt, auf die das Probiren in Jahrhunderten nicht hätte führen können....
So war ich denn durch dieses Alles sehr begierig geworden nach dem Besitze einer lebenden, großen
Giftschlange."

Eine solche Einleitung läßt Großes erwarten, und unser Hering täuscht uns nicht. Er
erzählt nun sehr ausführlich, wie er und zwar im Jahre des Heils 1828 endlich einen
Buschmeister erhalten, das Gift ausgedrückt, zehn Tropfen davon auf hundert Gran Milchzucker
gebracht und das Ganze verrieben habe "eine Stunde lang", "davon aber zehn Gran wieder
mit hundert, um die Verdünnung von etwa hundert Theilen zu erhalten, jeden Gifttropfen als
Gran-Einheit betrachtend." Zum Glück für die leidende Menschheit erfuhr der Erfinder dieser
herrlichen Arzenei gleich an sich selbst deren Wirkung. "Beim Verreiben des Giftes", fährt er fort,
"konnte ich bemerken, daß ich den Staub davon einathmete. Es entstand davon hinten am Gaumen
ein ganz besonderes, fast kratzendes Gefühl, nach einer Stunde ein Halsschmerz, ein klemmender
Schmerz an einer kleinen Stelle tief innen rechts, wie auf der Seite des Schlundes, beim Schlingen
nicht vermehrt, vergrößert beim Druck, nach einigen Stunden beim Fahren im Freien eine solche
Bangigkeit, als geschehe etwas sehr Uebles, wie schwere böse Ahnung: sie quälte mich aufs Aeußerste
über eine Stunde lang. Gegen Abend ganz ungewöhnliche, fast wahnsinnige Eifersucht, ebenso
thöricht als unbezwinglich, abends größte Erschlaffung und Müdigkeit, Schläfrigkeit, dabei besondere

Brehm, Thierleben. V. 22
Buſchmeiſter.

Nach Europa gelangt der Buſchmeiſter viel ſeltener als den Homöopathen zu wünſchen wäre.
Jhm zu Ehren nämlich iſt eine ihrer Arzeneien Lachesis benannt worden, vielleicht deshalb, weil
Hering zuerſt von einem Buſchmeiſter Gift entnahm und verarbeitete. Welche erſtaunliche Wirkung
beſagte Arzenei hat, mag aus dem Nachſtehenden hervorgehen.

„Wenn wir“, ſo läßt ſich der unfehlbare Hering vernehmen, „der alten Volksmittel gedenken,
ſehen wir, daß ſehr viele Fiſche Arzenei ſein müſſen; aber noch viel mehr finden wir die Amphibien
hierzu benutzt. Dieſe greulichen, widerlichen Weſen ſollten auch Kräfte haben, die Krankheiten und
zwar die greulichſten zu überwinden. Betrachten wir die noch vorhandenen alten Sagen näher, ſo
ſehen wir, daß die geröſteten Kröten, getrockneten Eidechſen, das Fett der Schlangen, das Blut der
Schildkröten, vor Allem aber die Galle gegen die hartnäckigſten Ausſchläge und Geſchwüre gerühmt
werden. Unter allen thieriſchen Giften ſteht nun aber, wie billig, das Schlangengift obenan, deſſen
ſich als Arzenei zu bedienen man nie wagen konnte, wenn man bedenkt, daß viele Gebiſſene, welche
gerettet wurden, noch einige Zeit hernach, eigentlich ihr Leben lang, an demſelben Theile Hautaus-
ſchläge behielten, oder eine feurige Farbe, man ſagt, die der Schlange ſelber. Wenn man dazu
nimmt, daß größere Mengen des Giftes blitzſchnell tödten können, kleinere Geſchwülſte und Brände
erregen, ſehr kleine noch gefährlichere Zufälle, ſo wird man wünſchen, die Menge des Giftes ſo
verringern zu können, daß die Wirkung minder ſtürmiſch wird und leichter wahrgenommen und
beurtheilt werden könne. Es war daher ſchon früher, ehe ich noch in den Süden gelangen konnte,
mein lebhafter Wunſch, dieſes berühmte Gift einſt unterſuchen zu können. Verſuche mit Schlangen-
gift, welches mit Milchzucker abgerieben wurde, werden nicht nur lehren, daß es auf den Menſchen
wirke, ſondern ſie werden es möglich machen, daß man die Gebiſſenen mit Sicherheit behandele und
aus der Unzahl von Gegenmitteln die rechten erwählen könne; ja, ſie werden vielleicht auch das
Schlangengift zu einer wichtigen Arzenei erheben. Jch erinnere hier nur an die Geſchichte in
Galen, wo ein Ausſätziger geheilt wird durch Wein, in welchem eine Natter ertrunken war. Auch
hat man mir hier (in Paramaribo) als ein großes Geheimniß eröffnet, daß der geröſtete Kopf einer
Giftſchlange, zu Pulver zerſtoßen, ein Hauptbeſtandtheil ſei zu einem Pulver, welches, in kleine
Hautritzchen eingerieben, nicht nur vor den Nachtheilen des Biſſes ſchütze, ſondern, nach dem Biſſe
angewendet, auch helfe. Ferner habe ich einen Ausſätzigen geſehen, der wirklich von allen Knollen
im Geſicht und ſonſt befreit worden war und, wie man wollte, durch daſſelbe Schlangenpulver.
Man muß aber Volksmittel nicht verachten; ſie ſind vor Hahnemann faſt die einzige Quelle der
materia medica geweſen und wir werden dadurch noch viel lernen können. Oft hat der Jnſtinkt dem
Menſchen Mittel gelehrt, auf die das Probiren in Jahrhunderten nicht hätte führen können....
So war ich denn durch dieſes Alles ſehr begierig geworden nach dem Beſitze einer lebenden, großen
Giftſchlange.“

Eine ſolche Einleitung läßt Großes erwarten, und unſer Hering täuſcht uns nicht. Er
erzählt nun ſehr ausführlich, wie er und zwar im Jahre des Heils 1828 endlich einen
Buſchmeiſter erhalten, das Gift ausgedrückt, zehn Tropfen davon auf hundert Gran Milchzucker
gebracht und das Ganze verrieben habe „eine Stunde lang“, „davon aber zehn Gran wieder
mit hundert, um die Verdünnung von etwa hundert Theilen zu erhalten, jeden Gifttropfen als
Gran-Einheit betrachtend.“ Zum Glück für die leidende Menſchheit erfuhr der Erfinder dieſer
herrlichen Arzenei gleich an ſich ſelbſt deren Wirkung. „Beim Verreiben des Giftes“, fährt er fort,
„konnte ich bemerken, daß ich den Staub davon einathmete. Es entſtand davon hinten am Gaumen
ein ganz beſonderes, faſt kratzendes Gefühl, nach einer Stunde ein Halsſchmerz, ein klemmender
Schmerz an einer kleinen Stelle tief innen rechts, wie auf der Seite des Schlundes, beim Schlingen
nicht vermehrt, vergrößert beim Druck, nach einigen Stunden beim Fahren im Freien eine ſolche
Bangigkeit, als geſchehe etwas ſehr Uebles, wie ſchwere böſe Ahnung: ſie quälte mich aufs Aeußerſte
über eine Stunde lang. Gegen Abend ganz ungewöhnliche, faſt wahnſinnige Eiferſucht, ebenſo
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Brehm, Thierleben. V. 22
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[337/0363] Buſchmeiſter. Nach Europa gelangt der Buſchmeiſter viel ſeltener als den Homöopathen zu wünſchen wäre. Jhm zu Ehren nämlich iſt eine ihrer Arzeneien Lachesis benannt worden, vielleicht deshalb, weil Hering zuerſt von einem Buſchmeiſter Gift entnahm und verarbeitete. Welche erſtaunliche Wirkung beſagte Arzenei hat, mag aus dem Nachſtehenden hervorgehen. „Wenn wir“, ſo läßt ſich der unfehlbare Hering vernehmen, „der alten Volksmittel gedenken, ſehen wir, daß ſehr viele Fiſche Arzenei ſein müſſen; aber noch viel mehr finden wir die Amphibien hierzu benutzt. Dieſe greulichen, widerlichen Weſen ſollten auch Kräfte haben, die Krankheiten und zwar die greulichſten zu überwinden. Betrachten wir die noch vorhandenen alten Sagen näher, ſo ſehen wir, daß die geröſteten Kröten, getrockneten Eidechſen, das Fett der Schlangen, das Blut der Schildkröten, vor Allem aber die Galle gegen die hartnäckigſten Ausſchläge und Geſchwüre gerühmt werden. Unter allen thieriſchen Giften ſteht nun aber, wie billig, das Schlangengift obenan, deſſen ſich als Arzenei zu bedienen man nie wagen konnte, wenn man bedenkt, daß viele Gebiſſene, welche gerettet wurden, noch einige Zeit hernach, eigentlich ihr Leben lang, an demſelben Theile Hautaus- ſchläge behielten, oder eine feurige Farbe, man ſagt, die der Schlange ſelber. Wenn man dazu nimmt, daß größere Mengen des Giftes blitzſchnell tödten können, kleinere Geſchwülſte und Brände erregen, ſehr kleine noch gefährlichere Zufälle, ſo wird man wünſchen, die Menge des Giftes ſo verringern zu können, daß die Wirkung minder ſtürmiſch wird und leichter wahrgenommen und beurtheilt werden könne. Es war daher ſchon früher, ehe ich noch in den Süden gelangen konnte, mein lebhafter Wunſch, dieſes berühmte Gift einſt unterſuchen zu können. Verſuche mit Schlangen- gift, welches mit Milchzucker abgerieben wurde, werden nicht nur lehren, daß es auf den Menſchen wirke, ſondern ſie werden es möglich machen, daß man die Gebiſſenen mit Sicherheit behandele und aus der Unzahl von Gegenmitteln die rechten erwählen könne; ja, ſie werden vielleicht auch das Schlangengift zu einer wichtigen Arzenei erheben. Jch erinnere hier nur an die Geſchichte in Galen, wo ein Ausſätziger geheilt wird durch Wein, in welchem eine Natter ertrunken war. Auch hat man mir hier (in Paramaribo) als ein großes Geheimniß eröffnet, daß der geröſtete Kopf einer Giftſchlange, zu Pulver zerſtoßen, ein Hauptbeſtandtheil ſei zu einem Pulver, welches, in kleine Hautritzchen eingerieben, nicht nur vor den Nachtheilen des Biſſes ſchütze, ſondern, nach dem Biſſe angewendet, auch helfe. Ferner habe ich einen Ausſätzigen geſehen, der wirklich von allen Knollen im Geſicht und ſonſt befreit worden war und, wie man wollte, durch daſſelbe Schlangenpulver. Man muß aber Volksmittel nicht verachten; ſie ſind vor Hahnemann faſt die einzige Quelle der materia medica geweſen und wir werden dadurch noch viel lernen können. Oft hat der Jnſtinkt dem Menſchen Mittel gelehrt, auf die das Probiren in Jahrhunderten nicht hätte führen können.... So war ich denn durch dieſes Alles ſehr begierig geworden nach dem Beſitze einer lebenden, großen Giftſchlange.“ Eine ſolche Einleitung läßt Großes erwarten, und unſer Hering täuſcht uns nicht. Er erzählt nun ſehr ausführlich, wie er und zwar im Jahre des Heils 1828 endlich einen Buſchmeiſter erhalten, das Gift ausgedrückt, zehn Tropfen davon auf hundert Gran Milchzucker gebracht und das Ganze verrieben habe „eine Stunde lang“, „davon aber zehn Gran wieder mit hundert, um die Verdünnung von etwa hundert Theilen zu erhalten, jeden Gifttropfen als Gran-Einheit betrachtend.“ Zum Glück für die leidende Menſchheit erfuhr der Erfinder dieſer herrlichen Arzenei gleich an ſich ſelbſt deren Wirkung. „Beim Verreiben des Giftes“, fährt er fort, „konnte ich bemerken, daß ich den Staub davon einathmete. Es entſtand davon hinten am Gaumen ein ganz beſonderes, faſt kratzendes Gefühl, nach einer Stunde ein Halsſchmerz, ein klemmender Schmerz an einer kleinen Stelle tief innen rechts, wie auf der Seite des Schlundes, beim Schlingen nicht vermehrt, vergrößert beim Druck, nach einigen Stunden beim Fahren im Freien eine ſolche Bangigkeit, als geſchehe etwas ſehr Uebles, wie ſchwere böſe Ahnung: ſie quälte mich aufs Aeußerſte über eine Stunde lang. Gegen Abend ganz ungewöhnliche, faſt wahnſinnige Eiferſucht, ebenſo thöricht als unbezwinglich, abends größte Erſchlaffung und Müdigkeit, Schläfrigkeit, dabei beſondere Brehm, Thierleben. V. 22

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/363>, abgerufen am 21.12.2024.