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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Klapperschlange. Cascavella.

"Oft habe ich mich", erzählt letztgenannter Forscher, "der Cascavella oder Maracka der Ein-
geborenen bis auf sechs oder sieben Fuß genähert und sie ruhig beobachtet. Zwar behielt sie mich
dabei fortwährend im Auge, zeigte aber nicht die geringste Neigung zum Beißen. Doch die mindeste
Anreizung, ja sogar eine plötzliche Annäherung versetzt das Thier augenblicklich in Wuth. Sich in
Schrauben windend, den Hals und Kopf in die Höhe hebend, den Rachen weit aufsperrend und ein
ganz eigenthümliches Zischen ausstoßend, schaut sie dann zornig umher, den rechten Augenblick zum
Bisse erlauernd, verfehlt nur selten ihr Ziel, und selbst die dichtesten Kleider, die stärksten Stiefeln
werden von ihren Giftzähnen durchdrungen. Die zitternde Bewegung des Schwanzes verursacht

[Abbildung] Die Cascavella (Crotalus horridus).
allerdings ein Geräusch; dasselbe ist aber nicht laut genug, um weit gehört zu werden. Mit der
dreimaligen Warnung hat es dieselbe Bewandtniß wie mit der Bezauberungskraft, welche ihr
zugeschrieben worden ist"; d. h. also, die Erzählungen gehören in das Gebiet der Fabel.

Ueber Ernährung und Fortpflanzung der Cascavella gilt wahrscheinlich Dasselbe, was man an
der Verwandten beobachtet hat. Für gesellige Versammlungen während der Paarungszeit spricht
eine Angabe Gardner's. Am westlichen Abhange des Orgelgebirges bei Rio de Janeiro
hörte derselbe in einem Gehölz ein seltsames Zischen und Rauschen und erfuhr von seinem ein-
heimischen Reisegefährten, daß dasselbe von Klapperschlangen herrühre. Beide bestiegen einen Baum
und sahen von da etwa zwanzig in einen Knäuel verschlungene Klapperschlangen, welche mit erhobenem
Kopfe zischten und mit den Klappern rasselten. Durch die Pfeile des Brasilianers und die Doppel-
flinte Gardner's wurden dreizehn Schlangen getödtet und noch mehrere schwer verwundete mit

Klapperſchlange. Cascavella.

„Oft habe ich mich“, erzählt letztgenannter Forſcher, „der Cascavella oder Maracka der Ein-
geborenen bis auf ſechs oder ſieben Fuß genähert und ſie ruhig beobachtet. Zwar behielt ſie mich
dabei fortwährend im Auge, zeigte aber nicht die geringſte Neigung zum Beißen. Doch die mindeſte
Anreizung, ja ſogar eine plötzliche Annäherung verſetzt das Thier augenblicklich in Wuth. Sich in
Schrauben windend, den Hals und Kopf in die Höhe hebend, den Rachen weit aufſperrend und ein
ganz eigenthümliches Ziſchen ausſtoßend, ſchaut ſie dann zornig umher, den rechten Augenblick zum
Biſſe erlauernd, verfehlt nur ſelten ihr Ziel, und ſelbſt die dichteſten Kleider, die ſtärkſten Stiefeln
werden von ihren Giftzähnen durchdrungen. Die zitternde Bewegung des Schwanzes verurſacht

[Abbildung] Die Cascavella (Crotalus horridus).
allerdings ein Geräuſch; daſſelbe iſt aber nicht laut genug, um weit gehört zu werden. Mit der
dreimaligen Warnung hat es dieſelbe Bewandtniß wie mit der Bezauberungskraft, welche ihr
zugeſchrieben worden iſt“; d. h. alſo, die Erzählungen gehören in das Gebiet der Fabel.

Ueber Ernährung und Fortpflanzung der Cascavella gilt wahrſcheinlich Daſſelbe, was man an
der Verwandten beobachtet hat. Für geſellige Verſammlungen während der Paarungszeit ſpricht
eine Angabe Gardner’s. Am weſtlichen Abhange des Orgelgebirges bei Rio de Janeiro
hörte derſelbe in einem Gehölz ein ſeltſames Ziſchen und Rauſchen und erfuhr von ſeinem ein-
heimiſchen Reiſegefährten, daß daſſelbe von Klapperſchlangen herrühre. Beide beſtiegen einen Baum
und ſahen von da etwa zwanzig in einen Knäuel verſchlungene Klapperſchlangen, welche mit erhobenem
Kopfe ziſchten und mit den Klappern raſſelten. Durch die Pfeile des Braſilianers und die Doppel-
flinte Gardner’s wurden dreizehn Schlangen getödtet und noch mehrere ſchwer verwundete mit

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[331/0357] Klapperſchlange. Cascavella. „Oft habe ich mich“, erzählt letztgenannter Forſcher, „der Cascavella oder Maracka der Ein- geborenen bis auf ſechs oder ſieben Fuß genähert und ſie ruhig beobachtet. Zwar behielt ſie mich dabei fortwährend im Auge, zeigte aber nicht die geringſte Neigung zum Beißen. Doch die mindeſte Anreizung, ja ſogar eine plötzliche Annäherung verſetzt das Thier augenblicklich in Wuth. Sich in Schrauben windend, den Hals und Kopf in die Höhe hebend, den Rachen weit aufſperrend und ein ganz eigenthümliches Ziſchen ausſtoßend, ſchaut ſie dann zornig umher, den rechten Augenblick zum Biſſe erlauernd, verfehlt nur ſelten ihr Ziel, und ſelbſt die dichteſten Kleider, die ſtärkſten Stiefeln werden von ihren Giftzähnen durchdrungen. Die zitternde Bewegung des Schwanzes verurſacht [Abbildung Die Cascavella (Crotalus horridus).] allerdings ein Geräuſch; daſſelbe iſt aber nicht laut genug, um weit gehört zu werden. Mit der dreimaligen Warnung hat es dieſelbe Bewandtniß wie mit der Bezauberungskraft, welche ihr zugeſchrieben worden iſt“; d. h. alſo, die Erzählungen gehören in das Gebiet der Fabel. Ueber Ernährung und Fortpflanzung der Cascavella gilt wahrſcheinlich Daſſelbe, was man an der Verwandten beobachtet hat. Für geſellige Verſammlungen während der Paarungszeit ſpricht eine Angabe Gardner’s. Am weſtlichen Abhange des Orgelgebirges bei Rio de Janeiro hörte derſelbe in einem Gehölz ein ſeltſames Ziſchen und Rauſchen und erfuhr von ſeinem ein- heimiſchen Reiſegefährten, daß daſſelbe von Klapperſchlangen herrühre. Beide beſtiegen einen Baum und ſahen von da etwa zwanzig in einen Knäuel verſchlungene Klapperſchlangen, welche mit erhobenem Kopfe ziſchten und mit den Klappern raſſelten. Durch die Pfeile des Braſilianers und die Doppel- flinte Gardner’s wurden dreizehn Schlangen getödtet und noch mehrere ſchwer verwundete mit

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/357>, abgerufen am 22.05.2024.