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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Vipern. Nasenvipern. Wüstenottern.
Mal sah ich schon, daß, wenn der Biß am Kopfe erfolgte, die Maus sich quietschend überstürzte und
augenblicklich todt war. Erst am folgenden oder selbst am zweiten Tage darauf machte sich die Viper
an das Verschlingen ihres Opfers, und es kostete ihr wahrlich keine geringe Mühe, das bereits sehr
steif gewordene Thier zu bewältigen, gelang ihr oft auch erst nach drei oder vier vergeblichen
Versuchen: immer aber verschlang sie ihre Beute bei Nacht; wenigstens sah ich sie bei Tage nie Etwas
verzehren. Die Nacht ist überhaupt ihre Zeit: sie sind dann stets lebhafter als am Tage. Nachts
verfolgen sie jede Handbewegung, während sie sich am Tage ganz ruhig verhalten und höchstens eifrig
die Sonnenwärme suchen. Sie trinken oft und gern, sind Menschen gegenüber wenig reizbar, wohl
aber gegen Thiere; der Anblick eines Hundes z. B. bringt sie leicht in Wuth, und sie geben Dies
durch heftiges Zischen und Aufrichten des Körpers zu erkennen. Sie entfliehen nicht leicht, sondern
nehmen meist eine lauernde Stellung an, aus welcher sie sich ungern verdrängen lassen.

"Jm Dezember des Jahres 1857 brachte man mir eine vollkommen ausgewachsene Ratte,
welche sich an einem Hinterfuße im Schlageisen gefangen hatte. Der Nager war sehr lebhaft und
suchte sich auf alle mögliche Weise zu befreien. Jch nahm nun die männliche Sandotter aus ihrem
Käfige, setzte sie auf den Boden des Zimmers und brachte die Ratte in ihre Nähe. Sogleich setzte sich
jene in eine drohende Haltung, und bei der nächsten Bewegung hatte die Ratte einen Biß erhalten.
Nunmehr sperrte ich die Viper wieder in ihren Behälter und ließ die Ratte in der Küche frei.
Anfangs wollte sich dieselbe verbergen, kam aber bald freiwillig hervor, suchte begierig umher und
schien ihre Furchtsamkeit dem Menschen gegenüber gänzlich verloren zu haben. Etwas Wasser,
welches ich ihr vorgoß, trank sie begierig auf. Doch schon nach wenigen Minuten wurde sie unruhig,
sträubte die Haare, biß in die Luft, kauerte sich hierauf zusammen und verweilte nun kurze Zeit ganz
ruhig, streckte sich sodann wieder, überwarf sich und verendete, bevor noch eine Viertelstunde seit dem
Bisse vergangen war, unter andauerndem Gewinsel.

"Bezüglich der Wirkung des Bisses an anderen Kriechthieren und Lurchen erhielt ich bis jetzt
folgende Ergebnisse: Bei fast allen österreichischen Nattern, als der Ringel-, Würfel-, Schling-
und Aeskulapnatter, verursacht der Biß gar keine Wirkung; bei allen Eidechsen hingegen erfolgte nach
dem Bisse fast augenblicklich Lähmung und schneller Tod. Nicht so jedoch bei Kröten, welche wohl
einige Tage kränkeln, sich dann aber wieder erholen und Nahrung nehmen. An gebissenen Wasser-
salamandern, welche nach dem Bisse wieder in das Wasser gesetzt werden, zeigt sich keine andere
Erscheinung, als daß sie in Zwischenräumen von je zwei Minuten nach Luft schnappen, während
Dies sonst nur in je acht bis zehn Minuten zu geschehen pflegt; werden sie jedoch in feuchtem Mose
gehalten, so verenden sie innerhalb weniger Minuten. Dasselbe gilt auch für gebissene Erdsala-
mander, welche sich aber vor dem Tode mit weißem Schaume bedecken. Die gebissenen Thiere sind
nach dem Tode augenblicklich steif.

"Was die Bißwirkung an Menschen betrifft, so bin ich blos einen einzigen Fall anzuführen im
Stande, welchen leider meine Frau an sich zu erfahren hatte. Jch lasse sie den Vorgang selbst mit-
theilen. "Während der Abwesenheit meines Mannes", schreibt Frau Erber, "hatte ich die
Fütterung der Kriechthiere und Lurche und die Reinigung ihrer Käfige zu besorgen. Um die Sand-
ottern mit frischem Wasser zu versehen, stellte ich drei Behälter derselben auf den Tisch, öffnete den
einen Käfig und reichte den gefährlichen Thieren vermittels einer langen Zange das Wassergefäß.
Währenddem wurde die Glocke gezogen, und ich ging, um die Thür zu öffnen, vergaß aber in der
Eile, den Käfig der Vipern zu schließen. Als ich das Zimmer wieder betrat, sah ich zu meinem Ent-
setzen, daß eine der Sandottern bereits mit der Hälfte ihres Leibes aus dem Käfige gekrochen war.
Erschreckt und geängstigt, wußte ich nicht, was zu thun, hatte nicht soviel Ueberlegung, mit Hilfe der
Zange das gefährliche Thier in den Käfig zurückzubringen, sondern faßte es unbedachtsam mit der
Hand und schleuderte es in den Käfig zurück. Dies war das Werk eines Augenblickes; so schnell ich
jedoch auch bei diesem Vorgehen war, so hatte sich die Viper doch, als ich den Käfig schließen wollte,
bereits zornig vom Boden aufgeschnellt und mich in den linken Arm gebissen. Jch erschrak dermaßen

Die Schlangen. Vipern. Naſenvipern. Wüſtenottern.
Mal ſah ich ſchon, daß, wenn der Biß am Kopfe erfolgte, die Maus ſich quietſchend überſtürzte und
augenblicklich todt war. Erſt am folgenden oder ſelbſt am zweiten Tage darauf machte ſich die Viper
an das Verſchlingen ihres Opfers, und es koſtete ihr wahrlich keine geringe Mühe, das bereits ſehr
ſteif gewordene Thier zu bewältigen, gelang ihr oft auch erſt nach drei oder vier vergeblichen
Verſuchen: immer aber verſchlang ſie ihre Beute bei Nacht; wenigſtens ſah ich ſie bei Tage nie Etwas
verzehren. Die Nacht iſt überhaupt ihre Zeit: ſie ſind dann ſtets lebhafter als am Tage. Nachts
verfolgen ſie jede Handbewegung, während ſie ſich am Tage ganz ruhig verhalten und höchſtens eifrig
die Sonnenwärme ſuchen. Sie trinken oft und gern, ſind Menſchen gegenüber wenig reizbar, wohl
aber gegen Thiere; der Anblick eines Hundes z. B. bringt ſie leicht in Wuth, und ſie geben Dies
durch heftiges Ziſchen und Aufrichten des Körpers zu erkennen. Sie entfliehen nicht leicht, ſondern
nehmen meiſt eine lauernde Stellung an, aus welcher ſie ſich ungern verdrängen laſſen.

„Jm Dezember des Jahres 1857 brachte man mir eine vollkommen ausgewachſene Ratte,
welche ſich an einem Hinterfuße im Schlageiſen gefangen hatte. Der Nager war ſehr lebhaft und
ſuchte ſich auf alle mögliche Weiſe zu befreien. Jch nahm nun die männliche Sandotter aus ihrem
Käfige, ſetzte ſie auf den Boden des Zimmers und brachte die Ratte in ihre Nähe. Sogleich ſetzte ſich
jene in eine drohende Haltung, und bei der nächſten Bewegung hatte die Ratte einen Biß erhalten.
Nunmehr ſperrte ich die Viper wieder in ihren Behälter und ließ die Ratte in der Küche frei.
Anfangs wollte ſich dieſelbe verbergen, kam aber bald freiwillig hervor, ſuchte begierig umher und
ſchien ihre Furchtſamkeit dem Menſchen gegenüber gänzlich verloren zu haben. Etwas Waſſer,
welches ich ihr vorgoß, trank ſie begierig auf. Doch ſchon nach wenigen Minuten wurde ſie unruhig,
ſträubte die Haare, biß in die Luft, kauerte ſich hierauf zuſammen und verweilte nun kurze Zeit ganz
ruhig, ſtreckte ſich ſodann wieder, überwarf ſich und verendete, bevor noch eine Viertelſtunde ſeit dem
Biſſe vergangen war, unter andauerndem Gewinſel.

„Bezüglich der Wirkung des Biſſes an anderen Kriechthieren und Lurchen erhielt ich bis jetzt
folgende Ergebniſſe: Bei faſt allen öſterreichiſchen Nattern, als der Ringel-, Würfel-, Schling-
und Aeskulapnatter, verurſacht der Biß gar keine Wirkung; bei allen Eidechſen hingegen erfolgte nach
dem Biſſe faſt augenblicklich Lähmung und ſchneller Tod. Nicht ſo jedoch bei Kröten, welche wohl
einige Tage kränkeln, ſich dann aber wieder erholen und Nahrung nehmen. An gebiſſenen Waſſer-
ſalamandern, welche nach dem Biſſe wieder in das Waſſer geſetzt werden, zeigt ſich keine andere
Erſcheinung, als daß ſie in Zwiſchenräumen von je zwei Minuten nach Luft ſchnappen, während
Dies ſonſt nur in je acht bis zehn Minuten zu geſchehen pflegt; werden ſie jedoch in feuchtem Moſe
gehalten, ſo verenden ſie innerhalb weniger Minuten. Daſſelbe gilt auch für gebiſſene Erdſala-
mander, welche ſich aber vor dem Tode mit weißem Schaume bedecken. Die gebiſſenen Thiere ſind
nach dem Tode augenblicklich ſteif.

„Was die Bißwirkung an Menſchen betrifft, ſo bin ich blos einen einzigen Fall anzuführen im
Stande, welchen leider meine Frau an ſich zu erfahren hatte. Jch laſſe ſie den Vorgang ſelbſt mit-
theilen. „Während der Abweſenheit meines Mannes“, ſchreibt Frau Erber, „hatte ich die
Fütterung der Kriechthiere und Lurche und die Reinigung ihrer Käfige zu beſorgen. Um die Sand-
ottern mit friſchem Waſſer zu verſehen, ſtellte ich drei Behälter derſelben auf den Tiſch, öffnete den
einen Käfig und reichte den gefährlichen Thieren vermittels einer langen Zange das Waſſergefäß.
Währenddem wurde die Glocke gezogen, und ich ging, um die Thür zu öffnen, vergaß aber in der
Eile, den Käfig der Vipern zu ſchließen. Als ich das Zimmer wieder betrat, ſah ich zu meinem Ent-
ſetzen, daß eine der Sandottern bereits mit der Hälfte ihres Leibes aus dem Käfige gekrochen war.
Erſchreckt und geängſtigt, wußte ich nicht, was zu thun, hatte nicht ſoviel Ueberlegung, mit Hilfe der
Zange das gefährliche Thier in den Käfig zurückzubringen, ſondern faßte es unbedachtſam mit der
Hand und ſchleuderte es in den Käfig zurück. Dies war das Werk eines Augenblickes; ſo ſchnell ich
jedoch auch bei dieſem Vorgehen war, ſo hatte ſich die Viper doch, als ich den Käfig ſchließen wollte,
bereits zornig vom Boden aufgeſchnellt und mich in den linken Arm gebiſſen. Jch erſchrak dermaßen

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[308/0334] Die Schlangen. Vipern. Naſenvipern. Wüſtenottern. Mal ſah ich ſchon, daß, wenn der Biß am Kopfe erfolgte, die Maus ſich quietſchend überſtürzte und augenblicklich todt war. Erſt am folgenden oder ſelbſt am zweiten Tage darauf machte ſich die Viper an das Verſchlingen ihres Opfers, und es koſtete ihr wahrlich keine geringe Mühe, das bereits ſehr ſteif gewordene Thier zu bewältigen, gelang ihr oft auch erſt nach drei oder vier vergeblichen Verſuchen: immer aber verſchlang ſie ihre Beute bei Nacht; wenigſtens ſah ich ſie bei Tage nie Etwas verzehren. Die Nacht iſt überhaupt ihre Zeit: ſie ſind dann ſtets lebhafter als am Tage. Nachts verfolgen ſie jede Handbewegung, während ſie ſich am Tage ganz ruhig verhalten und höchſtens eifrig die Sonnenwärme ſuchen. Sie trinken oft und gern, ſind Menſchen gegenüber wenig reizbar, wohl aber gegen Thiere; der Anblick eines Hundes z. B. bringt ſie leicht in Wuth, und ſie geben Dies durch heftiges Ziſchen und Aufrichten des Körpers zu erkennen. Sie entfliehen nicht leicht, ſondern nehmen meiſt eine lauernde Stellung an, aus welcher ſie ſich ungern verdrängen laſſen. „Jm Dezember des Jahres 1857 brachte man mir eine vollkommen ausgewachſene Ratte, welche ſich an einem Hinterfuße im Schlageiſen gefangen hatte. Der Nager war ſehr lebhaft und ſuchte ſich auf alle mögliche Weiſe zu befreien. Jch nahm nun die männliche Sandotter aus ihrem Käfige, ſetzte ſie auf den Boden des Zimmers und brachte die Ratte in ihre Nähe. Sogleich ſetzte ſich jene in eine drohende Haltung, und bei der nächſten Bewegung hatte die Ratte einen Biß erhalten. Nunmehr ſperrte ich die Viper wieder in ihren Behälter und ließ die Ratte in der Küche frei. Anfangs wollte ſich dieſelbe verbergen, kam aber bald freiwillig hervor, ſuchte begierig umher und ſchien ihre Furchtſamkeit dem Menſchen gegenüber gänzlich verloren zu haben. Etwas Waſſer, welches ich ihr vorgoß, trank ſie begierig auf. Doch ſchon nach wenigen Minuten wurde ſie unruhig, ſträubte die Haare, biß in die Luft, kauerte ſich hierauf zuſammen und verweilte nun kurze Zeit ganz ruhig, ſtreckte ſich ſodann wieder, überwarf ſich und verendete, bevor noch eine Viertelſtunde ſeit dem Biſſe vergangen war, unter andauerndem Gewinſel. „Bezüglich der Wirkung des Biſſes an anderen Kriechthieren und Lurchen erhielt ich bis jetzt folgende Ergebniſſe: Bei faſt allen öſterreichiſchen Nattern, als der Ringel-, Würfel-, Schling- und Aeskulapnatter, verurſacht der Biß gar keine Wirkung; bei allen Eidechſen hingegen erfolgte nach dem Biſſe faſt augenblicklich Lähmung und ſchneller Tod. Nicht ſo jedoch bei Kröten, welche wohl einige Tage kränkeln, ſich dann aber wieder erholen und Nahrung nehmen. An gebiſſenen Waſſer- ſalamandern, welche nach dem Biſſe wieder in das Waſſer geſetzt werden, zeigt ſich keine andere Erſcheinung, als daß ſie in Zwiſchenräumen von je zwei Minuten nach Luft ſchnappen, während Dies ſonſt nur in je acht bis zehn Minuten zu geſchehen pflegt; werden ſie jedoch in feuchtem Moſe gehalten, ſo verenden ſie innerhalb weniger Minuten. Daſſelbe gilt auch für gebiſſene Erdſala- mander, welche ſich aber vor dem Tode mit weißem Schaume bedecken. Die gebiſſenen Thiere ſind nach dem Tode augenblicklich ſteif. „Was die Bißwirkung an Menſchen betrifft, ſo bin ich blos einen einzigen Fall anzuführen im Stande, welchen leider meine Frau an ſich zu erfahren hatte. Jch laſſe ſie den Vorgang ſelbſt mit- theilen. „Während der Abweſenheit meines Mannes“, ſchreibt Frau Erber, „hatte ich die Fütterung der Kriechthiere und Lurche und die Reinigung ihrer Käfige zu beſorgen. Um die Sand- ottern mit friſchem Waſſer zu verſehen, ſtellte ich drei Behälter derſelben auf den Tiſch, öffnete den einen Käfig und reichte den gefährlichen Thieren vermittels einer langen Zange das Waſſergefäß. Währenddem wurde die Glocke gezogen, und ich ging, um die Thür zu öffnen, vergaß aber in der Eile, den Käfig der Vipern zu ſchließen. Als ich das Zimmer wieder betrat, ſah ich zu meinem Ent- ſetzen, daß eine der Sandottern bereits mit der Hälfte ihres Leibes aus dem Käfige gekrochen war. Erſchreckt und geängſtigt, wußte ich nicht, was zu thun, hatte nicht ſoviel Ueberlegung, mit Hilfe der Zange das gefährliche Thier in den Käfig zurückzubringen, ſondern faßte es unbedachtſam mit der Hand und ſchleuderte es in den Käfig zurück. Dies war das Werk eines Augenblickes; ſo ſchnell ich jedoch auch bei dieſem Vorgehen war, ſo hatte ſich die Viper doch, als ich den Käfig ſchließen wollte, bereits zornig vom Boden aufgeſchnellt und mich in den linken Arm gebiſſen. Jch erſchrak dermaßen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/334>, abgerufen am 15.05.2024.